„Ist das jetzt Kunst oder Werk eines Amateurs?“
Diese Frage stellt sich mir nach dem Ende der klar abgegrenzten Kunstepochen nach dem 1. Weltkrieg oft, auch wenn in der Art Déco-Epoche in den 1930er/40er Jahren noch einmal erkennbar an das Formenvokabular des späten Jugendstils angeknüpft wurde.
Vielleicht lässt sich die Trennlinie heute dort ziehen, wo man noch intensive Arbeit am Werk sieht und ein ernstes Bemühen um Ausdruck menschlicher Welterfahrung erkennt.
Nur mit Farbbeuteln um sich werfen oder wild Metallschrott zusammenlöten, genügt beiden Anforderungen nicht – auch wenn das Ergebnis chaotischen Zeitgenossen zusagen mag.
Vielleicht finden sich die Künstler der Moderne eher in Nischen wie der Tätowierei, wenn mir dazu auch jeder Zugang fehlt. Auch die Kreationen mancher „Hotrod“-Handwerker scheinen mir durchaus Kunstcharakter zu haben.
Sicher bin ich mir eigentlich nur bei der Fotografie, wo auch im Digitalzeitalter besonderes handwerkliches Können und der Blick auf den Menschen und seine Schöpfungen sowie die Natur und ihre Bewohner das Banale vom Beeindruckenden scheiden.
Was aber ist davon zu halten, wenn einer mit seinem Zweisitzerauto der 1920er Jahre daherkam und die Karosserie mit farblich abgesetzten horizontalen Streifen präsentierte?

War das rasch nach Gusto selbst gepinselt oder ist dieses Auto zumindest in Teilen von der hehren Kunst gestreift worden?
Leser Klaas Dierks, dem wir dieses sehr gekonnte Foto verdanken, teilte mir seinerzeit mit, dass diese Art des Streifendekors auf eine Kunstrichtung der 20er Jahre zurückging, die sich auch an anderen Wagen der Zeit niederschlug.
Ich meine mich zu erinnern, dass sich auch kühne expressive Muster mit geometrischen Elementen auf einigen Karossen wiederfanden.
Vorläufer waren eventuell die oft eigenwilligen Bemalungen von Jagdflugzeugen im 1. Weltkrieg, die keiner Vorschrift folgten und die meines Erachtens ähnliche Funktion wie die Kriegsbemalung angeblich „primitiverer“ Völker hatte: Wiedererkennung im Getümmel, Verwirrung des Gegners und glückbringende Funktion für einen selbst.
Nun ist ein solcher Streifendekor nicht einfallsreicher als ein gut gemachter „Rallyestreifen“ – eine sympathische Sitte der 70/80er Jahre, die weitgehend vergessen ist – sie würde bei den meist ungeschlachten Karosserieformen der Gegenwart auch nicht „funktionieren“.
Nur bei nach 2000 entstandenen Retroautos wie dem Fiat 500 und dem Mini findet sich das bisweilen, teilweise sogar ab Werk.
Im vorliegenden Fall müssen wir es also offenlassen, ob sich hier einer von zeitgenössischen Tendenzen hat inspirieren lassen und in der Garage selbst den Pinsel schwang oder ob wir tatsächlich einen von Künstlerhand gestreiften Wagen sehen.
Der Herr am Steuer mit dem Barett wirkt selbst ein wenig so, als sei er von der Muse angehaucht worden – aber wer hier einen französischen „Artisten“ sieht, könnte am Ende enttäuscht werden.
Französisch war auf jedenfall die Herkunft des Wagens – denn es handelt sich um einen „Mathis“ aus dem seit 1919 wieder zu Frankreich gehörigen Elsass.
Jedenfalls war die Marke Mathis nach dem 1. Weltkrieg mit dem Problem konfrontiert, dass ihr einstiges Hauptabsatzgebiet mit einem Mal im Ausland lag. Letzteres, also Deutschland, hatte zur Begrenzung von Abflüssen wertvoller Devisen Importe streng reglementiert.
Für einst auf den deutschen Markt ausgerichtete, nunmehr zu Frankreich gehörige Hersteller fand man rasch Ausnahmeregelungen. So erklärt es sich, dass Mathis-Automobile bis Ende der 1920er Jahre zahlreich in deutschen Landen Absatz fanden.
Verkaufsfördernd wirkte dabei, das Mathis eine Typenvielfalt bot, die auch das Segment der damals gefragten Kleinstwagen abdeckte – sogenannte Cyclecars und Voiturettes.
Mit so einem Minimalmobil haben wir es hier zu tun – nämlich einem Mathis Type „P“ mit 5 Steuer-PS (daher 5CV). Das von 1921 bis 1925 gebaute Auto besaß einen traditonellen Vierzylindermotor mit knapp 800ccm, der gut 10 PS leistete.
Spitze 60 km/h waren das höchste der Gefühle, was erklären mag, weshalb einer seinen Mathis 5CV einst zumindest optisch schneller machen wollte. Vielleicht war der Besitzer auch der Ansicht dass der kompakte Zweisitzer (frz. „torpedo 2 places“) damit länger wirkte.
Wie dem auch sei, an den Limitierungen des zwar adrett wirkenden, aber wenig agilen Wagens ließ sich auch durch Linierungen wenig ändern.
Immerhin hatte der Fahrer das Auto dank des riesigen Lenkrads bestens im Griff und die Beleuchtung wirkt mit Hauptscheinwerfer und darunterliegenden Kurvenausleuchtern erstaunlich erwachsen:
Aber ach, der gemutmaßte französische Künstler war offenbar gar keiner, denn dieser Mathis war im Raum München zugelassen (danke an Leser Andreas Streitberg, denn mein Kennzeichen Handbuch von Andreas Herzfeldt habe ich nicht im Reisegepäck).
Doch ein wenig frankophil wirkt der Herr hier schon, finden Sie nicht auch? Diese Baskenmütze findet sich jedenfalls unter den vielfältigen Kopfbedeckungen, mit denen unsere Altvorderen damals in ihren meist offenen Autos unterwegs waren, nur ganz selten.
So mag auch für diesen Mathis-Jünger die Frage gelten: Matisse-Freund und selber Künstler oder doch nur Motorfreak mit gesundem Abgrenzungsbedürfnis?
Vielleicht war der Herr im Krieg sogar Pilot gewesen und hatte eine Maschine mit einer solchen Bemalung geflogen. Vielleicht hatte aber auch seine kunstsinnige Frau diese Sonderlackierung bei einem mittellosen jungen Maler geordert, um mit der Zeit zu gehen.
Dass wir das alles nie mehr herausfinden werden, das gehört zu den schönen, da auf immer geheimnsvollen Seiten der Beschäftigung mit vermeintlich ordinären Gegenständen wie den Automobilen der Vorkriegszeit…
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Keine Sorge, hier ist so ziemlich alles erlaubt.
Ergänzung : In völliger Selbstüberschätzung hereingefallen, da wohl der weiß-blaue Landesfürst gemeint war .. (und beinahe hätte ich nun noch dessen Initialen erwähnt ..)
Herr S. aus M…. falls ich mich nun angesprochen fühlen soll, so kann ich nur sagen : 2 Zugfahrten weniger und meine Eltern wären im einstigen Zulassungsgebiet M II geblieben, und ob ich dann in Stargard oder Sömmerda, in Magdeburg oder Moritzburg aufgewachsen wäre ? Aber gut, wenn ich mich mit München als zweitwichtigster Stadt einverstanden erkläre, heißt das nicht, daß Berlin auf Platz 1 käme 😉
Natürlich – danke!
IIA = München, immerhin die zweitwi htigste Stadt des Reichs. Und nach Meinung des Herrn S. aus M. sicher auch noch heute.