Viel heiße Luft unter der Haube: Piccolo von 1907/08

Heiße Luft produzieren – das können nicht nur aufgeblasene Zeitgenossen, denen es zwar aber an Substanz in der Sache, nicht aber am Selbstbewusstsein mangelt.

Im Hessischen spricht man dann gern von Dummschwätzern. Um die geht es aber heute nicht. Heißluftproduzenten gab es es nämlich auch zuhauf bei Vorkriegsautos – und die sind bei manchen Macken meist sympathischer.

Im deutschen Sprachraum denkt man in dem Zusammenhang vor allem an zwei Marken – MAF aus Markranstädt und Piccolo aus Apolda. Nicht zufällig gibt es eine enge Verbindung zwischen den beiden.

So führten die MAF-Wagen die luftgekühlte Piccolo-Konstruktion fort, die bei Ruppe & Sohn im Jahr 1904 entstanden war und dort bis 1910 im Programm blieb. Einer der drei Ruppe-Söhne namens Hugo gründete 1907 MAF – siehe meinen kürzlichen Blog-Eintrag dazu.

Zurück zu Piccolo: Die ersten unter diesem Namen verkauften Modelle besaßen einen freiliegenden Zweizylinder-V-Motor und hatten optisch nur wenig mit einem Auto gemein:

Piccolo 5 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

In dieser Erscheinungsform blieb der Piccolo bis 1907 im Programm und erfreute sich einiger Beliebtheit – übrigens auch im Ausland (speziell in skandinavischen Ländern).

Doch schon bald war weder die geringe Leistung noch das maschinenhafte Aussehen der Frontpartie der Kundschaft vermittelbar.

So war der Piccolo bei weitgehend gleicher Grundkonstruktion ab 1907 mit nunmehr 7 PS Leistung verfügbar – und vor allem mit einer Motorhaube!

Sogar an eine Kühlerattrappe hatte man gedacht, dabei oblag es zwei Ventilatoren, die viele heiße Luft unter der Haube nach außen zu schaufeln. Unterstützt werden sollte das durch eine nach oben zu öffnende Klappe, welche hier sehr gut zu erkennen ist:

Piccolo 7 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Wenn ich es richtig sehe, sind die breiten – kiemenartigen“ Haubenschlitze ein Merkmal früher Piccolos dieses Typs – später wichen sie schmaleren und zahlreicheren.

Jedenfalls fand auch diese überarbeitete Ausführung des Piccolo eine Weile guten Absatz – tatsächlich gab es damals kaum Autos, die preisgünstiger waren und dabei einen gewissen Mindestkomfort in Form von Windschutzscheibe und Verdeck boten.

Man darf nicht vergessen, dass es kurz vorher noch Einsteiger-Automobile ohne jeden Wetterschutz gegeben hatte – das bekannteste war vielleicht das Oldsmobile „Runabout“, das im Original und in Lizenz („Ultramobile“) auch in Deutschland verkauft wurde:

Oldsmobile „Runabout“; Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Demgegenüber stellte der Piccolo bereits einen achtbaren Fortschritt dar – jedenfalls im Segment einfacher Zweisitzer, das vor allem von Ärzten bevorzugt wurde.

Gleichwohl musste man auch bei Ruppe & Sohn mit den steigenden Anforderungen des Markts Schritt halten – sowohl in punkto Motorleistung als auch das Platzangebot betreffend.

So nahm man parallel zur Version mit 2-Zylindermotor ab 1907 einen Vierzylinder in das Programm auf. Dieser war ebenfalls luftgekühlt, leistete jetzt aber rund 12 PS.

Das mag einem heute immer noch sehr wenig anmuten, galt aber damals als noch ausreichend auch für größere Aufbauten. So boten die renommierten „Adler“-Werke vollwertige Tourenwagen mit einer Motorisierung von lediglich 8-9 PS an:

Adler 4/8 oder 5/9 PS um 1908; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Daran gemessen war der Piccolo mit dem neu entwickelten Vierzylindermotor zumindest rein leistungsmäßig betrachtet das bessere Angebot in der Einsteigerklasse.

Auch äußerlich konnte sich der Piccolo nun erst recht sehen lassen – mit dem primitiv anmutenden Erstling von 1904 hatte dieser Wagen fast nichts mehr gemeinsam. Eine bemerkenswerte Entwicklung binnen nur drei Jahren.

Dennoch scheint sich der Erfolg in Grenzen gehalten zu haben, vielleicht war einfach zuviel heiße Luft unter der Haube. welche dem Motor nicht zuträglich war.

Denn während sich Fotos der Zweizylinder-Piccolos zuhauf finden, muss man schon viel Glück haben, um irgendwann auf eine Originalaufnahme (nicht nur Prospektabbildung) eines der Vierzylindermodelle zu stoßen.

Doch eines Tages schickte mir Leser und Sammlerkollege Matthias Schmidt dieses Foto zu, das einen ihm bis dato unbekannten Wagen zeigt:

Piccolo 12 PS von 1907/08; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

„Mein erstes Auto“ – so war unter dem Bild vermerkt, das ich oben ausschnitthaft zeige.

Mehr Informationen waren zwar nicht mitüberliefert. Doch brachte mich das Fehlen eines Einfüllstutzens auf dem „Kühler“ und die Ausführung der Luft“kiemen“ darauf, dass dies ein großes Schwestermodell des zweizylindrigen Piccolo sein musste.

Dummerweise konnte ich zunächst keine Vergleichsaufnahme finden, die genau einen solchen Piccolo mit acht breiten Luftschlitzen zeigt, lediglich Prospektabbildungen ähnlicher Fahrzeuge in der Standardliteratur.

Doch dann nahm letztes Jahr Wolfang Spitzbarth Kontakt mit mir auf und wies mich darauf hin, dass ich meine Kenntnisse in Sachen Piccolo (und später Apollo) auf seiner Website zu den Kreationen von Karl Slevogt aufbessern kann.

Slevogt als einer der wichtigsten deutschen Automobilkonstrukteure des frühen 20. Jh. hatte zwar keinen direkten Bezug zu den Piccolo-Wagen, sorgte aber im Rahmen seiner Anstellung bei Ruppe & Sohn in Apolda dafür, dass diese durch moderne und leistungsfähige Konstruktionen abgelöst werden – die bekannten Apollo-Wagen.

Apollo-Reklame von 1912; Original: Sammlung Michael Schlenger

Bei der Dokumentation von Slevogts Wirken, das sich keineswegs auf Apollo beschränkte, arbeitete Wolfgang Spitzbarth nebenbei (aber ebenso akribisch) auch die Historie der Piccolo-Wagen auf.

Ich darf sagen, dass es keine Quelle gibt, die auch nur annähernd an die Breite und Tiefe der Materialien herankommt, die Wolfgang Spitzbarth zu Piccolo (und den mit Slevogt in Verbindung stehenden Automarken) auf seiner Website bietet.

Wenn Ihnen also einmal langweilig sein sollte, dann lassen Sie sich auf die schiere Masse und Qualität der dort verfügbaren Informationen und Abbildungen ein. Man kommt dabei leicht vom „Hölzchen auf’s Stöckchen“, wie man so schön sagt – ich habe Sie gewarnt!

Das war es für heute in Sachen Piccolo – vielleicht weiß Herr Spitzbarth zu dem Vierzylinder-Modell auf dem Foto von Matthias Schmidt noch etwas ergänzen oder korrigierend beizusteuern…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

7 Gedanken zu „Viel heiße Luft unter der Haube: Piccolo von 1907/08

  1. Hugo Ruppe, der Konstrukteur der Fahrzeuge bei Ruppe&Sohn, hatte immer Probleme mit der Kühlung. Ab dem hir gezeigten „Hauben-Piccolo“ mit verlängertem Rahmen für die „Haube“ hatte man wenigstens den heissen Auspuff aus dem „V“ entfernt, das brachte die Mehrleistung.
    Die „Schlitze“ in der Haube seitlich sind mehr oder weniger Dekoration bei den V2-Motoren, die Klappe oben war entscheident für die Kühlung.

    Man muß wissen: es gab damals keine Frostschutzmittel ! Bei Frost und einem längeren Halt mußte das Wasser abgelassen werden und zum Weiterfahren wieder heisses Wasser eingefüllt werden. Das war denkbar
    lästig und umständlich, besonders für Landärzte.

    Je weiter im Norden unf je kälter, desto besser der Piccolo-Absatz. In Norwegen, Finnland, Russland wurden mehr Piccolo verkauft und gefahren als in Deutschland und der Bedarf war auch nach 1910 noch gegeben.
    In Norwegen und Finnland ist ein ordentlicher Betand an restaurierten Piccolo vorhanden.

    Weil die Leistung immer noch nicht genügte, experimentierte Hugo Ruppe – ein V4 (zwei anenander gereihte V2-Motoren war eine thermische Katastrophe) und so landete Ruppe beim 4.Zyl. Reihenmotor, 3 Hauptlager als Kugellager (gab nette Probleme beim Mittellager). Aber im Hohen Norden ganz gut abzusetzen.

  2. Mir fiel die Oldsmobile-Annonce besonders ins Auge, denn 1864 eröffnete die Firma „Wagen- und Kutschenbau Häusler“ an der Thierschstr.20 und war dort genau 70 Jahre lang bis zum Umzug in die Landsberger Straße. Deutsch-amerikanische Dualität für über 100 Jahre, von Oldsmobile und Opel bis zu den letzten Daewoo-Chevrolets, also länger als Opels Zugehörigkeit zu GM, und nun passend zu Stellantis mit Fiat und Citroën sowie 2 japanischen Marken.

  3. An „Schnuckeligkeit“ ( gibt’s das Wort?) ist er ja nicht zu überbieten, der kleine Piccolo. Man stelle sich zwei Enkelkinder auf dem Mini- Bänkchen vis a vis vor – und diverse Kisten und Koffer auf der ausladenden Gepäckbrücke !
    Das Bild erinnert mich an die Erzählung eines Oldie- Freundes (der längst in den LANZ- Himmel eingegangen ist, wenn’s den gibt): sein Großvater habe 1905 als Landarzt mit einem Piccolo das erste Automobil im ganzen Oberamt Leonberg ( so wurden die Landkreise im alten KgR Württemberg genannt) gefahren.
    Beachten wir das Personal, so sehen wir die Dame mit dem starren Blick und ihren Gatten , der das Lenkrad umkämpft. Das lässt auf lange Belichtungszeit schließen.
    Das es auch anders ging zeigt Bild 2. Das sympathische Lächeln der netten Dame mit dem zeittypisch Schal- umwölkten Hütchen möchte man am liebsten grüßen – mit gezogenen Hut !
    An die Luftkühlung haben wir noch „gewisse“ Erinnerungen, nichtwahr Herr Schlenger?
    Aus unserer Käferzeit. A pro pos
    Aachen: Die denkwürdigste Fahrt in meinem ’62er Faltdach von den Großeltern im Raum Landshut nonstop nach meinem Lehrgangsstandort Eschweiler endete mit fester Maschine ( die typische Käfer- Krankheit: überhitzter 3. Zyl, recht vorne) – 15 Km vor dem Ziel, so’n unverschämtes Glück!
    Die Streife im Mercedes rief gleich über Funk den UvD an (kannten das wohl schon) und der schmiss in meinem Zug-Gebäude einen Kameraden aus dem Bett. Der kam dann mit seinem Ovali und schleppte mich zur Kaserne. Der neu eingebaute Motor aus einem Käfer, den ein Hobby- Rennfahrer auf dem Nürburgring auf’s Dach gelegt hatte (merke: nicht jede Porsche- Konstruktion weist die Kurvenlage des AU- Rennwagens von 1934 auf!)
    drehte im Dritten bis 105 !
    Das merkte ich, als ich mit offenem Faltdach und lauter Musik im Telefunken Bajazzo Universal die (damals neue) Zubringer-Steige von Ulm zur Ausfahrt Ulm- West hochfuhr…
    Hauptproblem bei der Luftkühlung war ja die ungleichmäßige Frischluft- Anblasung der Zylinder, zumal bei Mehrzylindern. Legion sind die Tricks, durch immer raffiniertere Gestaltung der Kühl- Verrippung und/oder Luftführung eine möglichst gleichmäßige Umströmung zu erreichen. Aber die an der Kühlfläche vorbeistreichende Luft erwärmte sich proportional der aufgenommenen Wärme-menge und führte schon damit die Gleichmäßigkeit ad absurdum!
    Die DKW- Einbau- Motore, es gab einige Ein u. Zwei- Zylinder- Typen in Luft- und Wasser gekühler Ausführung (TL u TW),
    wurden deshalb z.B. als 500er
    mit TL = 13 PS und TW mit 14,5 PS angegeben, eingebaut im FFAMO V 500 bzw. V 501 Einheitstyp bis 9/43. Das war der Stammvater der Nachkriegs-Framos aus Hainichen/ Sa.

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