Dickschiff mit acht Zylindern: Studebaker von 1931

Wie es scheint, wird die Generation , die jetzt ins Führerscheinalter kommt, sich dereinst keinen Achtzylinderwagen mehr kaufen können, selbst wenn sie es wollte.

Die zunehmend esoterischen Abgasvorgaben der EU weisen mittelfristig den Weg in eine neue automobile Armut – neudeutsch „Downsizing“ – wie man sie früher nur aus sozialistischen Ländern kannte. Wie einst in der sog. DDR werden Achtzylinder dann nur noch als fossile Überbleibsel einer untergegangenen Epoche zu bestaunen sein.

Ein Vorgeschmack auf die schöne neue Welt, in der nur noch die Eliten dicke Autos fahren dürfen, ist diese Aufnahme, die um 1960 in der „Deutschen Demokratischen Republik“ entstand:

Packard Limousine von 1927 in der „DDR“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der mächtige Packard, neben dem die beiden jungen „Genossinnen“ (ironisch gemeint) stehen, verfügte wie die meisten Oberklassewagen aus den USA selbstverständlich über einen großvolumigen Achtzylindermotor.

Die technologische Entwicklung und die Fertigungsmethoden waren soweit gediehen, dass nur wenige Jahre später in den Vereinigten Staaten ein Achtzylinder für jedermann zur Verfügung stand – in Form des Ford V8, mit dem die Marke zeigte, was die Demokratisierung von Mobilität letztlich bedeutet – Leistung und Luxus für alle!

Rund 90 Jahre später – nach enormen Effizienzgewinnen und Abgasreduzierung auf ein Niveau, das sich allmählich der Messbarkeit entzieht – soll im Namen eines fiktiven „Weltklimas“ Schluss sein mit solchen „Exzessen“.

Der Verbrennungsmotor, inzwischen die vollkommenste und erschwinglichste mechanische Kraftquelle, die die Welt je gesehen hat, ist in Europa zum Hassobjekt eines irrationalen Furors geworden, der ans Mittelalter erinnert.

Große Autos mit starken Motoren – jahrzehntelang ein kaum erfüllbarer Traum – werden in unseren Gefilden mit einem Mal als Staatsfeind Nr. 1 angeprangert, als ob sie für massive Emissionsprobleme und Überbevölkerung in anderen Regionen verantwortlich seien.

Szenenwechsel in die frühen 1930er Jahre: Die folgende Aufnahme entstand in einem Überseehafen irgendwo in Europa zu einer Zeit, als ein „Dickschiff mit acht Zylindern“ noch für Aufsehen in positiver Hinsicht sorgte:

Studebaker „Eight“ Modelljahr 1931; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Es muss ein Tag mit Schauerwetter gewesen sein, als diese Aufnahme entstand. Gerade scheint die Wolkendecke aufgerissen zu sein, und nur vereinzelt tragen die Leute noch aufgespannte Regenschirme am Kai, an dem ein Passagierdampfer angelegt hat.

Die daneben abgestellten Automobile gehörten wahrscheinlich Reisenden, die auf die Verladung auf das Schiff warteten. Damals war es üblich, dass wohlhabende Urlauber ihre eigenen Wagen mit auf Fernreisen nahmen.

Das verrät nebenbei viel über die Zuverlässigkeit der damaligen Fahrzeuge bzw. die Möglichkeit der Reparierbarkeit abseits des meist dünnen Netzes an Markenvertretungen. Das Automobil war damit Garant individueller Reisefreiheit und der persönliche Schlüssel zum Erfahren der Wunder der Welt.

Doch was sehen wir da eigentlich im Vordergrund dieser außergewöhnlichen Aufnahme, wird sich der ungeduldige Leser fragen? Nun, dazu müssen wir genauer hinsehen:

Der Stil dieser eindrucksvollen Sechsfenster-Limousine, in der sieben bis acht Personen Platz fanden, ist unverkennbar amerikanisch.

Die Drahtspeichenräder mit Weißwandreifen waren damals eher die Ausnahme – wenn überhaupt fand man sie bei US-Wagen. Leider sind sie heute bei überrestaurierten Wagen jener Zeit fast schon Standard.

Ebenfalls typisch amerikanisch ist die massive, in der Mitte v-förmig verlaufende Stoßstange. Den Kühler mit Markenemblem im oberen Drittel und leicht nach vorn geneigter Mittelstrebe findet man so nur bei Studebaker-Wagen ab 1931.

Auch die markant gestalteten Standlichter auf den Vorderkotflügeln gab es erst ab diesem Modelljahr bei Studebaker. Angeboten wurde der Wagen mit vier Motorisierungen: einem 70 PS starken Sechszylinder sowie Achtzylindern mit rund 80, 100 bzw. 120 PS.

Da der „kleine“ Sechszylinder Doppelstoßstangen besaß, muss der Studebaker auf diesem Foto eines der drei Achtzylindermodelle gewesen sein, die die heute undenkbaren Bezeichnungen „Dictator“, „Commander“ und „President“ trugen.

Neben der Motorisierung wichen die Dimensionen des Chassis voneinander ab. Übrigens waren die seitlich montierten Ersatzräder und die Weißwandreifen ebenso aufpreispflichtig wie Innenraumheizung, Außenspiegel, Kofferträger am Heck usw.

Über 40.000 Exemplare des Studebaker des Modelljahrs 1931 entstanden einst. Einige davon wurden in Europa verkauft – wo der hier abgebildete Wagen zugelassen war, ist noch ungeklärt.

Mich interessiert aber noch etwas anderes: Was war das für ein Dickschiff, das mit dem Achtzylinder von Studebaker an einem Regentag Anfang der 1930er Jahre abgelichtet wurde?

Hier haben wir den Originalabzug, der mehr von dem Dampfer erkennen lässt. Vielleicht kennt sich ein Leser damit aus und kann sagen, was für ein dicker Pott den Studebaker an Bord nahm

Nachtrag: Leser C. Thomsen aus Flensburg konnte das Schiff als Dampfer des Norddeutschen Lloyd identifizieren – und zwar die „Columbus“ nach dem Umbau 1929. Dieses prachtvolle Dickschiff hat in meinem Blog schon einmal eine Nebenrolle gespielt (hier). Offen bleibt der Ort der Aufnahme. Leser Klaas Dierks plädiert für Le Havre in Frankreich – aufgrund der Kopfbedeckung des mutmaßlichen Polizisten ganz links.

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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