Aus der Zeit gefallen: Ein Stoewer V5 im Jahr 1950

Die Sehnsucht nach den Wagen der Vorkriegszeit rührt wohl auch daher, dass die Welt damals zwar nicht besser war – ganz im Gegenteil – doch in vielerlei Hinsicht eine schönere, da die Verwüstungen der sogenannten Moderne erst einsetzten.

Dass es selbst bis in die 1950er Jahre in Deutschland Orte gab, die von Kriegsverheerungen verschont geblieben waren, wo es noch so beschaulich aussah wie zu Goethes Zeiten, das erzählen Bilder jener Zeit.

Eine solche Aufnahme, auf der sich alles zusammenfügt und selbst das Auto im Vordergrund das Idyll nicht stört, sehen wir uns heute an:

Stoewer_V5_Moosheim_1950_Galerie

Stoewer Typ V5; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier steht in einer kopfsteingepflasterten Gasse zwischen jahrhundertealten – heute würde man sagen: nachhaltig gebauten – Fachwerkhäusern ein alter Bekannter. 

Erst kürzlich haben wir den Wagentyp anhand einer mäßigen Aufnahme ausführlich vorgestellt (Bericht). Umso erfreulicher, dass inzwischen dieser weit reizvollere Abzug aufgetaucht ist.

Dass es ein Stoewer des ab 1931 gebauten Frontantriebstyp V5 ist, verrät die markante Kühlermaske mit dem typischen Stoewer-Wappen und den erhabenen Sicken am unteren Ende.

Nur der Stoewer V5 weist auch solche eigenwillig geformten Schutzbleche auf – in  Details wie diesen erkennt man die besondere Handschrift der 1945 untergegangenen Marke aus Stettin.

Die technischen Raffinessen dieses ersten deutschen Fronttrieblers (noch vor DKW und Adler!) wurden im ersten Blogeintrag ausführlich gewürdigt.

Daher beschränken wir uns auf die Besprechung der Unterschiede gegenüber dem zuvor vorgestellten Fahrzeug, das wir hier nochmals zeigen:

Stoewer Typ V5; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Hauptunterschied liegt in der Ausführung der Kühlermaske. Bei dem ersten vorgestellten Stoewer V5 reicht diese nur bis auf Höhe der Vorderachsen hinunter. Unter der Vorwölbung darunter befindet sich das Getriebe.

Wie später auch DKW ließ Stoewer diese unschöne Lösung wieder fallen und zog die Kühlermaske im Modelljahr 1932 weiter nach unten, wozu sie freilich schräg nach vorn verlaufen musste.

Das Erscheinungsbild des Wagens profitierte davon nicht nur von vorne, sondern auch von der Seite, da die Frontpartie nun dynamischer wirkte, obwohl sich darunter weiterhin nur ein kompakter V-4-Zylinder (!) mit 25 PS verbarg.

Wie erwachsen die in der Vorderpartie überarbeitete 2. Serie des Stoewer V5 bei sonst identischer Ausführung als Rolldach-Limousine wirkte, lässt sich in der Ausschnittsvergrößerung gut erkennen:

Wer sich an den wuchtigen Stoßstangen – bzw. Stoßecken – stört, liegt mit seinem Bauchgefühl richtig: Die Rolldach-Limousine des Stoewer V5 wurde ohne solches Zubehör ausgeliefert.

Vermutlich wurden die Teile von einem wohlmeinenden Besitzer nachgerüstet, als Spender käme beispielsweise ein DKW in Frage.

Das hat eine gewisse Ironie, denn es war nicht Stoewer, sondern die Firma DKW, die mit ihren schwachbrüstigen, aber billigen Zweitaktern dem Frontantrieb in Deutschland zum Durchbruch verhalf.

Vom technisch weit anspruchsvolleren und karosserieseitig wesentlich robusteren Stoewer V5 wurden nur etwas mehr als 2.000 Exemplare gebaut.

Dass eines davon noch 1950 – als fast 20 Jahre nach der Entstehung – als Reisefahrzeug genutzt wurde, spricht für die Qualitäten des Wagens.

Übrigens wissen wir das dank des Vermerks auf der Rückseite des Abzugs. Dort ist auch Moosheim in Baden-Württemberg als mutmaßlicher Aufnahmeort vermerkt.

Da der Stoewer ein Kennzeichen der britischen Besatzungszone Niedersachsen (BN) trägt, das im Bezirk Hannover (33) ausgegeben wurde, diente der Wagen damals offensichtlich noch zu ausgiebigen Reisen.

Dass er vom einstigen Besitzer geschätzt wurde, das beweist diese perfekt inszenierte Aufnahme. Hier wusste jemand genau, wie sich ein klassischer Wagen in Szene setzen ließ.

Mag sein, dass der Fotograf auch ahnte, dass eine solche zeitlose Szenerie schon bald Vergangenheit sein würde, und hielt für sich diesen romantischen Augenblick fest.

In den zerbombten Großstädten begann damals der Modernisierungsfuror zu wüten, der oft genug zu einer zweiten Zerstörung führte. Nur München blieb eine rühmliche Ausnahme und wurde damals für rückständig gehalten – heute hat die Bayernhauptstadt die höchsten Immobilienpreise in der Republik…

Gern wüsste man, wie es in jener Gasse heute aussieht, in der vor über 60 Jahren dieser Stoewer stand. Weiß ein Leser vielleicht mehr?

Im Elsass würde eine solche Szenerie heute jedenfalls noch exakt so aussehen – aber dort hat auch nicht ein von verantwortungslosen „Eliten“ angezettelter totaler Krieg die Bindung an Heimat und Tradition bis auf einige glimmende Reste zerstört…

Rothenburg ob der Tauber in den 1930er Jahren. © Videoquelle YouTube; hochgeladen von Deutschlandsender

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

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