Der Oktober nähert sich seinem Ende. Das Regendefizit des Sommers ist mehr als ausgeglichen – selten habe ich meine Heimatregion, die hessische Wetterau, um diese Jahreszeit so grün gesehen.
Zuletzt gab es wieder einige Tage „Goldenen Oktober“ zu genießen, mit Temperaturen an die 20 Grad tagsüber und prächtiger Sonne. Der alte Rosenstock an der Hausecke bringt noch einmal ein Feuerwerk an Blüten hervor, auch wenn bereits die ersten Blätter fallen.
Unweigerlich rückt der November nahe und damit beginnt für mich eine Zeit der Tristesse – kurze und immer kürzere Tage, ewiges Grau und reichlich Regen ziehen meine Stimmung dann zuverlässig nach unten.
Doch dagegen lässt sich etwas tun – nämlich, indem man sich von der geheimnisvollen Schönheit von Vorkriegsautos verführen lässt. Deren Magie funktioniert sogar an einem Regentag und heute zeige ich schon einmal, wie das geht.
Stellen Sie sich vor, es ist draußen kühl und unbeständig. Sie sind sehr gut situiert und können sich nach getaner Schreibtischarbeit in einen Sechszylinder-Wanderer des Typs 10/50 PS (W11) von Ende der 1920er Jahre setzen.
Damit lassen Sie Fußgänger, Radler, Motorradfahrer und Insassen von Straßenbahnen in ihrem Elend zurück. Was wäre bei Regenwetter besser geeignet als die Limousinenversion des Wanderer?

Hier sieht man Chromschmuck, wie ihn Wanderer noch nie so opulent eingesetzt hat wie bei dem 1928 eingeführten Modell 10/50 PS mit seinem geschmeidigen 2,5 Liter-Sechszylinder.
Lamellenkühler, Doppelstoßstange, große vollverchromte Scheinwerfer, seitlich am Haubenende angesetzte Positionsleuchten – alles fein nach Vorbild der damals führenden US-Hersteller gestaltet.
Eine eigene Formensprache entwickelten deutsche Hersteller erst wieder in den 1930er Jahren. Aber das Kopieren der amerikanischen Vorbilder bekam den bis dato oft sehr bieder wirkenden Wanderer-Wagen ausgezeichnet.
Dennoch missfällt mir im Vorgriff auf die nahende November-Depression der Gedanke an diese düstere Limousine, so angenehm der Aufenthalt darin auch wäre.
Nein, meine erste Wahl bei Regenwetter wäre ganz klar der Wanderer W11 als Roadster-Cabriolet! Herrje, was denn nun: Roadster oder Cabriolet?
Es stimmt schon so. Wanderer verwendete für sein schickes Zweitürer-Cabrio tatsächlich die Bezeichnung „Roadster-Cabriolet“. Auch das hatte man sich den Amerikanern abgeschaut, von denen man in Sachen Marketing von jeher nur lernen kann.
Niemand in den Staaten nahm diese Bezeichnungen ernst – sie mussten gut klingen und mit Blick auf verschiedene Kundenneigungen anschlussfähig sein. „Roadster“, das klingt verwegen und sportlich, „Cabriolet“, darin schwingt Großzügigkeit und Eleganz mit.
Wanderer verfügte damals mit dem Neueinsteiger Klaus Detlof von Oerzen über einen Mann, der ein hervorragendes Händchen für solche Marketing-Aspekte hatte.
Ihm ist im Wesentlichen die Verwandlung von Wanderer aus einem Kleinwagenhersteller in eine immer noch grundsolide, aber eben auch repräsentative Marke zu verdanken.
Wem das übertrieben erscheint, der wird gleich eines Besseren belehrt. Denn man müsste ja verrückt sein, bei Regen die abweisend anmutende dunkle Limousine zu wählen, wenn man ebensogut dieses hell-elegante Prachtstück fahren kann:
Hier hat es offensichtlich vor kurzem geregnet. Doch nun hat der Niederschlag aufgehört und darum hat man das Verdeck niedergelegt. Selbiges ist übrigens nach Cabriolet-Manier üppig gefüttert und gäbe auch bei Regen und Kälte guten Schutz.
Ein Roadster hätte nach der reinen Lehre zwanghaft veranlagter Zeitgenossen nur ein dünnes Notverdeck, keine seitlichen Kurbelscheiben und dafür tief ausgeschnittene Türen.
In den USA war dennoch für einen solchen Aufbau die Bezeichnung „Roadster“ üblich, sofern der Wagen nur zwei Türen hatte und ein nach hinten abfallendes Heck (meist mit „Schwiegermuttersitz“) besaß. In Verbindung mit „Cabriolet“ war Wanderer auf der sicheren Seite, was den Kundengeschmack angeht.
Geliefert wurde dieser schöne zweifarbige Aufbau übrigens von Reutter aus Stuttgart, das meine ich jedenfalls nach Abgleich mit entsprechenden Fotos in der Standardliteratur (Th. Erdmann/G. Westermann, Wanderer-Automobile, Verlag Delius-Klasing).
Zugelassen war dieses Exemplar im thüringischen Zella-Mehlis, mehr ist leider über das Fahrzeug nicht bekannt.
Wir können aber sicher sein, dass auch der Fahrer damals klar der Ansicht war, dass er mit dem offenen Aufbau die bessere Wahl getroffen hatte:
Was es mit dem Mützenabzeichen des Fahrers auf sich hat, das kann vielleicht einer meiner Leser verraten.
Ich habe keine Zeit dafür, denn ich muss mich jetzt auf den „Fund des Monats“ vorbereiten, der diesmal sehr klein ausfällt, aber für eine ziemlich große Überraschung sorgen dürfte…
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
@ KD : Vielen Dank ! Dann könnte das die Feldschmiede sein mit ihrem gekrümmten Straßenverlauf – und im Verlagshaus gab es die Itzehoer Nachrichten ? Den (mittlerweile gelöschten) HRA-Eintrag am AG Pinneberg für das Uhren-Haus habe ich nun auch gefunden. Von den 3 Plaketten erkenne ich leider nur die mittlere und geographisch bedeutungslose vom ADAC …
Danke!
Der Wanderer gegenüber dem Uhrenhaus-Peters stand in Itzehoe.
KD
Anstelle des strahlenden Sonnenscheins kurz vor dem Reformationstag und Allerheiligen hätte man naßkaltes Regenwetter erwarten können, vor dem der hier ggü. dem Uhren-Haus Peters parkende Wanderer IP-43101 vor über 90 Jahren seine Insassen bestens bewahrte. Im Zeitungsverlag daneben gab es frisch gedruckte Nachrichten, ob es jedoch Norddeutsche, Holsteinische, Ostfriesische oder Dithmarscher waren ? Bestens sortiert wie die Zeitungslandschaft war auch die Automobillandschaft im Jahre 1928, wie hier die Marke mit dem geflügelten W aus Sachsens Mitte eindrucksvoll belegt. Waren die Namen der Karosserievarianten vom Club Sedan und Brougham zum Boattail Speedster, de Ville, Town und Business Coupé jenseits des großen Teichs noch opulenter, so präsentiert sich auch der Wanderer W11 aus Thüringen in perfekter Zweifarbenlackierung samt beidseitiger Positionsleuchten … passend zum Doppelnamen ! Gleichwohl fasziniert mich der Dunkle aus dem kühlen Norden mit dem zusätzlichen Suchscheinwerfer noch mehr.
Ist geändert, danke!
Nun ja, bitte die Bildunterschrift bei dem Foto des Wanderer Cabrio korrigieren und die „Limousine“ durch „Cabriolet“ ersetzen …
Ist kein Rad, meine ich, irgendetwas anderes…
Hallo,
das Abzeichen ist zu klein, um es sicher zu sagen. Sollte es sich um ein geflügeltes Rad handeln, wird der Mützenträger etwas mit der Eisenbahn zu tun haben.
KD