Original oder Fälschung? Ein Stoewer S8 „Cabriolet“

Heute geht es auf den ersten Blick zwar um einen alten Bekannten, doch wie das bei Vorkriegswagen oft so ist, lassen sich ihm auch nach über 90 Jahren noch neue Seiten abgewinnen.

Das gilt besonders für die feinen Manufakturwagen der späten 1920er Jahre, die Stoewer aus Stettin fertigte und von denen kaum ein Exemplar vollkommen dem anderen entsprach. So kommt es, dass auch ein an sich gut dokumentierter Typ wie der S8 von 1928 die Frage aufwirft „Original oder Fälschung“?

Beim Stoewer S8 handelte es sich um einen der ersten deutschen Achtyzlinderwagen und auch wenn der Motor nicht die Raffinesse und Leistung des parallel eingeführten Horch „8“ erreichte, bleibt es bemerkenswert, dass Stoewer in dieser Liga mitspielte.

Stoewer gelang es zudem, seinen Achtzylinderwagen durch markante Gestaltungsdetails ein eigenständiges Erscheinungsbild zu geben – indem man sich von weniger gängigen US-Vorbildern „inspirieren“ ließ.

Im Fall des S8 übernahm man vom amerikanischen „Gardner“ des Modelljahrs 1927 die Aufteilung der Luftschlitze in kleine übereinanderliegende Felder – wie sie hier sehr schön zu studieren sind:

Stoewer S8 von 1928; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Gerade richtet der Besitzer eines Stoewer S8 die Kühlerfigur des Wagens – den berühmten pommerschen Greif.

„Sehen Sie, Franz, der Greif muss stets genau nach vorne weisen.“„So ist er, der Herr Doktor, als ob ich nicht wüsste, wo’s lang geht!“ könnte sich der Fahrer gedacht haben…

Die bei Gardner – einer von 1920 bis 1932 existierenden Nischenfirma abgeschauten Luftschlitze finden sich auf der folgenden Aufnahme aus der Sammlung von Klaas Dierks wieder, dank der ich den S8 nun erstmals in ganzer Pracht zeigen kann:

Stoewer S8, Vierfenster-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Die wesentlichen Details der vorherigen Aufnahme finden sich hier wieder – die Luftschlitze, die lackierten Scheinwerfer in Trommelform und der Greif auf dem Kühler.

Unterschiede betreffen das Fehlen der vorderen Doppelstoßstange und der vernickelten (oder verchromten) Radkappen – eventuell aufpreispflichtige Extras.

Dass der Besitzer dieses Wagens – vermutlich der junge Mann im damals als sportlich geltenden hellen Trenchcoat – sich nicht das „volle Programm“ von Stoewer leistete, zeigt auch der Umstand, dass er „nur“ die vierfenstrige Version der Limousine wählte und nicht die repräsentative Pullman-Limousine mit sechs Seitenfenstern.

So konnte er neben einigen Reichsmark auch das eine oder andere Kilogramm an Gewicht sparen, denn der Motor des Stoewer S8 hatte mit gerade einmal 45 PS aus 2 Litern Hubraum auch so genug an dem 1,3 Tonnen schweren Wagen zu schleppen.

Parallel bot Stoewer übrigens im Typ G14 ein deutlich stärkeres 8-Zylinder-Aggregat an, das mit 70 PS aus 3,6 Liter Hubraum der Wagenklasse eher angemessen war. Man kann den G14 eigentlich nur anhand der Zahl der Felder unterscheiden, auf die sich die seitlichen Luftschlitze unterteilen – acht statt sechs wie beim S8.

Allerdings war der G14 nicht nur wesentlich teurer, sondern auch weit schwerer und vor allem viel durstiger. Spitze 100 km/h (statt 85 km/h beim S8) forderten mit 18 Liter Verbrauch (ggü. 13 Liter) einen heftigen Tribut.

Da mag es für den einen oder anderen Interessenten attraktiver gewesen sein, sich für den zwar schwächeren, aber wesentlich wirtschaftlicheren S8 zu unterscheiden. Zudem gab es eine weitere Möglichkeit, das Leistungsgewicht zu reduzieren, nämlich diese hier:

Stoewer S8, 2-Fenster-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Auch diese Aufnahme haben wir dem Spürsinn von Leser und Vintagefoto-Spezialist Klaas Dierks zu verdanken.

Auch wenn die junge Dame mit Töchterchen hier die Front verdeckt, spricht die Haubenpartie für einen Stoewer S8 von 1928. Doch dahinter beginnt es rätselhaft zu werden.

Denn hier haben wir keinen gängigen Aufbau als Limousine oder (seltener) Tourenwagen. Auf den ersten Blick scheint es sich um ein zweitüriges Cabriolet zu handeln.

In Verbindung mit dem Radstand von 3,10 m wirkt dieser Aufbau aus heutiger Sicht zwar ungewöhnlich, doch findet man so etwas in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren durchaus.

Die eigentliche Frage, die mich umtreibt, ist folgende: Handelt es sich hier um ein originales Cabriolet oder ist der Aufbau nur so zurechtgemacht? Dann hätten wir es mit einem „Faux Cabriolet“ zu tun, also quasi einer Täuschung des Betrachters?

Für die These eines „gefälschten“ Cabriolets spricht aus meiner Sicht unter anderem das Fehlen eines mittigen Gelenks an der seitlichen Sturmstange. Man findet solche funktionslosen Elemente öfters bei „Faux Cabriolets“, da diese erheblich zum Eindruck eines originalen Cabriolets beitragen.

Zudem scheint mir der untere Abschluss des „Verdecks“ an der Seite und am Heck nahtlos in den Karosseriekörper überzugehen. Meine Vermutung ist, dass wir es mit einem kunstledernen Scheinverdeck auf einem festen Holzrahmen zu tun haben.

Ich kann mich aber auch irren und würde mich daher über Lesermeinungen zur natürlich augenzwinkernd gemeinten Frage freuen: „Original oder Fälschung?“

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Gedanke zu „Original oder Fälschung? Ein Stoewer S8 „Cabriolet“

  1. Leider kann ich nicht steuern, wieviel MB dort über Nacht landen – und die wenigsten nutzen WeTransfer für teilweise gigantische Bilddateien. Ich schaue heute abend mal wieder hinein…

Kommentar verfassenAntwort abbrechen