Dunkles Geheimnis: Brennabor P 8/24 PS Spitzkühler

Als Betreiber eines Blogs für Vorkriegsautos sieht man sich bisweilen dem Vorwurf ausgesetzt, bloß an der Oberfläche zu kratzen und keine wirklichen Recherchen zu betreiben.

„Mal hinschreiben und gucken, was passiert“, so lautete jüngst die Unterstellung eines Buchautoren, der meine Kritik am schrägen Stil seines ansonsten sehr verdienstvollen Werks nicht verkraftete.

Das ist bedauerlich, denn an sich arbeiten wir Liebhaber von Vorkriegswagen doch alle an derselben Sache. Dass man mitunter nicht warm miteinander wird, ist aber menschlich und letztlich kein Drama.

Aus meiner Sicht macht man sich als Blogger angreifbarer als Verfasser gedruckter Bücher, da es im Netz weit einfacher ist, Kritik zu äußern. Ich sehe das jedoch positiv und meine, dass divergierende Ansichten die Mutter neuer Einsichten sind.

Heute möchte ich einige Fotos aus meiner Sammlung präsentieren, die das unterstreichen. Dabei geht es um eine deutsche Marke, deren Dokumentation gemessen an der einstigen Bedeutung als besonders desolat gelten darf: Brennabor.

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Brennabor-Reklame um 1914; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Dass unter diesem Namen in Brandenburg Havel neben Kinderwagen und Zweirädern einst auch Automobile von internationalem Ruf entstanden, wissen heute nur noch Spezialisten.

Erst recht nicht allgemein bekannt ist, dass Brennabor nach dem 1. Weltkrieg eine Weile sogar Deutschlands größter Hersteller von PKW war, bevor Opel vorbeizog. Das liegt auch daran, dass bis heute ein Standardwerk zu den Brennabor-Wagen fehlt.

So kommt es, dass es jede Menge Originalfotos der zehntausendfach gebauten Brennabor-Autos gibt, aber keine verlässliche Referenz in der Literatur. So ist man bei der Identifikation oft auf Mutmaßungen oder Indizienbeweise angewiesen.

Nehmen wir als Ausgangspunkt der heutigen Betrachtung das folgende schöne Foto:

Brennabor Typ P 8/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser klassische Tourer der frühen 1920er Jahre ist der erste Brennabor, den ich in meinem Blog besprochen habe. Dabei war gerade seine Identifikation besonders schwierig.

Auf den ersten Blick besitzt das Fahrzeug keinerlei auffallende Merkmale. Doch gerade das Fehlen markanter Schmuckelemente und die vollkommene Sachlichkeit liefern den Schlüssel zur Identifikation.

Betrachten wir dazu den Vorderwagen näher:

Hier fälllt folgendes auf:

  • Das Kühlergehäuse ist in Wagenfarbe gehalten, desgleichen die Nabenkappen und die Fixierung der Motorhaube,
  • die Motorhaube kommt ganz ohne Luftschlitze aus,
  • der Windlauf ist in etwa halb so lang wie die Haube,
  • die Räder besitzen 10 Speichen und vier (wohl) vernickelte Radmuttern,
  • die Frontscheibe ist schräggestellt und mittig unterteilt,
  • das Lenkrad befindet sich rechts, Schalt- und Handbremshebel liegen außen.

Für sich genommen finden sich die meisten dieser Details an zahlreichen deutschen Wagen der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg.

Doch in der Kombination deuten diese Elemente – speziell die Haube ohne Luftschlitze – auf den Typ P von Brennabor hin, der laut Literatur ab 1919 bzw. 1921 in den Motorisierungen 8/24 PS und später 8/32 PS gebaut wurde.

Hier haben wir nun ein weiteres solches Exemplar:

Brennabor Typ P 8/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Wagen stimmt in allen Details mit dem Tourer auf der ersten Aufnahme überein.

Auch hier ist der Blick auf den Vorderwagen trotz der mäßigen Qualität des Abzugs aufschlussreich – speziell die Gestaltung der Partie unterhalb der Frontscheibe sollte beim Abgleich mit dem ersten Foto etwaige Zweifel ausräumen:

Der Vorderwagen findet sich praktisch identisch auf einer Prospektabbildung im „Oswald“ („Deutsche Autos 1920-45“), dort mit der Typbezeichnung 8/32 PS und der Jahresangabe 1926.

Außerdem zeigt sich dasselbe Erscheinungsbild auf folgender Reklame von 1924, als der Brennabor noch als Typ P 8/24 PS firmierte:

Brennabor-Reklame von 1924; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Wir können daraus schließen, dass sich die beiden aufeinanderfolgenden Motorenvarianten 8/24 PS und 8/32 PS des Brennabor Typ P äußerlich kaum unterschieden.

Übrigens kennt das weit über 40 Jahre alte Werk von Heinrich von Fersen („Autos in Deutschland 1920-1939“) nur den Typ 8/32 PS, der angeblich ab 1921 gebaut wurde.

Vermutlich ist die anfangs schwächere Motorisierung 8/24 PS inkludiert. Doch ist die abweichende Angabe für den Beginn der Baureihe P (1921 statt 1919) auffallend.

Tatsächlich liefert uns der „Fersen“ damit bei aller sonst gegebenen Ungenauigkeit dieses Werks eine wichtige Detailinformation. Offenbar scheint es 1919/20 ein weiteres Modell gegeben zu haben.

Erwähnt ist es zwar weder im „Fersen“ noch im „Oswald“, aber in der 1995 erschienen Broschüre „Brennabor-Werke Brandenburg (Havel) von Kreschel/Mertink. Zu verdanken habe ich die kompakte Darstellung Leser Helmut Kasimirowicz.

Dort ist auf Seite 26 ein Brennabor des Typs P von 1920 (!) mit Motorisierung 9/24 PS (statt 8/24 PS) zu sehen, der heute noch existiert (Besitzer damals: Karl Heinz Pohl, Bonn). Als Besonderheit weist er neben dem größeren Hubraum einen Spitzkühler auf!

Genau solch einen Wagen mit allen Merkmalen des Brennabor Typs P – ebenfalls mit Spitzkühler – konnte ich nun in meinem Bestand ungeklärter Autofotos identifizieren:

Brennabor Typ P 8 oder 9/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier ist übrigens ein weiteres Merkmal aller Brennabor-Wagen des P-Typs besonders gut zu erkennen: das nach hinten versetzte – nur ansatzweise der Radform folgende – Vorderschutzblech.

Bei nochmaliger Betrachtung der weiter oben gezeigten Wagen wird man dieses Detail ebenfalls bemerken.

Zwar ist die Brennabor-Plakette auf dem Kühler auch im Original nicht klar lesbar. Doch lässt sich trotz des dem Vorbild von Benz nachgebildeten Kühler ein Benz-Wagen ausschließen – das Fehlen von Luftschlitzen ist dabei entscheidend.

Dieses Foto und die Aufnahme in der erwähnten Broschüre spricht dafür, dass Brennabor direkt nach dem 1. Weltkrieg die damals hierzulande noch gängige Spitzkühlermode vorübergehend aufgriff.

Damit scheint ein etwas größerer Motor der 9/24 PS-Klasse kombiniert worden zu sein, wenn man der Broschüre von 1995 trauen kann. Zu vermuten ist, dass man 1921 mit der Verwendung des 8/24 PS-Motors auch den Flachkühler einführte.

Natürlich stehen diese Annahmen unter Vorbehalt.

Denkbar ist, dass die Angabe 9/24 PS statt 8/24 PS für den Brennabor mit Spitzkühler in der Broschüre ein Fehler ist. Möglichweise waren Spitz- und Flachkühler anfänglich parallel erhältlich – wie das bei den Benz-Wagen jener Zeit der Fall war.

Sachkundige Ergänzungen und Korrekturen sind wie immer willkommen. Gerade im Hinblick auf Brennabor kann jedes Detail zu neuen Erkenntnissen oder zur Absicherung bisheriger Vermutungen führen.

Das war nun ein Thema, das wohl nur die Brennabor-Freunde erfreuen oder ggf. auch in Wallung bringen kann. Doch auf alle Leser, die bis hier durchgehalten haben, wartet eine Belohnung!

Auch wenn es fast ein Kandidat für den Fund des Monats wäre, will ich ein weiteres Foto eines Spitzkühlermodells des Brennabor P-Typs nicht für mich behalten:

Brennabor Typ P 8 oder 9/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese sicherlich von einem Berufsfotografen angefertigte Aufnahme zeigt eine Familie von Urlaubern mit ihrem Brennabor vor der Kaiser-Friedrich-Seebrücke im Ostsee-Badeort Misdroy auf der Insel Wollin (heute Polen).

Bei diesem Dokument handelt es sich um das detailreichste Foto eines Brennabor-Spitzkühlermodells, das mir bislang in der Literatur oder auch im Netz begegnet ist.

Hier die Frontpartie in der Ausschnittsvergrößerung:

Alle zuvor erwähnten Feinheiten des Modells sind hier in wünschenswerter Deutlichkeit zu erkennen. Die Stoßstange mit modernem Teleskop-Aufprallschutz war ein zeitgenössisches Zubehör – nicht schön, aber wirksam.

Etwas unheimlich wirkt der ansonsten komplett dunkel gehaltene Brennabor hier schon. Tatsächlich birgt dieses Modell ein Geheimnis, das bislang nicht gelüftet worden ist.

Befand sich unter der glattflächigen Haube, die ganz ohne Luftschlitze auskam, tatsächlich der nur in der Brennabor-Broschüre von 1995 erwähnte 9/24 PS Motor oder das in der sonstigen Literatur erwähnte 8/24 PS-Aggregat?

Und baute Brennabor vor 1921 wirklich schon Exemplare des P-Typs hier mit Spitzkühler? Auf der einschlägigen Brennabor-Website heißt es nämlich, dass der P-Typ zwar 1919 vorgestellt wurde, die Fertigung aber erst 1921 begann.

So bleibt diese Episode der abwechslungsreichen und bis heute unaufgearbeiteten Geschichte der Brennabor-Automobile vorerst ein dunkles Geheimnis.

Unklar ist auch, wer sich einst mit dem Brennabor am Ostseestrand hat ablichten lassen:

Das waren zweifellos gutsituierte Leute, die sich für den Urlaub an der See und diese Aufnahme feingemacht hatten.

Hier war sicher die formatfüllende Mutter in der Mitte tonangebend – als einzige lässt sie den Blick selbstbewusst in die Ferne gehen. Was mag sie in diesem Moment beschäftigt haben?

War womöglich eines der Kinder auf dem Familienfoto ihr eigenes dunkles Geheimnis? Natürlich ist es nur eine Mutmaßung, aber der großgewachsene Jüngling mag so gar nicht zu den übrigen Geschwistern passen…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „Dunkles Geheimnis: Brennabor P 8/24 PS Spitzkühler

  1. Guten Tag, ich habe ein Foto von meinem Grossvater in seinem Brennabor mit Spitzkühler damals in Roeselare, Belgien. Meine Großmutter erzählte mir später dass es ein Brennabor war. Die von Ihnen genannte Merkmale stimmen; Kühlergehäuse in Wagenfarbe, Motorhaube ohne Luftschlitze, Räder mit 10 Speichen, nach hinten versetzte Vorderschutz, schräge Frontscheibe usw.
    Mein Großvater hatte eine Transportfirma und ich habe auch ein Foto von einem LKW, vermutlich ein NAG mit ovalrundem Kühler und holzerne Kabine,

    MfG Yves Sarre, Brugge- Belgien

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