Größe ist relativ: Zweimal Adler Standard 6

Auf diesem Oldtimerblog gehört die Bildergalerie, die der einstigen Frankfurter Qualitätsmarke „Adler“ gewidmet ist, zu den am häufigsten besuchten Rubriken.

Dazu trägt nicht nur ein befreundeter Adler-Enthusiast bei, der Gleichgesinnte in der Republik informiert, wenn wieder mal ein „neues“ altes Originalfoto vorgestellt wird.

Auch die internationale Adler-Veteranenszene weiß inzwischen, dass hier eine außerordentliche Sammlung an Fahrzeugfotos speziell aus der Frühzeit der Marke zu bestaunen ist. Die längst verblichene Marke interessiert Freunde von Vorkriegsautos aus Australien, Russland, Skandinavien, England und den USA.

Neben den kaum dokumentierten Adler-Spitzkühlermodellen der Zeit kurz vor und nach dem 1. Weltkrieg werden hier natürlich auch die bekannten Typen der späten 1920er und 1930er Jahre gewürdigt.

Heute ist mal wieder der Adler Standard 6 an der Reihe, der von 1927 bis 1934 als 10/45 PS- bzw. 12/50 PS-Modell gebaut wurde. Technisch war er zwar konventionell, doch machte er mit seiner amerikanisch inspirierten Erscheinung mächtig Eindruck.

Dass Größe relativ sein kann, zeigen die beiden Fotos, die wir heute vorstellen. Nr. 1 zeigt einen Adler Standard 6 vor dem traditionsreichen Hotel Krone in Assmannshausen am Mittelrhein:

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© Adler Standard 6; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vor der spektakulären Architektur kann man auch heute noch den Hut ziehen. Einen so mächtigen Baukörper gefällig und abwechslungsreich zu gestalten, das ist eine Kunst, die im Einerlei der Schuhkartonmoderne verloren gegangen ist.

Das fast vollkommen erhalten gebliebene Gebäude steht für die Fähigkeit der Architekten des 19. Jahrhunderts, auf das historisch gewachsene Umfeld Rücksicht zu nehmen und eine dauerhaft anziehende Form zu finden – eine von der Bauhausideologie komplett zerstörte Tradition.

Vor dem eindrucksvollen Bau wirkt sogar der großzügige Adler Standard 6 keineswegs protzig, beinahe bescheiden. Selbst in der Ausschnittsvergrößerung scheinen die Dimensionen nicht aus dem Rahmen zu fallen:

Das Einzige, was hier auffällt: Der Adler steht offenbar im Parkverbot! Also, gleich das Kennzeichen notieren und den Touristen aus Rheinhessen auf der Wache verpfeifen. „Der hat bestimmt einen Riesling zuviel intus, der Kapitalist!“

Nun, vermutlich hat man bei einem kurzen Fotohalt an der Rheinfront damals ein Auge zugedrückt. Im Übrigen sieht es dort heute noch fast genauso aus wie vor 80 Jahren, zum Glück.

Um nun den Adler Standard 6 wieder ins rechte Bild zu rücken, schauen wir uns Aufnahme Nr. 2 an, die eine spätere Ausführung des Wagens zeigt:

© Adler Standard 6; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir die ab etwa 1930 gebaute Version mit senkrechten Luftschlitzen in der Motorhaube. Auch die sachlicher gehaltene Kühlermaske mit dem nach oben gewanderten Adler-Emblem unterscheidet den Wagen von frühen Ausführungen.

Es gibt aber noch ein Detail, das diesen Adler Standard 6 besonders macht:

Beim Blick durch die Frontscheibe sieht man nämlich ein Schild mit der Aufschrift „Frei“ – das Auto muss also ein Taxi sein.

Dem Kennzeichen nach zu urteilen, ließen sich mit diesem Wagen einst Leute im Rheinland ins Theater fahren oder von einer Gesellschaft heimbringen. Dabei bot der Adler im Fond reichlich Platz auch für ausladende Abendgarderobe.

Als Taxi kenntlich gemacht war der Wagen auch am Heck, und zwar in Form des umlaufenden Schwarzweißmusters.

Interessanterweise spiegelt sich in den Seitenscheiben das Heck eines weiteren Taxis und die Front eines anderen Wagens.

Unser Adler-Besitzer scheint mit sich und der Welt zufrieden zu sein, die Zigarre in der linken Hand lässt ein gutes Auskommen vermuten. Ihn bringt auch der vermutlich nagelneue Mercedes 170V hinter seinem Auto nicht aus der Fassung.

„Schauen Sie nur, werte Dame, was Ihnen mein Adler für generöse Platzverhältnisse bietet. Sie wollen sich doch nicht etwa bücken müssen, um im Mercedes der Konkurrenz Platz nehmen zu können.“

Und an den Herrn gerichtet: „Mercedes-Wagen werden überschätzt. Die haben bloß eine rasante Optik mit schrägem Kühler und niedrigem Dach. Machen Sie da mal die Haube auf, und was sieht man? Einen Vierzylinder, keine 40 PS! Auf meinen alten Adler-Sechszylinder mit 50 Pferden lasse ich nichts kommen…“

Tja, dennoch galt Mitte der 1930er Jahre ein Adler Standard 6 als überholt. Schneidige Karosserien waren trotz niedriger Geschwindigkeit im Alltag der letzte Schrei, da konnten die schlichten Formen der 1920er nicht mehr mithalten.

Zum Glück wussten doch einige Leute den Wert eines Adler zu schätzen und hoben einen auf. Heute ist ein Standard 6 eine Rarität, die jeden 170er Mercedes in den Schatten stellt. „Steigen Sie mal hinten ein, meine Dame, Sie bemerken gleich den Unterschied…“

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