Charakterstark: Austro-Daimler „ADM“ Tourer

Aus schwer erklärlichen Gründen sind die Spitzenprodukte österreichischer Autohersteller der Vorkriegszeit in Deutschland kaum bekannt.

Gerade die hiesige Presse, die keine Gelegenheit auslässt, Großserienwagen der Firma Porsche als „smartes Investment“ anzupreisen, sollte imstande sein, zur Abwechslung öfters auch die Geniestreiche des namengebenden Professors aus der Vorkriegszeit zu würdigen.

Nein, die Rede ist nicht vom Volkswagen, dessen Konzept in den 1930er Jahren ohnehin in der Luft lag und zu dem etliche Konstrukteure beitrugen.

Dem Kenner fällt vielmehr eine bedeutende österreichische Marke ein, die dem Einfluss von Prof. Porsche mit ihre besten Konstruktionen zu verdanken hatte. Die Rede ist von Austro-Daimler aus Wien.

Der letzte Austro-Daimler, der noch von Impulsen von Porsche vor seinem Wechsel zu Mercedes profitierte, war der 1923 vorgestellte 6-Zylindertyp ADM. Mit ihm haben wir uns in diesem Blog bereits zweimal befasst.

Der erste Blogeintrag zum Austro-Daimler zeigt einen ADM bei einem winterlichen Ausflug in den Bergen. Im zweiten begegnen wir demselben Wagen auf einer Ausfahrt im Frühjahr.

Von diesen Wagen mit ihrem feinen Sechszylindermotor, der nebenbei in Rennversionen enorme Leistungen entfaltete, kann man nicht genug bekommen.

Passend zur Jahreszeit, in der die Tage kürzer werden, schauen wir uns heute einen weiteren Austro-Daimler ADM auf einem Originalfoto an, das an den Sommer erinnert, der 2017 zeitweise aber eher wie ein vorgezogener Herbst daherkam:

Austro-Daimler_ADM_Tourer_Galerie

Austro-Daimler Typ „ADM“ Tourer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf dieser über 90 Jahre alten Aufnahme hat sich eine wunderbar warme Stimmung erhalten – mit den langen Schatten, die nicht enden wollende Sommerabende so magisch machen – wenn es nicht gerade kühl und regnerisch ist.

Der Abzug hat über die Jahrzehnte etwas gelitten, aber man erkennt, dass der Fotograf in dieser nicht einfachen Belichtungssituation alles richtig gemacht hat. Die letzten Sonnenstrahlen lassen die Chromteile des Wagens aufleuchten und setzen Glanzlichter auf Kleidung und Gesichter der Menschen, die mitabgelichtet wurden.

Zur Identifikation des Wagens muss man nicht viele Worte verlieren, einen Austro-Daimler der 1920er Jahren erkennt man an der markant geschnittenen Kühlermaske und dem Schriftzug unterhalb des Kühlwasserstutzens:

Der Markenname ist hier kaum lesbar, aber alle übrigen Details – vom Teddybären einmal abgesehen – passen zu einem Austro-Daimler des bis 1928 nur in einigen  hundert Exemplaren gebauten Typs ADM.

Vom optisch ähnlichen, aber technisch weitgehend neuentwickelten Nachfolgertyp ADR lässt sich der ADM aus dieser Perspektive unter anderem durch die Positionierung der Reibungsstoßdämpfer an der Vorderachse unterscheiden.

Die Kennung „II B“ auf dem Nummernschild steht übrigens für den Zulassungsbezirk Oberbayern. Die fortlaufende Nummer „1199“ verrät einiges über die damalige Auto“dichte“ in dieser ländlichen Region.

Mit solch einem österreichischen Luxusprodukt fiel man damals erst recht auf und möglicherweise hat sich hier ein örtlicher Charakterkopf vor dieser raren Erscheinung fotografieren lassen:

Der selbstbewusst dreinschauende und braungebrannte Bursche wirkt jedenfalls nicht wie der typische Besitzer eines Austro-Daimler, der seinen Wohlstand sicher keiner Tätigkeit unter freiem Himmel zu verdanken hatte.

Insofern bleibt die Aufnahme gemeinsam mit den fünf eher städtisch wirkenden weiblichen Insassen im Austro-Daimler rätselhaft.

Dem Verfasser gefällt diese Aufnahme gerade wegen dieses Kontrastes aus einer jahrhundertealten regionalen Tradition, wie sie in Bayern vor dem Krieg noch lebendiger war als heute und dem Boten aus der großen weiten Welt, der aber ebenfalls alles andere als das austauschbare Produkt einer Massenkultur war.

So wie einem gestandenen Mannsbild die Aufmerksamkeit der Mitmenschen sicher ist, wenn er – abseits des Oktoberfests und im passenden ländlichen Umfeld – die „Krachlederne“ und wollene Kniestrümpfe über strammen Waden präsentiert, so macht auch ein „Porsche“ aus dem Hause Austro-Daimler heute noch Eindruck.

Überzeugende Exemplare beider Kategorien dürften heute aber Raritäten sein…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

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