„Bescheidenheit ist eine Zier, doch besser lebt man ohne ihr“ – dieses ironische Bonmot hörte ich erstmals aus dem Mund meiner Mutter – die wenig Grund zur Bescheidenheit hatte, doch zeitlebens von einem Mangel an Selbstbewusstsein geplagt war.
Unter anderem daraus habe ich einiges gelernt – und plädiere dringend für den unbescheidenen Auftritt, sofern man es sich leisten kann. Das unverblümte Herzeigen von persönlichen Vorzügen, aber auch materiellem Wohlstand ist mir sympathisch.
Herrje, warum soll man sich seinen Mitmenschen nicht möglichst vorteilhaft präsentieren? Soll eine schöne Frau ihre Aktiva verbergen, nur weil andere weniger opulent ausgestattet sind? Niemand wird dadurch beeinträchtigt – es sei denn, eine(r) ist von Neid besessen.
Dasselbe gilt für das Herzeigen von Luxusgütern – welchen Nachteil erfahre ich dadurch, dass andere mit einem Aston Martin in der Tiefgarage glänzen?
Im Gegenteil, da halte ich inne und drücke mir die Nase an der Seitenscheibe platt, um das Edelholz der Mittelkonsole zu bestaunen. Tatsächlich steht so ein Gerät in der Klassikerhalle eines Bekannten, in dem auch mein MGB GT residiert, und natürlich finde ich das großartig.
Sie denken jetzt vielleicht, dass ich mich für den gestrigen Auflug in die Niederungen bescheidener Automobilität in Gestalt des Hanomag 2/10 PS kompensieren muss. Möglich, es kann aber auch bloßer Zufall sein.
Jedenfalls ist die Limousine auf dem folgenden Foto, das schon eine Weile auf die Vorstellung wartet, auf den ersten Blick das ganze Gegenteil von Bescheidenheit:

Mit knapp 5,40 Meter Gesamtlänge ist diese repräsentative Pullman-Limousine das genaue Gegenteil des „kurzen Vergnügens“, welches der kleine Hanomag darstellte.
Zufälligerweise wurde dieser mächtige Wagen fast zeitgleich mit dem „Kommissbrot“ eingeführt – nämlich 1929 – und markiert gewissermaßen das andere Ende der Skala.
Woher ich das weiß? Nun, weil es sich – ganz unbescheiden formuliert – offensichtlich um einen Mercedes-Benz Typ 460 Nürburg in der ab 1929 gebauten Version handelt.
Die Form der Trittschutzbleche unterhalb der Türen gab den ersten Hinweis auf einen großen Mercedes der zweiten Hälfte der 1920er Jahre.
Auf dem Originalabzug lässt sich der Mercedes-Stern auf den Nabenkappen erahnen und die niedrige Schwellerpartie ist typisch für die überarbeiteten Version der ab 1926 bzw. 1928 gebauten 6- bzw. 8-Zylindertypen Mannheim bzw. Nürburg.
Dabei deutet hier die selbst aus diesem Winkel enorme Länge der Frontpartie auf den großen Reihenachtzylinder hin, der noch auf Ferdinand Porsches Mist gewachsen war.
Die despektierliche Formulierung erlaube ich mir, weil Porsche mit diesem simplen Seitenventiler hinter seinen Möglichkeiten zurückblieb. Das machten die Amis damals nicht anders, bloß verlangten sie für ihre hubraumstarken Achtzylinder keine Mercedes-Preise.
Der Grund für diese konstruktionsmäßige Bescheidenheit war wohl der Umstand, dass man zwei Jahre lang dem Erfolg der 8-Zylinder-Modelle von Horch untätig zugeschaut hatte und auf einmal bemerkt, dass die Sachsen das Marktsegment zunehmend dominierten.
So wählte Porsche den einfachsten Weg – mit 4,6 Liter Hubraum ließen sich ohne anspruchsvolle Konstruktion damals 80 PS produzieren. Nicht ganz das, was man vom angeblichen Spitzenhersteller erwarten würde, aber das war Mercedes damals auch nicht.
Technisch die Nase vorn hatte Horch mit seinen effizienten 8-Zylindern. Dank hängender Ventile und obenliegender Nockenwellen leistete das Zwickauer Aggregat schon bei 3,9 Litern Hubraum die 80 PS, welche die Schwelle zur Luxusklasse markierten.
Die 8-Zylinderwagen von Mercedes blieben daran gemessen ziemlich bescheiden. Immerhin hätte man doch dem weniger effizienten Motor des 460 „Nürburg“ ein größeres Tankvolumen spendieren können.
Denn bei an die 25 Liter Verbrauch auf 100 km/h war auf längeren Reisen sonst häufiges Tanken angesagt – nicht in allen Regionen so einfach wie heute. Doch blieb der Tankinhalt mit nur 85 Litern unnötig bescheiden.
Der deutlich sparsamere Horch war dagegen mit einem 90 Liter-Tank ausgestattet und kam damit auf fast 500 km Reichweite.
„Warum so bescheiden?„, mag sich schon damals mancher gefragt haben. Darauf gab es eine einfache Antwort- weil Mercedes-Käufer es so schätzten: Nicht Maximalleistung, aber mit Mercedes-Stern und das Ganze zum Premium-Preis.
Tatsächlich wurde für den Typ 460 Nürburg ziemlich genau derselbe Preis verlangt wie für die weit raffinierteren Horch-Achtzylinder. Da war man plötzlich unbescheiden…
Entsprechend selbstbewusst präsentierte man sich als Eigner – ob tatsächlich oder nur gestellt – vor diesem Prachtexemplar eines Mercedes 460 „Nürburg“:
Angeberei auf diesem Niveau ist mir durchaus sympathisch – ich glaube, es fällt weder unter die Zehn Gebote noch ist es (nach gegenwärtigem Stand) justiziabel.
Es sollte nur eine gewisse Substanz vorhanden sein, die überzeugt. Genau das ist hier eindeutig der Fall – ganz gleich, ob hier einer etwas hochstaplerisch unterwegs war oder nicht… Vielleicht ein Motto für das Neue Jahr: Weniger Bescheidenheit Wagen!
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