Nicht selten, aber schön: Horch Typ 10/50 PS

„Nicht schön, aber selten“, so lautet eine Redewendung im Deutschen, mit der man in ironischer Absicht etwas dafür lobt, dass es zwar nicht gelungen ist, aber wenigstens eine Rarität darstellt – zum Glück, möchte man sich hinzudenken.

Interessanterweise konnte ich nichts über die Herkunft dieses spöttischen Spruchs herausfinden. Ich schätze aber, dass er eher neueren Datums ist, also vielleicht in den 1960/70er Jahren aufkam.

Wer mehr darüber weiß, kann auch das über die Kommentarfunktion mitteilen, in der im übrigen alles erlaubt ist, solange es gewisse sprachliche Mindestanforderungen erfüllt.

Ganz das Gegenteil – „Nicht selten, aber schön“ ist indessen das Fahrzeug, von dem ich heute zwei „neue“ Aufnahmen zeigen möchte. Sie mögen nicht sonderlich spektakulär sein, helfen aber den Blick für die Details des abgebildeten Wagens schärfen.

Wieder einmal geht es um den Horch Typ 10/50 PS, der Mitte der 1920er Jahre das einzige Modell der Zwickauer Luxusmarke war.

Mit Horch werden verständlicherweise meist die herrlichen Achtzylinderwagen der 30er Jahre in Verbindung gebracht. Hier ein Vorgeschmack auf eines dieser majestätischen Automobile, die ich in meinem Blog bislang für die Zukunft „aufgespart“ habe:

Hoch 853 A Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Damit kann zwar der Horch-Typ 10/50 PS auf den ersten Blick nicht mithalten, um den es heute geht – er begnügte sich mit einem Vierzylindermotor.

Wie der oben nur ausschnitthaft abgebildete Horch 853 A wies er aber genügend formale Details auf, die ebenfalls eine Identifikation selbst dann erlauben, wenn der Wagen nur teilweise wiedergegeben ist.

Keines dieser Elemente ist für sich genommen ausreichend für eine präzise Typansprache, erst das Nebeneinander mehrerer Charakteristika erlaubt eine Identifikation. Die Fotos, die ich heute zeige, machen das deutlich.

Beginnen wir mit einer vor längerem vorgestellten Aufnahme eines Vierzylinder-Horch 10/50 PS, wie er von Ende 1924 bis Ende 1926 in über zweitausend Exemplaren entstand – bis dahin das meistgebaute Modell der Zwickauer:

Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man präge sich auf dieser winterlichen Aufnahme folgende Details ein: die auf die unteren zwei Drittel der Motorhaube beschränkten Luftschlitze, die Nabenkappe mit sechs Radbolzen, die Ausführung der mittig und horizontal unterteilten Windschutzscheibe und die Gestaltung der Trittschutzbleche am Schweller unterhalb der Türen.

Davon abgesehen wirkt der Aufbau vollkommen austauschbar – so sahen zahllose Tourer von Herstellern aus dem deutschsprachigen Raum Mitte der 1920er Jahre aus.

Einige der erwähnten Elemente findet man auf folgender Aufnahme wieder, die zusätzlich den Kühler erkennen lässt, auf dem schemenhaft ein gekröntes „H“ zu sehen ist:

Horch 10/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Markant ist hier die Gestaltung des Kühleroberteils, die etwas an Rolls-Royce erinnert. Tatsächlich verwendeten in den 1920er Jahren auch andere Hersteller – vor allem in Italien – die klassische Tempelfront mit Dreiecksgiebel als Inspiration.

Ein weiteres Element ist auf folgender Aufnahme zu sehen, die Matthias Schmidt (Dresden) zur Verfügung gestellt hat – eine Kühlerfigur in Form eines geflügelten Pfeils:

Horch 10/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Das Beispiel mag veranschaulichen, wie ein einzelnes Detail bei der Bestimmung eines Vorkriegsautos in die Irre führen kann. Die Kühlerfigur wurde nämlich erst bei den ab 1927 gebauten Achtzylindertypen von Horch eingeführt.

Hier hat sie jemand nachträglich an seinem Horch 10/50 PS montiert, was einst keineswegs unüblich war.

Während selbsternannte Originalitätswächter heute eine solche Kühlerfigur an einem erhaltenen Horch 10/50 PS sofort zum Tabu erklären würden, entspräche sie tatsächlich einem dokumentierten zeitgenössischen Zustand – wie auch die Dellen im Kotflügel…

Ein überlebender Horch 10/50 PS wäre mit solchen zeitbedingten „Zutaten“ sicher ebenso als original anzusehen, wie ein in Neuzustand versetzter entsprechender Wagen – hier eines der ganz seltenen Exemplare, das „Audi Tradition“ wiederhergestellt hat:

Horch 10/50 PS; Bildrechte: Michael Schlenger

Hier lässt sich nun das bei diesem Modell neu eingeführte Horch-Logo genau studieren. Die „Krone“ über dem „H“ ist tatsächlich aus dem Markennamen zusammengesetzt – ein schlichter, aber gelungener Effekt, wie ich finde.

Man mag auf dieser Aufnahme die typische Unterteilung der Frontscheibe vermissen, doch sehen wir sie gleich ebenso wieder wie die auffallende Gestaltung der Motorhaube mit den das obere Drittel aussparenden Luftschlitzen:

Horch 10/50 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Auf dieser bis dato unpublizierten Aufnahme ist gerade noch das „H“ auf dem Kühler zu erkennen, was in Verbindung mit der Gestaltung von Haube und Frontscheibe eine klare Ansprache als Horch 10/50 PS ermöglicht.

„Neu“ sind allerdings die Drahtspeichenräder, die optional erhältlich waren und den Wagen sportlicher wirken ließen. Im Alltag auf meist unzureichend befestigten Straßen dürften die robusten Stahlspeichenräder die bessere Wahl gewesen sein.

Diese Bilder vermitteln eine Vorstellung des typischen Erscheinungsbilds des Horch 10/50 PS, lassen aber auch eine gewisse Variabilität im Detail erkennen, die es im Hinterkopf zu behalten gilt.

Mit solchermaßen geschärftem Blick wenden wir uns nun dem zweiten Foto eines Horch 10/50 PS zu, das ich kürzlich meiner Sammlung einverleiben konnte. Ohne die Beschäftigung mit den diversen Varianten des Typs wäre die Identifikation vielleicht schwergefallen, doch so ist sie ein Kinderspiel:

Horch 10/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nicht selten, aber schön – das muss man bei diesem geglückten Foto einfach feststellen. Die Aufnahme stellt die Passagiere und den Fahrer des Wagens in den Mittelpunkt, dennoch sieht man genug, um mit Gewissheit sagen zu können: Ein Horch 10/50 PS.

Über die Haubenpartie muss ich nicht mehr viele Worte verlieren, außer vielleicht, dass man hier besonders gut sieht, wie sich das Profil des klassischen Kühlers bis zur Windschutzscheibe fortsetzt – ein Effekt, der dem Vorderteil des ansonsten vollkommen schlicht gezeichneten Wagens Spannung und Körperhaftigkeit gibt.

Von den Vorderrädern sieht man gerade noch die mächtigen Bremstrommeln, die der Horch 10/50 PS vom Beginn der Produktion im Dezember 1924 an besaß.

Die Nabenkappe mit den sechs Radbolzen ist am Hinterrad zu erkennen, der Feststellgriff des Ersatzrads entspricht ebenso den Verhältnissen auf den übrigen Fotos wie die erwähnten durchbrochenen Bleche am Schweller, die Beschädigungen des Lacks beim Einsteigen vorbeugen sollten.

Absolut übereinstimmend – wenn auch nicht marken- oder typspezifisch ist die minimalistische Ausführung der Seitenlinie, wie sie typisch für den sachlichen Stil ab Mitte der 1920er Jahre ist. Noch schlichter geht es nicht und zum Glück besann man sich ab 1930 wieder auf eine gefälligere Linienführung an der Fahrzeugflanke.

Die opulenten Formen der späteren Horch-Modelle müssen aber noch warten. Zum Abschluss ein Vorgeschmack darauf, der an das eingangs gezeigte Beispiel anknüpft:

Horch 853 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Knapp zehn Jahre liegen zwischen dem nüchternen Horch 10/50 PS und diesem sinnlich geformten Blechkunstwerk, für das bis heute gilt: Nicht nur schön, sondern auch selten…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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