Ein Nash Six „Tourer“ von 1928 als Taxi auf Teneriffa

Was die Beschäftigung mit Vorkriegsautos auf alten Fotos zu einem unerschöpflichen Thema macht, sind neben der Markenvielfalt die verschlungenen Pfade, die viele dieser Zeugnisse über mehr als 80 Jahre absolviert haben.

Heute haben wir ein schönes Beispiel dafür. Es führt uns aus dem Herzen Deutschlands auf die Kanarischen Inseln und – mit einem Abstecher über die Vereinigten Staaten – zurück nach Sachsen-Anhalt.

Zu verdanken haben wir diesen Ausflug dem Kommunikationsdesigner Matthias Kraus aus Halle bzw. seinen unternehmungslustigen Vorfahren.

Sie gehörten nicht nur schon in den 1920er Jahren zu den Automobilisten – Belege folgen gelegentlich – sondern scheinen auch ungewöhnlich reisefreudig gewesen zu sein.

Folgende Aufnahme für’s Familienalbum fertigten sie 1935 auf Teneriffa an – zu einer Zeit, als ein Urlaub auf den fernen Kanaren noch eine exklusive Angelegenheit war:

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Nash 321 Tourer auf Teneriffa; mit freundlicher Genehmigung von Matthias Kraus

Der Wunsch von Bildbesitzer Matthias Kraus nach Identifikation des  Tourenwagens musste mangels markanter Details zunächst unerfüllt bleiben.

Dass es sich wahrscheinlich um ein US-Fahrzeug handelte, das die Urlauber Anfang der 1930er Jahre als Taxi nutzten, war klar – in Ländern ohne eigene Autoproduktion dominierten vor dem Krieg meist Wagen amerikanischer Hersteller.

Doch erst der Erwerb des monumentalen Standard Catalog of American Cars von Clark/ Kimes ermöglichte eine umfassende Suche nach dem genauen Typ. Fündig wurde der Verfasser schließlich auf Seite 1.019/1.020 bei der 1917 gegründeten Marke Nash. 

Die Firma aus Wisconsin gehörte nie zu den ganz großen US-Herstellern, zählte aber zu den bestgeführten und solidesten und überstand selbst die Große Depression ohne finanzielle Probleme.

Kurz vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise – im Jahr 1928 – entstand der Nash, der auf dem alten Urlaubsfoto verewigt wurde.

Bei der Identifikation half keineswegs die Kühlerfigur, die ein Zubehörteil war, das wohl der Taxifahrer montiert hatte, sondern eine Reihe für sich genommen unscheinbarer Details:

  • die seitlichen Luftschlitze in der Motorhaube sind relativ weit unten angebracht
  • im Windlauf vor der Frontscheibe befinden sich auffallend kompakte Positionsleuchten
  • an den Vorderlampen ist nur der Scheinwerfering verchromt
  • die Scheibenräder sind nach außen gewölbt (nicht geschüsselt) und sind mit nur vier Radbolzen befestigt
  • die Kühlermaske ist schlank und schmucklos, der obere Abschluss ist leicht geschwungen

Diese Elemente in genau dieser Zusammenstellung finden sich nur beim Nash „Standard Six“ Series 320 von 1928.

Auf den kleinen Sechszylinder mit 45 PS verweisen die vier Radbolzen. Die größeren Modelle „Advanced Six“ und „Special Six“ mit 70 bzw. 52 PS besaßen sechs davon.

Der „Standard Six“ war in sechs Karosserievarianten verfügbar, der auf Teneriffa als Taxi eingesetzte offene Tourenwagen trug die Bezeichnung Series 321.

Mit 3-Gang-Getriebe und mechanischen Vierradbremsen war der Nash „Six“ zeitgemäß ausgestattet – Hydraulikbremsen besaßen damals nur gehobene Modelle.

Wieviele dieser Nash-typisch ausgezeichnet verarbeiteten, technisch anspruchslosen Tourenwagen entstanden, scheint nicht bekannt zu sein. Für alle Nash-Modelle des Jahrs 1928 sind jedenfalls über 100.000 Stück überliefert.

Das klingt gemessen am damaligen deutschen Automarkt gigantisch, war aber für US-Verhältnisse eher Merkmal eines Nischenherstellers.

Erst recht auf Teneriffa wird der Nash-Sechszylinder mit seiner stilsicheren Zweifarblackierung und den feinen Ledersitzen ein exklusives Vergnügen dargestellt haben, das sich wohl nur wohlhabende Gäste aus dem Ausland als Taxi leisten konnten.

Dass es damals bereits einen nennenswerten Automobilbestand auf der Insel gegeben haben muss, verrät jedoch folgender Bildausschnitt:

Hier sehen wir rechts am Bildrand eine Zapfsäule der amerikanischen „Mobiloil“, die unter anderem die Marke „Gargoyle“ im Programm hatte und zu der offenbar auch der Lastwagen im Hintergrund gehörte, der gerade Nachschub bringt.

Vielleicht erlaubt ja ein Detail der Tankstelle oder auch des übrigen Abzugs eine genaue Aussage darüber, wo auf Teneriffa das Bild entstanden ist.

Für Freunde klassischer Vorkriegsautomobile ist dieser Anblick aber auch so ein Genuss:

Neben den beiden Damen auf dem Rücksitz soll auch der Taxifahrer nicht unerwähnt bleiben – mit Einstecktuch, Krawatte und Manschettenhemd eine stilbewusste Erscheinung, die man heute in einer solchen Situation vergeblich suchen wird.

So gebührt unser Dank dem heutigen Besitzer dieser schönen Aufnahme, die uns einen Blick in eine untergegangene Welt erlaubt, wie ihn eben nur historische Fotos bieten.

Übrigens: Die Reise nach Teneriffa traten die Vorfahren von Matthias Kraus einst mit dem deutschen Transatlantikdampfer Columbus an. Dieses mächtige Schiff und seine Besatzung sollte noch ein ganz eigenes Schicksal erfahren, das hier erzählt wird:

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2 Gedanken zu „Ein Nash Six „Tourer“ von 1928 als Taxi auf Teneriffa

  1. Ja, wie bereits ausgeführt, war die Fahrerposition und -haltung damals eine andere, wie später auch bei Mini, Fiat, Alfa usw. Klagen darüber aus alter Zeit sind mir noch nicht begegnet.

  2. Die beengten Platzverhältnisse werden hier beim Taxi offenbar, denn mit der Hand am Lenkrad reicht der Ellenbogen fast bis zur Sitzlehne – eine Abwinkelung von 120-150° in der Armbeuge wäre so unmöglich (was bei einem Opel Manta oder Ford Capri problemlos möglich wäre, und erst recht im Taunus, Rekord oder Granada) Das Einsteigen war komfortabler als das Fahren …

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