Begegnungen auf der Autobahn – im Hansa 1700

Nachdem der Sommer 2021 in unseren Gefilden unterkühlt und regenreich war – wohl die Revanche für die reichlichen Sonnenstunden der letzten Jahre – steht pünktlich zum 21. September der Herbst vor der Tür.

Dazu passend habe ich eine Fotoserie herausgesucht, die ebenfalls im September entstand – allerdings vor über 80 Jahren. So verlockend die Cabriolets und Cabriolimousinen der 1930er Jahre auch sind, ist dieses Mal ein geschlossener Aufbau die bessere Wahl.

Das geht keineswegs auf Kosten des Aussehens – ganz im Gegenteil. Vielmehr gehen wir mit einem der für mich attraktivsten deutschen Wagen der oberen Mittelklasse auf die Piste – in einem Hansa 1700.

Mit seinem 40 PS leistenden Sechszylinder war das 1934 vorgestellte Modell des mittlerweile zum Borgward-Konzern gehörenden Bremer Traditionshersteller nicht nur in punkto Fahrkultur attraktiv.

Auch die gelungene Form des nur als Zweitürer verfügbaren Hansa ist zu loben – und das sogar in der sonst häufig problematischen Rückansicht:

Hansa 1100 oder 1700; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ob es sich beim vorliegenden Exemplar mit Zulassung im Landkreis Stolp (Pommern) um das Sechszylindermodell 1700 oder den parallel verfügbaren Vierzylindertyp 1100 mit 28 PS handelte, lässt sich nicht sagen – aus dieser Perspektive sahen beide Ausführungen identisch aus.

Jedenfalls kommt hier die elegante Coupékarosserie sehr schön zur Geltung, deren Dachlinie an englische Vorbilder erinnert und dessen schräg nach hinten geneigte B-Säule (der Türabschluss also) bei deutschen Wagen einzigartig war.

Nur selten hat man den Fall, dass sich ein Vorkriegsauto aus diesem Blickwinkel auf Anhieb identifizieren lässt, obwohl keine Embleme oder Schriftzüge auf Marke und Typ hinweisen.

Schwieriger wird es indessen, wenn man sich im Wagen selbst befindet und nach vorne hinausschaut:

Hansa 1700 auf der Autobahn; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die vollverchromten Scheinwerfer könnten zu allem Möglichen gehören – beim Hansa 1700 waren sie Serienausstattung, wie es scheint (siehe die Fotos in meiner Hansa-Galerie).

Dass wir uns hier tatsächlich in einem Hansa 1700 befinden, werden wir gleich sehen. Doch um dem Titel „Begegnungen auf der Autobahn“ gerecht zu werden, gilt es hier, auch dem Wagen Aufmerksamkeit zu schenken, der uns gerade links überholt hat und nun der beachtlichen Steigung entgegenstrebt, die vor uns liegt.

Die Gestaltung der Heckpartie mit verchromten Kofferraumscharnieren und aufgesetztem Ersatzrad spricht stark für einen Opel ab Mitte der 1930er Jahre. Die Fähigkeit, den Hansa zu überholen, lässt eigentlich nur den Typ „2 Liter“ mit Sechszylindermotor in Betracht kommen. Wie der Hansa 1700 war der Opel für 100 km/h Spitze gut.

Kommen wir nun aber zu einer aussagefähigeren Ansicht unseres Fortbewegungsmittels, das uns dergleichen „Begegnungen auf der Autobahn“ ermöglicht:

Hansa 1700; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir den Wagen nicht ganz vollständig, aber aus vorteilhafter Pespektive.

Kühler, Frontscheibe und B-Säule sind im selben Winkel geneigt und geben dem knapp 1,1 Tonnen schweren Wagen eine windschnittige Anmutung. Die fünf nebeneinander liegenden Luftklappen in der Haube finden sich nur beim Typ 1700, beim etwas kürzeren Vierzylindermodell Hansa 1100 waren es deren vier.

Die profilierten Radkappen unterscheiden diese Ausführung von den frühen Exemplaren mit glatten Radkappen, während der in den unteren Ecken spitz zulaufende Frontscheibenrahmen gegen die späte Ausführung spricht (abgerundeter Scheibenrahmen).

Jetzt aber runter vom Rastplatz und vorwärts zur nächsten Begegnung auf der Autobahn. Eine Weile regnet es zwischendurch und wir reduzieren die Geschwindigkeit, da wir noch keine Erfahrung damit haben, wie sich der Hansa auf dem neuen Beton der Autobahn bei Nässe fährt.

So können wir rechtzeitig bremsen, als wir an der nächsten Raststelle eine junge Dame allein mit einem schweren Motorrad erblicken – vielleicht benötigt sie ja Hilfe. Doch rasch klärt sich die Situation, sie macht bloß eine kurze Pause:

Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wir nutzen die Gelegenheit zu einem kurzen Erfahrungsaustausch. „Wie fährt sich denn Ihre Maschine auf der Autobahn, ist sie vollgasfest?“ wollen wir wissen. „Ganz ausgezeichnet„, erwidert die Motorrad-Amazone.

Meine 350er NSU schafft bis zu 110 Stundenkilometer. Lasse ich sie mit hundert laufen, sind die Vibrationen nicht so stark und trotzdem komme ich schneller voran als viele Autos. Bloß der Regen ist ein wenig lästig.

Donnerwetter, junge Frau, unseren Respekt haben Sie. Wo geht die Reise denn hin? Haben Sie noch weit zu fahren?

„Naja, eine Weile werde ich noch unterwegs sein. Ich will in Hildesheim ankommen, bevor es dunkel wird, bis dahin sind noch ein paar Steigungen zu absolvieren. – Würden Sie mir einen Gefallen tun und ein Foto von mir machen? Ich habe meine eigene Kamera dabei.

Sie zieht eine brandneue Contax-Kleinbildkamera aus ihrer Montur, stellt Blende und Belichtung ein und reicht sie hinüber. „Hier können sie scharfstellen„, erklärt sie uns, die wir dieses Wunderwerk nur vom Hörensagen kennen.

Und machen Sie bloß nichts Langweiliges„, lacht sie charmant. „Sie haben doch sicher von der Frauenbewegung gehört, der fühle ich mich zugehörig. Ich laufe jetzt von hinten auf die NSU zu und wenn ich das Hinterrad erreiche, drücken Sie den Auslöser, ja?

Etwas irritiert von dieser selbstbewussten Anweisung nehmen wir die Kamera in Empfang und tun, wie uns geheißen – leider verwackeln wir vor Aufregung etwas, aber immerhin:

Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So eine Situation darf man nicht verstreichen lassen, auch wenn man von Kopf bis Fuß auf Vorkriegsautos eingestellt ist. Fast hätten wir vergessen, die Contax zurückzugeben, so sehr hat uns diese Begegnung auf der Autobahn mitgenommen.

Dann tritt die junge Dame die NSU gekonnt an, legt den ersten Gang ein, dreht den Einzylinder etwas hoch, lässt die Kupplung schnalzen und donnert grußlos davon – ach, hätten wir uns doch ihre genaue Adresse geben lassen.

So könnte es gewesen sein im September 1937, als diese Fotos entstanden. Vermutlich war es aber etwas anders, denn die Fotos des Hansa und der NSU stammen aus einer Serie, die mit derselben Kamera aufgenommen wurde, mit ein paar Tagen Abstand.

Ob die Besitzer des Hansa und der NSU ein und dieselben Personen oder miteinander bekannt waren, wird sich nicht mehr in Erfahrung bringen lassen. Reizvolle Dokumente von Begegnungen auf der Autobahn sind es allemal.

Doch ganz am Ende bin ich noch nicht. Auch dieses Foto gehört zur selben Serie:

Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist eine Aufnahme, die man nicht groß kommentieren muss – so schön kann eine Autobahn sein, auf der nur Vorkriegsautos verkehren, vorneweg ein Adler.

Wer auch immer dieses Foto gemacht hat, muss ein Mensch mit Blick für malerische Situationen gewesen sein, zu einer Zeit, in der sich düstere Wolken am Himmel über Europa zusammenzuziehen begannen.

Schließen möchte ich mit der letzten Aufnahme aus dieser Serie, die nochmals dem Titel „Begegnungen auf der Autobahn“ gerecht wird. Wahrscheinlich wurde dieses Foto bei einem weiteren Halt des Hansa 1700 am Straßenrand gemacht:

Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir einen der populären DKW-Zweitaktwagen abwärtssausen. Auch als DKW-Fahrer war man stolz auf die Zugehörigkeit „seiner“ Marke zur legendären Auto-Union und investierte gern einige zusätzliche Reichsmark in Zubehör wie die Reserveradabdeckung.

Wer angesichts der vier Ringe an Audi denkt, liegt nicht ganz verkehrt, sind diese doch für die nach dem Krieg neu geschaffenen Marke in Anlehnung an den einstigen Mutterkonzern als Emblem ausgewählt worden – ein schönes Beispiel für die Kontinuität von Image.

Was ist noch zu dieser letzten „Begegnung auf der Autobahn“ aus der heute vorgestellten Serie zu sagen? Nun, dieses Foto ist das einzige, auf dem der Aufnahmeort vermerkt ist: „Autobahn München-Salzburg“ ist in feiner Frauenhandschrift umseitig vermerkt.

Und noch etwas steht dort, was diese Aufnahme besonders macht. Denn als einzige entstand sie nicht im Herbst 1937, sondern Ende Juni 1939, gut acht Wochen vor Beginn des 2. Weltkriegs. Und das Fotogeschäft Wesemüller, in dem der Abzug gemacht wurde, befand sich in Hildesheim – dort, wo einst unsere Motorrad-Amazone zuhause war…

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „Begegnungen auf der Autobahn – im Hansa 1700

  1. Übrigens : solche Auto- bahn- Gefällestrecken verlangten vom Lenker des kleinen DKW beson- dere Aufmerksamkeit!
    Der keine 600er 2 Zyl.- Zweitakter, bei der Reichsklasse ohne Frei- lauf, setzte mangels Bremswirkung im 3.Gang
    dem Hochdrehen beim
    Rollenlassen ohne Gas
    auf solchen langen Ge- Fälle kaum Motorbrems- wirkung entgegen.
    Er musste also unbe- dingt immer wieder einen kurzen Gasstoß
    (20 sek. Halbgas ca. alle
    zwei Minuten) geben um
    dem Motor mit dem Sprit eine ausreichende
    Quanität Schmieröl zuzuführen . Hohe Dreh-
    zahl mit Leerlaufgas (auch ohne Last) ging nicht und man hätte sich
    unweigerlich einen Kol- benklemmer, wenn nicht
    -fresser mit akuter Blockade (Kolben bricht,
    Pleuel sucht das Weite durchs Kurbelgehäuse)
    zur Folge gehabt.
    In einer Meisterklasse wurde der Motor bei Gas- Wegnahme automa
    -tisch vom Kraftfluss ge-
    trennt wenn man den Freilauf eingeschaltet hatte und man konnte
    den Wagen sorglos rollen lassen und umso
    entspannter die Landschaft genießen!
    Bei längeren und steilen Gefällestrecken ( wie Passstraßen) nutzte man tunlichst das bisschen Bremsleistung des 700er
    Motors und sperrte den Freilauf, musste dann aber bei eingeschaltetem
    2. Gang wieder öfter leicht Gas geben, damit der Motor die nötige Menge Schmieröl nicht vermisste und auch nicht
    zu sehr auskühlte. Der geübte Dkw- Fahrer hatte das im trainierten Gasfuß und konnte nebenbei trotzdem das Alpenpanorama genießen!

  2. Wieder interessante Bilder aus der Frühzeit
    der Autobahn-„Hetzerei“
    als beilibiges Halten am Straßenrand noch tole- rert war. Der Blumen- straus für Tante Hilde
    oder Mutter/Oma konnte
    bei der Gelegenheit am Straßenrand während der Abkühlpause des noch nicht Autobahnfes- ten DKW gepflückt werden !
    Die damaligen Hansa – Wagen waren damals irgendwie was Besonde- res und waren oft von
    „passionierten“ Auto- fahrern bevorzugt.
    Die Bauart der Limou- sine war eigentlich eine
    die man als Coupe bezeichnete, da sie ohne
    tragende B-Säule aus- kam. Die eigentlich nicht
    so elegante Parallität der
    Fensterrahmen der Tür- scheiben wurde bevor- zugt, weil nur sie eine stabile Führung der Kur- belfenster ermöglicht ohne einen wesentlich aufwändigen Kurbel-mechanismus verwenden zu müssen.
    Der DKW im letzten Bild ist eine F 7 oder F8- ReichsklasseSpezial(eher
    F7 da zum Zeitpunkt der Aufnahme wesentlich mehr Wagen im Verkehr waren als vom neuen Modell F8(ab Ende 1938)
    Die Ausführung „Spezial“ ist von hinten an den an den Aussenkanten der Karosserie deutlich mar- kierten Alu- Nagelleisten
    zu identifizieren.
    Das Vierringe- Symbol
    das wir auf der damals sehr beliebten Ersatz-radhülle ( die als Zubehör für wenige RM
    zu haben war un mur billigen dünnen Kunst- leder Bestand und des- wegen heute kaum je mehr erhalten ist.
    Die Vieringe wurde zur Symbolisierung der vier
    in der Auto Union zu- zusammen geführten Autohersteller und lagen als Symbol in der Vorbe- reitungsphase der Olym- pischen Spiele von 1936
    in Deutschand (O. Olym-
    pia) und hätte fast den 5.
    Ring gehabt wenn es, wie
    ursprünglich vorgesehen
    zur Eingliederung der VOMAG Lkw- Fabrik in Plauen gekommen wäre!

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