Traumschiff anno 1927: Studebaker Big Six „Victoria“

Das letzte Mal, dass ich „Das Traumschiff“ sah, muss bald 40 Jahre zurückliegen. Damals wohnte ich als Schüler noch zuhause und kam in den Genuss solcher Meisterwerke des westdeutschen Staatsfernsehens.

Angeblich gibt es die Serie immer noch, aber da ich seit meinem Auszug nie wieder ferngesehen habe (den Zwangs“beitrag“ zahle ich trotzdem), weiß ich weder, wie der Dampfer heute aussieht noch wer dort als Kapitänsdarsteller fungiert.

Daher kann ich ganz unvoreingenommen (wie es meine Art ist…) an ein Gefährt gehen, welches meiner Vorstellung von einem Traumschiff viel näherkommt als die schwimmenden Massenquartiere mit x Restaurants und Einkaufszentren.

Dazu versetze ich mich in die Situation eines betuchten Paares irgendwo im deutschsprachigen Raum in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre und stelle mir vor, was dieses wohl unter einem Traumschiff verstanden hätte.

Nun, reichlich Platz für zwei plus reichlich Gepäck, perfekten Rundumblick, die Option auf den Himmel über einem und die Aussicht auf die weite Welt direkt vor einem. Angetrieben sein sollte das Schiff von einem kraftvollen Aggregat, das unangestrengt seine Arbeit verrichtet.

Damit ließe sich kommod und elegant auf Reisen gehen, möchte man meinen. Wie das Ergebnis eines solchen schönen Traums damals aussehen konnte, das darf ich heute anhand einer Aufnahme zeigen, die ich erst dieser Tage erworben habe.

An dem Dokument gefällt mir nicht nur die traumhafte Inszenierung irgendwo an einem See im Alpenraum, sondern auch, dass es ein „Traumschiff“ zeigt, das wohl auch altgediente Kenner der Materie noch nicht oft zu Gesicht bekommen haben:

Studebaker „Big Six“ Victoria Modelljahr 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wer auch immer hier einst auf den Auslöser gedrückt hat, verstand sein Handwerk perfekt. Dieses Foto hätte jeden Verkaufsprospekt geadelt und wäre in jedem Gesellschaftsmagazin ein Glanzstück gewesen. Leider ist umseitig nichts vermerkt.

So müssen wir uns wie so oft unsere eigenen Gedanken dazu machen, was aber zum Reiz der Beschäftigung mit diesen Zeugen der Vergangenheit beiträgt.

Hand auf’s Herz: Wer von Ihnen hat schon einmal ein Fahrzeug dieses Typs gesehen? Und wer hat auf Anhieb gewusst, worum es sich handelt?

Dabei war dies kein rares Manufakturmobil, wie man aufgrund der ungewöhnlichen Karosserie vermuten konnte, die sich dadurch auszeichnet, dass sich die hintere Dachpartie wie bei einem Landaulet öffnen lässt – bloß, in Verbindung mit einem Coupé-Aufbau.

„Victoria“ nannte man das in der englischsprachigen Welt. Zufälligerweise fand sich in meinem Fotobestand eine Aufnahme, die einen sehr ähnlichen Wagen zeigt, auf dessen Nabenkappe ein „S“ zu sehen ist, ein Hinweis auf die US-Marke Studebaker:

Studebaker „Victoria“ Modelljahr 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Während die Ansprache als „Studebaker“ von 1927 sicher ist, konnte ich den genauen Typ in diesem Fall noch nicht ermitteln. In Frage kommen die drei Sechszylindermodelle „Standard Six“, „Big Six“ und „President Big Six“ – mit Leistungen zwischen 50 und 75 PS.

Letztlich zählt aber nur, dass diese Aufnahme mir die Identifikation des „Traumschiffs“ als Fabrikat von Studebaker aus South Bend im US-Bundesstaat Indiana ermöglichte. Alle weiteren Details lieferte dann das Ausgangsfoto selbst.

Die Datierung auf 1927 ergibt sich aus Details wie dem langen Dachüberstand (1928 wich er einer verstellbaren Sonnenblende) und die Identifikation als „Big Six“ aus dem Vorhandensein von Scheibenrädern, welche es in dieser Form nicht beim kleineren Standard Six gab:

Den „Victoria“-Aufbau gab es beim noch größeren „President Six“ nicht, allerdings verfügte der „Big Six“ über denselben Antrieb in Form eines seitengesteuerten Reihensechszylinders mit 75 PS Höchstleistung aus satten 5,8 Litern Hubraum.

Man mag jetzt mäkeln, dass der Ventiltrieb technisch überholt war. Doch wenn ich damals die Wahl gehabt hätte zwischen einem sportlichen kleinen Aggregat mit kopfgesteuerten Ventilen und hoher Drehzahlfestigkeit und einem großvolumigen Motor mit massig Drehmoment schon bei niedrigen Touren, hätte ich als Reisewagen stets die US-Lösung bevorzugt.

Speziell auf Alpentouren waren diese bärenstarken Motoren überlegen, wenn es darum ging, schaltarm und mit nur geringer Belastung „über’n Berg“ zu kommen. Nicht zuletzt waren die US-Maschinen konstruktiv auf astronomische Laufleistungen ausgelegt.

Was in den Staaten mit ihren enormen Entfernungen gut war, konnte nicht verkehrt sein, wenn man – sagen wir – von Hamburg nach Salerno fahren wollte, weil man die unweit gelegenen grandiosen griechischen Tempel von Paestum sehen wollte.

Für solche Bildungsbürger-Träume war das Schiff von Studebaker in Form des Big Six wie gemacht und gern macht man sich Gedanken darüber, wohin es dieses junge Paar aus deutschen Landen einst mit ihrem eleganten „Victoria“ einst verschlagen hat:

Nebenbei illustriert dieser Ausschnitt, was Vorkriegswagen so anders macht als Fahrzeuge der Nachkriegszeit.

Ja, das Outfit der beiden lässt sich mit einiger Geduld noch heute rekonstruieren – und aus eigener Erfahrung darf ich sagen: man fühlt sich besonders seriös darin – doch versuchen Sie einmal diese Aufnahme mit irgendeinem Mobil der Neuzeit nachzustellen.

Auch deshalb bleiben diese großartigen vierrädrigen Schöpfungen nach so langer Zeit auf ganz eigene Weise Traumschiffe…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Beim Produkttest porträtiert: Ein Studebaker „Special Six“

Ein Unternehmenschef, der selbst mit seinem Geld im Feuer steht, wenn es pressiert – einer, der sein Produkt selbst erprobt und dessen kritischster Tester ist: Das ist das Ideal des Entrepreneurs im Unterschied zum bloß angestellten Geschäftsführer.

Der Kapitalist, der auf Gedeih und Verderb mit dem Schicksal seiner Firma verbunden ist, weil er sein Vermögen darin investiert hat – alles gewinnen und alles verlieren kann. Das war in vielen Fällen das Geheimnis der unglaublichen Blüte der US-Automobilindustrie, die bis in die 1930er Jahre weltweit ihresgleichen suchte.

Im heutigen Blog-Eintrag kommt beides zusammen – der Unternehmenslenker, der die Kundenperspektive aus eigener Anschauung kennt und ein amerikanisches Automobil, das im besten Sinn ein Kind des frei flottierenden Kapitalismus war.

Die frühe Geschichte der Marke Studebaker liest sich atemberaubend – sie begann mit den Brüdern Studebaker in South Bend (Indiana), die bereits ein Vermögen mit Pferdewagen gemacht hatten, als sie 1902 das erste Automobil unter ihrem Namen herausbrachten.

Die weitere Geschichte ist von einer raschen Abfolge von Kapitalgebern und Unternehmenslenkern geprägt, die ein Motiv einte: am rapide expandierenden US-Automarkt (dem mit Abstand größten der Welt) reich und einflussreich zu werden.

Mit bräsiger Beamtenmentalität, die vor allem auf die Sicherstellung einer üppigen Pension schielt, ist unternehmerischer, also strikt marktorientierter Geist nicht vereinbar – auch wenn in unseren Tagen wieder einmal zu 100 % vom Steuerzahler alimentierte Figuren meinen, die Geschicke gleich einer ganzen Volkswirtschaft „planen“ zu können.

Ich weiß nicht, inwieweit der Direktor der Munitionsfabrik Preßburg einst auch an „seinem“ Betrieb beteiligt war und ob dieser überhaupt privatwirtschaftlich organisiert war. Normalerweise sind Rüstungsfirmen ja eng mit der Politik verbandelt – nebenbei eine fatale Allianz damals und heute, weil es einen freien Markt für Kriegswaffen nicht gibt.

Allerdings wissen wir, dass Oskar Braun, der in den 1920er Jahren der Munitionsfabrik Preßburg vorstand, mit der Ernsthaftigkeit eines Entrepreneurs zum Test der eigenen Produkte ausrückte:

Studebaker „Special Six“ von 1925/26; Originalfoto aus Familienbesitz (via Johannes Kühmayer, Wien)

Im vorliegenden Fall ist das deshalb so genau bekannt, weil der Neffe von Oskar Braun, welcher hier mit Hut vor einem Tourenwagen anlässlich eines Jagdausflugs porträtiert ist, mir dieses Foto mit der Bitte um Identifikation des Wagens zugesandt hat.

Sein Name ist Johannes Kühmayer und diese Aufnahme ist nicht die erste und hoffentlich nicht die letzte, die ich mit Automobilen seiner weitverzweigten Verwandtschaft aus Vorkriegszeiten zeigen darf.

Als ich das Foto erhielt, wusste ich sofort, was für ein Wagen das war, mit dem Oskar Braun nebst Jagdgesellschaft ausgerückt war, um die Wirksamkeit der Munition selbst am (noch) lebenden Objekt zu testen.

Die Jagd betrachte ich grundsätzlich als ein notwendiges Übel in einer vom Menschen geprägten Kulturlandschaft. Jeder, dessen Vorgarten (oder bei manchen auch: Golfplatz) von Wildschweinen ruiniert wurde, wird das ebenso sehen.

Hingegen die Jagd zum Vergnügen am Töten und zum Zelebrieren eines primitiven Trophäenkults verachte ich. Nur komplexbehaftete oder aus der Art geschlagene Zeitgenossen töten ihre Mitgeschöpfe ohne Not und halten ihre im Fall von Schusswaffen risiko- und anstrengungslose Betätigung aus der Ferne auch noch für Sport.

Wer sich jetzt angegriffen fühlt, hat Pech gehabt. Ein Blog ist ein persönliches Tagebuch, in dem Dritte online mitlesen können. Dazu muss man ein voll ausgebildetes entspanntes Verhältnis zur ggf. auch radikal anderen Meinung haben – leider zunehmend eine Rarität.

Nun aber zurück zu dem Jagdwagen, welchen Munitionsfabrikleiter Oskar Braun einst nutzte, wenn es zum praktischen Produkttest ins Gelände ging. Dafür waren amerikanische Fabrikate von jeher besonders geeignet, vereinten sie doch oft breite Spur, große Bodenfreiheit und starke Motoren, um auch abseits befestigter Straßen voranzukommen.

Im vorliegenden Fall gibt es nicht viel zu rätseln – wir haben es mit einem Studebaker „Special Six“ des Modelljahrs 1925/26 zu tun. Er verfügte über ein 65 PS leistendes Sechszylinderaggregat. Nicht ausschließen können wir, dass es sich sogar um einen „Big Six“ mit 75 Pferdestärken handelte, der formal weitgehend identisch war.

Ich erspare mir und Ihnen umständliche Herleitungen, denn wie es der Zufall will, befindet sich in meinem Fundus ein passendes Foto, das alle Fragen beantwortet und darüber hinaus durch seine besondere Ausstrahlung begeistert:

Studebaker „Special Six“ von 1925/26; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser einst im Tessin aufgenommene Studebaker von 1925/26 entspricht präzise dem Tourenwagen, mit welchem sich einst Direktor Oskar Braun anlässlich eines Outdoor-Produkttests porträtieren ließ.

Eine prachtvolle Aufnahme ist das, welche die gewünschte Klarheit schafft, zugleich aber von einem problematischen Thema ablenkt und uns mit der Vorstellung eines strahlenden Sommertags in südlichen Gefilden erfreut.

Oft genug waren es solche „Amerikanerwagen“, wie man damals hierzulande zu sagen pflegte, welche ihren Besitzern eine souveräne Überquerung der Alpen ermöglichten. Eine Aktivität, welche noch mehr meine Billigung findet als die eines Firmenlenkers, der „sein“ Produkt selbst erprobt, weil sein Wohl und Wehe davon abhängt…

Nachtrag: Zum weiteren Schicksal seines Onkels Oskar Braun teilte mir Johannes Kühmayer noch das Folgende mit:

Mein Onkel Oskar Braun war meist in Begleitung seiner Frau Hilda oft wochenlang vorzugsweise am Balkan und in der Türkei auf Geschäftsreisen. Die beiden wurden sogar vom Gründer der modernen Türkei Kemal Atatürk zum Abendessen eingeladen.

Abschließend sei noch erwähnt, dass vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise und der Entscheidung der Prager Regierung, den Rüstungsstandort Preßburg zu Gunsten von Brünn aufzugeben, Oskar Braun mit der letzten Patrone seinem Leben ein Ende bereitete. Er hinterließ vier Kinder und seine Gattin.“

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Vor 100 Jahren: Studebaker „Big Six“ aus Schlesien

Heute unternehmen wir eine kleine Zeitreise zurück ins Jahr 1923 anhand eines Fotos, bei dem man sich wie so oft fragen kann: Was verbindet mich eigentlich damit?

Nun, neben der schwer erklärlichen Anziehungskraft von Vorkriegsautomobilen ein klein wenig auch das eigene Herkommen.

Während ich an meinem Blog schreibe bzw. während der vorbereitenden Arbeiten hängt zu meiner Rechten an der Wand eine großformatige Karte Schlesiens aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, gestochen von Matthias Seutter in Augsburg.

Meine 1931 in Liegnitz geborene Mutter hat sie mir zusammen mit der Leidenschaft für Antiquitäten aller Art vermacht.

Sie musste Anfang 1945 die Heimat mit einem Koffer verlassen, um nie wieder in die großbürgerliche Welt der Baumgartstraße zurückzukehren:

Liegnitz, Baumgartstraße (heute: Skarbka Fryderyka); Ansichtskarte der 1920er Jahre

Die über viele Jahre erworbenen Kupfer- und Stahlstiche aus Schlesien waren ein Versuch, ein klein wenig vom Verlorenen zu bewahren. Sie umgeben mich heute und erinnern mich täglich an einen untergegangenen Teil Deutschlands.

Für mich ist keine Wehmut damit mehr verbunden, aber zu meinem Interesse an der Welt von gestern haben diese Dinge sicher beigetragen.

So registriere ich es jedesmal mit besonderem Wohlwollen, wenn mir auf einem historischen Autofoto das Nummernschild-Kürzel „IK“ begegnet – denn dieses stand einst für Schlesien.

Dann schlage ich nicht nur nach, wo der Wagen genau zugelassen war, sondern ich schaue auch, ob ich den Ort auf meiner Schlesienkarte wiederfinden kann.

Und tatsächlich: an der Grenze der Markgrafschaft Oberlausitz (Marchionatus Lusatiae Superioris) und des Fürstentums Liegnitz (Ducatus Lignicensis) findet sich die Stadt Luban (sonst meist: Lauban) – etwa auf einer Linie zwischen Dresden und Liegnitz (heute: Legnica).

Im gleichnamigen Landkreis Lauban war dieser großzügige Wagen zugelassen:

Studebaker „Big Six“ von 1923/24: Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dass es sich bei dieser 6-Fenster-Limousine um ein amerikanisches Fabrikat handeln dürfte, darauf brachte mich die Gestaltung der Vorderstoßstange.

Solche Teile finden sich in den frühen 1920er Jahren zuerst an US-Fabrikaten, dann als Zubehörteil auch an Wagen deutscher Hersteller. Die Tatsache, dass sich das Kühleremblem hier auf der Stoßstange zu wiederholen scheint, spricht jedoch gegen ein Nachrüstteil.

Anhand der Kühlergestaltung konnte ich den Wagen rasch als Studebaker identifizieren. Die genaue Typansprache erforderte dann ein Studium der in solchen Fällen unverzichtbaren US-Autobibel „Standard Catalog of American Cars“ von Kimes/Clark.

Auf Seite 1419 fand ich dort die notwendigen Angaben zu dem konkreten Modell. Demnach sind die Scheibenräder eine Besonderheit des Studebaker „Big Six“ ab 1923.

Das war das damalige Spitzenmodell der Marke mit einem 5,8 Liter großen Sechszylinder (seitengesteuert), der 65 PS bei 2000 Umdrehungen leistete. Das Modell blieb bis 1924 im Programm, die Kühlerform spricht aber für das Jahr 1923.

Man fragt sich schon, wie ein US-Wagen dieser Größenordnung einst ins beschauliche Lauban kam. Der große Boom der amerikanischen Importwagen sollte ja erst in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre stattfinden.

Nun, irgendeine uns nicht bekannte Geschichte wird dazu geführt haben, dass dieser Studebaker „Big Six“ vor dem Gasthaus „Kaiser Joseph“ von Alfred Kittelmann haltmachte:

Studebaker „Big Six“ von 1923/24: Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Begebenheit hinter dieser Aufnahme verliert sich im Dunkel der Zeiten, doch vielleicht lässt sich wenigstens noch etwas über die Örtlichkeit in Erfahrung bringen.

Könnte diese Aufnahme vielleicht bei einer Urlaubsreise nach Österreich oder ins benachbarte Böhmen entstanden sein?

Im letzteren Fall besteht eine kleine Chance, dass sich der Ort ebenfalls auf meiner Schlesienkarte wiederfindet, denn dort ist zumindest ein „Bohemiae Pars“ abgebildet…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

What’s next? Ein Studebaker „Big Six“ von 1923

„What’s next?“ – Was kommt als Nächstes? Das fragten einst Journalisten den Leiter des Projekts Apollo – Wernher von Braun – nach der Mondlandung 1969.

„Mars“ lautete seine Antwort. Wir wissen natürlich, dass es nicht dazu kam, weil die USA sich kein weiteres Prestigeprojekt dieser Größenordnung leisten konnten. Der Vernichtungskrieg in Vietnam wollte schließlich auch finanziert werden…

Schade eigentlich, denn man darf davon ausgehen, dass die damaligen Entwickler, Techniker und Astronauten es auch zum roten Planeten geschafft hätten. Unterdessen versucht die NASA im Jahr 2022 verzweifelt, zumindest wieder eine unbemannte Mondrakete auf die Umlaufbahn zu bringen – bisher vergeblich.

Was in der Zwischenzeit an Kompetenz nicht nur in der Raumfahrt verlorengegangen ist, soll nicht Gegenteil dieses Blogeintrags sein.

„What’s next?“ ist heute einfach nur die Frage, die sich mir jedesmal stellt, wenn ich nach Gegenstand und Titel des nächsten Blog-Eintrags suche.

Die Auswahl ist beängstigend, zumal sich laufend neues Material einfindet, nicht zuletzt dank etlicher großzügiger Sammlerkollegen. Doch diesmal fällt die Entscheidung leicht.

Denn was sollte als Nächstes auf die Vorstellung eines Fiat folgen? Nun, ein Wagen aus den USA! Wer jetzt auf einen der Wagen hofft, die von 1909 bis 1918 im Fiat-Werk in Poughkeepsie im US-Bundesstaat New York entstanden, wird enttäuscht sein.

Dass nach einem populären Fiat natürlich ein amerikanisches Fabrikat das nächste ist, das ist anders gemeint – es ergibt sich von selbst aus dieser Aufnahme, die ich kürzlich erwarb:

Studebaker „Special Six“ und Fiat 501; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dass der Wagen rechts ein Fiat sein muss, das hatte ich gleich erkannt. Mich reizte aber das Fahrzeug daneben, das ich auf Anhieb nicht identifizieren konnte.

Um zur Lösung zu gelangen, kommt man um eine kurze Beschäftigung mit dem Fiat nicht umhin – aber es gibt ja Schlimmeres. Die Kühlerform und die Gestaltung der Motorhaube mit sehr schmalen, recht tief liegenden Luftschlitzen deutete auf den Typ 501 hin.

Dieser ab 1919 gebaute Vierzylinderwagen mit 1,5 Liter-Motor und standfesten 23 PS war der erste Welterfolg der Turiner Marke, die zuvor noch auf Manufaktur ausgerichtet war.

Es gab auch eine etwas längere Ausführung davon, den Typ 502, aber dieser ist auf solchen Fotos kaum eindeutig zu identifizieren, obwohl der Radstand hier schon recht lang erscheint. Der deutlich stärkere und noch größere Paralleltyp 505 mit 2,3 Litern Hubraum und 33 PS könnte prinzipiell ebenfalls in Betracht kommen.

Fiat 501 (evtl. auch 505), ab 1919

Jedoch spricht viel für den 501, von dem die größeren Stückzahlen entstanden. Speziell in Deutschland, wo dieses Foto ausweislich des Nummernschilds entstand, gab es in der 1,5 Liter-Klasse anno 1920 kein so leistungsfähiges und zugleich geräumiges Serienauto.

Was bringt uns das jetzt im Hinblick auf den danebenstehenden Wagen? Nun, ganz einfach: Im direkten Vergleich ist unübersehbar, dass der dem Fiat „Nächste“ einen wesentlich längeren Vorderwagen besitzt.

Die schiere Länge der Haube bei sonst vergleichbaren Dimensionen des Tourenwagenaufbaus spricht dafür, dass sich darunter auch ein längeres Aggregat verbirgt – wofür in den frühen 1920er Jahren hauptsächlich ein Sechszylinder in Betracht kam.

Allerdings bot damals kein deutscher Hersteller einen Sechszylinderwagen mit einer so unscheinbaren Frontpartie an:

Studebaker „Big Six“ von 1923

Ich erinnerte mich, eine solche Kühlergestaltung schon bei gängigen US-Mittelklassewagen der frühen 1920er Jahre gesehen zu haben und landet so nach einigen Versuchen bei Studebaker.

Tatsächlich tauchen bei den 1923 gebauten Sechszylinder-Studebakers markante Details auf, wie sie hier zu sehen sind. Vor allem zu nennen sind die Positionslampen, die nunmehr im unteren Windschutzscheibenrahmen untergebracht waren.

Nur bei den stärkeren Ausführungen „Special Six“ und „Big Six“ finden sich zudem die Trittschutzbleche am Schweller, von denen der hintere eine Wartungsöffnung aufweist – nicht schön, aber ungewöhnlich und damit bei der Identifikation hilfreich.

Bei der Spitzenmotorisierung „Big Six“ schließlich wurde ein vernickelter statt nur lackiertes Kühlergehäuse verbaut, außerdem die ansatzweise zu sehende Stoßstange, damals noch ein Novum und meist nur als Zubehör erhältlich.

Die beim „Big Six“ in der Literatur (Kimes/Clark: Standard Catalog of American Cars) genannten serienmäßigen Scheibenräder fehlen hier zwar, doch waren optional stets auch Drahtspeichen- oder Holzspeichenräder erhältlich.

Nach der Lage der Dinge spricht daher vieles dafür, dass der hier dem Fiat „nächste Wagen“ ein Studebaker des Typs „Big Six“ von anno 1923 war. Mit seinem bärenstarken 5,8 Liter-Motor, der schon bei 2000 Umdrehungen seine Höchstleistung von 60 PS abwarf, spielte der Studebaker in einer völlig anderen Liga als der Fiat und deutsche Konkurrenten.

Wie souverän sich ein solcher Wagen auch nach bald 100 Jahren im modernen Verkehr bewegen lässt, davon vermittelt das folgende Video einen Eindruck:

Videoquelle: YouTube.com; hochgeladen von: MFB23

„What’s next?“, mögen Sie jetzt fragen? Das weiß ich noch nicht, aber es wird sich schon etwas Hübsches finden…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Erster „Land Cruiser“ in der Schweiz: Studebaker von 1934

Beim Stichwort „Land Cruiser“ denkt wohl jeder Autokenner erst einmal an das gleichnamige Geländemodell von Toyota, das seit den 1950er Jahren gebaut wird.

Mehr noch als der Land Rover wurde und wird das robuste Fahrzeug in den unwirtlichsten Regionen der Welt geschätzt – sei es von selbstlosen westlichen „Entwicklungshelfern“, sei es von selbsternannten islamischen „Gotteskriegern“.

Doch tatsächlich taucht die Modellbezeichnung erstmals bereits bei einem US-Automobil der Vorkriegszeit auf. Das wusste ich auch nicht, bis mich kürzlich John Heitmann anschrieb.

Er ist Verfasser des Klassikers „The Automobile and American Life“ und Redakteur von „Automotive History Review“ (hrsg. von The Society of Automotive Historians).

In Ausgabe 63 dieser vorbildlich aktiven Vereinigung sollte ein Beitrag von Dr. Robert Ebert zur US-Marke Studebaker in den 1920/30er Jahren erscheinen, der am Rande auch auf die damaligen Vertriebsaktivitäten in Europa eingeht.

Bestürzt stellte man jedoch fest, dass selbst das Studebaker National-Museum in South Bend (Indiana) über keine Belegfotos von Studebakers in Europa verfügte.

Wohl mangels Alternativen und weil ich im Netz visibel bin, landete die Anfrage bei mir und tatsächlich konnte ich aus meinem Fundus mehrere Originalaufnahmen beisteuern, die Studebaker-Fahrzeuge mit deutscher Zulassung aus den 20/30er Jahren zeigen.

In dem Zusammenhang sandte ich meinem Kontaktmann in den Staaten auch dieses Foto zu, das einen Studebaker zeigt, der an einem mir unbekannten Ort aufgenommen wurde:

Studebaker „Commander“ Eight von 1934; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn ich nicht genau sagen kann, in welchem Land der Wagen zugelassen war, spricht folgendes für eine Entstehung der Aufnahme in europäischen (eher südlichen) Gefilden:

Das Foto wurde im Juni 1937 als Postkarte von Interlaken nach Genf gesandt, an eine gewisse Mariette Nicolet, wohnhaft in der Rue de Carouge, die nebenbei nach einer alten römischen Straßenkreuzung („quadrivium“) benannt ist.

Die Absenderin schrieb auf französisch einige Belanglosigkeiten, die keinen Bezug zu dem umseitig abgebildeten Auto aufweisen. Somit ist unklar, was sie dazu bewogen hatte, ausgerechnet dieses Motiv auszuwählen.

Vielleicht war ihr das Foto zuvor von dem sportlich gekleideten jungen Mann zugesandt worden, der auf dem Dach der Limousine sitzt und in die Kamera winkt. Wo könnte dieses Bild entstanden sein – vielleicht in Südfrankreich? Oder doch in Übersee?

Wie dem auch sei, wir schauen uns den markant gestylten Wagen einmal näher an:

Der v-förmige, stark geneigte Kühlergrill taucht so im Modelljahr 1934 bei Studebaker auf – und zwar sowohl beim Sechszylindertyp „Dictator“ als auch beim „Commander“, der einen Achtzylinder mit rund 100 PS besaß, sowie beim nochmals stärkeren „President“.

Hersteller und Baujahr hatte ich zwar selbst identifiziert, zur Ermittlung der genauen Ausführung aber noch keine Zeit gefunden. Das erledigte dann dankenswerterweise Andy Beckman, seines Zeichens Archivar des Studebaker National Museum.

Er lieferte den Hinweis, dass es sich um die Standard-Limousine des Studebaker „Commander“ handelte, die als „Land Cruiser“ bezeichnet wurde. Zu erkennen ist sie an den horizontalen Luftschlitzen in der Motorhaube – die übrigen Ausführungen besaßen senkrechte (leicht nach hinten geneigt).

Die v-förmige Stoßstange und die tropfenförmigen Scheinwerfer fanden sich standardmäßig auch bei den anderen Modellen des Jahres 1934, während die in den Kotflügeln angebrachten Ersatzräder nur in der „Regal“-Sonderausstattung erhältlich waren.

Aufpreispflichtig waren neben den Stoßstangenhörnern und den großen Hupen außerdem die Weißwandreifen, die gut zu den ebenfalls nicht serienmäßigen Drahtspeichenrädern passen.

Der Studebaker auf unserem Foto war offensichtlich bereits äußerlich so gut ausgestattet, dass man auch einige Extras im Innern vermuten darf: Radio, Heizung und Uhr etwa (Quelle: Kimes/Clarke: The Standard Catalog of American Cars)

Mit so einem „Land Cruiser“ ließ es sich damals souverän über Europas Landstraßen kreuzen. Dass US-Wagen in der Vorkriegszeit ein alltäglicher Anblick waren, ist kaum noch bekannt und die heutige Klassikerszene spiegelt das nicht annähernd wider.

Doch in meinem Blog bleiben die längst von unseren Straßen verschwundenen US-Veteranen lebendig und zumindest auf einigen Fotos haben es nun einige sogar wieder ins Studebaker-Museumsarchiv zurück nach South Bend (Indiana) geschafft, wo sie einst vom Band liefen…

© Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Verband einst Hans mit Wilna: Studebaker Six 1927

Hans und Wilna – ist da nicht versehentlich ein „n“ statt eines „m“ hineingerutscht? Keineswegs. Tatsächlich geht es heute nicht darum, was einst Hans mit Wilma verband, sondern was Hans mit der litauischen Hauptstadt Wilna zu tun hatte.

Jedenfalls legt die Beschriftung dieses schönen alten Fotos nahe, dass im Jahr 1927 eine solche Verbindung bestand. Welcher Natur sie war, ist mir nicht ganz klar, vielleicht kann ja ein Leser eine plausible Geschichte daraus machen:

Studebaker Six von 1927; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

An dieser Aufnahme wirkt nahezu alles perfekt – die Perspektive, das Umfeld, das Licht und die Pose des jungen Mannes, der uns hier ein wenig abschätzig mustert.

Lässig lehnt er an der Fahrertür einer großen Sechsfenster-Limousine, die rechte Hand ruht auf dem Lenkrad, die linke hält die damals kaum vermeidbare Zigarette.

Das Jackett ist falsch zugeknöpft, die kurzgebundene Krawatte macht sich die ungewohnte Freiheit zunutze. Das war sicher beabsichtigt, denn kleine Nachlässigkeiten wie diese sollten zeigen, dass man es mit den Konventionen nicht ganz so eng sah. Der Begriff der „Coolness“ war zwar noch nicht erfunden, aber die entsprechende Haltung gab es schon.

Das Nummernschild verrät, dass dieser Wagen aus Berlin stammte. Schnell identifiziert ist auch der Hersteller: „Studebaker“ – eine der wenigen bedeutenden amerikanischen Marken, die in Konkurrenz zum mächtigen „General Motors“-Konzern standen.

Der genaue Typ ist ebenfalls leicht herauszufinden – die tropfenförmigen Scheinwerfer, die Scheibenräder, die Doppelstoßstange und die eigenwilligen Positionslichter vor der Frontscheibe finden sich genau so beim 1927er Studebaker Six:

Leider nur unscharf wiedergegeben ist hier die 1927 neu eingeführte Kühlerfigur, welche die griechische Göttin Atalante zeigt – verewigt unter anderem vom römischen Dichter Ovid. In seinem Werk „Metamorphosen“ erhält die Jägerin Atalante den in manchen Fällen bedenkenswerten Rat: „Einen Gemahl brauchst du, Atalante, keineswegs. Meide die Ehe.

Diese Weisheit dürfte freilich den wenigsten Käufern eines solchen Studebaker im Großfamilienformat geläufig gewesen. Sie werden sich eher mit der Frage auseinandergesetzt haben, welche Version die Haushaltskasse hergab: wahlweise verfügbar waren nämlich Motoren mit 50, 65 oder 75 PS – allesamt Sechsyzlinder.

Solche in Großserie produzierten US-Wagen erreichten in den späten 1920er Jahre einen enormen Marktanteil in Deutschland, speziell in Berlin waren amerikanische Wagen allgegenwärtig. So wundert uns die entsprechende Zulassung dieses Studebaker nicht.

Rätsel gibt allerdings die Beschriftung auf der Rückseite des Fotos auf: „Zur Erinnerung von Hans. Wilna, Juli 1927“, heißt es dort lapidar.

Klar ist, dass der Absender besagter Hans war. Doch ist er hier selbst abgebildet oder hat er das Foto gemacht und der unbekannten Person zugesandt, die neben dem Studebaker abgelichtet ist?

Und wie ist „Wilna, Juli 1927“ zu verstehen? Wurde das Foto in der litauischen Hauptstadt zu besagtem Datum auf die Reise geschickt? Dann hätte Hans vielleicht in Wilna gelebt, was durchaus zum kosmopolitischen Charakter dieser schönen Stadt passen würde.

Oder ist das bloß der Hinweis darauf, dass das Foto im Juli 1927 in Wilna entstanden war? So oder stellt sich die Frage, wie die Aufnahme nach Deutschland gelangt ist.

Was also verband Hans mit Wilna? Ich könnte mir Folgendes vorstellen: Der Studebaker wurde einst für eine Reise von Berlin zu deutschen Verwandten nach Litauen genutzt, wo dieses Foto anlässlich eines Ausflugs im Umland entstand.

Der Absender Hans lebte in der Hauptstadt Wilna und schickte dem Besucher aus Berlin nachträglich dieses Foto zur Erinnerung. So könnte es gewesen sein, oder? Andere Thesen sind willkommen – dazu bitte die Kommentarfunktion nutzen.

Auch wenn wir vielleicht nicht nie erfahren werden, was Hans und Wilna verband, außer diesem Studebaker Six des Modelljahrs 1927, bleibt ein Dokument, das in der kolorierten Version noch an Zauber gewinnt.

Studebaker Six von 1927; (koloriertes) Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Fast meint man hier, selbst mit auf der Lichtung zu stehen und Zeuge dieser hübschen Szene im Sommer 1927 zu sein…

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Dickschiff mit acht Zylindern: Studebaker von 1931

Wie es scheint, wird die Generation , die jetzt ins Führerscheinalter kommt, sich dereinst keinen Achtzylinderwagen mehr kaufen können, selbst wenn sie es wollte.

Die zunehmend esoterischen Abgasvorgaben der EU weisen mittelfristig den Weg in eine neue automobile Armut – neudeutsch „Downsizing“ – wie man sie früher nur aus sozialistischen Ländern kannte. Wie einst in der sog. DDR werden Achtzylinder dann nur noch als fossile Überbleibsel einer untergegangenen Epoche zu bestaunen sein.

Ein Vorgeschmack auf die schöne neue Welt, in der nur noch die Eliten dicke Autos fahren dürfen, ist diese Aufnahme, die um 1960 in der „Deutschen Demokratischen Republik“ entstand:

Packard Limousine von 1927 in der „DDR“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der mächtige Packard, neben dem die beiden jungen „Genossinnen“ (ironisch gemeint) stehen, verfügte wie die meisten Oberklassewagen aus den USA selbstverständlich über einen großvolumigen Achtzylindermotor.

Die technologische Entwicklung und die Fertigungsmethoden waren soweit gediehen, dass nur wenige Jahre später in den Vereinigten Staaten ein Achtzylinder für jedermann zur Verfügung stand – in Form des Ford V8, mit dem die Marke zeigte, was die Demokratisierung von Mobilität letztlich bedeutet – Leistung und Luxus für alle!

Rund 90 Jahre später – nach enormen Effizienzgewinnen und Abgasreduzierung auf ein Niveau, das sich allmählich der Messbarkeit entzieht – soll im Namen eines fiktiven „Weltklimas“ Schluss sein mit solchen „Exzessen“.

Der Verbrennungsmotor, inzwischen die vollkommenste und erschwinglichste mechanische Kraftquelle, die die Welt je gesehen hat, ist in Europa zum Hassobjekt eines irrationalen Furors geworden, der ans Mittelalter erinnert.

Große Autos mit starken Motoren – jahrzehntelang ein kaum erfüllbarer Traum – werden in unseren Gefilden mit einem Mal als Staatsfeind Nr. 1 angeprangert, als ob sie für massive Emissionsprobleme und Überbevölkerung in anderen Regionen verantwortlich seien.

Szenenwechsel in die frühen 1930er Jahre: Die folgende Aufnahme entstand in einem Überseehafen irgendwo in Europa zu einer Zeit, als ein „Dickschiff mit acht Zylindern“ noch für Aufsehen in positiver Hinsicht sorgte:

Studebaker „Eight“ Modelljahr 1931; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Es muss ein Tag mit Schauerwetter gewesen sein, als diese Aufnahme entstand. Gerade scheint die Wolkendecke aufgerissen zu sein, und nur vereinzelt tragen die Leute noch aufgespannte Regenschirme am Kai, an dem ein Passagierdampfer angelegt hat.

Die daneben abgestellten Automobile gehörten wahrscheinlich Reisenden, die auf die Verladung auf das Schiff warteten. Damals war es üblich, dass wohlhabende Urlauber ihre eigenen Wagen mit auf Fernreisen nahmen.

Das verrät nebenbei viel über die Zuverlässigkeit der damaligen Fahrzeuge bzw. die Möglichkeit der Reparierbarkeit abseits des meist dünnen Netzes an Markenvertretungen. Das Automobil war damit Garant individueller Reisefreiheit und der persönliche Schlüssel zum Erfahren der Wunder der Welt.

Doch was sehen wir da eigentlich im Vordergrund dieser außergewöhnlichen Aufnahme, wird sich der ungeduldige Leser fragen? Nun, dazu müssen wir genauer hinsehen:

Der Stil dieser eindrucksvollen Sechsfenster-Limousine, in der sieben bis acht Personen Platz fanden, ist unverkennbar amerikanisch.

Die Drahtspeichenräder mit Weißwandreifen waren damals eher die Ausnahme – wenn überhaupt fand man sie bei US-Wagen. Leider sind sie heute bei überrestaurierten Wagen jener Zeit fast schon Standard.

Ebenfalls typisch amerikanisch ist die massive, in der Mitte v-förmig verlaufende Stoßstange. Den Kühler mit Markenemblem im oberen Drittel und leicht nach vorn geneigter Mittelstrebe findet man so nur bei Studebaker-Wagen ab 1931.

Auch die markant gestalteten Standlichter auf den Vorderkotflügeln gab es erst ab diesem Modelljahr bei Studebaker. Angeboten wurde der Wagen mit vier Motorisierungen: einem 70 PS starken Sechszylinder sowie Achtzylindern mit rund 80, 100 bzw. 120 PS.

Da der „kleine“ Sechszylinder Doppelstoßstangen besaß, muss der Studebaker auf diesem Foto eines der drei Achtzylindermodelle gewesen sein, die die heute undenkbaren Bezeichnungen „Dictator“, „Commander“ und „President“ trugen.

Neben der Motorisierung wichen die Dimensionen des Chassis voneinander ab. Übrigens waren die seitlich montierten Ersatzräder und die Weißwandreifen ebenso aufpreispflichtig wie Innenraumheizung, Außenspiegel, Kofferträger am Heck usw.

Über 40.000 Exemplare des Studebaker des Modelljahrs 1931 entstanden einst. Einige davon wurden in Europa verkauft – wo der hier abgebildete Wagen zugelassen war, ist noch ungeklärt.

Mich interessiert aber noch etwas anderes: Was war das für ein Dickschiff, das mit dem Achtzylinder von Studebaker an einem Regentag Anfang der 1930er Jahre abgelichtet wurde?

Hier haben wir den Originalabzug, der mehr von dem Dampfer erkennen lässt. Vielleicht kennt sich ein Leser damit aus und kann sagen, was für ein dicker Pott den Studebaker an Bord nahm

Nachtrag: Leser C. Thomsen aus Flensburg konnte das Schiff als Dampfer des Norddeutschen Lloyd identifizieren – und zwar die „Columbus“ nach dem Umbau 1929. Dieses prachtvolle Dickschiff hat in meinem Blog schon einmal eine Nebenrolle gespielt (hier). Offen bleibt der Ort der Aufnahme. Leser Klaas Dierks plädiert für Le Havre in Frankreich – aufgrund der Kopfbedeckung des mutmaßlichen Polizisten ganz links.

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Chefsache: Ein Studebaker „President“ von 1927

Das Automobilangebot im Deutschland der späten 1920er Jahre war von geradezu tropischer Vielfalt. Zu verdanken war das nicht zuletzt den unzähligen Importmarken aus anderen europäischen Ländern und aus Übersee.

In der Einsteigerklasse konnte zwar Opels 4 PS-Modell „Laubfrosch“ einen erheblichen Marktanteil verbuchen, doch war das Modell bloß ein Plagiat des Citroen 5CV. Hier eine bislang unpublizierte Aufnahme eines Opel 4/14 PS von 1925:

Opel Typ 4/14 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ohne das bewährte französische Vorbild bekam man in Rüsselsheim offenbar keinen Kleinwagen mehr hin, obwohl Opel vor dem 1. Weltkrieg in dem Segment durchaus erfolgreich gewesen war – eine Erklärung dafür konnte ich bislang nicht finden.

In der Mittelklasse schnitt sich neben der einheimischen Marke Brennabor aus Brandenburg vor allem Fiat ein ordentliches Stück aus dem Kuchen heraus.

Allgegenwärtig im deutschsprachigen Raum waren die Volumenmodelle Fiat 503 und 509. Hier haben wir einen Typ 503 mit 27 PS starkem 1,5 Liter-Motor, der einst einem Wiener Autobus-Unternehmer gehörte:

Fiat 503; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das hier erstmals gezeigte Foto ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, dass die Kühlerfigur – in diesem Fall ein Adler – nicht zwangsläufig einen Hinweis auf den Hersteller gibt.

Doch auch ohne das Markenemblem auf dem Kühler wäre dieses Auto leicht als Fiat zu identifizieren gewesen – die kantige Frontpartie, deren Silhouette sich in der Kontur der Frontscheibe wiederholt, war typisch für die Fiats ab Mitte der 1920er Jahre.

Bei den Wagen der gehobenen Klasse dagegen hatten im deutschsprachigen Raum vor allem die US-Hersteller einen heute unvorstellbaren Anteil.

Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, welche Marken aus Übersee hierzulande aktiv waren und welche oft exotisch anmutenden Modelle deutsche Käufer fanden (Fotogalerie).

Heute befassen wir uns mit diesem Exemplar:

Studebaker Big Six „President“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten und auch auf den zweiten Blick ist das ein schwerer Fall. Dass diese mächtige Sechsfenster-Limousine mit den Dopppelstoßstangen vorn und hinten nicht von einem europäischen Hersteller stammte, ist klar.

Aber welche US-Marke für diesen Koloss verantwortlich war, war für mich lange Zeit ein Rätsel. Zum Glück sind die amerikanischen Hersteller der Vorkriegszeit – von wenigen Ausnahmen abgesehen – hervorragend dokumentiert.

Leider gibt es für deutsche Hersteller keine Gesamtschau von ähnlicher Breite und Tiefe wie sie der „Standard Catalog of American Cars“ von B.R. Kimes und H.A. Clark für die US-Wagen bis 1942 bietet.

Nach mehreren Anläufen fand sich auf Seite 1.422 in der 3. Auflage dieses unverzichtbaren Standardwerks die Lösung.

Der Wagen auf dem Foto, das einst irgendwo in Deutschland entstand, ist ein großer Sechszylinder des Typs „President“ der seit 1902 bestehenden Marke Studebaker. 

Der 5,8 Liter-Motor entwickelte seine Spitzenleistung bei 2.400 Umdrehungen pro Minute und erlaubte dem schweren Fahrzeug eine angemessene, natürlich nicht sportliche Fortbewegung.

Die siebensitzige Limousine des Typs „President“ ist – wie auf dem Foto – an dem gegenüber dem „Standard Six“ verlängerten Radstand zu erkennen.

In den USA konnte ich den großformatigen Abzug einer Werksaufnahme des Studebaker „President“ von 1927 erstehen, das genau den Typ auf obigem Foto zeigt:

Studebaker Big Six „President“, Abzug eines Werksfotos aus Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten Blick mag die Ähnlichkeit vielleicht nicht ins Auge springen.

Doch beim Vergleich der Gestaltung der Scheibenräder mit Zweifarbschema, des unteren Abschlusses der Frontscheibe, der Form der Türgriffe, der doppelten Seitenleiste und der Heckpartie wird die Übereinstimmung deutlich.

Der Studebaker auf dem Werksfoto wirkt nur deshalb anders, weil bei ihm die Frontpartie erkennbar ist, er eine Zweifarblackierung trägt und der Blick auf die hintere Haubenpartie nicht verdeckt ist.

Weshalb der Studebaker auf dem einst in Deutschland entstandenen Foto scheinbar keine Zweifarblackierung besaß, erscheint merkwürdig.

Möglich, dass diese einem anderen Farbschema folgte als auf dem Werksfoto und dass dies in Schwarz-Weiß lediglich nicht erkennbar ist. Einen so massigen Wagen nur einfarbig zu lackieren, wäre in den 1920er Jahren untypisch gewesen.

Aber vielleicht wollte der inländische Käufer das so und dann wurde das spätestens bei Eintreffen des Studebaker in Deutschland umgesetzt. Von einer Produktion der Marke hierzulande ist mir übrigens nichts bekannt, vielleicht weiß ein Leser mehr.

Jedenfalls war ein solcher dicker „Brummer“ Ende der 1920er Jahre nicht irgendein Importgefährt vom eher bürgerlichen Rang eines Ford, Buick oder Chevrolet. Dieses mächtige Automobil war damals eindeutig der Chefetage vorbehalten…

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Studebaker „Big Six“ aus Berlin auf Urlaub im Tessin

Zu den abwechslungsreichen Seiten der Beschäftigung mit Vorkriegswagen im deutschen Sprachraum gehört die einstige Präsenz von US-Fahrzeugen – zumindest auf historischen Fotos, die sogenannten „Oldtimermagazine“ hierzulande scheinen wenig davon zu wissen.

Dabei findet man auf alten Aufnahmen aus deutschen Fotoalben neben den üblichen Verdächtigen wie Buick, Cadillac, Chevrolet, Chrysler, Dodge, Ford und Oldsmobile auch Exoten wie Auburn, Chandler, DeSoto, Graham, Maxwell oder Oakland.

Von diesen Importwagen, die teilweise sogar auf deutschem Boden montiert wurden, haben nur sehr wenige überlebt. Die zeitweilig schwierige Ersatzteilbeschaffung hat ihnen nach dem Krieg den Garaus gemacht.

An sich wäre das ein Grund mehr, sich damit zu beschäftigen, als den x-ten Artikel zu Porsche 911, E-Type, Pagode oder Gebrauchtwagen der 1990er Jahre zu schreiben. Aber dafür müsste man sich auch ein wenig anstrengen – und das scheint in unserem müde und bequem gewordenen Land außer Mode geraten zu sein.

Auf diesem Blog für Vorkriegsautos sehen wir die Sache dagegen sportlich – und ausgestattet mit einer umfangreichen Bibliothek lassen sich immer „neue“ Funde machen und zur Freude einer mittlerweile beachtlichen Leserschaft identifizieren.

Wenn dann auch noch die Aufnahme selbst ein Leckerbissen ist, dann ist das Glück vollkommen wie hier:

Studebaker „Big Six“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

„Im Tessin“, so steht von alter Hand auf der Rückseite des kontrastreichen und brilliant belichteten Abzugs geschrieben.

Das Kennzeichen mit römisch „I“ und dem Buchstaben „A“ verrät uns, dass einst ein Berlin zugelassener Wagen in der italienischen Schweiz auf Urlaubstour war.

Was genau das für ein Tourenwagen war, der in den 1920er Jahren seine Insassen in den sonnigen Süden transportierte, erschließt sich nicht auf den ersten Blick, sondern will erarbeitet werden.

Klar ist nur, dass wir ein US-Fabrikat vor uns haben – Kühlerform und verschlungene Doppelstoßstange deuten darauf hin. Nun kommt die US-Vorkriegsauto-„bibel“ (Standard Catalog of American Cars, von Kimes/Clark) ins Spiel.

Das über 1.600 Seiten starke Werk ist eine unübertroffene Aufarbeitung der wichtigsten der über 5.000 (fünftausend) Automarken, die es in den Vereinigten Staaten vor dem Zweiten Weltkrieg gab.

Dort werden nicht bloß Hersteller aufgezählt und ein paar lapidare Fakten angeführt. Soweit verfügbar werden für jedes Baujahr und jeden Typ präzise Angaben zur Erscheinungsbild, Technik, Ausstatttung und Stückzahlen gemacht.

Wie informativ dieses Meisterwerk ist, können wir anhand des Wagens auf unserem Foto nachvollziehen:

Eine Internetrecherche zu diesem Fahrzeug wäre zwecklos  – wo soll man auch beginnen, selbst wenn man die Marke kennt?

Immerhin lässt sich anhand des Markenemblems erahnen, dass man es mit einem Wagen des 1902 gegründeten Autoherstellers Studebaker zu tun hat. Doch die präzise Ansprache von Typ und Baujahr ist nur anhand des erwähnten Buchs möglich.

Dort werden als formale Kennzeichen des Studebaker „Big Six“ Model EP von 1925/26 folgende Details angeführt:

  • Kühlermaske mit abgestufter Oberseite
  • Motorhaube mit seitlicher Zierleiste und aufgesetztem Luftschlitzblech
  • Leiste am hinteren Abschluss der Haube
  • Positionsleuchten im Windlauf
  • geflügelter Deckel mit Thermometer auf dem Kühlwasserstutzen
  • einteilige Frontscheibe mit Scheibenwischern
  • serienmäßige Stoßstangen

Die Scheibenräder waren als Extra erhältlich wie übrigens auch hydraulische Vierradbremsen. Ledersitze besaßen auch die offenen Basisvarianten.

Zur Motorisierung des Studebaker „Big Six“ finden wir folgende Angaben:

  • 5,8 Liter Hubraum
  • 75 PS Höchstleistung bei 2.400 U/min
  • 4 Kurbelwellenlager

Mitte der 1920er Jahre war ein so großzügig ausgestatteter und dermaßen gut motorisierter Großserienwagen am deutschen Markt praktisch konkurrenzlos.

Auch von den Stückzahlen konnte man hierzulande nur träumen: Von den Sechszylindermodellen aller Varianten fertigte Studebaker im Modelljahr 1925/26 fast 240.000 Stück.

Mit einem leistungsfähigen US-Wagen wie diesem ließen sich auch Fernreisen bedenkenlos absolvieren, wovon unser Aufnahme zeugt. Jedenfalls scheinen die beiden weiblichen Insassen glücklich mit ihrem Urlaubstransporter gewesen zu sein:

Wer die Gesichter der beiden Damen vergleicht, könnte zur Einschätzung gelangen, dass es sich um Mutter und Tochter handelt. Der Herr Papa hat dann möglicherweise das Foto geschossen.

Wer aber ist die dritte Person auf dem Bild, die sich lässig auf den rechten Vorderkotflügel und den Scheinwerfer stützt?

Der großgewachsene, blendend aussehende Mann, der uns hier selbstbewusst fixiert, hätte vermutlich als Filmschauspieler und Frauenheld beste Chancen gehabt:

Vom Typus her würde man den blonden Recken irgendwo im hohen Norden Deutschlands oder in Skandinavien verorten.

Vielleicht war er ein Freund der Berliner Familie, der hier im Studebaker mit von der Partie war – leider wissen nichts genaues über ihn.

Mit erfundenem Namen und getürkter Unterschrift könnte man aus diesem Ausschnitt glatt die Autogrammkarte eines Schauspielers der 1920er Jahre machen.

Auch das macht Veteranenwagen auf alten Fotos so einzigartig – man kann sie zusammen mit den Menschen studieren, die sie einst besaßen, bewunderten oder zeitweilig benutzten.

Und schon bewegen einen mehr als die blanken Daten und Fakten des längst den Weg alles Irdischen gegangenen Vorkriegsautos, das dort zu sehen ist…

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1925: Besuch aus Riga im Studebaker „Standard Six“

Die Beschäftigung mit Automobilen der Vorkriegszeit anhand zeitgenössischer Fotografien fördert nicht nur vergessene Marken, eigenwillige technische Konzepte und individuelle Karosserien zutage.

Man wird auch mit den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen jener Zeit konfrontiert – mitunter auf überraschende Weise.

Wer etwa meint, dass Fernreisen in Europa im Automobil erst möglich sind, seitdem die grenzenlose Reisefreiheit ausgerufen wurde, mag dieses über 90 Jahre alte Foto überraschend finden:

Studebaker „Standard Six“ um 1925; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Für diejenigen, die diesem Blog nur auf einem kleinen Mobilgerät folgen, hier die Transkription des handschriftlichen Vermerks:

„Hoher Besuch in Urschalling! Onkel Georg kommt im Auto aus Riga (1.800 km) mit Familie!“

Den oberbayrischen Ort Urschalling, der in der Nähe des Chiemsees kurz vor der Grenze zu Österreich liegt, muss man nicht kennen – wenngleich in der Kirche einzigartige Fresken aus dem Spätmittelalter erhalten sind.

Die lettische Haupstadt Riga sollte einem schon etwas sagen. Sie ist ein Musterbeispiel für das Mit-, Neben- und Gegeneinander europäischer Völker und Mächte, das gleichermaßen fruchtbare wie fatale Konsequenzen hatte.

Wir wollen hier nicht die unzähligen Besitzerwechsel aufzählen, die die alte Hansestadt über die Jahrhunderte erlebt hat.

Festzuhalten ist nur, dass in Riga seit der Gründung durch einen Bremer Bischof im Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert die deutschstämmige Bevölkerung stets einen nennenswerten Anteil und Einfluss hatte.

Einer dieser Baltendeutschen war besagter „Onkel Georg“ aus Riga, wie übrigens auch der Vater des deutschen Dichters Hermann Hesse.

Als Angehöriger der deutschen Minderheit im Baltikum musste man offen für fremde Einflüsse sein, freilich ohne deshalb die eigene Lebensart aufzugeben.

So scheint es dem gutsituierten Onkel Georg nicht schwergefallen zu sein, sich für den amerikanischen Wagen zu entscheiden, den wir hier sehen:

Auf den ersten Blick sieht das Auto wie ein beliebiger Tourenwagen der 1920er Jahre aus. Zum Glück ist überliefert, dass es sich um ein Modell von Studebaker handelte.

Die Marke ging auf eine von deutschen Einwanderern gegründete Firma zurück und stellte ab 1902 zunächst Elektrowagen her. Die Argumente dafür waren damals: leise, lokal emissionsfrei, innerstädtisch nicht an Tankstellen gebunden.

Die Gründe, weshalb Studebaker später dem Verbrennungsmotor den Vorzug gab, waren diese: größere Reichweite, Betankung binnen weniger Minuten, geringeres Gewicht, mehr Platz für Nutzlast, niedrigere Kosten usw. – alles wie heute.

Nach dem 1. Weltkrieg gab es von Studebaker nur noch 6-Zylinder-Motoren mit unterschiedlichen Hubräumen, was bei europäischen Herstellern die Ausnahme war.

Ab 1924 baute man den „Standard Six“, den wir auf unserem Foto sehen. Sein Motor mit knapp vier Liter Hubraum leistete 50 PS, also deutlich mehr als das, was deutsche Großserienwagen von Adler, Opel, NAG, Presto und Co. boten.

Auf Wunsch verfügbar waren Vierradbremsen. Ob Onkel Georgs Studebaker über diese Sonderausstattung verfügte, wissen wir nicht.

Denn leider verdeckt das kleine Mädchen mit dem Zopf den Blick, das hier eifrig das vordere Rad putzt:

Immerhin ist die Frontpartie des Wagens gut zu erkennen, die perfekt zum Studebaker Standard Six um 1925 passt.

Übrigens wurde das Modell ab Werk mit einer Heizung angeboten – ein Zubehör, das bei deutschen Fahrzeugen jener Zeit so gut wie nie erwähnt wird.

Onkel Georg wird die Heizung des Studebaker „Standard Six“ geschätzt haben, denn in der kalten Jahreshälfte fallen die Temperaturen im Baltikum regelmäßig deutlich unter die Nullmarke.

Die Rückfahrt dorthin wird aber in der schönen Jahreszeit stattgefunden haben – hier ein weiteres Foto, das einst bei der Abfahrt in Urschalling entstand:

Studebaker „Standard Six“ aus Riga um 1925; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Während die Verwandten im Hintergrund ausgelassen winken, macht Onkel Georg einen eher ernsten Eindruck.

Sicher wird er den Studebaker noch einmal technisch auf Herz und Nieren geprüft haben, doch die Heimfahrt über 1.800 km war kein Zuckerschlecken.

Natürlich gab es Mitte der 1920er Jahre Straßenkarten und Wegweiser. Doch Tankstopps wollten über eine solche Entfernung sorgfältig eingeplant werden, ebenso Übernachtungen.

Wie machte man das vor über 90 Jahren? Mit sorgfältiger Vorbereitung mittels Routenplanern, Reiseführern, Telefon und Telegrammen. Ein Reservekanister mit mind. 10 Liter Kraftstoff wird für ein Mehr an Reichweite gesorgt haben.

Und wenn man irgendwo unterwegs nächtigen musste, war man nicht anspruchsvoll. Nach spätestens drei Tagen war man ja wieder zuhause in Riga, wenn man täglich 10-12 Stunden Fahrtdauer und ein Durchschnittstempo von 50-60 km/h ansetzt.

Ja, liebe gestresste Zeitgenossen: So sah Luxus vor über 90 Jahren aus. Ein eigenes Automobil bescherte einem eine zuvor unbekannte Reichweite – Grenzen setzte nur das eigene Durchhaltevermögen…

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Kurios: Zwei Amis „under cover“ im Libanon

Auf diesem Oldtimerblog dreht sich alles um Vorkriegsautos auf historischen Originalfotos – ohne Markenschwerpunkt oder regionale Vorliebe.

Dabei geht es, von ein paar Eckdaten abgesehen, weniger um technische Details als darum, die Fahrzeuge so zu zeigen, wie sie einst im Alltag zu sehen waren.

So bekommt man einen oft überraschend anderen Eindruck als bei der Präsentation überrestaurierter Klassiker heutzutage auf Messen und Concours-Veranstaltungen.

Als Sammler möglichst exotischer Autobilder staunt man selbst immer wieder, worauf man bei der unvoreingenommenen Suche so stößt – und was man dabei Ungeahntes über die Welt erfährt.

Hier ein Beispiel, bei dem die Autos weniger spannend sind als die Situation, in der sie aufgenommen wurden:

Nun ja, mag sich mancher denken, sieht aus wie in einem Schweizer Wintersportort, wo gutsituierte Gäste ihre dicken Schlitten vor der Tür geparkt haben.

Doch merkwürdig: Unter „Hotel Becharre“ findet man im Netz keinen direkten Treffer, wohl aber eine Reihe von Ergebnissen mit abweichender Schreibweise. Nur verweisen die alle auf einen Ort im Nahen Osten – im Libanon, genau gesagt.

Schnee im Orient? So ungewöhnlich ist das gar nicht. Wer derzeit (Januar 2017) die Wetterlage im Mittelmeeraum verfolgt, dem wird dagegen in Sensationsmanier von großer Kälte und weißer Pracht berichtet, als ob es das dort noch nie gegeben hätte.

„Only bad news is good news“, das scheint mittlerweile auch beim Wetter die Devise der sogenannten Leitmedien zu sein. Genau hinschauen, Meinungsmache ausblenden und sich ein eigenes Bild machen, ist auch hier lehrreich.

Tatsächlich gibt es im Libanon hochgelegene Gegenden, in denen es im Winter so regelmäßig schneit, dass man dort Wintersport betreiben kann. 

Damit wären wir im nordlibanesischen Ort Bsharri, der 1.500 Meter hoch liegt und wo es praktisch jedes Jahr Schnee satt gibt. Genau dort steht noch heute das Palace Hotel Bsharri, vor dem einst unser Foto entstand.

Nach diesem überraschenden Ergebnis sind natürlich auch die zwei Autos zu würdigen. Beginnen wir mit dem malerisch zugeschneiten Fahrzeug links:

Dass es ein amerikanisches Modell ist, lässt bereits die geschwungene und mit Hörnern versehene Stoßstange vermuten.

Um den Wagen zu identifizieren, musste jedoch das globale Wissen von Vorkriegsspezialisten angezapft werden. Wo macht man das am besten? Nun, dafür gibt es eine Qualitätsadresse im Netz: prewarcar.com

Dort verdichteten sich rasch die Indizien dafür, dass es ein Chrysler von 1934 ist. Moment, damals stellte die Firma doch die „Airflow“-Stromlinientypen vor. Der Wagen auf dem Foto hat aber ein konventionelles „Gesicht“.

Die Lösung: Es gab 1934 noch ein herkömmliches Einstiegsmodell, den Chrysler Series CA (bzw. Series CB mit langem Radstand). Das muss man erst mal wissen…

Jetzt sind wir schlauer und werfen nur einen kurzen Blick auf die Daten, die bei US-Wagen jener Zeit stets beeindruckend sind: Beim Chrysler Series CA gebot der Fahrer über einen 4 Liter großen Sechszylinder mit bis zu 100 PS.

Für US-Verhältnisse wurde dieses Mittelklassemodell recht selten gebaut: Ganze 25.000 Exemplare wurden bis Anfang 1935 gefertigt. Von daher war ein solches Fahrzeug außerhalb der USA eine Seltenheit.

Kommen wir zum zweiten Wagen, der dank der Vorarbeit der beiden Herren besser zu erkennen ist:

Wer hier auf Opel Kapitän tippt, liegt leider daneben. Der legendäre „Ami aus Rüsselsheim“ verfügte zwar ebenfalls über die modische Haifischnase und eine Kühlerblende mit eng übereinanderliegenden Zierleisten.

Doch beim Ende 1938 vorgestellten Opel waren die Scheinwerfer komplett in den Kotflügeln integriert. Zudem war die Stoßstange im Art Deco-Stil verziert. Nein, hier haben wir es mit einem Studebaker des Baujahrs 1937 zu tun.

Ob es die Variante „Commander“ oder „President“ war – schwer zu sagen. Auffallend ist, dass sich im Netz kaum technische Daten und Produktionszahlen der Studebaker-Modelle finden. Es scheint, als habe die lange als führend wahrgenommene Marke nach ihrem Untergang an Nimbus verloren.

Die Wagen von Studebaker – einer der wenigen unabhängigen Hersteller in den USA – zeichneten sich jedenfalls durch reichliche Leistung und Komfortmerkmale aus. Vielleicht kann ein Leser noch Erhellendes zu den Typen des Modelljahrs 1937 beitragen. Dazu bitte die Kommentarfunktion nutzen.

Ganz fertig sind wir mit dem Foto aber noch nicht. Auch das Aufnahmedatum macht es zu einem bemerkenswerten Dokument: März 1940. Zu diesem Zeitpunkt gehörte der Libanon zum Einflussbereich Frankreichs, das erst im Sommer 1940 von deutschen Truppen erobert wurde.

Gut möglich, dass wir es hier mit im Libanon beheimateten Franzosen zu tun haben, die in Bsharri ein letztes Mal einen unbeschwerten Winterurlaub genossen. Was aus ihnen in den folgenden Monaten und Jahren wurde, wer weiß?

Mancher mag sich den Truppen des „Freien Frankreichs“ angeschlossen haben, die gegen das von Deutschland abhängige „Vichy-Regime“ kämpften, dem anfangs auch die französischen Kolonien und Einflussgebiete (wie der Libanon) unterstanden.

Was bleibt, ist außer unserem bald 80 Jahre alten Foto das Palace Hotel in Bsharri. Nur mache man nicht den Fehler, sich seinen heutigen Zustand anzusehen. Das Gebäude als solches ist noch zu erkennen, doch was ihm die „Baukunst“ der Nachkriegszeit angetan hat, ist ein ganz finsteres Kapitel…