Hatte einst die Nase vorn: Stoewer V5 Fronttriebler

Seitdem ich diesen Blog begonnen habe – das war 2015 – begleitet mich eine deutsche Marke, deren Reiz sich mir erst nach und nach erschlossen hat – Stoewer.

Daran nicht ganz unschuldig ist Stoewer-Urgestein Manfried Bauer, von dessen einzigartigem Wissen um die Marke aus seiner Geburtsstadt Stettin ich über die Jahre enorm profitiert habe.

Nach und nach wurde mir klar, was Stoewer so besonders machte: Keinem anderen Hersteller aus deutschen Landen ist es gelungen, über so lange Zeit unter der Kontrolle der Gründer zu bleiben und sich dabei immer wieder neu zu erfinden.

Die Gebrüder Stoewer hatten fast immer die Nase vorn, wenn es darum ging, auf sich ändernde Anforderungen des Marktes zu reagieren, während andere Firmen mit veralteten Rezepten untergingen oder mit unausgegorenen neuen Konzepten scheiterten.

Wenn dagegen Stoewer etwas Neues unternahm, konnte man sicher sein, dass man den Markt zuvor genau studiert hatte und nicht davor zurückschreckte, Traditionen über Bord zu werfen dort, wo sie hemmten.

Gleichzeitig arbeitete man Innovationen so gründlich durch, dass sie marktfähig waren. Beides entsprach dem amerikanischen Verständnis, dass ein Produkt vom Kunden her gedacht sein muss, um erfolgreich und damit profitabel sein zu können.

So ist es zu erklären, dass man in Stettin kein Problem damit hatte, sich Anfang der 1930er Jahre von den luxuriösen Achtzylindern zu verabschieden, die man seit 1928 hergestellt hatte, für welche die Zeitumstände aber immer ungünstiger geworden waren.

Den Abschluss dieser beeindruckenden Entwicklung, die ich gelegentlich anhand „neuer“ Fotos nachzeichnen will, markierte das Modell „Marschall“:

Stoewer Typ M12 „Marschall“; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Kaum hatte man diesen Achtzylindertyp mit 3 Liter-Motor, der noch bis 1934 in Manufaktur weitergebaut werden sollte, auf den Markt gebracht, vollendete man ein neues Fahrzeug, das in denkbar großem Kontrast dazu stehen sollte.

Dabei handelte es sich nicht nur um einen Kleinwagen mit 25 PS Leistung aus 1,2 Litern Hubraum, verteilt auf vier Zylinder. Man hatte auch in anderer Hinsicht Neuland betreten – denn dieser Stoewer Typ V5 war Deutschlands erster Serienwagen mit Frontantrieb!

Noch bevor DKW seine frontgetriebenen Zweitakter einführte, bewies Stoewer damit, dass man als mutiger Nischenanbieter durchaus die Nase vorn haben konnte.

Und so sah diese Neuschöpfung aus, die vom pommerschen Greif auf dem Kühler praktisch nichts mit den prachtvollen 8-Zylindern mehr gemeinsam hatte:

Stoewer V5 Cabriolimousine von 1931; Originalfoto aus Sammlung Helmut Kasimirowicz

Der Wagen auf dieser Aufnahme, die ich Helmut Kasimirowicz (Düsseldorf) verdanke, entspricht bis auf kleine Details dem Versuchswagen, in dem Bernhard Stoewer im November 1930 abgelichtet wurde (siehe: Stoewer-Automobile 1896-1945, von Hans Mai, S. 78).

In der Serienausführung, wie sie auf obigem Foto zu sehen ist, besaß der kleine Fronttriebler verchromte Radkappen und seitliche „Schürzen“ an den Kotflügeln.

Diese setzten sich am deutschen Markt in der Breite erst nach dem Debüt des Graham „Blue Streak“ im Jahr 1932 durch. Somit hatte Stoewer auch in diesem Detail die Nase vorn.

Übrigens überarbeite man schon bald die „Nase“ des neuen Stoewer V5, die anfänglich noch etwas knubbelig ausgefallen war, da der Frontantrieb unterhalb des Kühlers hervorragte (wie übrigens beim ersten DKW Frontriebler F1 auch).

So verpasste man dem Wagen eine repräsentative Kühlermaske, welche optisch an diejenigen der parallel weitergebauten Achtzylinder angelehnt war und lediglich etwas schräggestellt wurde.

Dies ist gut auf der folgenden Reklame zu erkennen, wenngleich der hier abgebildete Wagen perspektivisch etwas verunglückt wiedergeben ist:

Stoewer V5, Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Mit „gelifteter“ Nase verzeichnete der Stoewer V5 für einen Nischenhersteller einen beachtlichen Erfolg. Während der kurzen Bauzeit (1931/32) konnten über 2.000 Exemplare an den Mann gebracht werden.

Dies ist umso bemerkenswerter, als der Stoewer kein billiges Auto war. Der Grundpreis von 3.250 Mark lag drastisch höher als der, welchen DKW für seinen neuen Fronttriebler aufrief (2.100 Mark für die Cabrio-Limousine).

Freilich bot der Stoewer auch eine weit robustere Karosserie und 10 PS mehr, die in Verbindung mit quergefederter Schwingachse entscheidend für ein souveräneres Fahrerlebnis waren.

So verwundert es nicht, dass die Besitzer des fortschrittlichen kleinen Stoewer durchaus selbstbewusst auftraten wie auf dieser zeitgenössischen Postkarte, die mir Stoewer-Besitzer Jürgen Lüttgen zur Verfügung gestellt hat:

Stoewer V5 in Sachsen; originale Postkarte aus Sammlung Jürgen Lüttgen

Der Stoewer-Frontantriebswagen durchlief anschließend noch einige Metamorphosen, bei denen er immer besser und auch optisch attraktiver wurde.

Ihren Endpunkt fand diese kurze, aber stürmische Entwicklung 1935 mit dem Typ R-180, der von den Proportionen und der Leistung her ein vollwertiger und äußerlich repräsentativer Mittelklassewagen war.

Doch auch der allererste Stoewer mit Frontantrieb, der bescheiden daherkommende V5 von 1931, sollte noch viele Jahre präsent bleiben. Hier haben wir ein Exemplar, das nach dem 2. Weltkrieg trotz eines Alters von fast 20 Jahren für längere Ausflugsfahrten genutzt wurde:

Stoewer V5 in Darmstadt 1950; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Exemplar wurde 1950 in Darmstadt abgelichtet, wo damals die Spuren des Bombenkriegs noch frisch waren.

Weitere Fotos dieses weitgereisten Wagens in besserer Qualität habe ich hier präsentiert. Offenbar hatten Stoewer-Autos auch in Sachen Haltbarkeit einst die Nase vorn…

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Ein Gedanke zu „Hatte einst die Nase vorn: Stoewer V5 Fronttriebler

  1. Beim Blick auf den Stoewer V5 kommen mir auch der BMW 3/15 und der Hanomag 3/16 in den Sinn – und alle 3 nahmen binnen 3 Jahren eine enorme Entwicklung, die diese schon äußerlich unverwechselbar machte. Spätestens alle 3 Jahre eine neue Gestaltung … in einer Zeit des schnellen Wandels.

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