Eng verwandt und doch verschieden: OM 469 und 665

Kurz vor Einbruch der Dämmerung verließ ich kurz meine Hobbywerkstatt, ging über den Hof, um meiner Katze „Ellie“ ihr Abendessen zuzubereiten. Sie selbst war zwar nicht zu sehen – vermutlich trieb sie sich wieder in Nachbars großem Garten herum.

Doch dafür machten über mir einige Wildgänse lautstark auf sich aufmerksam – die ersten kleinen Schwärme überflogen wie jedes Jahr im Herbst von Osten kommend die Wetterau, um am Taunus auf Südkurs abzudrehen.

Ich weiß nicht, ob Sie das kennen, aber ich nehme mir immer etwas Zeit für dieses Schauspiel – dann fliegt zumindest mein Herz mit den Zugvögeln.

Keine Sorge, diesmal bleibe ich in deutschen Gefilden, es muss erst wieder etwas Geld in die Kasse kommen, bevor es auf Achse über die Alpen geht. Doch ein wenig Italien ist auch heute mit im Spiel, auch wenn es diesmal nur bis Brescia in der Lombardei reicht.

Dort wurden ab 1908 Automobile unter dem Markennamen Züst gebaut – einer in Mailand ansässigen Maschinenbaufirma. Die Fabrikation von Züst wurde 1917 von den „Officine Meccaniche“ – kurz O.M. – übernommen, die ihren Sitz ebenfalls in Mailand hatte.

Das Werk in Brescia nutzte O.M. in der Folge für den Automobilbau, zunächst noch auf Basis von Züst-Modellen. 1921 erschien dann das erste Eigengewächs – der Typ 465 mit einem kompakten Vierzylindermotor, der aus 1,3 Litern Hubraum knapp 20 PS schöpfte.

Auf sich aufmerksam machte O.M. aber erst mit dem 1923 vorgestellten Typ 469, der zwar mit 1,5 Litern ebenfalls eher kleinvolumig war, aber bereits achtbare 30 PS leistete. Die Italiener pflegten schon damals die Kunst hoher Literleistung bei großer Zuverlässigkeit.

Während damals in Deutschland allenfalls einige Luxuswagen mit Vierradbremsen ausgestattet wurden, wartete der O.M. 469 bereits bei Erscheinen 1923 damit auf – außerdem wurde ein Vierradgetriebe verbaut, damals ebenfalls noch die Ausnahme.

Im Unterschied zu Fiat, wo man bereits ab 1919 den Großserienbau praktizierte, bewegte sich die Autoproduktion von O.M. weiterhin im Manufakturbereich. Das erklärt, weshalb kaum ein Wagen der Marke wie der andere aussah.

Man muss sich daher an einigen typischen Merkmalen orientieren, um einzelne Fahrzeuge halbwegs sicher ansprechen zu können.

Interessanterweise fanden einige O.M.-Wagen in den 1920er Jahren auch den Weg in den deutschsprachigen Raum – offenbar boten sie Qualitäten, die man bei heimischen Fabrikaten vermisste. Ein Beispiel ist dieses Exemplar mit österreichischer Zulassung:

O.M. Typ 469 Tourer; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Wäre da nicht das „O.M.“-Emblem auf dem Kühlergehäuse, könnte dieses Fahrzeug auch als Fiat um 1925 durchgehen.

Doch ein Detail scheint damals typisch für die O.M.-Wagen gewesen zu sein und auch von unterschiedlichen Karosserielieferanten meist beibehalten worden zu sein. Damit meine ich die Mittel“rippe“ auf den Kotflügeln – hier auch hinten gut zu erkennen.

Wenn ich nach der Betrachtung der nicht sehr zahlreichen Fotos von O.M.-Automobilen jener Zeit richtig liege, erlaubt diese Besonderheit die Identifikation auch dann, wenn sonst kaum Markenspezifisches zu sehen ist.

Schwierig wird es freilich, wenn es um die Ansprache des genauen Typs geht. Im Fall des obigen Fotos von Leser Matthias Schmidt vermute ich, dass wir es mit dem kompakten Modell 469 zu tun habe, von dem ich im Blog schon einige Exemplare zeigen konnte.

Daneben gab es ebenfalls ab 1923 das Sechszylindermodell 665 „Superba“. Dessen Motor war mit nur 2 Litern Hubraum ebenfalls eher klein, leistete aber bereits 40 PS – ich wüsste keinen deutschen Serienwagen mit solcher Literleistung in der damaligen Zeit.

Dummerweise sah der O.M. 665 seinem kleinen Bruder ziemlich ähnlich, jedenfalls was die wenigen familientypischen äußeren Details angeht. Nur die Abmessungen können einen Hinweis darauf geben, dass man es eher mit dem Sechs- als dem Vierzylinder zu tn hat.

Zu einem solchen Vergleich muss man aber überhaupt erst einmal die Gelegenheit haben. Mir scheint, dass ich heute mit einem geeigneten Beispiel aufwarten kann, wenngleich man sich in solchen Fällen nie ganz sicher sein kann.

Jedenfalls ging mir vor kurzem dieser prächtige Tourer in Form eines zeitgenössischen Fotoabzugs ins Netz:

O.M. Tourer, wahrscheinlich Typ 665; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Festzuhalten ist hier schon einmal, dass der Tourer im Raum Berlin zugelassen war – wie an der Kennung bestehend aus römisch „I“ und dem Buchstaben „A“ zuverlässig zu erkennen.

Im Berlin der 1920er Jahre fanden sich Automobile aller internationaler Marken – auch ein Kleinserienhersteller wie O.M. konnte in der damals noch atemberaubend wohlhabenden und kultivierten deutschen Metropole Käufer finden.

Wie komme ich darauf, dass dieser Wagen ein O.M. sein könnte? Ein Sechszylinder-Fiat des Typs 512 beispielsweise sah aus dieser Perspektive doch genau so aus, oder?

Nun, das mag für die Haubenpartie mit den weit unten liegenden Luftschlitzen gelten, doch die bereits erwähnte „Mittelrippe“ auf den Kotflügeln fand sich bei den in Serie gefertigten Fiats jener Zeit meines Wissens ebensowenig wie das weit nach hinten geschwungene hintere Schutzblech.

Sofern es sich also bei dem in Berlin zugelassenen Tourer tatsächlich um einen O.M. handelte, würde ich für das große Modell 665 plädieren, ohne dafür freilich mehr als den subjektiven Eindruck anführen zu können, dass es sich um ein größeres Fahrzeug als dasjenige auf dem eingangs gezeigten Foto von Matthias Schmidt zu handeln scheint, welches ich als Vierzylindermodell 469 ansprechen würde.

Erschwerend kommt hinzu, dass beide Typen bis Anfang der 1930er Jahre gebaut und im Lauf der Zeit modernisiert wurden.

So ist letztlich jeder O.M. aus der nur einige tausend Exemplare umfassenden Produktion trotz grundsätzlicher Familienähnlichkeit letztlich als Individuum anzusehen – auch Geschwister können bekanntlich sehr unterschiedlich sein.

Ein Bild von einem überlebenden Wagen des O.M.-Typs 665 „Superba“ können Sie sich auf der italienischen Website machen, auf der dieser restaurierte Tourer unter anderem aus ähnlicher Perspektive zu sehen ist wie der Berliner Wagen:

O.M. 665 „Superba“; Bildquelle: www.autoclass.com

Man wird im Detail einige Unterschiede bemerken, aber ich meine von der Tendenz her viel Familienähnlichkeit zu erkennen.

Und sollte ich am Ende falsch liegen, konnte ich Ihnen dennoch vielleicht eine schöne kleine Flucht aus dem Alltag bieten, auch wenn wir uns den Zugvögeln diesmal nicht ganz auf ihrem Weg in wärmere Gefilde anschließen können…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Endlich in voller Pracht: O.M. 469 Tourer

Beinahe sechseinhalb Jahre ist es her, dass ich das Foto eines Tourenwagens der 1920er Jahre vorgestellt habe, welchen ich aufgrund von Indizien als O.M. 469 angesprochen hatte.

Zwar war ich mir meiner Sache damals schon ziemlich sicher, denn dieser kompakte 4-Zylinder-Typ der im oberitalienischen Brescia beheimateten „Officine Meccaniche“ wurde von 1921 bis Anfang der 1930er gebaut und das am häufigsten verkaufte Modell der Marke.

Während der langen Bauzeit stieg der Hubraum von 1,5 auf 1,7 Liter und die Leistung von 30 auf 40 PS – nebenbei ein weiteres Beispiel für die allgemein höhere Leistungsausbeute italienischer Fabrikate im Vergleich zu deutschen.

Äußerlich tat sich auch einiges, wenngleich nicht von Jahr zu Jahr, das brachten interessanterweise nur die amerikanischen Großserienhersteller zustande. So ließ sich das Fahrzeug auf folgendem Foto nur vage auf „etwa Mitte der 1920er Jahre“ datieren:

OM 469 Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Vorgestellt hatte ich den Wagen seinerzeit hier. So reizvoll diese Aufnahme auch ist, die vermutlich irgendwo im deutschen Sprachraum entstanden war, so musste doch der Wunsch offenbleiben, den Tourer in voller Pracht sehen zu dürfen.

Doch bei der Beschäftigung mit diesen alten Fahrzeugen muss man bisweilen Geduld haben, und selbige wurde kürzlich belohnt.

So steuerte Sammlerkollege Matthias Schmidt aus Dresden ein Foto aus seinem Fundus dar, welches das zeigte, was uns auf meiner obigen Aufnahme vorenthalten worden war:

OM 469 Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Beim Vergleich sind mir nur zwei Unterschiede aufgefallen: Das Vorhandensein von außenliegenden Türgriffen und der etwas andere Abschluss der Vorderkotflügel bei dem OM-Foto von Matthias Schmidt.

Beides ist nicht überzubewerten, zumal wichtige Details wie die Gestaltung der Haubenpartie und des Windschutzscheibenrahmens vollkommen übereinstimmen.

Darüber hinaus liefert uns die zweite Aufnahme weitere Informationen, welche eine etwas genauere Datierung erlauben: Zu sehen sind hier nämlich Bremstrommeln an den Vorderrädern, außerdem einfache Stoßdämpfer (die dosenförmigen Bauteile am vorderen Rahmenende). Beides spricht gegen eine Datierung auf die frühen 1920er Jahre.

Wir haben es sehr wahrscheinlich mit einem ab ca. 1925 gebauten OM 469 zu tun, viel genauer vermag ich es derzeit nicht zu sagen.

Zwar gibt es ein prachtvolles Buch zur Geschichte von OM („Una storia nella storia„, Edizioni Negri, 1991) doch die PKW der 1920er Jahre werden dort nur anhand relativ weniger, wenn auch hervorragender Bilder, dokumentiert.

Dort findet sich immerhin auf Seite 94 das Foto eines weitgehend übereinstimmenden Toures des Typs 469, der auf „um 1927“ datiert ist. Dieser Wagen wirkt in einigen Details etwas moderner, weshalb ich den OM auf dem Foto von Matthias Schmidt um 1925/26 verorten würde.

Das Nummernschild weist m.W. auf eine Zulassung in Österreich hin – vielleicht kann es jemand genauer sagen.

Jedenfalls ist es wieder einmal bemerkenswert zu sehen, was einst für eine Markenvielfalt auf unseren Straßen herrschte und dass selbst italienische Nischenfabrikate wie OM auch nördlich der Alpen Liebhaber fanden.

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Kennzeichen ROMA: Der „O.M.“ von der Oma…

Der Spender des Fotos, das ich heute besprechen darf, verzeiht mir hoffentlich den Kalauer, den ich mir mit dem Titel meines Blog-Eintrags erlaubt habe.

Aber genau so verhält es sich nun einmal: Das Auto, um das es geht, gehörte einst den Großeltern von Klaus Twedell, die in der Zwischenkriegszeit in Rom lebten und deren „O.M.“ auf dem Nummernschild eine grandiose Kennung trug: „ROMA“.

Wenn ich es richtig sehe, ist es mittlerweile Geschichte, dass der Name der stolzen italienischen Hauptstadt auf Autokennzeichen voll ausgeschrieben wird.

Während meiner ersten Italienaufenthalte zu einer Zeit, als südlich der Alpen noch einheimische Marken dominierten und engagiert gefahren wurde, gab es schwarze Blechnummernschilder, die die Herkunft eines Wagens erkennen ließen.

Bei der Hauptstadt „ROMA“ erlaubte man sich den Luxus, den Namen ganz auszuschreiben – das hatte Stil und nötigte einem Respekt ab. Mit „BONN“ wäre das hierzulande auch möglich gewesen – immerhin eine römische Gründung – aber das hätte einem wohlein Lachen abgenötigt wie das heute bei „BERlin“ der Fall wäre…

Bevor ich das schöne Dokument aus Klaus Twedells Familienalbum zeige, will ich kurz die Geschichte der „Officine Mecchaniche“ – kurz „O.M.“ – aus dem oberitalienischen Brescia Revue passieren lassen.

O.M. ist hierzulande vor allem in Zusammenhang mit der legendären Mille-Miglia-bekannt. Beim Auftaktrennen 1927 belegten Wagen des Typs O.M. 665 „Superba“ die ersten drei Plätze.  Ein hübscher Zufall, dass ein in Brescia gebautes Automobil das dort beginnende Rennen so glanzvoll gewinnen sollte.

Der „O.M.“-Konzern hatte Ursprung und Sitz aber in Mailand. Dort wurde 1849 ein Kutschbaubetrieb gegründet, der sich später auf den Bau von Eisenbahnwaggons verlegte. Daraus entstand 1899 eine Aktiengesellschaft, die in ihrem Firmennamen den Zusatz „Officine Mecchaniche“ – zu deutsch „Mechanische Werkstätten“ – trug.

Das Mailänder Unternehmen erwarb 1917 die Automobilfertigung des Herstellers Brixia-Züst mit Sitz in Brescia. Die Autosparte blieb selbständig und firmierte unter „O.M. Fabbrica Bresciana di Automobili.“

Die PKW-Produktion konzentrierte sich auf die 1920er Jahre, später beschränkte man sich – nunmehr als Teil des Fiat-Konzerns – auf den Nutzfahrzeugbau.

Wie es der Zufall will, zeigte bereits das erste Foto eines OM, das ich erwerben konnte, eine Lieferwagen auf Basis des PKW-Modells 469:

OM Typ 469 Lieferwagen; Originalfoto aus  Sammlung Michael Schlenger

Der Typ 469 war der am längsten gebaute OM. Er löste 1922 den Typ 467 ab, der wiederum Nachfolger des Erstlings 465 von 1919 war.

Die Typbezeichnungen von OM waren denkbar einfach aufgebaut: Die erste Ziffer bezeichnete die Zylinderzahl  – hier also vier  – und die folgende Zahl den Hub des Zylinders in Zentimetern.

Vom OM Typ 465 mit 1,3 Litern stieg demnach der Hubraum bis zum Typ 469 auf 1,5 Liter. Diese kompakten Motoren entwickelten für die damalige Zeit beachtliche Spitzenleistungen.

Der bis zum Ende der PKW-Produktion bei OM im Jahr 1934 gefertigte Typ 469 mit gerade einmal 1,5 Litern leistete standfeste 30 PS. Deutsche und erst recht amerikanische Hersteller boten in dieser Hubraumklasse nichts Vergleichbares.

Das mag erklären, weshalb auch der eine oder andere OM einst in Deutschland landete – dieser schöne Tourenwagen zum Beispiel:

OM, vermutlich Typ 469; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei der genauen Ansprache der PKW-Typen von OM ergibt sich das Problem, dass es keine Literatur gibt, die die einzelnen Modelle so minutiös beschreibt, wie das beispielsweise bei den Standardwerken zu den Auto-Union-Marken der Fall ist.

Zwar liegt mir das großartige Werk über die gesamte Geschichte von OM vor  – „OM: Una Storia nella Storia“, Edizione Negri, 1. Ausgabe 1991 – doch spielen die OM-PKWs dort eine Nebenrolle, was aus historischer Perspektive auch gerechtfertigt ist.

So bleibt offen, ob die Vierzylindertypen vom 465 über den 467 bis hin zum 469 äußerlich unterscheidbar sind – speziell in der Frontansicht. Wie es scheint, änderte  sich das Erscheinungsbild mit klassischem Flachkühler über die Jahre praktisch nicht.

An dieser Stelle kommt das Foto aus dem Familienalbum von Klaus Twedell ins Spiel:

OM Tourenwagen Typ 469 oder 665; mit freundlicher Genehmigung von Klaus Twedell

Auch wenn es schwer zu erkennen sein mag, haben wir hier den nach unten leicht breiter werdenden Kühler eines OM mit dem typischen Markenemblem vor uns.

Der irgendwo auf einer der typischen italienischen Schotterpisten inszenierte Wagen macht mächtig Eindruck – doch muss leider offen bleiben, ob es sich um ein Exemplar des meistverkauften Vierzylindertyps 469 oder um das ab 1923 parallel gebaute Sechszylindermodell 665 mit 40 PS aus 2 Litern (später 55 PS aus 2,2 l) handelt.

Der Reiz der Aufnahme wird dadurch jedoch in keiner Weise gemindert. Man erkennt die typischen zwei Ausstellfenster in der Frontscheibe und die kantig auslaufenden Vorderschutzbleche, die nach Mitte der 1920er Jahre aus der Mode kamen.

Die Doppelstoßstange nach Vorbild amerikanischer Großserienwagen wird ein nachträglich montiertes Zubehör gewesen sein, das den OM moderner wirken ließ.

Auf dem Nummernschild ist „15943 ROMA“ entzifferbar, wenn nicht alles täuscht. Das passt perfekt zur besonderen Familienhistorie von Klaus Twedell, dessen Großeltern vor dem 2. Weltkrieg eine Weile in der italienischen Haupstadt lebten.

Wer von den beiden neben dem OM posierenden Damen nun die Oma war, das weiß nur Klaus Twedell und es soll sein Geheimnis bleiben. An dieser Stelle sei ihm herzlich gedankt für dieses außergewöhnliche Dokument aus der Vorkriegszeit…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

 

 

 

 

O.M. 469 Tourer: Raffinesse aus Brescia

Freunde von Opel-Vorkriegsautos werden vielleicht bemerkt haben, dass „ihre Marke“ auf diesem Oldtimerblog bislang nur sporadisch behandelt wurde.

Nicht dass es an schönen Originalfotos von Opels mangeln würde – im Fundus schlummert noch einiges. Aber es gibt so viele andere deutsche Marken, über die sich im Netz kaum etwas findet: Dürkopp, NAG, Protos usw.

Außerdem entpuppt sich mancher vermeintliche Opel als etwas ganz anderes.

Das folgende Foto sollte laut Verkäufer solch ein Produkt aus Rüsselsheim zeigen. Zu dieser Ansicht kam er sicher durch den Anfangsbuchstaben auf dem unvollständig abgebildeten Kühleremblem:

© O.M. 469 Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Autohersteller aus Europa, deren Name mit „O“ beginnt, gab es ja nur wenige. Selbst unter den über 1.000 (!) einstigen Marken in Frankreich kamen dafür nur zehn in Frage – und die kennt wirklich keiner mehr. Also bleibt nur ein Opel!?

Der Verfasser hatte einen anderen Verdacht. Für einen Opel wirkt der Wagen – Marken-Enthusiasten mögen es verzeihen – zu raffiniert. Außerdem wurde hier bereits ein Wagen mit ganz ähnlicher Frontpartie behandelt.

Dabei handelt es sich um ein Auto mit eigenwilligem Aufbau der italienischen „Officine Mecchaniche“ – kurz „OM“ (Bildbericht). Zumindest Freunde der Mille Miglia werden mit dieser Marke etwas anfangen können.

Es war nämlich ein „O.M.“ Sportwagen, der bei der ersten Austragung des Rennens 1927 gewann. Bis heute dürfen daher Wagen der zufälligerweise aus Brescia stammenden Marke bei der Mille Miglia ebendort als erste starten!

Nun aber zu den Details des schönen O.M.-Tourenwagens auf unserem Foto:

Ins Auge fällt der Verlauf des unteren Windschutzscheibenrahmens. Er zeichnet die mehrfach „gebrochene“ Form der Motorhaube nach. Bei den zeitgenössischen Fiats der Typen 509 und 503 findet sich ein ähnliches Element, aber schlichter ausgeführt.

Auch der Kühler in Form einer antiken Tempelfassade ist beim O.M. weniger simpel als bei den sonst ebenfalls klassisch gestalteten Fiats (siehe Bildbericht).

Vom Kühler geht der Blick zu den Schutzblechen mit der scharf geschnittenen Sicke – ein stabilisierendes Element, das zugleich extravagant wirkt. Die Seitenpartie der Motorhaube entspricht derjenigen zeitgleicher Fiats. Das Drahtspeichenrad mit Zentralverschluss war dagegen bei den Turiner Großserienautos die Ausnahme.

Bei der Gelegenheit fällt auf, dass gar kein Reifen auf der Felge des Ersatzrads ist. Auch die Gesamtsituation ist rätselhaft. Wir liegen aber wohl kaum falsch, wenn wir den ernst schauenden Herrn am Volant im deutschsprachigen Raum verorten.

Könnte das Bild bei einem Importeur der hierzulande seltenen – aber von Kennern geschätzten – Marke aus Brescia entstanden sein? Vielleicht weiß ein Leser etwas darüber.

Wir können zumindest das Modell identifizieren: Es ist ein O.M. 469, der von 1921 bis 1934 gebaut wurde. Ausgestattet war er mit einem Vierzylinder, der aus 1,5 bzw. später 1,7 Liter Hubraum rund 30 bzw. 40 PS schöpfte.

Das klingt aus heutiger Sicht unspektakulär. Doch ein Vergleich mit den Leistungsdaten deutscher Serientourenwagen der 1920er Jahre lässt den O.M. in anderem Licht erscheinen: Weder Adler oder Opel noch NAG oder Presto quetschten aus so wenig Hubraum soviel standfeste Leistung.

Wie bei Fiat auch zeichnete sich bei O.M. früh eine Spezialisierung auf drehzahlfeste kleine Motoren in Verbindung mit geringem Gewicht ab. So konnte der Siegerwagen bei der 1927er Mille Miglia – ein O.M. 665 „Superba“ mit weniger als 2 Liter Hubraum – nach 21 Stunden Dauervollgas buchstäblich das Rennen machen…

Ein „O.M.“-Transporter der 1920er Jahre in Holland

Historische Fahrzeugfotos sind in vielerlei Hinsicht reizvoll: Sie zeigen die heute allzuoft nur als Museumsstück dienenden Vehikel in ihrer einstigen Umgebung – häufig zusammen mit ihren ehemaligen Besitzern – und verraten viel darüber, wie sie im Alltag eingesetzt wurden.

Es gibt allerdings auch Abbildungen, bei denen sich zwar Fahrzeugtyp und sogar Aufnahmeort genau identifizieren lassen, die aber dennoch rätselhaft bleiben. Das folgende Originalfoto der 1920er Jahre ist ein gutes Beispiel dafür:

© O.M. Lieferwagen Typ 469; aus Sammlung Michael Schlenger

Der recht große Abzug ist von technisch hoher Qualität, das war sicher keine Gelegenheitsaufnahme. Außer dem Wagen der Marke O.M. – dazu gleich mehr – ist nichts Spezifisches auf dem Foto zu erkennen, kein Nummernschild, keine Werbeaufschrift, auch keine Person.

Die italienische Marke O.M. ist hierzulande allenfalls Kennern des legendären Mille-Miglia-Rennens geläufig. Beim Auftaktrennen 1927 belegten Wagen des Typs O.M. 665 „Superba“ die ersten drei Plätze.  Ein hübscher Zufall, dass ein in Brescia gebautes Automobil das dort beginnende Rennen so glanzvoll gewinnen sollte.

Der „O.M.“-Konzern hatte seinen eigentlichen Ursprung und Sitz aber in Mailand. Dort wurde 1849 ein Kutschbaubetrieb gegründet, der sich rasch Renommee erwarb und sich später auf den Bau von Eisenbahnwaggons verlegte. Daraus entstand 1899 eine Aktiengesellschaft, die in ihrem Firmennamen bereits den Zusatz „Officine Mecchaniche“ – zu deutsch „Mechanische Werkstätten“ – trug. Sie stieg in den Lokomotivbau ein, den sie bis in die 1950er Jahre erfolgreich betrieb.

Das Mailänder Unternehmen erwarb noch während des 1. Weltkriegs – 1917 – die Automobilfertigung des Herstellers Brixia-Züst mit Sitz in Brescia. Die Autosparte blieb formal selbständig und firmierte später unter „O.M. Fabbrica Bresciana di Automobili.“ Die PKW-Produktion konzentrierte sich auf die 1920er Jahre, später verlegte man sich – als Teil des Fiat-Konzerns – auf den Nutzfahrzeugbau.

So deutet der Wagen auf unserem Foto bereits auf die spätere Ausrichtung der Firma hin. Werfen wir einen genaueren Blick darauf:

Die Frontpartie mit dem Kühler in klassicher Tempelform ähnelt zeitgenössischen Modellen von Fiat, ist aber im Detail eigenwilliger ausgeführt. Die Form der Scheinwerferhalter und der raffinierte obere Abschluss der Motorhaube erlauben eine Ansprache als Modell O.M. 469. Dabei steht die erste Ziffer markentypisch für die Zylinderzahl, während die beiden folgenden das Maß der Zylinderbohrung angeben.

Das Modell 469 wurde ab 1922 in zahlreichen Ausführungen gebaut (Bildbeispiel), wobei der Hubraum von anfangs 1,4 Litern im Lauf der Jahre anstieg. Ob der geschlossene Transporteraufbau des Wagens auf unserer historischen Aufnahme von O.M. stammt, ist ungewiss. Offenbar handelt es sich um einen kleinen Lieferwagen, der an der Seitenfläche ein nicht näher erkennbares Logo aufweist.

Der abgebildete Wagen scheint zum Zeitpunkt der Aufnahme neu gewesen zu sein. Merkwürdig nur, dass sich der Besitzer nicht hat stolz damit ablichten lassen. Vollends rätselhaft ist der handschriftliche Vermerk auf der Rückseite des Abzugs: „Amerongen“ steht dort ohne Jahresangabe. Amerongen ist ein kleiner Ort in den Niederlanden in der Nähes des gleichnamigen Schlosses. Die Architektur im Hintergrund mit den hohen Schornsteinen würde dazu passen – in Italien ist diese Aufnahme jedenfalls nicht entstanden.

Da das Foto einen professionellen Eindruck macht, könnte es sich um die Dokumentation der lokalen Karosseriebaufirma handeln, die für den Aufbau verantwortlich war. Dann wäre das Foto im Hinterhof der Werkstatt oder beim Kunden entstanden.Vielleicht steckt aber auch etwas anderes dahinter.

Jedenfalls fragt man, sich wie ein so seltenes italienisches Fahrzeug einst in die Niederlande gekommen ist. O.M. hatte einen guten Ruf, aber sicher keine Vertretung außerhalb Italiens (und eventuell noch der Schweiz). Wer weiß dazu mehr?

Wer sich für spätere Nutzfahrzeuge der in den 1970er Jahren untergegangene Marke O.M. interessiert, findet nachfolgend ein schönes Beispiel:

© O.M. Omnibus in Atrani (Amalfiküste, Italien); Bildrechte: Michael Schlenger