1929: Ein ganz spezieller Horch 350 an der Ostsee

Freunde des sächsischen Luxuswagenbauers Horch finden auf diesem Oldtimerblog für Vorkriegsautos reichlich Anschauungsmaterial – und das alles in Form historischer Originalfotos aus der Sammlung des Verfassers.

So sind die Giganten aus Zwickau in der Schlagwortwolke unten rechts mit am häufigsten vertreten. Obwohl Horch-Wagen schon immer selten waren, findet man überproportional viele alte Fotos davon.

Klar: Wer sich so etwas leisten konnte, musste nicht am damals noch teuren Filmmaterial  sparen und konnte Ausfahrten und Reisen großzügig dokumentieren.

Im Fundus schlummert noch ein ganzes Konvolut solcher Reisefotos mit ein und demselben Horch, das heben wir uns aber für den Winter auf.

Heute wollen wir die Horch-Bildergalerie weiter bestücken, und zwar mit einem speziellen Modell des Horch 350, den wir hier zuletzt in Form einer prächtigen 6-Fenster-Limousine zeigen konnten.

Zur Erinnerung: Der ab 1928 gebaute Typ 350 war das erste Horch-Achtzylindermodell, das seine außergewöhnliche Klasse auch in der Gestaltung erkennen ließ.

Die Vorgänger hätte man auch für irgendwelche US-Sechszylinder-Massenware halten können. Doch dieses mächtige Gefährt lässt auf den ersten Blick erkennen, dass es etwas ganz Besonderes ist:

Horch_350_Sedan_Cabriolet_2_Ausschnitt

Horch 350; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir außer dem für das Modell 350 typischen Lamellenkühler den geflügelten Pfeil, den der Wagen nur kurze Zeit nach Einführung trug. Er wurde bald durch eine weniger expressive geflügelte Weltkugel ersetzt.

Diese Kühlerfigur begegnet uns auch auf der Aufnahme, um die es heute eigentlich geht. Das Besonders daran ist der Aufbau, der sich in genau dieser Form in der dem Verfasser bekannten Literatur bislang nicht findet.

Bei der Gelegenheit sei wieder einmal das „Horch“-Standardwerk von Peter Kirchberg und Jürgen Pönisch gepriesen (hrsg. im Verlag Delius Klasing). Ausführlicher und sachkundiger wird man die Horch-Modellgeschichte andernorts kaum dargestellt finden. Zudem sind Fehler der älteren Literatur darin behoben.

Nun aber zu unserem Anschauungsobjekt:

Horch 350; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die technische Qualität des Fotos lässt zwar zu wünschen übrig, doch ein eindrucksvolles Auto haben wir allemal vor uns. Über die Identifikation sind hier nicht viele Worte zu verlieren – wie gesagt: der Aufbau ist es, was uns interessiert.

Entstanden ist die Aufnahme laut umseitiger Aufschrift übrigens 1929 im Ostseebad Graal in der Nähe von Rostock. Die helle Lackierung passt gut zu einem Sommertag an der See und findet sich bei offenen Versionen dieses Typs öfters.

So wirkt der fünf Meter lange und rund 2 Tonnen schwere Wagen zumindest optisch leicht. Der 80 PS starke Motor mit 3,9 Liter Hubraum war für gepflegtes Reisen vollkommen ausreichend. Wichtiger als die Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h war die bis dahin in Deutschland unerreichte Laufkultur.

Der Besitzer hatte keine Kosten gescheut und sich sowie seinen Begleiterinnen einen besonders komfortablen Spezialaufbau gegönnt:

Wer schon einmal in einem offenen Tourenwagen oder viersitzigen Cabriolet der Vorkriegszeit unterwegs war, wird sich an das luftige Fahrerlebnis erinnern. Einen wirksamen Windschutz gab es nur auf den Vordersitzen, wo neben der Frontscheibe mitunter auch seitliche Windabweiser montiert waren.

Hier aber sehen wir eine offene viertürige Ausführung mit feststehender B-Säule und auf Wunsch versenkbarer Zwischenscheibe, die obendrein einen verstellbaren Sonnenschutz aufzuweisen scheint.

Eine solche Karosserie wurde als Sedan-Cabriolet bezeichnet, da sie Elemente einer Limousine (die starre B-Säule) mit einem vollständig niederlegbaren, gefütterten Verdeck verband.

Einen Horch 350 mit auf den ersten Blick ähnlichem Aufbau haben wir vor einiger Zeit schon einmal vorgestellt, nämlich diesen hier:

Horch 350; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch hier sehen wir eine starre B-Säule, doch fehlt hier die erwähnte zweite Scheibe zum Schutz der rückwärtigen Passagiere. Sie kann auch nicht heruntergekurbelt sein, denn dann würde man auf der Innenseite der in Fahrtrichtung rechten B-Säule eine entsprechende Führung sehen.

Demnach haben wir es auf dem 1929 an der Ostsee entstandenen Foto mit einer noch aufwendigeren Ausführung zu tun, die als Sonderversion zwar in der Literatur genannt wird, aber dort nicht abgebildet ist.

Zudem ist die Karosserie „unseres“ Horch 350 Sedan-Cabriolet „Spezial“ im Detail eleganter gearbeitet als die des zweiten, schwerfällig wirkenden Fahrzeug.

Als mögliche Hersteller dieses Sonderaufbaus des Horch 350 nennt die Literatur beispielsweise Baur aus Stuttgart und die Manufaktur Alexis Kellner aus Berlin, die für ihre extravaganten Aufbauten berühmt bis berüchtigt war.

Wie immer sind ergänzende Hinweise oder auch Korrekturen von sachkundigen Lesern hochwillkommen und werden im Blogeintrag berücksichtigt.

Bevor es mit dem Nachfolgemodell Horch 375 weitergeht, werden wir uns gelegentlich noch mit zwei weiteren Aufnahmen offener Versionen des Typs 350 beschäftigen, die auf ihre Weise ebenfalls kurios sind.

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

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