The Winner Takes It All: „Neues“ vom BMW 326

Der Blogwart steht womöglich bei einigen Mitlesern dieses automobilen Online-Tagebuchs im Ruf, einen elitären Musikgeschmack zu haben, mit dem er gern hausieren geht.

Das stimmt, ist aber nur die eine Seite der Medaille. Nachdem er in der Werkstatt auf der Leiter turnend seine Malerarbeiten von amerikanischem Blues der 40er und 50er Jahre begleiten ließ – nebenbei eine endlos reizvolle Variation über das Thema des “ Verlassenwerdens und Verlassenwordenseins“ – läuft nun am Abend Beethovens letzte Klaviersonate Nr. 32.

Diese steht wie die von mir geschätzten Fugen und Kantaten von Bach im Ruf, schwere Kost zu sein – auch das stimmt, aber auch das ist nur eine Seite der Medaille.

Ausgerechnet Beethovens Nr. 32 bietet in der ewig langen Arietta immer wieder Passagen, in denen man meinen könnte, dass es sich um eine versonnene Improvisation eines Jazzers mit ausgeprägter Swing-Veranlagung handelt.

Ich erzähle das deshalb, weil für mich entscheidend ist, ob ein Musikstück handwerklich gut gemacht, intelligent strukturiert und auch nach dem hundertsten Mal noch ergreifend ist. Wie alt das Ganze ist, wie vermeintlich abgehoben oder wie populär – das ist mir völlig egal.

Zum Beweis bringe ich heute etwas, das dies in vielleicht überraschender Form illustrieren soll. Dazu müssen Sie sich nach längerer Pause allerdings erst auf den fatalsten Part der deutschen Geschichte einlassen – die Zeit des 2. Weltkriegs.

Ironischerweise stammen aus dieser Zeit jede Menge Autofotos, auf denen nur wenig auf die Zeitumstände hindeutet. Ganz gleich wie die Beteiligten zu der Sache standen, mussten sie ihr Leben bewältigen, gute Miene machen – ein Entkommen gab es ja nicht mehr.

Manch einer hatte etwas mehr Glück als andere und musste nicht als Frontsoldat dienen oder ausländische Arbeitssklaven beaufsichtigen wie etwa in den Frankfurter Adlerwerken – nebenbei ein verstörendes Beispiel dafür, dass die abartige Behandlung unterworfener Menschen nicht auf die Unglücklichen in den Todeslagern im Osten beschränkt war.

Einer der in dieser Zeit einigermaßen unbeschadet durchkam, soweit ich weiß, ist dieser freundliche junge Mann, der im Krieg als Fahrer eines hohen Wehrmachtsoffiziers (Generalmajor Dippolt) fungierte:

BMW 326 Cabriolet; Originalfoto aus Familienbesitz (Frank-Alexander Krämer)

Die Tarnblenden auf den serienmäßigen Scheinwerfern und der ergänzte „Notek“-Tarnscheinwerfer sind untrügliche Zeichen dafür, dass diese Aufnahme nach Beginn des 2. Weltkriegs entstanden sein muss.

Die Stander auf den Kotflügeln verwiesen auf die Funktion bzw. den Rang des Insassen, welcher den Wagen nutzte – im zivilen Betrieb waren sie verdeckt. Das war insbesondere dann der Fall, wenn der zuständige Fahrer „sein“ Auto privat nutzte, wie hier zu sehen.

Was der Anlass dafür war – Heimaturlaub oder eine heimatnahe Dienstfahrt, die man zu einem Besuch der Familie nutzte – das ist mir nicht bekannt. Wohl aber weiß ich, dass es sich um den Großvater von Frank-Alexander Krämer aus Landau in der Pfalz handelt.

Frank – seines Zeichens Archäologe und Mitinhaber einer Grabungsfirma – ist wie sein Großvater ein großer Autoenthusiast und seine diesbezüglichen Interessen (und Schrauberobjekte) reichen von der Vorkriegszeit bis in die 1960er Jahre.

Er hat mir neben der eingangs gezeigten Aufnahme auch das folgende schöne Foto zur Verfügung gestellt, das seine Großmutter zeigt – vermutlich am selben Tag:

BMW 326 Cabriolet; Originalfoto aus Familienbesitz (Frank-Alexander Krämer)

Diese sympathischen Zeugnisse sollen über nichts von dem hinwegtäuschen, was in jener Zeit in deutschem Namen und leider mit erheblicher Begeisterung vieler Beteiligter geschah.

Doch diese Bilder stehen in ihrer puren Menschlichkeit für sich und wie immer genießen die darauf abgebildeten Personen den „Benefit of the Doubt“ – für sie gilt also erst einmal die Unschuldsvermutung wie für uns selbst, wären wir damals an ihrer Stelle gewesen.

„Benefit of the Doubt“ wäre zwar ein perfekter Songtitel, aber ganz so weit sind wir noch nicht. Erst einmal müssen wir klären, dass der vom Militär beschlagnahmte Wagen, den Frank-Alexander Krämers Großvater steuerte, ein BMW des Typs 326 war.

Das war der ab 1936 gebaute optimierte 6-Zylinder BMW mit nun für einen Wagen dieses Kalibers adäquaten 50 PS aus 2 Litern Hubraum und Spitze 115 km/h. Bis 1941 blieb er im Programm, doch das Exemplar wurde ausweislich der zivilen Zulassung noch vor Kriegsbeginn gefertigt.

Hier sehen wir (rechts) ein letztes Mal den von Franks Großvater gesteuerten BMW irgendwo im Niemandsland am Ende des Winters:

BMW 326 Cabriolet; Originalfoto aus Familienbesitz (Frank-Alexander Krämer)

Franks Großvater wurde 1943 an der Ostfront verwundet, zerschossenes Knie, was ihm wohl das Leben rettete. Nach dem Krieg gründete er eine Fahrschule in Landau, der wer weiß wieviele Ortsansässige ihren Führerschein verdankten.

Doch was aus dem schönen BMW 326 Cabriolet wurde, für das er eine zeitlang verantwortlich war, das wissen wir nicht. In einem anderen Fall wissen wir allerdings sehr genau, was daraus wurde.

Und damit wären wir schon fast am Ende – des 2. Weltkriegs, als galt: „The Winner Takes it All“. Im Osten war das die Rote Armee, im Westen vor allem die US-Armee.

Zwei Angehörige der letztgenannten posieren hier mehr oder weniger lässig neben einem BMW 326, der kurz zuvor noch einem deutschen Zivilisten gehört hatte:

BMW 326 im Jahr 1945; Originalfoto: Sammlung Helmut Kasimirowicz (Düsseldorf)

Dieses bemerkenswerte Foto, das kurz nach Kriegsende entstanden sein muss, hat mir mir in digitaler Kopie Leser und Oldtimer-Pionier Helmut Kasimirowicz zur Verfügung gestellt.

Die beiden herrlich unkorrekt zurechtgemachten GIs auf dieser Aufnahme hatten offenbar einen solchen BMW einkassiert, den ein unbekannter Besitzer aus Württemberg über den Krieg gerettet hatte.

Tja, am Ende gilt: „The Winner Takes it All“ – ob es einem gefällt oder nicht. Im vorliegenden Fall gefällt mir das Dokument ganz ausgezeichnet.

Dass der von den Nationalsozialisten entfachte Furor Teutonicus unter aberwitzigen Opfern letztlich auch auf deutscher Seite von den Alliierten beendet wurde, ist im Einzelfall erschütternd, war aber im Ganzen betrachtet notwendig.

Am Ende hilft nur eines: Sich mit „The Winner Takes It All“ anzufreunden. Das tun wir, indem wir nun noch ein wenig der leichten Muse frönen. Denn mit genau diesem Titel landete 1980 die schwedische Gruppe ABBA einen ihrer vielen legendären Hits.

Es mag Sie überraschen, aber ich fand es schon immer großartig, was die vier aus dem hohen Norden ablieferten – Musik, Text und Inszenierung waren immer von einer Perfektion, die bis heute ihresgleichen sucht.

Fast 5 Minuten Lyrik und persönliches Drama – das ist ein Beispiel für ein Können, das mich über alle Zeiten hinweg inspiriert…

Nachtrag vom 15.11.2025: Anni-Frid Lyngstad – für mich die Interessantere der beiden Abba-Frontfrauen – ist die Tochter eines deutschen Wehrmachtssoldaten und einer Norwegerin. Heute wird sie 80 Jahre alt. So vergeht die Zeit, doch die Magie von einst bleibt bestehen, nicht nur im Hinblick auf die automobile Welt von gestern…

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6 Gedanken zu „The Winner Takes It All: „Neues“ vom BMW 326

  1. Dankeschön. Der Adler diente noch etwa bis zu meinem zehnten Lebensjahr als alltägliches Fortbewegungsmittel meiner Großeltern. (1975)
    Mein Großvater hat die Enteignung und Verstaatlichung seiner Werkstatt nie verwunden und starb bald darauf. Der Adler wurde an einen Kunden abgegeben. Näheres weiß ich dazu leider nicht mehr. Mein Vater regelte alles, auch die Auflösung des Nachlass und der Räumlichkeiten. Für mich war das eine Zensur. Ich erinnere mich noch an 2 langjährige Kunden die bis zum Ende kamen. Einer fuhr einen Adler Trumpf, der Andere einen Hanomag Sturm, eine ziemlich geräumige Limousine welche dem Adler Diplomat nicht unähnlich war. Kindheitserinnerungen halt. . .

  2. Danke, das ist eine Antwort ganz nach meinem Geschmack – denn so geht es um mehr als nur Autos, sondern Lebensabschnitte, Erinnerungen und Eindrücke, die einen nicht verlassen. Was wurde denn aus dem Adler 2 Liter? Das war ja ein wirklich besonderer Wagen – dem ich mich gelegentlich im Blog ausführlich widmen will.

  3. Solch einen 326er BMW besaßen die Großeltern des Bürgermeisters in dem kleinen brandenburger Dörfchen, in welchem ich alljährlich meine Sommerferien verbrachte. Beginnend Ende der 60er Jahre, bis zum Ende meiner Schulzeit 1981. Da meine Großeltern ebenfalls einen Vorkriegswagen fuhren (2 Liter Autobahn-Adler) kannte ich mich von frühester Kindheit mit Fabrikaten dieser Epoche aus. Auch von den Beschlagnahmungen jener Jahre wußte ich durch die Erzählungen dieser Generation. Immer wenn ich meine Ferien dort begann mußte ich den BMW ‚besuchen‘. Ich wollte immer wissen ob es ihm ‚gut‘ geht. Das gefiel dem Eigner, der schnell merkte das ich mich auskannte. Irgendwann im 2. Sommer durfte ich mit dem alten Herren eine Runde mitfahren. Die große aufziehbare Kienzle-„Wochenuhr“ im Handschuhfachdeckel faszinierte mich.

    Das Auto diente damalig einem Veterinär-Arzt, welcher UK gestellt war, wurde zum Kriegsende versteckt und eingemauert, so ging die Erzählung. Damit entging der Wagen einer Beschlagnahme durch die Russen. Ab 1952 war dann auch wieder der Besitz privater Fahrzeuge relativ unkompliziert regelbar und das Auto kam zurück auf die Straße. Der Wagen hatte eine dunkelblaue Lackierung, trug jedoch auf dem linken Kotflügel ein seltsames Gebilde. „Das ist von früher“ war die Antwort des Besitzers. Später wusste ich das es ein Notek-Tarnscheinwerfer war. Heute wüsste ich gern was aus dem Auto geworden ist.
    Es existierte zumindest bis 1981 noch.

    Vielen Dank für diesen schönen Artikel, welcher meine Erinnerungen weckt.
    Grüße aus dem Brandenburger Land!
    M. Grunwald

  4. Ehre wem Ehre gebührt, lieber Helmut. Dir verdanke ich viele faszinierende Dokumente und es gibt noch einige, die ich angemessen präsentieren werde.

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