Der Teufel steckt im Detail: 2 Adler „Standard 6“ Cabriolets

Im letzten Blogeintrag haben wir uns mit der Bedeutung des Begriffs „Standard“ als Typbezeichnung bei Vorkriegsmodellen befasst – und in dem Zusammenhang auch den Adler „Standard 6“ der späten 1920er Jahre erwähnt.

Da die Adler-Freunde hier schon länger nicht bedacht wurden, nutzen wie die Gelegenheit und nehmen uns gleich zwei Exemplare des großzügigen Modells aus den Frankfurter Adlerwerken vor.

Dabei zeigt sich, dass man genau hinsehen muss, um die jeweilige Ausführung der Wagen identifizieren zu können, die keineswegs „Standard“ ist. Auf der folgenden Aufnahme sieht man zunächst einmal nicht viel Auto:

Adler_Standard_6_Cabriolet_oder_Favorit_Galerie

Adler Standard 6 oder Favorit; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir eine sehr schöne Fotopostkarte, die einst von einem herrschaftlichen Anwesen im ehemaligen deutschen Osten verschickt wurde.

Wer diese malerische Aufnahme gemacht hat, für den stand das Auto mit Zulassung in der Provinz Pommern nicht im Mittelpunkt. Hier ging es darum, die Atmosphäre eines lichtdurchfluteten Sommertags einzufangen – das ist eindrucksvoll gelungen.

Für unsere Zwecke müssen wir tief in das Foto hinein“zoomen“ – zum Glück ist die Qualität des fast 90 Jahre alten Abzugs für eine heftige Ausschnittsvergößerung gut genug, wie man sieht:

Das ist nebenbei ein schönes Beispiel dafür, dass historische Autofotos dann besonders reizvoll sind, wenn sie „belebt“ sind.

Die beiden Kinder am Eingang zum Herrenhaus schaffen ein Gegengewicht zu dem mächtigen Wagen und rücken zugleich seine Dimensionen ins Verhältnis.

Wem der „Look“ des Autos amerikanisch vorkommt, liegt zwar im Hinblick auf den Hersteller falsch, hat aber in stilistischer Hinsicht den richtigen Riecher. Dieser Wagen sollte nämlich genau diesen Eindruck hinterlassen.

Abgesehen von der dreieckigen Emaille-Plakette mit dem Adler-Symbol auf der Kühlermaske wirkt hier nichts „deutsch“:

Mit dem ab 1927 gebauten „Standard 6“ und dem äußerlich sehr ähnlichen Vierzylindermodell „Favorit“ gelang den Frankfurtern eine perfekte Imitation des seinerzeit maßgeblichen US-Stils.

Das war auch bitter nötig, denn die in jeder Hinsicht modernen „Amerikanerwagen“ machten seit Mitte der 1920er Jahre den an veralteten Konzepten festhaltenden einheimischen Herstellern das Leben schwer.

Mit dem anfänglich 45, später 50 PS leistenden Sechszylindermotor und  hydraulischen Vierradbremsen war der Adler Standard 6 auch technisch auf der Höhe der Zeit.

Zwar blieben die Stückzahlen (ca. 20.000 Exemplare) wie bei allen deutschen Herstellern weit hinter den Produktionsmengen der US-Marken zurück. Doch immerhin war das Modell so erfolgreich, dass es diverse Karosseriehersteller auf den Plan rief.

Dass wir es mit keinem Standardaufbau zu tun haben, sieht man spätestens hier:

Offenbar handelt es sich um ein zweitüriges und zweifenstriges Cabriolet.

Ein Sport-Cabriolet in diesem eleganten Stil mit dunkel abgesetzter Zierleiste an der Tür gab es beispielsweise von Karmann, doch auch andere Manufakturen sind denkbar.

Genau wird sich das vielleicht nicht mehr klären lassen. Der Teufel steckt aber auch in anderer Hinsicht im Detail. Die Aufnahme könnte nämlich auch das vierzylindrige Schwestermodell des Standard 6, den „Favorit“, zeigen.

Dieser unterschied sich äußerlich nur durch größere Reifen und sieben statt fünf Radbolzen vom Sechszylinder, zumindest in der ersten, bis 1930 gebauten Serie mit horizontalen statt senkrechten Luftschlitzen in der Motorhaube.

Genau diese Unterscheidungsmerkmale bleiben uns aus diesem Aufnahmewinkel verborgen. Vielleicht kann ein „adlerkundiger“ Leser dennoch Genaueres sagen.

Erst ab 1930 kam man in den Adlerwerken auf die Idee, die verfügbaren  Motorisierungen voneinander optisch unterscheidbar zu machen. Das tat man so wirksam, dass der genaue Typ sogar auf folgender, mäßiger Aufnahme erkennbar ist:

Adler Standard 6, 2-Fenster-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto entstand Anfang der 1930er Jahre an einem Wintertag bei Remagen.

Gleich mehrere markante Details sind zu erkennen:

  • senkrechte Luftschlitze in der Haube
  • oben in der Kühlermaske angesiedeltes Adler-Emblem
  • rautenförmiges Emblem über dem Nebelscheinwerfer
  • fünf Radbolzen
  • leicht geneigte Frontscheibe

Hier eine Ausschnittsvergrößerung, die das besser erkennen lässt:

Das Nummernschild mit der römischen Ziffer „I“ verweist übrigens auf eine Zulassung in der Region Bautzen in Sachsen.

Was lässt sich nun zu dieser Ausführung sagen? Nun, trotz der nur fünf Radbolzen ist das kein Vierzylinder des Typs „Favorit“.

Ab 1931 verfügte zwar nur noch der Achtzylindertyp  „Standard 8“ über sieben Radbolzen. Doch gleichzeitig wurden die Sechs- und Achtzylindermodelle in dem rautenförmigen Feld vor dem Kühler kenntlich gemacht.

Beim Favorit sparte man sich eine „4“ an dieser Stelle – das wäre so prestigeträchtig gewesen wie das „D“ hinter der „200“ bei neuzeitlichen Mercedes-Modellen…

Ob nun „Standard 6“ oder „Standard 8“ – dieses Auto ist auf jeden Fall etwas Besonderes. Das wird auf dem zweiten erhaltenen Foto desselben Wagens deutlich:

Adler Standard 6, 2-Fenster-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir den Adler endlich vollständig – auch die mutmaßliche Gattin des Besitzers ist hier deutlich vorteilhafter abgelichtet.

Der Ehemann ließ bei dieser Gelegenheit dem Chauffeur den Vortritt, der mit verwegen sitzender Schirmmütze hinter „seinem Adler“ posiert.

Den angestellten Fahrer ebenfalls mit im Fotoalbum zu verewigen, das zeugt von Wertschätzung und Stil – man findet das oft auf solchen historischen Aufnahmen.

Bleibt die Frage, welche Variante des Adler Standard 6 (oder 8?) wie hier sehen.

Wie auf dem Bild des Wagens aus Pommern handelt es sich um ein zweitüriges Cabriolet. Jedoch verfügt dieses Exemplar über vier Seitenfenster.

Einen Adler genau in dieser Ausführung konnte der Verfasser in der ihm vorliegenden Literatur bislang nicht finden. Das will aber nichts heißen, denn er kennt sich bei deutschen Vorkriegsautos überall ein bisschen, aber nirgends richtig aus.

Daher: Adler-Spezialisten vor – wer lieferte die Karosserie dieses Adler, der einst einem sächsischen Paar nebst Fahrer zu einem Ausflug an den Rhein diente?

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

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