Der Bub muss an die Luft: Ein Dixi 6/18 Tourer

Dieser Tage ist in meiner Heimatregion – der hessischen Wetterau – noch einmal ein Hauch Winter zu spüren. Nachts gehen die Temperaturen deutlich unter die Frostgrenze und die Höhen des Vogelsbergs grüßen schneebedeckt aus der Ferne.

Zur Abwechslung lässt sich auch die Sonne blicken, also heißt es hinaus an die frische Luft!

Unterwegs begegnen einem dann die üblichen Verdächtigen: einer führt seinen Hund aus, ein anderer begutachtet mit dem Fernglas das Storchennest in der nahen Aue, in dem kürzlich ein Junggeselle eingezogen ist, wiederum andere machen sich zu Pferde auf ins Gelände. Kinder waren nicht dabei – dabei müssten sie dringend an die frische Luft!

Es ist wie mit den Brillenträgern in der Schule – in meiner Jugend waren das ganz wenige, die man ob ihres Exotenstatus als Brillenschlange bezeichnete. Irgendwann später fiel mir auf, dass bei Schülern die Brille mittlerweile fast der Normalzustand geworden ist.

Ich entwickelte die These, dass die armen Blagen alle kurzsichtig sein müssen, weil sie von ihren Eltern kaum noch vor die Tür gelassen werden, sodass die Augen das „Scharfstellen“ in die Ferne verlernen. Erst kürzlich las ich von einer Studie, die genau das bestätigt.

Die Kinder müssen an die frische Luft, je öfter desto besser und je kälter es ist, desto besser – alles gut für Ausdauer, Augen, Abwehrkräfte. Und weil es in diesem Blog ja auch um Vorkriegsautos gehen soll, kann ich natürlich mit dem passenden Beweisfoto aufwarten:

Dixi 6/18 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

„Der Bub muss an die frische Luft, mein Sohn“, so bestimmte vielleicht der Großvater, der grimmig dreinschauend rechts zu sehen ist.

Recht hatte er, denn der Bubi war zwar wohlgenährt, wies aber eine ungesund blasse Gesichtsfarbe auf. Vielleicht gab es damals schon Eltern, die ihre Sprösslinge am liebsten von allem abschirmen wollten, was in irgendeiner Form unangenehm sein könnte.

Jedenfalls wurde kein Widerstand gegen das Votum der älteren Generation geleistet. Der Vater holte den Wagen hervor, verstaute das Verdeck im umlaufenden Kasten am Heck und nahm den Bub mit an Bord.

Gleich geht es los, schnell wird noch ein Foto gemacht: „Bubis erste Ausfahrt“, so schrieb die Mutter später liebevoll zur Erinnerung auf den Abzug. Das habe ich mir jetzt zwar ausgedacht, aber passen würde es.

Nicht ausgedacht habe ich mir, dass es sich bei dem Wagen um einen „Dixi“ der altehrwürdigen Fahrzeugfabrik Eisenach handelte.

Die schrägstehenden Luftschlitze findet man vor dem 1. Weltkrieg zwar auch bei anderen deutschen Herstellern – etwa bei Opel und Horch – doch dieser Wagen wurde erst Anfang der 1920er Jahre gebaut.

In Verbindung mit der markanten Kühlerfigur fanden sich diese schrägen Luftschlitze nur bei den ab 1921 neu vorgestellten G-Typen von Dixi:

Auf den Erstlingstyp G1 6/18 PS folgte bereits 1923 das Modell G2 6/24 PS, das nach damaligen Maßstäben nun auch angemessen motorisiert war.

Äußerlich lassen sich die beiden Varianten kaum auseinanderhalten. Radstand und Aufbau waren gleich, nur die Dimension der Räder unterschied sich. Leider ist hier die Beschriftung der Räder nicht lesbar.

Meine Vermutung ist aber, dass solche Dixis mit nur vier Luftschlitzen in der Regel Exemplare der schwächeren Ursprungsversion 6/18 PS waren, während man dem wesentlich stärkeren 6/24 PS-Modell früher oder später weitere Luftschlitze verpasste, um die in größerer Menge anfallende Abwärme aus dem Motorraum herauszubekommen.

Hier haben wir ein Beispiel dafür:

Dixi 6/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Helmut Kasimirowicz

Der hintere Aufbau ist deutlich moderner, die Proportionen sind aber dieselben geblieben und vorn auf dem Kühler stürmt ebenfalls der Dixi-typische Kentaur nach vorne.

Neben der größeren Zahl der Luftschlitze spricht hier auch die größere Bremstrommel an der Hinterachse für das stärkere Modell 6/24 PS, das in mehreren Ausbaustufen bis 1928 gebaut wurde (ab 1925 mit Vorderradbremse).

Zurück zum Dixi 6/18 PS, der hier noch eine üppig auskragende Karosserie im expressiven „Tulpenstil“ trägt, der Anfang der 1920er Jahre kurze Zeit en vogue war:

Der blasse Bub schaut uns pausbäckig und wenig inspiriert an. So viel Licht scheint er nicht gewohnt zu sein, daher kneift er die Augen zu.

„Das Kind muss an die frische Luft“, das ist wohl kaum zu übersehen. Es muss ja keine winterliche Ausfahrt im offenen Wagen sein, aber wann, wenn nicht jetzt, bauen die Kleinen die natürlichen Abwehrkräfte auf, die sie im Idealfall ihr Leben lang begleiten?

Diese Begegnung behält ihr Immunsystem in Erinnerung, wenn das Auto, in dem sie einst ihre Ausfahrt machten, längst Geschichte ist…

© Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

4 Gedanken zu „Der Bub muss an die Luft: Ein Dixi 6/18 Tourer

  1. Hallo Renè, das wäre großartig. Vermutlich war seinerzeit mein Postfach wieder einmal voll… Gruß, Michael P.S. Viel Erfolg mit Deinem Projekt!

  2. Hallo Michael,

    sehr gern. Ich kann dir die Ausschnitte des Prospektes und der Ersatzteilliste auch gern mal per Mail verschicken. Das hatte ich bei deinem letzten Dixi 6/24PS Eintrag schon versucht, aber die Mail scheint nicht angekommen zu sein.

  3. Hervorragend, danke für die Aufklärung – wieder etwas gelernt! Ich nehme noch ein paar Anpassungen am Text vor und schaue mir auch die Bilder in meiner Dixi-Galerie nochmals an.

  4. Hallo Michael,
    sehr gut, du hast also das „Schwesternfoto“ erworben, zu dem welche ich besitze.
    Ich bin bis vor einigen Jahren auch davon ausgegangen, dass es sich um einen 6/18PS handelt.
    Diese Meinung musste ich jedoch revidieren und zwar ausfolgendem Grund: Das Auto besitzt den Tank hinter der Hinterachse. Beim 6/18PS und ganz frühen 6/24PS war der Tank jedoch noch über dem Motorraum angeordnet. Als Beweise dafür habe ich ein originales Prospekt vom 6/18PS sowie eine ganz frühe Ersatzteilliste vom 6/24PS die jeweils auf den Tank im Motorraum verweisen. Hier war der Rahmen auch noch etwas kürzer und endete ca. 30cm weiter vorn.

    Es handelt sich somit auf dem Foto um einen ganz frühen 6/24PS bei dem der Tank schon hinten saß.

    Die von dir aufgeführten Indizien wie Motorhaube mit 4 Schlitzen, kleine Bremsen hinten, Tulpenkarosse sowie Zentralverschlüsse als Lochmuttern gab es ebenfalls an den frühen 6/24PS-Modellen. Die vierschlitzige Motorhaube kann man z.B. auch an dem in Eisenach im Museum ausgestelltem 6/24PS G2 bewundern.

    Ich versuche zurzeit ebenfalls einen 6/24PS zu rekonstruieren und suche alle möglichen Teile.
    Viele Grüße René Förschner

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