Familienbande: Horch 8 Typ 303 „Pullman“

Das letzte Modell der sächsischen Luxusmarke Horch, das ich anhand eines zeitgenössischen Fotos vorgestellt habe, war ein Vierzylindertyp aus der Zeit unmittelbar vor dem 1. Weltkrieg (Porträt hier).

Gut zehn Jahre später – Ende 1926 – präsentierte Horch seinen ersten Achtzylinderwagen. Dabei hatte man Aufwand nicht gespart, denn das 3,1 Liter Aggregat besaß zwei obenliegende Nockenwellen, die den Ventilantrieb denkbar präzise bewerkstelligten.

Der Aufwand bei Entwicklung und Bau der Achtzylindermodelle hatte zwar seinen Preis, dennoch war der Erfolg am Markt beachtlich: Rund 3.500 Exemplare dieser Wagen wurden während der kurzen Bauzeit der ersten Serie (1927/28) an den Mann gebracht.

In diesem Zeitraum wurden die Typen 303, 304 und 305 angeboten, die sich von der Leistung kaum unterschieden (60 bis 65 PS) und auch äußerlich recht ähnlich waren.

Speziell der Ursprungsversion 303 (und dem mit kürzerem Chassis angebotenen Typ 304) sah man an ihre technische Klasse keineswegs an – sie orientierte sich optisch noch stark am vierzylindrigen Vorgänger 10/50 PS.

Hier ein Ausschnitt aus einem Foto, das ich vor längerem vorgestellt habe und einen solchen Horch des frühen Achtzylindertyps 303/304 zeigt:

Typisch sind der äußerst schlicht gehaltene Kühlergrill, das Fehlen von Stoßstangen und die stark profilierten, aus zwei Elementen zusammengesetzten Vorderkotflügel.

Die Kühlerfigur – eine geflügelte Weltkugel – stammt aus späterer Zeit, sie wurde erst 1929 beim Horch 375 eingeführt.

So schlicht der Wagen hier auch wirkt, lässt die Anwesenheit eines gutgelaunten Chauffeurs bereits ahnen, dass das kein Brot- und Butter-Wagen gewesen sein kann, obwohl er in den USA damals dafür durchgegangen wäre, äußerlich jedenfalls.

Die beiden modisch gekleideten Damen, die damit unterwegs waren, gehörten zweifellos zur „besseren“ Gesellschaft – zumindest, was Geldbeutel und Geschmack anging:

Horch Typ 303 oder 304 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die mit dem Typ 303 begründete Achtzylinder-Familie von Horch war eine weitverzweigte und es ist nicht immer einfach, jedes Modell, das auf alten Fotos die Zeiten überdauert hat, in den komplizierten Stammbaum einzufügen.

Das liegt nicht am Mangel an umfassender und detailgenauer Literatur – tatsächlich ist die Marke im Standardwerk „Horch – Typen, Technik, Modelle“ von Kirchberg/Pönisch (Verlag Delius-Klasing, 2011) vorbildlich dokumentiert.

Doch wie in jeder Familie gibt es immer wieder Vertreter, die ein wenig „aus der Art schlagen“ – und sei es, weil sie eine Spezialkarosserie besitzen.

Aufgrund dieser Komplexität bin ich bislang bei der Dokumentation der Horch-Achtzylinderwagen auf alten Fotos bisher auch kaum über die bis Anfang der 1930er Jahre gebauten Typen hinausgekommen.

Das wird sich irgendwann ändern, ausreichend Fotomaterial ist vorhanden, doch tauchen immer wieder Aufnahmen der frühen Typen auf, die ich fesselnd finde, gerade weil sie im Unterschied zu den späteren Luxuskarossen fast vergessen sind.

Es wäre doch schade, wenn man solchen schönen Dokumenten wie dem folgenden nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenken würde:

Horch 8 Typ 303 (evtl. auch 305) Pullman-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Dieses reizende Familienfoto aus der Sammlung von Klaas Dierks (Hamburg) ist für mich ein fast ideales Beispiel für ein gelungenes Autofoto:

Der Wagen ist aus vorteilhafter Perspektive – schräg von vorn – aufgenommen und die eindrucksvolle Kühlerpartie wurde freigelassen. Stattdessen ist die titelgebende „Familienbande“ entlang des Seitenteils aufgereiht.

Reichlich Platz für diese fünf Personen aus drei Generationen war vorhanden. Hier haben wir nämlich den Typ 303 mit langem Radstand (3,45 m) und Aufbau als sechsfenstriger „Pullman“-Limousine vor uns, die außer für die Porträtierten auch für den Fotografen und bei Bedarf noch eine Person Platz bot.

Denkbar ist auch, dass es sich um ein frühes Exemplar des fast identischen Typs 305 handelt, der ab 1928 eine Kühlerfigur in Form eines geflügelten Pfeils erhielt.

Einen Siebensitzer so majestätisch zu gestalten wäre mit der heutigen Designsprache (sofern man davon sprechen kann) heute nicht mehr möglich. Allerdings würde man sich ohnehin nicht mehr so vor dem vierrädrigen Gefährten ablichten lassen.

Vor dem Krieg und noch eine ganze Weile danach war das eigene Automobil dagegen quasi ein Familienmitglied, das lediglich aus Platzgründen in der Garage wohnte.

Die unzähligen Fotos, die genau solche Situationen wie auf dem hier präsentierten Foto wiedergeben, erzählen von dem heute unvorstellbaren Stellenwert, den ein derartiges Auto im damaligen Deutschland einnahm.

Es war ganz selbstverständlich, dass auch der Wagen mit auf das Familienfoto kommt. Er war ein geschätzter Begleiter, dem man eine exklusive Bewegungsfreiheit verdankt, die für die allermeisten ein unerfüllbarer Traum blieb.

Das Versprechen des Automobils – den Besitzer zum Herrn über Raum und Geschwindigkeit zu machen – war damals noch ungetrübt. In den längst heillos überbevölkerten Ballungsräumen Europas ist davon nichts mehr übriggeblieben.

Nur der glückliche Klassikerbesitzer auf dem Lande kann das ursprüngliche Erlebnis noch heute erfahren – dazu passend für die Liebhaber späterer Horch-Achtzylinder dieser Vorgeschmack auf ein künftiges Porträt

Horch 853 A; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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