Das ganze Leben lang sind irgendwelche Leute bemüht, dem Einzelnen die „richtige Haltung“ zu vermitteln. Im harmlosen Fall sind es die Eltern, wenn sie einen mahnen: „Junge, halte Dich aufrecht!“ Dagegen ist nichts zu sagen, aber es gehört auch eine eigene Motivation dazu, wenn etwas daraus werden soll.
Ich war als Kind recht dünn und hatte schmale Schultern, war eine Leseratte und hatte mit Sport wenig zu tun – vom üblichen Freizeitradeln und Schwimmen abgesehen.
Irgendwann packte mich der Ehrgeiz – so ab 15 etwa – und ich begann von mir aus an meiner Figur zu arbeiten. Bei schönem Wetter absolvierte ich lange Touren mit dem Rennrad, bei schlechtem Wetter machte ich mit einem Schulfreund, mit dem mich auch die Passion teurer Hifi-Geräte verband, Muskeltraining auf einer selbstgebauten Hantelbank.
Eine vorbildliche Haltung stellte sich nach und nach ein sowie eine Belastbarkeit und Beweglichkeit, von der ich 40 Jahre später noch profitiere. Nur alle Versuche von Lehrern, Pfarrern und sonstigen Pächtern vermeintlicher Wahrheiten, mir eine geistige Haltung in der einen oder anderen Richtung zu vermitteln, blieben vergeblich.
Mit den historischen Kategorien von links und rechts kann ich wenig anfangen – ich war früh ein skeptischer Selberdenker mit null Respekt vor dem, was einem Autoritäten erzählen. Meine Haltung ist davon geprägt, dass ich nur mir alleine gehöre, niemandem verpflichtet bin außer durch Vertrag oder freiwillige Partnerschaft.
Bisher bin ich ganz gut zurechtgekommen im Dasein – aber man muss immer weiter arbeiten an der Haltung – speziell wenn man neuen Herausforderungen begegnet.
Etwa derjenigen, mit einem bleischweren Fahrrad von 1950 ohne Gangschaltung eine Steigung zu nehmen wie hier bei der „Francescana“ im italienischen Umbrien anno 2025, noch dazu mit wollener Anzughose, Straßenschuhen und allerlei Gerödel am Leib:

Hier geht es nicht etwa abwärts, sondern steil aufwärts zum Weingut Arnaldo Caprai, wo auf die Teilnehmer dieser historischen Radsport-Veranstaltung das zweite Frühstück wartete.
Ich kannte den Anstieg vom Vorjahr und hatte mich gut vorbereitet – aus der Ebene heraus Tempo aufbauen und dann, wenn die Steigung zunimmt aus dem Sattel gehen.
Die Fotografin hatte ich gerade erspäht und sie drückte im rechten Moment auf den Auslöser – die richtige Haltung, auch die innere, zahlte sich aus.
Damit war ich indessen bei der Gelegenheit nicht allein .- auch diese junge Dame nahm die Situation an und absolvierte sie mit etwas, was nur (einigen) Frauen möglich ist: Anmut, frei nach Friedrich Schiller „Schönheit in Bewegung“…
Was das alles mit dem Essex des Modelljahrs 1929 zu tun hat? Nun, vordergründig nichts – denn dazu fehlen zwei Räder, sechs Zylinder und gut 50 Pferdestärken.
Das war das Rezept und die Marke, mit welcher der US-Hersteller Hudson in den 20er Jahren den europäischen Markt eroberte – mit einigem Erfolg auch in Deutschland.
Dieses Exemplar ist ein typisches Beispiel für den 29er Jahrgang, das ich bereits bei anderer Gelegenheit vorgestellt habe.
Ok, die Merkmale des 1929er Essex – die doppelte Reihe Luftschlitze in Verbindung mit sechseckigen Nabenkappen und durchgehender Zierleiste – werden hinreichend deutlich.
Aber in Sachen Haltung lässt die Aufnahme doch deutlich zu wünschen übrig, oder?
Dieses Haltungsdefizit wird sogleich korrigiert und das auf eine Weise, die deutlich macht: Die einzig richtige Haltung kommt aus dem Einzelnen, sie will selbst erarbeitet und selbst erprobt sein – die Mutter muss hier keine Nachhilfe mehr geben:
Das ist wieder einmal ein Autofoto ganz nach meinem Geschmack. Der Wagen liefert die ideale Kulisse und die nötige Struktur, um sich selbst zu inszenieren: „Seht her, das bin ich!“
Die richtige Haltung macht tatsächlich den Unterschied – wenn sie denn die eigene ist…
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Für eine solide Essex-Parade hätte es auch in Deutschland gereicht – im übrigen Europa erst recht. Ich suche ja nicht speziell nach bestimmten Modellen und Herstellern, weshalb die Vielzahl der hierzulande dokumentierten Wagen ab einer gewissen Größenordnung repräsentativen Charakter annnimmt. Den Vogel in der Hinsicht schießt allerdings Chevrolet im selben Jahr ab – ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, soviele Aufnahmen mit deutscher Zulassung habe ich davon…
Eigentlich dachte ich, daß der Essex auf Ihren beiden Bildern hier wirklich derselbe wäre, sodaß auch der Bub dann im unteren Bild einen besseren Eindruck hinterließe. Genauer betrachtet sind es doch 2 Fahrzeuge, und wenn es kein Album mehr gibt, sondern nur lose Einzelmotive ohne signifikante Hintergründe, dann ist wie wohl auch hier keine genauere Verortung möglich. Haltung annehmen, und im Gleichschritt .. wollte man sich nun eine Parade von viertürigen Essex Super Six Saloons vorstellen, so wäre diese in USA leicht möglich gewesen. Doch in Europa oder gar nur hierzulande zugelassene Exemplare ?