Milano-Francoforte in 5 Jahren: Alfa-Romeo 6C1750

Von Mailand in Oberitalien nach Frankfurt am Main braucht man – wenn alles gutgeht – im Auto rund sieben Stunden. Dabei sind etwas Warterei am Gotthard und beim Grenzübergang in Chiasso sowie ein Stop zum Tanken inbegriffen.

Macht bei einer Strecke von gut 650 Kilometern einen Schnitt von unter 100 km/h, nicht gerade eindrucksvoll angesichts der Geschwindigkeiten, die heute mit dem Auto möglich sind.

Doch vor allem die seit Jahrzehnten bestehenden Nadelöre auf deutscher Seite – legendär die seit den 1980er Jahren im Verkehrsfunk fest beheimateten Baustellen bei Karlsruhe – drücken nach meiner Erfahrung den Schnitt.

So sollte man meinen, dass sich die Strecke Anfang der 1930er Jahre ebenfalls in derselben Zeit absolvieren ließ – vorausgesetzt, man verfügte über einen Wagen, mit dem sich ein Schnitt von an die 100 km/h realisieren ließ.

Das war zwar noch die Ausnahme und autobahnmäßig ausgebaute Straßen gab es damals nur auf italienischer Seite auf dem Abschnitt von Mailand bis kurz vor die Schweizer Grenze.

Aber schon Reiseberichten von Mitte der 1920er Jahren ist zu entnehmen, dass auf passablen Landstraßen an die 100 km/h gefahren wurde, wenn man Strecke machen wollte und der Wagen auf ein solches Dauertempo ausgelegt war.

Wie um Himmels willen kann dann ausgerechnet ein Alfa-Romeo des sportlichen Typs 6C1750 Anfang der 1930er ganze fünf Jahre gebraucht haben, um von Mailand nach Frankfurt am Main zu gelangen? Ich kann es wie (fast) immer erklären.

Werfen wir zunächst einen Blick auf das Fahrzeug:

Alfa-Romeo 6C1750 Berlina; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das soll ein Alfa-Romeo des sportlichen Typs 6C1750 sein?

War das nicht ein 1929 vorgestellter Sportwagen mit 6-Zylindermotor, der aus 1,8 Liter über 100 standfeste PS herausholte und weit über 150 km/h schnell war? Ja und nein.

Denn von dem legendären Aggregat, das Vittorio Jano entwickelt hatte, gab es eine ganze Reihe unterschiedlicher Versionen – je nach Einsatzgebiet.

Für die Verwendung in einer gepflegten Reiselimousine wie auf obigem Foto beschränkte man sich auf die schwächere Ausführung mit nur einer obenliegenden Nockenwelle – wobei schon diese Variante eine außergewöhnliche Leistungscharakteristik bot.

Solche hochdrehenden Motoren mit kleinem Hubraum hatten seinerzeit in Deutschland abgesehen von Nischenherstellern keine Tradition. In Italien dagegen beherrschte man dieses Metier bereits seit Mitte der 1920er Jahre in Großserie (Beispiel: Fiat 509).

Welche Maschine die Alfa-Limousine auf dem Foto tatsächlich unter der Haube hatte, ist kaum zu sagen. Letztlich konnte sich der Käufer aussuchen, wieviele Pferde sich dort tummeln dürfen.

Ebensolche Freiheiten hatte er bei der Wahl des Karosserieaufbaus – dafür kamen prinzipiell dutzende Blechschmieden in Italien in Frage.

Was aber macht mich so sicher, dass mein Foto tatsächlich einen Alfa-Romeo des Typs 6C1750 von Anfang der 1930er Jahre zeigt? Nun, das will ich nicht alles nachbeten, denn das habe ich schon in einem früheren Blog-Eintrag getan (hier).

Nur auf eine stilistische Besonderheit sei an dieser Stelle nochmals hinweisen: Schauen Sie sich einmal die Dachlinie an, welche von hinten nach vorne immer weiter abfällt, sodass die Windschutzscheibe erheblich niedriger als die hintere Seitenscheibe ist, die im vorliegenden Fall heruntergekurbelt ist und den Blick auf eine uns freundlich anschauende Dame erlaubt.

So eine extreme Neigung des Dachs ist mir bei originalen Vorkriegs-Limousinen noch nicht begegnet – sie trägt ganz erheblich zu der Spannung bei, welche die Linien dieses Alfa so attraktiv machen, obwohl es sich formal nur um eine brave Limousine („Berlina“) handelt.

Übrigens hatte ich seinerzeit als wahrscheinlichen Aufnahmeort Mailand (Nähe Hauptbahnhof) ausgemacht. Im mailändischen Stadtteil Portello wurden die Alfas damals gebaut – möglich, dass hier jemand seinen fabrikfrischen Wagen aufgenommen hatte.

Danach ging es nach Hause. Gut fünf Jahre ist es her, dass ich mich mit diesem schönen Wagen und seinen außerordentlichen Qualitäten auseinandergesetzt habe.

Inzwischen ist viel geschehen und der Stil meines Blogs hat sich weiterentwickelt, wie Sie bei der Lektüre des alten Beitrags bemerken werden.

In diesen fünf Jahren habe ich auch wertvolle Bekanntschaften mit Gleichgesinnten gemacht, die mir ihre Fotofunde in selten zu findender Großzügigkeit zur Verfügung stellen.

Einem davon verdanke ich es, dass ich mich nach fünf Jahren wieder dem Alfa-Romeo 6C1750 in der Ausführung als Limousine widmen kann. Nach so langer Zeit ist er endlich in Frankfurt/Main angekommen – das verrät jedenfalls das Nummernschild:

Alfa-Romeo 6C1750 Berlina; Originalfoto aus Sammlung Raoul Rainer (Stuttgart)

So sah der Alfa also von vorne aus, der einst in Milano abgelichtet worden war, bevor es auf eine Reise ins Unbekannte ging.

Es ist durchaus möglich, dass der Wagen auf meinem eingangs gezeigtes Foto von deutschen Käufern in Mailand abgeholt worden war – ich kaufe solche Bilder meist am deutschen Markt (so lässt sich ein Bild der damaligen Verhältnisse hierzulande gewinnen).

Ich bin aber nicht sicher, ob die obige Aufnahme von Raoul Rainer wirklich dasselbe Fahrzeug zeigt. Gewiss: Stilistisch stimmt alles überein – man beachte die nach vorn stark abfallende Dachlinie – doch die dunkle Seitenleiste erscheint hier schmaler.

Immerhin erkennt man jetzt, weshalb auf dem ersten Foto scheinbar gar keine Tügriffe zu sehen sind: Diese befanden sich auf einer Höhe mit der Seitenleiste und sind aufgrund der mäßigen Qualität meiner Aufnahme nur ansatzweise zu erkennen – wenn überhaupt.

Doch wie auch immer, irgendeine Alfa-Limousine des Typs 6C1750 hat es von Mailand bis in ihr neues Domizil nach Frankfurt geschafft und wer diesen Wagen besessen hat, muss einen erlesenen Geschmack gehabt haben.

Vielleicht war es ein deutscher Geschäftsmann mit Beziehungen zum damals technologisch aufstrebenden Oberitalien.Wer weiß – vielleicht hat er von dort auch die Dame mitgebracht, die neben dem Alfa posiert und die mir nicht gerade nach einem „Frankforder Mädsche“ aussieht.

In fünf Jahren von Milano nach Francoforte – es hat sich gelohnt, so lange zu warten, auch wenn der Alfa die Strecke bei Bedarf gewiss so schnell absolviert hätte wie unsereins heute.

Aber wo, bitteschön, ist diese ausdrucksstarke Aufnahme wirklich entstanden?

Alfa-Romeo 6C1750 Berlina; Originalfoto aus Sammlung Raoul Rainer (Stuttgart)

In Frankfurt/Main gewiss nicht, auch sonst nirgends im Hessenland, denn solche Kirchtürme wie den im Hintergrund kennen wir hier nicht und unsere Dörfer waren in Fachwerk ausgeführt.

Dies zu beantworten, überlasse ich gern meinen sachkundigen Lesern, die vieles besser wissen als ich und über deren Anmerkungen ich mich stets freue. Man ist offenbar nicht allein mit der merkwürdigen Leidenschaft für Vorkriegsautos auf alten Fotos…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

4 Gedanken zu „Milano-Francoforte in 5 Jahren: Alfa-Romeo 6C1750

  1. Burg und Zwiebelturmkirche … auch die Friedensstraße, deren Schriftbild mir alternativ als Brucknerstr. erschien, hilft wohl nicht weiter, da auch in der Schweiz damals noch Straße statt Strasse geschrieben wurde. Dazu Tausende von Eingemeindungen wie etwa von Borghorst und Burgsteinfurt zu Steinfurt sowie Zwiebeltürme auch im holsteinischen Wesselburen oder zwischen Wuppertal und Bochum … viel zu viele Möglichkeiten.

  2. Friedensstraße lässt sich wohl noch entziffern, aber ansonsten bleibt es mir ein böhmisches Dorf…

  3. Der Burg- und Bergblick gewährende Ort, in dem IT-106519 fotografiert wurde, ist durch das Straßenschild an der Hausecke wohl auch nicht ermittelbar, und Kirchtürme in Zwiebelform gibt es viele zwischen Tirol und Allgäu, Schwarzwald und Südböhmen …

  4. Zur Beliebtheit des hierzulande als Rheinland angebotenen Ford B wie auch dem gar spitznamentlich präjudizierten Traction Avant in gewissen Kreisen ist ja bekannt, daß so der Getaway Driver durch eine möglichst kleine Frontscheibe auch unter stärkstem Beschuß noch ein freies Sichtfeld behielt, während die großen Seitenscheiben im Fond das uneingeschränkte Abfeuern tödlicher Salven aus dem Tommy-Gun boten …
    Nun will ich der 6C-Motorisierung dieser Limousine nichts Übles unterstellen, denn als Traditionsmarke der Carabinieri könnte diese Berlina schon 1929 für Recht und Gesetz im Einsatz gewesen sein; und mit Blick auf die zum Fond hin ansteigende Dachform wären auch Hansa Matador und Konsul wie auch der Gräf & Stift SP5 und die Stoewer-Achtzylinder Marschall und Superior benennbar. Vielleicht stand dies so auch für eine zu Ende gehende Epoche, die den Damen und Herren im Fond beste Aussichten bescheren sollte, dem Chauffeur aber ein begrenztes Sichtfeld einräumte. Überholt zu werden, betraf aber auch eher den Selbstfahrer im DKW oder Brennabor, weshalb dieser eine adäquate Rundumsicht genoß.

Kommentar verfassenAntwort abbrechen