Verschwunden und vergessen? Nicht ganz: Dürkopp P8

Im fünften Jahr schreibe ich nun an diesem Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos. Rund 2.500 Leser nehmen daran im Monatsschnitt Anteil.

Nebenher sind viele wertvolle, oft freundschaftliche Kontakte mit Gleichgesinnten im gesamten deutschsprachigen Raum entstanden, die ohne das Internet kaum – oder zumindest nicht so schnell – zustandegekommen wären.

So erfreulich und ermutigend das ist, so bedauerlich finde ich, dass sich für einige deutsche Marken niemand mehr zuständig fühlt. Natürlich gibt es Kenner für untergegangene Hersteller wie Adler, AGA, Brennabor und Dixi, für Ley, MAF, Steiger und Stoewer – doch schon bei DUX, NAG, Phänomen, Presto und Protos wird es dünn.

Zu den kaum begreiflichen Leerstellen in dieser Hinsicht gehört die Automobilproduktion eines weiteren Herstellers: Dürkopp.

Zwar sind die Hauptprodukte der Traditionsfirma aus Bielefeld – Nähmaschinen und Zweiräder – gut dokumentiert. Doch Dürkopp hat 30 Jahre lang auch Autos gebaut (bis 1927) – in der Literatur ist dennoch fast kein Foto davon zu finden.

Im Netz herrscht ebenfalls weitgehend Fehlanzeige. Verschwunden und vergessen scheint die Automarke Dürkopp zu sein. Doch nicht ganz – in meinem Blog findet sich mittlerweile eine eigene Fotogalerie dazu – die langsam, aber stetig wächst.

Zuletzt hatte ich dieses Prachtexemplar vorgestellt – eine Dürkopp-Limousine Typ P10:

Dürkopp_P10_Spitzkühler_und_Opel_Galerie

Dürkopp Typ P10 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das ausführliche Porträt dieses mächtigen Wagens ist hier zu finden.

Heute möchte ich gleich zwei Neuzugänge in der Dürkopp-Galerie vorstellen. Der eine mag auf den ersten Blick etwas unscheinbar wirken, was der mäßigen Qualität des Abzugs geschuldet ist. Der zweite wird umso eindrucksvoller ausfallen.

Ihren Reiz als Zeitdokumente haben aber beide Fotos – hier das erste davon:

Dürkopp 8/32 PS Typ P8A; Orignalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Unabhängig davon, was hier für ein Auto zu sehen ist und wo die Aufnahme entstanden ist: Solche Bilder macht heute niemand mehr.

Sich mit Familie und Freunden um das Automobil zu versammeln, sich in Pose zu werfen und sich für die Nachwelt ablichten zu lassen – das ist heutigen Autobesitzern vermutlich so fremd wie die korrekte Einstellung des Zündzeitpunkts.

Fotos wie dieses erzählen davon, welche enorme Errungenschaft das Aufkommen des Automobils für unsere Vorfahren einst bedeutete. Besonders gern hielt man still, wenn man in einem so ausgezeichneten Wagen aufgenommen wurde:

Der Wagen mit der sportlich geneigten, mittig unterteilten Windschutzscheibe und der langen, leicht abfallenden Motorhaube ist eindeutig als Dürkopp zu identifizieren.

Auf beiden Seiten des moderaten Spitzkühlers ist ein verspieltes „D“ zu erahnen, wie es typisch für die Wagen der Bielefelder Dürkopp-Werke war.

Dieses Detail und die 15 Luftschlitze in der Motorhaube finden sich an einem anderen Dürkopp wieder, dessen Konterfei ich vor längerer Zeit hier besprochen habe:

Dürkopp 8/32 PS Typ P8A; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier ist das erwähnte Dürkopp-„D“ schon besser zu erkennen. Die Zahl der Luftschlitze lässt sich ohne weiteres auf 15 ergänzen.

Allerdings steht die zweigeteilte Frontscheibe hier noch fast senkrecht – die Drahtspeichenräder scheinen ein nachgerüstetes Zubehör zu sein, zumindest werden sie in der Standardliteratur (Werner Oswald: Deutsche Autos 1920-1945) nicht erwähnt.

Schaut man genau hin, erkennt man hinter dem Ersatzrad genau dieselbe glänzende Lochblende, die auf dem vorherigen Foto vor der A-Säule zu sehen ist. Die meisten übrigen Details stimmen ebenfalls überein.

Wenn wir schon bei der erwähnten Lochblende sind, die der Belüftung des vom Motor aufgeheizten Fußraums diente – auf folgender Aufnahme findet sie sich wieder:

Dürkopp 8/32 PS Typ P8A; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Über den Anlass der Aufnahme – eine Hochzeit – müssen wir nicht viel spekulieren. Leider konnte ich den Aufnahmeort bislang nicht identifizieren.

Offenbar steht der Dürkopp vor dem Seitenportal einer mächtigen gotischen Kirche. Merkwürdig ist die geneigte, schmucklose Mauer aus hellen Kalksteinquadern daneben, die man eher als Teil einer Stadtumwehrung einordnen würde.

Oder stützt sie einen erhalten gebliebenen Teil eines romanischen Vorgängerbaus der Kirche ab? Wer dazu eine Idee hat, nutze bitte die Kommentarfunktion.

Zurück zum Dürkopp:

Auch hier haben wir wieder Drahtspeichenräder, diesmal aber in Kombination mit einer markanten Zentralverschlussmutter, deren Form mir in der Vorkriegszeit bislang andernorts noch nicht begegnet ist – weiß jemand etwas dazu?

Auffallend ist auch der Ersatzreifen, der noch wie ein Überbleibsel aus der automobilen Frühzeit wirkt, als dem Reifengummi noch kein Ruß beigemischt wurde, weshalb die Reifen hellbeige statt schwarz war.

Allerdings kann auch das Reflektionsverhalten des Ersatzreifens ein anderes gewesen sein als das der im Einsatz befindlichen Reifen. Bei einem Schwarz-Weiß-Foto kann dies erhebliche Auswirkungen auf den realisierten Grauwert haben.

Auch hier haben wir übrigens eine Version mit senkrecht stehender Frontscheibe. Ob das ein Kennzeichen früher Ausführungen des ab 1924 gebauten Dürkopp Typ 8/32 PS war oder nicht, muss vorerst offenbleiben.

Und noch etwas ist nicht gesichert: Dass es sich überhaupt um einen Typ P8 8/32 PS von Dürkopp handelt. Die Ausführung mit den (rund) 15 Luftschlitzen ist nämlich in der mir zugänglichen Literatur nirgends abgebildet.

Nur der Vorgänger Dürkopp Typ P 8/24 PS mit vier Luftschlitzen ist dort dokumentiert. Ein mutmaßliches Exemplar davon konnte ich vor längerer Zeit hier unter Vorbehalt dingfest machen.

Zwar heißt es, nur der Typ P8 habe „zahlenmäßig eine gewisse Bedeutung“ erlangt, was die Annahme erlaubt, dass die meisten erhaltenen Fotos von Dürkopp-Wagen der 1920er Jahre dieses Modell zeigen.

Doch gab es daneben bis 1926 auch einen großen Typ P12 mit 12/45 PS-Sechsyzlinder. Davon konnte ich bisher keine Spuren finden, sodass es an Vergleichsmaterial fehlt. Das kann sich aber ändern, wie mich meine Erfahrung lehrt.

Ein abschließendes Urteil „verschwunden und vergessen“ ist jedenfalls unangebracht, das zeigen schon die bisher unpublizierten Fotos, die ich bislang von den einst so wirkungsvollen Dürkopp-Wagen zusammentragen konnte.

Was aber mag vor über 90 Jahren die junge Braut so nachdenklich oder missmutig gestimmt haben, dass sie nicht einmal in die Kamera schauen mochte?

Auch die übrigen Herrschaften zeigen sich eher ernst – nur der Chauffeur lächelt pflichtschuldig ins Objektiv. Ihm konnte ja auch egal sein, was die Atmosphäre auf der Rückbank möglicherweise verdüsterte.

Hauptsache, der Dürkopp verrichtet unauffällig seinen Dienst, mag er sich gedacht haben.

Dafür werden die Techniker und Arbeiter des Bielefelder Maschinenbauers schon gesorgt haben. Vielleicht erfährt deren Leistung im Automobilbau ja irgendwann doch noch eine angemessene Gesamtwürdigung…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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