Ein „O.M.“-Transporter der 1920er Jahre in Holland

Historische Fahrzeugfotos sind in vielerlei Hinsicht reizvoll: Sie zeigen die heute allzuoft nur als Museumsstück dienenden Vehikel in ihrer einstigen Umgebung – häufig zusammen mit ihren ehemaligen Besitzern – und verraten viel darüber, wie sie im Alltag eingesetzt wurden.

Es gibt allerdings auch Abbildungen, bei denen sich zwar Fahrzeugtyp und sogar Aufnahmeort genau identifizieren lassen, die aber dennoch rätselhaft bleiben. Das folgende Originalfoto der 1920er Jahre ist ein gutes Beispiel dafür:

OM

© O.M. Lieferwagen Typ 469; aus Sammlung Michael Schlenger

Der recht große Abzug ist von technisch hoher Qualität, das war sicher keine Gelegenheitsaufnahme. Außer dem Wagen der Marke O.M. – dazu gleich mehr – ist nichts Spezifisches auf dem Foto zu erkennen, kein Nummernschild, keine Werbeaufschrift, auch keine Person.

Die italienische Marke O.M. ist hierzulande allenfalls Kennern des legendären Mille-Miglia-Rennens geläufig. Beim Auftaktrennen 1927 belegten Wagen des Typs O.M. 665 „Superba“ die ersten drei Plätze.  Ein hübscher Zufall, dass ein in Brescia gebautes Automobil das dort beginnende Rennen so glanzvoll gewinnen sollte.

Der „O.M.“-Konzern hatte seinen eigentlichen Ursprung und Sitz aber in Mailand. Dort wurde 1849 ein Kutschbaubetrieb gegründet, der sich rasch Renommee erwarb und sich später auf den Bau von Eisenbahnwaggons verlegte. Daraus entstand 1899 eine Aktiengesellschaft, die in ihrem Firmennamen bereits den Zusatz „Officine Mecchaniche“ – zu deutsch „Mechanische Werkstätten“ – trug. Sie stieg in den Lokomotivbau ein, den sie bis in die 1950er Jahre erfolgreich betrieb.

Das Mailänder Unternehmen erwarb noch während des 1. Weltkriegs – 1917 – die Automobilfertigung des Herstellers Brixia-Züst mit Sitz in Brescia. Die Autosparte blieb formal selbständig und firmierte später unter „O.M. Fabbrica Bresciana di Automobili.“ Die PKW-Produktion konzentrierte sich auf die 1920er Jahre, später verlegte man sich – als Teil des Fiat-Konzerns – auf den Nutzfahrzeugbau.

So deutet der Wagen auf unserem Foto bereits auf die spätere Ausrichtung der Firma hin. Werfen wir einen genaueren Blick darauf:

Die Frontpartie mit dem Kühler in klassicher Tempelform ähnelt zeitgenössischen Modellen von Fiat, ist aber im Detail eigenwilliger ausgeführt. Die Form der Scheinwerferhalter und der raffinierte obere Abschluss der Motorhaube erlauben eine Ansprache als Modell O.M. 469. Dabei steht die erste Ziffer markentypisch für die Zylinderzahl, während die beiden folgenden das Maß der Zylinderbohrung angeben.

Das Modell 469 wurde ab 1922 in zahlreichen Ausführungen gebaut (Bildbeispiel), wobei der Hubraum von anfangs 1,4 Litern im Lauf der Jahre anstieg. Ob der geschlossene Transporteraufbau des Wagens auf unserer historischen Aufnahme von O.M. stammt, ist ungewiss. Offenbar handelt es sich um einen kleinen Lieferwagen, der an der Seitenfläche ein nicht näher erkennbares Logo aufweist.

Der abgebildete Wagen scheint zum Zeitpunkt der Aufnahme neu gewesen zu sein. Merkwürdig nur, dass sich der Besitzer nicht hat stolz damit ablichten lassen. Vollends rätselhaft ist der handschriftliche Vermerk auf der Rückseite des Abzugs: „Amerongen“ steht dort ohne Jahresangabe. Amerongen ist ein kleiner Ort in den Niederlanden in der Nähes des gleichnamigen Schlosses. Die Architektur im Hintergrund mit den hohen Schornsteinen würde dazu passen – in Italien ist diese Aufnahme jedenfalls nicht entstanden.

Da das Foto einen professionellen Eindruck macht, könnte es sich um die Dokumentation der lokalen Karosseriebaufirma handeln, die für den Aufbau verantwortlich war. Dann wäre das Foto im Hinterhof der Werkstatt oder beim Kunden entstanden.Vielleicht steckt aber auch etwas anderes dahinter.

Jedenfalls fragt man, sich wie ein so seltenes italienisches Fahrzeug einst in die Niederlande gekommen ist. O.M. hatte einen guten Ruf, aber sicher keine Vertretung außerhalb Italiens (und eventuell noch der Schweiz). Wer weiß dazu mehr?

Wer sich für spätere Nutzfahrzeuge der in den 1970er Jahren untergegangene Marke O.M. interessiert, findet nachfolgend ein schönes Beispiel:

© O.M. Omnibus in Atrani (Amalfiküste, Italien); Bildrechte: Michael Schlenger

Kommentar verfassenAntwort abbrechen