Kein Anlass zur Bekümmernis: Stoewer D3 oder D9?

Anlass, sich zu ärgern oder das Schicksal vieler Mitmenschen zu bedauern, finde ich beinahe täglich – sei es in den Nachrichten, sei es im Erleben der traurigen Verhältnisse, in denen viele Zeitgenossen hierzulande ihr Dasein fristen.

Die Suggestion vom reichen Deutschland wird nicht nur in den volkswirtschaftlichen Zahlen zunehmend entzaubert, sie erweist sich auch in der täglichen Anschauung der ärmlichen Lebensumstände so vieler als blanker Zynismus.

Ich selber zähle zwar zu den überdurchschnittlich gut Verdienenden, deren historisch einzigartige Abgaben für alles Mögliche verschleudert werden – bloß kaum zur Linderung unübersehbarer Defizite in Infrastruktur, Bildungswesen und Wohnungsbau – doch Anlass zu echter Bekümmernis habe ich persönlich nicht.

Vielmehr kann ich mich nach getaner Arbeit und gezahlten Tributen unbeschwert den Dingen widmen, die mir Freude machen. Eine der Früchte dieser genüsslichen Beschäftigungen ist mein Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos.

Ein reines Luxusprojekt ist das und auch wenn es nicht entscheidend ist, freut mich, dass es nebenher anderen ebenfalls willkommene Ablenkung von einer kulturell immer weniger fruchtbaren Gegenwart bietet.

Die „Probleme“, die sich dabei himmelhoch auftürmen, geben bestenfalls auf den ersten Blick Anlass zur Bekümmernis:

Stoewer D9 Tourer in Eisenach; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Meine Güte, mag man jetzt denken, hier steht das Vorkriegsauto doch arg im Schatten einer mächtig aufragenden Kirche – wie soll man da herausbekommen, womit man es zu tun hat?

Nun, die positiv Denkenden werden sich zuallererst an dieser schönen Aufnahme der Georgenkirche erbauen, die den Marktplatz im thüringischen Eisenach beherrscht. Zumindest dieser Anblick ist uns auch heute noch vergönnt, auch wenn das historische Zentrum 1944/45 stark unter Bombenangriffen der Westalliierten gelitten hat.

Sodann können wir uns – von einer ersten Vermutung getragen – mit Zuversicht an das Wagnis der Identifikation des Tourenwagens am unteren Bildrand machen.

Dabei kommt uns entgegen, dass in den letzten 10 Jahren eine umfassende und ständig weiter wachsende Bildergalerie speziell für die Marke entstanden ist, welche ich von Anfang an in Verdacht hatte – diese hier.

Ebendort – nebenbei gibt es keine vergleichbare Quelle, die allgemein zugäglich wäre – findet sich eine Aufnahme, die uns in unserer „Not“ rasch Linderung verschafft:

Stoewer Typ D3 8/24 PS oder D9 9/32 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Spitzkühler mit dem oben flach liegend angebrachten Markenemblem ist typisch für die D-Typen des Stettiner Herstellers Stoewer ab Anfang der 1920er Jahre – und wir werden diesem Detail gleich in Eisenach wiederbegegnen.

Ob es sich nun um ein spätes Exemplar des Typs D3 8/24 PS mit nunmehr flacher Frontscheibe (bis 1923) oder eine frühe Ausführung des stärkeren Nachfolgers D9 9/32 PS (ab 1924) handelt, sei für heute dahingestellt.

DAS soll für uns heute kein Anlass zur Bekümmernis sein – denn die Identifikation des Eisenacher Tourers als ein solcher Stoewer D-Typ ist erfreulich genug – sehen Sie selbst:

Überzeugt? – Wahrscheinlich schon. Und wenn nicht, dann sind wir uns zumindest in der Identifikation des Denkmals für Eisenachs bedeutendsten Sohn einig: Johann Sebastian Bach. Er wurde übrigens in der Kirche dahinter getauft.

Eines seiner Werke thematisiert den Umgang mit etwaiger Bekümmernis auf die meisterhafte Weise, wie wir sie vom wohl genialsten deutschen Komponisten gewohnt sind.

Seine Kantate „Ich hatte viel Bekümmernis“ wird hier in vorzüglicher Weise von der Netherlands Bach Society vorgetragen – übrigens ein Ensemble, das man in Deutschland in dieser Form und Güte vergeblich sucht:

Bach – und überhaupt die Barockmusik – gilt vielen im angeblichen Land der Dichter und Denker inzwischen ja als schwere Kost. Aber ich hab mir diese Kunst auch ohne jede Vorprägung sebst erschlossen – im Elternhaus und in der Schule gab es keinen Bach.

Wer dieses eigentlich sehr eingängige Werk bis zur Auflösung des Themas im Abschlusschor „durchhält“ – was etwa die 10-fache Zeit in Anspruch nimmt, die ein zeitgenössischer Schlager an Aufmerksamkeit verlangt – für den weicht auf einmal alle Bekümmernis – so er denn welche hat…

Und wem das zuviel ist, der mag im Stöbern in den Bildergalerien in meinem Blog Entspannung finden. Ein gute Jazzplatte und ein Glas Wein tun es aber auch…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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