Große Klasse: Ein Fiat 501 als Limousine

Was der Titel meines heutigen Blog-Eintrags so „groß“ ankündigt, war zwar einst nur ein Automobil der Einsteigerklasse – doch „große Klasse“ verkörpert der Wagen, um den es geht, auf jeden Fall.

Große Klasse war natürlich schon der wirtschaftliche Erfolg des 1919 vorgestellten Fiat 501 – er sollte der erste Großserienwagen der Turiner Marke werden, die sich vor dem 1. Weltkrieg auf das höherpreisige Segment konzentriert hatte.

Nach amerikanischem Vorbild trimmte Fiat das neue Modell von vornherein auf Massenproduktion und nutzte die im 1. Weltkrieg gewonnenen Erfahrungen mit großindustrieller Herstellung genormter Bauteile konsequent.

Dabei mied man es, sich mit technischen Schmankerln oder Sonderwegen auf den Markt zu wagen. Vor allem robust, zuverlässig und sparsam sollte der Fiat 501 werden.

Dazu begnügte man sich mit einem 23 PS leistenden Vierzylinder konventioneller Bauart (Seitenventiler), der 1,5 Liter Hubraum besaß. 70 km/h Spitze waren damit erzielbar.

Der Erfolg des Konzepts war für einen europäischen Hersteller beispiellos: Rund 80.000 Exemplare entstanden bis 1926 vom Fiat 501. Ein Großteil davon ging in den Export, denn Italien war damals ein bitterarmes Land mit noch geringerer Autodichte als Deutschland.

Wenn man zeitgenössische Fotos als Maßstab heranzieht, wurde der Fiat 501 hauptsächlich als Tourenwagen gekauft – das war die preisgünstigste Variante. Hier ein Beispiel aus meiner Sammlung mit Zulassung in Österreich:

Fiat 501 Tourer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Typisch für alle Fiats der ersten Hälfte der 1920er Jahre war der birnenförmige Kühler, der auch dann eine Identifikation erlaubt, wenn das Markenemblem wie hier nicht lesbar ist.

Ein weiteres Erkennungsmerkmal war die Gestaltung der Motorhaube mit nur knapp über die Mitte reichenden Luftschlitzen. Die gedrungenen Proportionen und weitere kleine Details erlauben die Ansprache als Basismodell 501.

Die zeitgleich angebotenen stärkeren Typen 505 (2,3 Liter Vierzylinder) und 510 (3,5 Liter Sechszylinder) lassen sich trotz ähnlicher Grundform meist recht gut davon unterscheiden.

Neben dem klassischen Tourer war der Fiat 501 auch in hübschen Zweisitzerversionen (mit Notsitz im Heck) erhältlich – hier ein Foto, das ich ebenfalls bereits gezeigt habe:

Fiat 501 „Spider“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ob diese von Fiat als „Spider“ bezeichnete Ausführung ihren Aufbau möglicherweise erst im Land des Käufers erhielt (hier: Deutschland, Zulassung: Raum Berlin), vermag ich nicht zu sagen. Die Doppelstoßstangen und die vollverchromten Scheinwerfer deuten jedenfalls auf eine spätere Modernisierung des Autos hin.

Einen ganz besonderen Aufbau auf Basis des für seine Nehmerqualitäten geschätzten Autos habe ich hier vorgestellt. Jedenfalls zeigen alle mir bisher „zugelaufenen“ Originalfotos (einschließlich solcher von Lesern) offene Ausführungen des Fiat 501.

Umso erfreuter war ich, als ich kürzlich eine Aufnahme für kleines Geld erstehen konnte, die im wahrsten Sinne des Wortes „große Klasse“ ist. Denn sie zeigt die seltene – und besonders teure – Ausführung des Fiat 501 als großzügige Sechsfenster-Limousine:

Fiat 501 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sind alle typspezifischen Details in wünschenswerter Klarheit zu erkennen. Leider ist das Kennzeichen teilweise verdeckt, sodass nur die Zulassung in Westfalen gesichert ist.

Nicht ganz klar war mir anfänglich nur, ob dies sogar eine Sechsfenster-Limousine sein kann. Doch zum Glück findet sich in Wolfgang Schmarbecks Klassiker „Alle Fiat Automobile“ (2. Auflage 1986) auf Seite 46 eine Prospektabbildung, die einen praktisch identischen Typ 501 mit insgesamt sechs Seitenfenstern zeigt.

Das ist ein zweifellos ein schöner Fund und so bald werden wir keiner zweiten Aufnahme dieser Güte begegnen, die einen so aufwendigen Limousinenaufbau auf Basis des wackeren Fiat 501 zeigt.

Nicht ausschließen möchte ich, dass wir es hier mit einer Version zu tun haben, die einen um 10 Zentimeter längeren Radstand aufwies, die Bezeichnung Fiat 502 trug, aber ansonsten vollkommen dem Typ 501 entsprochen zu haben scheint.

Große Klasse ist aber nicht zuletzt auch die fotografische Qualität dieses Dokuments:

Der Fotograf dürfte ein Profi gewesen sein. Dafür spricht neben Bildaufbau und günstiger Perspektive die Tatsache, dass er durch die oben ausgestellte Frontscheibe die freundlich lächelnde junge Dame am Steuer ins Visier nahm.

So etwas bekamen Amateure damals kaum hin, die sich die Spiegeleffekte bei geschlossener Scheibe nicht vorstellen konnte, da das Auge sie teilweise ausgleicht.

Im Juni 1926 ist diese schöne Situation festgehalten worden, so ist es von alter Hand auf der Rückseite des Abzugs vermerkt. Vielleicht war die hübsche Fiat-Lenkerin damals gerade 20 – und unwillkürlich fragt man sich: Was hat das Schicksal für sie bereitgehalten?

Wenn man jung ist, denkt man ja nicht daran, dass es für das Leben, wie man es kennt, keine Bestandsgarantie gibt. Dieser Gedanke dürfte aber auch die mutmaßlichen Eltern neben dem Wagen kaum beschäftigt haben:

„Große Klasse“, so mag das Dasein den beiden zum Zeitpunkt dieser Aufnahme erschienen sein, möchte man meinen.

Der Besitz eines solchen Automobils wies sie als Angehörige einer dünnen Schicht aus, die breite Masse der Deutschen besaß im Sommer 1926 nicht einmal ein Fahrrad.

Doch wie wir aus der Geschichte wissen, konnte schon zehn Jahre später alles anders sein – je nach dem, auf welcher Seite man sich wiederfand. Dasselbe gilt natürlich für uns – und das ist vielleicht die eigentliche Botschaft dieser alten Fotos.

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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