Wirklich alles gut bedacht? Ein „Piccolo“ 5/6 PS

Ende Oktober – wechselhaftes Wetter wie immer um diese Zeit. Gegen Mittag recht mild und trocken, da bietet sich nach getaner Schreibtischarbeit ein Gang in den Garten an, dachte ich. Der mächtige alte Maronenbaum wirft nämlich beängstigende Mengen Laub ab.

Ein kurzer Blick zum Himmel, dort zeigen sich die ersten Kraniche in V-Formation auf dem Weg in südliche Gefilde, damit ist immer eine Empfindung von Abschied für mich verbunden.

Zwei Stunden später fällt die geplante Schicht im Garten ins Wasser und bis abends bleibt es regnerisch. Gut bedacht zeigt sich da der ehemals gläserne kleine Wintergarten am östlichen Ende des Hauses. Noch vor Einsetzen der Schlechtwetterperiode erhielt er ein Dach in Ziegelrot passend zu den alten Tonziegeln des gut 120 Jahre alten Fachwerkbaus.

Eine hübsch anzuschauende Regentonne ist jetzt an das Fallrohr angeschlossen. Doch hatte ich nicht bedacht, welche Mengen Wasser trotz der kleinen Fläche herunterkommen. Jetzt ist das Teil kurz vor dem Überlaufen, und ich weiß kaum wohin mit dem Inhalt. Denn der Garten ist seit Wochen tief durchfeuchtet.

So ist das in der hessischen Wetterau – wir haben oft meist warme trockene Sommer, doch der Wasserhaushalt kommt in der kühlen Jahreshälfte stets wieder ins Lot.

Die Wetteraussichten um diese Zeit ließen es auch schon vor 120 Jahren angeraten erscheinen, sich auf teils ergiebige Regenfälle einzustellen. Da stand man dumm da, wenn man beim Kauf seines ersten Automobils am Zubehör gespart hatte wie hier:

„Piccolo“ 5-6 PS; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Tatsächlich war ein Dach bei diesem leichten Zweisitzer aufpreispflichtig. Gebaut wurde er ab 1904 unter dem Namen „Piccolo“ von der Firma Ruppe & Sohn im thüringischen Apolda.

Das vom Chassis her noch der Kutschentradition entstammende Gefährt besaß einen vorn montierten luftgekühlten 2-Zylinder (V-Anordnung), der aus 800ccm Hubraum 5-6 PS leistete.

Speziell für Landärzte war das ein ideales Einstiegsautomobil, sie verdienten auch gerade genug, um sich so eine teure Maschine leisten zu können. Für die breite Masse war auch nur der Gedanke an irgendein motorisiertes Gefährt völlig abwegig.

Das hatte man bei Ruppe & Sohn wohl nicht gut bedacht, als man den „Piccolo“ in Reklamen vollmundig als Volksauto anpries. Dennoch scheint der Absatz bis Produktionsende 1907 recht ansehnlich gewesen zu sein, da man immer wieder auf Fotos davon stößt.

Die wohl umfangreichste Kollektion an zeitgenössischen Fotos, Werbung und Presseartikeln zum „Piccolo“ hat Wolfgang Spitzbarth auf seiner hochinformativen Website zum deutschen Automobilkonstrukteur Karl Slevogt zusammengetragen.

Unter der Rubrik „Ruppe, MAF“ findet man dort reichhaltiges Material und viele Erläuterungen zum Piccolo, weshalb ich interessierte Leser ausdrücklich darauf verweise.

Mir geht es bekanntlich ohnehin eher um eine spielerische, meist sehr subjektive Auseinandersetzung mit den Autos aus der Vorkriegszeit sowie den Menschen, in deren Leben sie eine Rolle spielten – daher das Format als Online-Tagebuch (Web-Log, kurz: Blog).

Wichtiger als Konstruktionsdetails und Fahreigenschaften ist mir oft das Erscheinungsbild oder auch die Aufnahmesituation. Dabei gilt es auch, ein einmal gewähltes Thema durchzuhalten – heute geht es um Variationen von „Alles gut bedacht“.

Im Unterschied zu dem Herrn auf dem ersten Foto hat es der Besitzer dieses „Piccolo“ besser gemacht und tatsächlich auch die Eventualität von Regenwetter bedacht:

„Piccolo“ 5-6 PS; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Wohl als Praktiker mit zwei- oder vierbeinigen Patienten im Umland, die bei jedem Wetter seine Hilfe brauchen können, hat er sich nicht nur für das Klappverdeck entschieden, sondern auch einen ledernen Beinschutz geordert.

Dieser hielt Nässe und Kälte ab, denn eine Heizung besaß damals noch kein Auto – das tauchte meines Wissens erst ab den frühen 1920er Jahren als Zubehör auf. Erwähnenswert ist auch der Spritzschutz am vorderen Ende der Kotflügel, selten zu sehen beim „Piccolo“.

So gesehen hat dieser „Piccolista“ wirklich alles gut bedacht, was den Einsatz bei Wind und Wetter angeht. Dank recht großen Gasscheinwerfer waren sogar nächtliche Fahrten möglich. Schön nebenbei, dass hier das Töchterchen mit aufgenommen wurde.

Nur eines konnte dem Fahrer gegebenenfalls dazwischenfunken und das war ein Defekt am Motor, speziell an der damals allgemein noch anfälligen Zündanlage. Hatte der Hersteller ansonsten alles gut bedacht bei diesem Wagen?

Ich möchte hier Zweifel äußern. Ein luftgekühlter Motor mit frei im Fahrtwind stehenden einzelnen Zylindern sollte thermisch stabil sein, wenn er korrekt konstruiert ist, meint der Motorradfahrer in mir.

Warum aber setzte man beim „Piccolo“ einen zusätzlichen Lüfter in einem runden Gehäuse vor das Aggregat?

Sollte diese über den Motor und einen Riemen angetriebene Vorrichtung ein thermisches Defizit ausgleichen? Und konnte sie das überhaupt wirksam oder störte sie möglicherweise sogar den kühlenden Luftstrom durch ihre Platzierung vor den Zylindern?

Bar jeder Fachkenntnis würde ich vermuten, dass eine zusätzliche Kühlung der nicht im Fahrtwind liegenden Zylinderhälften wichtiger gewesen wäre, sofern diese zu heiß werden drohten. Dann hätte sich aber eine andere Lösung mit Luftleitblechen angeboten.

Mir scheint, dass der Zusatzlüfter nicht gut bedacht war, vielleicht brachte er gar nichts oder war sogar eher abträglich. Dass man die Strömungseffekte irgendwie gemessen oder gar berechnet hat, möchte ich bezweifeln.

Im damaligen Automobilbau war längst noch nicht alles mit Bedacht wohlersonnen, sondern vieles basierte auf Bauchgefühl und Erfahrung. Im Fall von Ruppe & Sohn wurde vermutlich erst mit dem Antritt des brillianten Ingenieurs Karl Slevogt wirklich auf rationaler Grundlage konstruiert und nach Möglichkeit alles gut bedacht.

Die Apollo-Wagen waren das Ergebnis dieses neuen Kapitels bei Ruppe & Sohn.

Das ist aber eine andere, sehr umfangreiche Geschichte, die Sie am besten auf Wolfgang Spitzbarths Website studieren können, auch wenn ich hier ab und zu Apollo huldige…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Viel heiße Luft unter der Haube: Piccolo von 1907/08

Heiße Luft produzieren – das können nicht nur aufgeblasene Zeitgenossen, denen es zwar aber an Substanz in der Sache, nicht aber am Selbstbewusstsein mangelt.

Im Hessischen spricht man dann gern von Dummschwätzern. Um die geht es aber heute nicht. Heißluftproduzenten gab es es nämlich auch zuhauf bei Vorkriegsautos – und die sind bei manchen Macken meist sympathischer.

Im deutschen Sprachraum denkt man in dem Zusammenhang vor allem an zwei Marken – MAF aus Markranstädt und Piccolo aus Apolda. Nicht zufällig gibt es eine enge Verbindung zwischen den beiden.

So führten die MAF-Wagen die luftgekühlte Piccolo-Konstruktion fort, die bei Ruppe & Sohn im Jahr 1904 entstanden war und dort bis 1910 im Programm blieb. Einer der drei Ruppe-Söhne namens Hugo gründete 1907 MAF – siehe meinen kürzlichen Blog-Eintrag dazu.

Zurück zu Piccolo: Die ersten unter diesem Namen verkauften Modelle besaßen einen freiliegenden Zweizylinder-V-Motor und hatten optisch nur wenig mit einem Auto gemein:

Piccolo 5 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

In dieser Erscheinungsform blieb der Piccolo bis 1907 im Programm und erfreute sich einiger Beliebtheit – übrigens auch im Ausland (speziell in skandinavischen Ländern).

Doch schon bald war weder die geringe Leistung noch das maschinenhafte Aussehen der Frontpartie der Kundschaft vermittelbar.

So war der Piccolo bei weitgehend gleicher Grundkonstruktion ab 1907 mit nunmehr 7 PS Leistung verfügbar – und vor allem mit einer Motorhaube!

Sogar an eine Kühlerattrappe hatte man gedacht, dabei oblag es zwei Ventilatoren, die viele heiße Luft unter der Haube nach außen zu schaufeln. Unterstützt werden sollte das durch eine nach oben zu öffnende Klappe, welche hier sehr gut zu erkennen ist:

Piccolo 7 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Wenn ich es richtig sehe, sind die breiten – kiemenartigen“ Haubenschlitze ein Merkmal früher Piccolos dieses Typs – später wichen sie schmaleren und zahlreicheren.

Jedenfalls fand auch diese überarbeitete Ausführung des Piccolo eine Weile guten Absatz – tatsächlich gab es damals kaum Autos, die preisgünstiger waren und dabei einen gewissen Mindestkomfort in Form von Windschutzscheibe und Verdeck boten.

Man darf nicht vergessen, dass es kurz vorher noch Einsteiger-Automobile ohne jeden Wetterschutz gegeben hatte – das bekannteste war vielleicht das Oldsmobile „Runabout“, das im Original und in Lizenz („Ultramobile“) auch in Deutschland verkauft wurde:

Oldsmobile „Runabout“; Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Demgegenüber stellte der Piccolo bereits einen achtbaren Fortschritt dar – jedenfalls im Segment einfacher Zweisitzer, das vor allem von Ärzten bevorzugt wurde.

Gleichwohl musste man auch bei Ruppe & Sohn mit den steigenden Anforderungen des Markts Schritt halten – sowohl in punkto Motorleistung als auch das Platzangebot betreffend.

So nahm man parallel zur Version mit 2-Zylindermotor ab 1907 einen Vierzylinder in das Programm auf. Dieser war ebenfalls luftgekühlt, leistete jetzt aber rund 12 PS.

Das mag einem heute immer noch sehr wenig anmuten, galt aber damals als noch ausreichend auch für größere Aufbauten. So boten die renommierten „Adler“-Werke vollwertige Tourenwagen mit einer Motorisierung von lediglich 8-9 PS an:

Adler 4/8 oder 5/9 PS um 1908; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Daran gemessen war der Piccolo mit dem neu entwickelten Vierzylindermotor zumindest rein leistungsmäßig betrachtet das bessere Angebot in der Einsteigerklasse.

Auch äußerlich konnte sich der Piccolo nun erst recht sehen lassen – mit dem primitiv anmutenden Erstling von 1904 hatte dieser Wagen fast nichts mehr gemeinsam. Eine bemerkenswerte Entwicklung binnen nur drei Jahren.

Dennoch scheint sich der Erfolg in Grenzen gehalten zu haben, vielleicht war einfach zuviel heiße Luft unter der Haube. welche dem Motor nicht zuträglich war.

Denn während sich Fotos der Zweizylinder-Piccolos zuhauf finden, muss man schon viel Glück haben, um irgendwann auf eine Originalaufnahme (nicht nur Prospektabbildung) eines der Vierzylindermodelle zu stoßen.

Doch eines Tages schickte mir Leser und Sammlerkollege Matthias Schmidt dieses Foto zu, das einen ihm bis dato unbekannten Wagen zeigt:

Piccolo 12 PS von 1907/08; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

„Mein erstes Auto“ – so war unter dem Bild vermerkt, das ich oben ausschnitthaft zeige.

Mehr Informationen waren zwar nicht mitüberliefert. Doch brachte mich das Fehlen eines Einfüllstutzens auf dem „Kühler“ und die Ausführung der Luft“kiemen“ darauf, dass dies ein großes Schwestermodell des zweizylindrigen Piccolo sein musste.

Dummerweise konnte ich zunächst keine Vergleichsaufnahme finden, die genau einen solchen Piccolo mit acht breiten Luftschlitzen zeigt, lediglich Prospektabbildungen ähnlicher Fahrzeuge in der Standardliteratur.

Doch dann nahm letztes Jahr Wolfang Spitzbarth Kontakt mit mir auf und wies mich darauf hin, dass ich meine Kenntnisse in Sachen Piccolo (und später Apollo) auf seiner Website zu den Kreationen von Karl Slevogt aufbessern kann.

Slevogt als einer der wichtigsten deutschen Automobilkonstrukteure des frühen 20. Jh. hatte zwar keinen direkten Bezug zu den Piccolo-Wagen, sorgte aber im Rahmen seiner Anstellung bei Ruppe & Sohn in Apolda dafür, dass diese durch moderne und leistungsfähige Konstruktionen abgelöst werden – die bekannten Apollo-Wagen.

Apollo-Reklame von 1912; Original: Sammlung Michael Schlenger

Bei der Dokumentation von Slevogts Wirken, das sich keineswegs auf Apollo beschränkte, arbeitete Wolfgang Spitzbarth nebenbei (aber ebenso akribisch) auch die Historie der Piccolo-Wagen auf.

Ich darf sagen, dass es keine Quelle gibt, die auch nur annähernd an die Breite und Tiefe der Materialien herankommt, die Wolfgang Spitzbarth zu Piccolo (und den mit Slevogt in Verbindung stehenden Automarken) auf seiner Website bietet.

Wenn Ihnen also einmal langweilig sein sollte, dann lassen Sie sich auf die schiere Masse und Qualität der dort verfügbaren Informationen und Abbildungen ein. Man kommt dabei leicht vom „Hölzchen auf’s Stöckchen“, wie man so schön sagt – ich habe Sie gewarnt!

Das war es für heute in Sachen Piccolo – vielleicht weiß Herr Spitzbarth zu dem Vierzylinder-Modell auf dem Foto von Matthias Schmidt noch etwas ergänzen oder korrigierend beizusteuern…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Die Dame mag es luftgekühlt: Piccolo 7 PS Phaeton

An der Luftkühlung scheiden sich bis heute die Geister in der Automobilfraktion: Die einen schwören drauf, vor allem aufgrund des charakteristischen Motorengeräuschs, die anderen wenden sich mit Grausen ab.

Wie so oft, sollte man auch in dieser Hinsicht die Dinge nicht zu ideologisch sehen.

Mir gefällt das seidige Säuseln eines wasserummantelten Sechszylinders ebenso wie das heisere Fauchen eines luftgekühlten Boxermotors (auch wenn ich speziell mit einigen Vertretern der Porsche-Fraktion meine Probleme habe).

Um einen uralten Werbespruch zu zitieren: Es kommt drauf an, was man daraus macht. Und vieles hängt davon ab, wie man als Fahrer eines Luftgekühlten damit umgeht.

Ein vielleicht überraschendes Beispiel dafür darf ich heute präsentieren. Überraschend unter anderem deshalb, weil sich die Luftkühlung nicht nur auf den Antrieb bezieht, sondern auch auf die Insassen, die selbige durchaus zu genießen scheinen.

Doch zuvor will etwas Historie konsumiert sein, natürlich gefällig aufbereitet, denn in meinem Blog soll der Genuss der Bilder von Vorkriegsautomobilen im Vordergrund stehen – die nüchternen Fakten beschränke ich gern auf’s Notwendigste.

Vielleicht erinnern Sie sich an Aufnahmen des „Piccolo“ 5 PS-Modells, welches von 1904 bis 1907 von der Firma A. Ruppe & Sohn im thüringischen Apolda gefertigt wurde. Eine „neue“ davon verdanke ich Leser Klaas Dierks:

Piccolo 5 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Zugegeben: Viel ist hier nicht zu erkennen, aber genug, um diesen einfachen Zweisitzer als 5 PS-Piccolo zu identifizieren. Eindeutiges Indiz ist der runde Lüfter vor dem V2-Aggregat, welcher sich in einem Messinggehäuse dreht, das uns hier entgegenleuchtet.

Nach der Vorstellung in Leipzig Ende 1904 verkaufte sich das robuste Wägelchen dank seines relativ niedrigen Preises gut: Schon 1906 feierte man die Produktion des tausendsten Exemplars (Quelle: Gränz/Kirchberg: Ahnen unserer Autos, 1975).

Die Motorleistung wurde wie damals üblich laufend gesteigert, sodass man 1907 bei 6 und kurze Zeit darauf bei 7 PS angelangt war. Fast 50 km/h Höchstgeschwindigkeit waren damit erreichbar – kein anderes Individualverkehrsmittel erreichte auf Dauer dieses Tempo.

Wie in der Frühzeit des Automobils überwiegend üblich, kamen die Insassen dabei in den Genuss natürlicher Luftkühlung, denn geschlossene Aufbauten waren weit teurer. Zumindest im Stand scheint man damit vollkommen glücklich gewesen zu sein.

Das lässt zumindest die folgende Aufnahme vermuten, die mir Leser Matthias Schmidt Dresden zur Verfügung gestellt hat. Hier mochte es auch die Dame offenbar luftgekühlt:

Piccolo 7 PS Modell; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Das unwiderstehliche Lächeln der Beifahrerin, die sich hier perfekt in Szene gesetzt hat, mag freilich auch einer anderen Tatsache geschuldet sein.

So spendierte man dem Piccolo ab 1906 eine richtige Motorhaube und eine Kühlerattrappe, was dem Wagen ein erwachseneres Aussehen gab.

„Heinrich, auf keinen Fall kommt mir so eine Benzinkutsche ins Haus , bei der sich die schnöde Technik unverhüllt zeigt. Die beiden Zylinder sollen zumindest dem Auge verborgen sein, wenn man sie schon hört. So lasse ich mir die Luftkühlung gern gefallen.“

Vielleicht hatte unsere selbstbewusste Dame mit ihrem Erbe erst die Anschaffung des Fahrzeugs ermöglicht – die Vorstellung, dass Frauen von Autobesitzern vor bald 120 Jahren bloße Heimchen am Herd waren, ist jedenfalls abwegig.

An der Identifikation des Wagens als Piccolo habe ich keinen Zweifel, bloß die genaue Datierung bereitet mir Schwierigkeiten. Angeblich wurde das 7 PS-Modell bis 1910 gebaut, da mag es baujahrsabhängige Unterschiede gegeben haben.

Hier fallen die breiten Luftschlitze auf, die sich eher selten finden. Ob sie ein Hinweis auf eine frühe oder späte Entstehung sind, kann ich derzeit nicht sicher sagen. Vielleicht weiß es ein Leser genauer (dann bitte mit Beleg).

Jedenfalls gibt es etliche Dokumente, die ganz ähnliche Piccolo-Zweisitzer mit mehreren schmalen Luftschlitzen zeigen.

Einer davon scheint bis in die 1930er Jahre überlebt zu haben und wurde bei einer unbekannten Veranstaltung vorgestellt und von enthusiastischen Jugendlichen okkupiert:

Piccolo von 1907; Originalaufnahme von 1931 aus Sammlung Michael Schlenger

Die Angabe „Anno 1902“ auf der Motorhaube kann nicht stimmen, vermutlich liegt hier ein Übertragungsfehler vor – jemand hat wohl eine „7“ als „2“ gelesen“.

Die Kühlerattrappe gehört jedenfalls zu einem Piccolo ab 1906 und da kommt vor allem das zweizylindrige Modell mit 800ccm und 6 bzw. später 7 PS in Betracht.

Daneben gab es ab 1910 von Ruppe&Sohn auch ein primitives Einzylindermodell namens „Mobbel“, das jedoch heillos aus der Zeit gefallen war und nur selten verkauft wurde.

Damit wäre für heute das Wichtigste zu den luftgekühlten „Piccolo“-Wagen aus Apolda gesagt, wäre da nicht eine weitere Aufnahme, die mir wiederum Matthias Schmidt aus Dresden zugesandt hat.

Sie zeigt einen unrestaurierten Piccolo von 1907, der in der verkehrstechnischen Sammlung Dresden die Zeiten überdauert hat und vor einigen Jahren der Öffentlichkeit wieder auf der Straße gezeigt wurde:

Piccolo 6 PS von 1907; Bildrechte: Matthias Schmidt (Dresden)

Könnte das am Ende derselbe Wagen sein wie das bereits 1931 als „Oldtimer“ präsentierte Automobil?

So oder so ist es berührend, dass überhaupt ein Exemplar dieser frühen „Luftgekühlten“ noch existiert und das auch noch ohne eine sogenannte Restaurierung erlitten zu haben.

Das ist ja das Großartige an den Wagen von einst: Ihre Erbauer und Besitzer sind längst verblichen, doch die Autos sind immer noch da und erzählen von vergangenen Leidenschaften, zu denen früh auch die nach „Luftkühlung“ gehörte, während die Masse der Mitbürger zeit ihres Lebens selten kaum über Schrittgeschwindigkeit hinauskam…

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Einst eine Rakete in seiner Klasse: Apollo 4 PS Sport

Beim Stichwort Apollo denken Schöngeister zuerst an den altgriechischen Gott der Künste – speziell der Musik und der Dichtung.

Doch auch der Frühling fällt in Apollons Zuständigkeit, vielleicht weil dieser unsere Seelen mit Harmonie erfüllt, wenn wir uns darauf einlassen.

Wer sich eher in der Welt der Technik zuhause fühlt, mag dagegen an die Apollo-Mondmissionen denken – und die bis heute ehrfurchtgebietende Saturn V-Rakete, welche diese erst ermöglichte.

Heute bringe ich beide Welten zusammen – die der ästhetischen Harmonie und die der technologischen Könnerschaft – verkörpert durch einen Apollo-Sportwagen der frühen 1920er Jahre.

Die Ende der 1920er Jahre verblichene Marke aus dem thüringischen Apolda zählt zu denjenigen, zu welcher ich in meinem Blog erst recht spät Gehaltvolles beitragen konnte.

Eine ganze Weile konnte ich nur mit zeitgenössischen Fotos der recht bekannten luftgekühlten „Piccolo“-Modelle aufwarten.

Piccolo 5 PS-Modell um 1905; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Obiges Foto aus der Sammlung von Leser Klaas Dierks zeigt ein solches luftgekühltes Modell – zu erkennen unter anderem an dem runden Lüftergehäuse an der Front.

Dabei handelt es sich um ein Zweizylindermodell mit 5 PS Leistung, welches in dieser Form von 1904 bis 1906 gebaut wurde und in vielen Exemplaren dokumentiert ist.

Doch nicht zuletzt dank tatkräftiger Unterstützung einiger Leser ließ sich eine erste kleine Bildergalerie kreieren, welche auch den weitgehend vergessenen späteren Typen mit wassergekühlten Motoren Rechnung trägt.

Vielleicht erinnert sich der eine oder andere an dieses charakterstarke Exemplar, das ich hier vorgestellt habe:

Apollo 4/14 PS oder 4/16 PS; Originalabzug aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Seinerzeit hatte ich den Wagen als 4 PS-Typ identifiziert, welcher unter der Marke aus Apolda kurz nach dem 1. Weltkrieg erschien.

Zu dessen Besonderheiten zählte die in der Kleinwagenklasse ungewöhnliche „Kopfsteuerung“ des Motors – also strömungsgünstig im Zylinderkopf über dem Verbrennungsraum angebrachte Ventile.

Damit war eine höhere Effizienz und insbesondere eine größere Drehfreude des Aggregats verbunden. Hinzu kam eine ingeniöse Vorderachskonstruktion mit Querblattfeder und neuartigen Stoßdämpfern.

Auch wenn der solchermaßen ausgestattete e Apollo auf obiger Abbildung bereits recht flott erscheint, gab es daneben noch konsequenter auf Sportlichkeit getrimmte Versionen dieses Wagens in der Klasse mit 4 Steuer PS (also ca. 1 Liter Hubraum).

Ein Foto davon hat wiederum Matthias Schmidt aus Dresden aufgetrieben und dieses Gerät bietet nun wirklich die raketenmäßig starke Ausstrahlung und zugleich ästhetische Vollkommenheit, die Technikjünger wie Schönheitsapostel mit Apollo verbinden:

Apollo 4 PS-Sportmodell ab 1921; Originalabzug aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Die charakteristische Gestaltung der Kühlermaske verrät, dass wir hier einen Apollo der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg vor uns haben.

Im Unterschied zum eingangs gezeigten Wagen ist der Kühler hier blank, also nicht in Wagenfarbe lackiert – was ein dem Auge willkommenes Glanzlicht an einem sonst außerordentlich schlichten Aufbau setzt.

Geradezu minimalistisch ist die Ausführung der Kotflügel – die dünnen Bleche sparen Gewicht und bieten zugleich das Mindestmaß an Schutz vor Staub und Steinschlag.

Sie sind zudem recht hoch angebracht und erlauben einen Blick auf den Unterbau, was bei einem reinen Straßenwagen als unschicklich gegolten hätte:

Gut zu erkennen ist hier auch die geöffnete Klappe am Ende des Auspuffkrümmers – ein weiterer Hinweis auf eine Sportversion.

Für den zivilen Einsatz ließ sich diese vom Fahrerraum aus schließen, sodass die Auspuffgase weiter nach hinten zum Schalldämpfer geleitet wurden.

Die Reifen im schmalen Format sind vermutlich auf Serienfelgen aufgezogen, die für Sportzwecke eine strömungsgünstigere Blechverkleidung erhielten.

Das Fahrerabteil bietet gerade genügend Platz für zwei Insassen. Der tiefe seitliche Ausschnitt erlaubte ihnen, sich in Kurven weit aus dem Wagen zu lehnen, was wie bei Motorrad-Gespannen höhere Geschwindigkeiten erlaubte:

Natürlich zieht einen hier der Blick der jungen Dame im Fahreroutfit in den Bann, die vielleicht etwas zu filigran geraten war, um diesen Wagen zu steuern.

Sie macht aber nicht nur „bella figura“ in diesem schönen Fahrzeug, man würde ihr auch die Entschlossenheit zutrauen, ein solches sportliches Automobil wirklich scharf zu fahren.

Doch will die Klarheit und Eleganz des Wagen ebenfalls gewürdigt werden – der vollkommene Schwung des Heckkotflügels etwa und das spitz auslaufende und leicht abfallende „Bootsheck“.

Man sieht hier sehr schön: Schlichtheit der Formgebung bedeutet gerade nicht Verzicht auf eine dem Auge schmeichelnde – da der Natur entlehnte – organische Linienführung.

Und vergessen wir nicht: Diese Bleche fielen nicht aus einer seelenlose Presse, sondern sind von Könnerhand zu der Perfektion gebogen, gehämmert und gelötet worden, die wir nach gut 100 Jahren immer noch bewundern dürfen.

Der Wagen selbst dürfte längst den Weg alles Vergänglichen gegangen sein, doch ist genau diese Ausführung in der Literatur recht gut dokumentiert. So findet sich ein weitgehend übereinstimmendes Fahrzeug in Form einer Prospektabbildung beispielsweise in „Sportwagen in Deutschland“ von Altmeister Heinrich von Fersen (Ausgabe 1968, S. 37).

Dort wird der Apollo als Typ 4/20 PS angesprochen, in anderen Quellen ist von 4/14 bzw. 4/16 PS die Rede. Der Motor war sicher stets der Gleiche, bloß die Leistungsausbeute unterschied sich je nach Baujahr und mag beim Sporttyp besonders hoch gewesen sein.

Je nach Ausführung und Getriebabstimmung waren damit 80 bis 90, vielleicht auch an die 100 km/h Spitze drin – der offene Sportzweisitzer mit gut 500 kg Gewicht ließ sich also ziemlich flott bewegen, vorausgesetzt man hatte den Schneid dazu.

Vor rund 100 Jahren war dieser Apollo bereits eine ziemliche Rakete in seiner Klasse, auch wenn der Gedanke an Weltraumflüge noch einigermaßen exotisch war. Aber auch in ästhetischer Hinsicht verdiente dieser Apollo seinen Namen wirklich – und so kommt hoffentlich der Ästhet wie der Technikgourmet auf seine Kosten…

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Ganz groß in Mode: Ein Apollo 10 PS-Typ

Die Automobile der Apollo-Werke aus dem thüringischen Apolda spielten in der Anfangszeit meines Blogs kaum eine Rolle – zu selten fanden sich zeitgenössische Fotos und zu wenig geschult war mein Blick für diese oft technisch interessanten und markant gestalteten Wagen.

Doch seit einiger Zeit könnten meine Leser den Eindruck gewinnen, als käme die Marke bei mir groß in Mode – erst vor kurzem habe ich den trotz seiner Kompaktheit konstruktiv bemerkenswerten 4-PS-Typ vorgestellt.

Mittlerweile liegen mir etliche weitere originale Aufnahmen diverser Apollo-Typen vor, die nach und nach in die Markengalerie aufgenommen und im Blog besprochen werden.

Heute geht es um ein Modell, das vermutlich die meisten unter Ihnen noch nie gesehen haben – kein Wunder, da die mir bekannte Literatur nur ein einziges Foto davon enthält. Dabei war der Typ einst ganz groß in Mode, und das gleich in mehrfacher Hinsicht:

Apollo Typ 10/30 oder 10/40 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Groß war dieser klassische Tourenwagen der frühen 1920er Jahre ganz zweifellos. Und in Mode war zumindest der an der Unterseite fast wie ein Rammsporn auslaufende Spitzkühler – zumindest im deutschsprachigen Raum.

Dieser war mir zuerst bei einem weiteren Tourer aufgefallen, den ich gelegentlich ebenfalls vorstellen möchte, und der mir lange Zeit Kopfzerbrechen bereitete.

Erst die Beschäftigung mit den sportlich angehauchten kleinen Apollo-Typen schärfte meinen Blick für die Kühlergestaltung der Marke in der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg.

Bei der Literaturdurchsicht stieß ich dann ausgerechnet im lange vergriffenen Standardwerk „Autos in Deutschland 1920-1945“ von Heinrich v. Fersen auf das bisher einzige mir bekannte Foto, das einen großen Tourenwagen mit genau einer solchen Kühlerpartie zeigt:

Im Werk von v. Fersen wird der Wagen als Typ 10/40 PS angesprochen (das dort abgedruckte Foto findet sich auch online auf der Website von Wolfgang H. Spitzbarth).

Dieses 2,6 Liter-Modell mit konventionellem seitlichen Ventilantrieb wurde bereits vor dem 1. Weltkrieg eingeführt. 1911 erschien es als 10/24 PS-Typ, ab 1912 wurde es in der Motorisierung 10/30 PS angeboten.

Schon 1918 wurde die Produktion des Apollo 10/30 PS (Typ R) wieder aufgenommen. Später (die Angaben variieren) wurde die Leistung auf 40 PS gesteigert.

Nicht herausfinden konnte ich, wann genau der Übergang zum modischen Spitzkühler erfolgte. Die Exemplare des Typs vor Beginn des 1. Weltkriegs scheinen noch einen Flachkühler besessen zu haben.

Anfang der 1920er Jahre jedenfalls wurde der Apollo Typ R 10/30 PS bzw. 10/40 PS mit besagtem Spitzkühler gebaut, der hier natürlich noch eindrucksvoller ausfiel als beim kleinen Sporttyp 4/14 bzw. 4/16 PS.

Die perfekte Ergänzung dieses modischen Akzents an diesem großen Apollo ist zweifellos die junge Dame im hellen und leichten Sommer-Outfit:

Der weite Kragen und der schlichte Schnitt des Oberteils stehen in starkem Kontrast zur Mode der Vorkriegszeit, die einerseits mehr Haut bedeckte, andererseits oft mit verspieltem Dekor aufwartete. Die Kopfbedeckung scheint statt eines Huts eher eine voluminöse Mütze zu sein, welche die Frisur vor dem Fahrtwind schützen sollte.

Die Beinlänge des Rocks bzw. Kleids (ganz lässt sich das nicht erkennen) deutet darauf hin, dass wir uns hier wohl erst kurz nach dem 1. Weltkrieg befinden – die Zeit der großen Beinfreiheit bei den Damen sollte erst später einsetzen.

Bemerkenswert ist, dass diese junge Frau, die uns hier verhalten lächelnd nach fast 100 Jahren anblickt, außer vielleicht ein, zwei Ringen gar keinen Schmuck zu tragen scheint. Sie scheint der Ansicht gewesen zu sein, dass sie keinen weiteren Dekor nötig hat.

Dieser schlichte, neue Look mit einem Hauch Sportlichkeit war damals groß in Mode und stand einer Automobilistin gut zu Gesicht, auch wenn sie selbst sehr wahrscheinlich „nur“ Passagierin war – im Nachkriegsdeutschland war das tatsächlich ein unerhörtes Privileg.

Sie hatte es offenbar in materieller Hinsicht sehr gut getroffen – man wünscht ihr nachträglich, dass das Schicksal auch sonst wohlwollend mit ihr verfahren ist, was in den damaligen Zeiten auch in gutsituierten Kreisen nicht selbstverständlich war.

Vielleicht kommt irgendwann ja dieser schöne Stil wieder groß in Mode – wenngleich es dazu einer renaissancehaften Besinnung auf die Traditionen des alten Europa bedurfte, die ich mir auf Generationen hin nicht vorstellen kann.

Doch immerhin können wir die stilvolle junge Dame und den eindrucksvollen Apollo mit den Mitteln der modernen Technik (so ziemlich das Einzige, wo ich einen zivilisatorischen Fortschritt sehe) zu uns in die Gegenwart holen – und das ist doch immerhin etwas…

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Fund des Monats: Apollo 4 PS-Nachkriegstyp

Ein Nachkriegsmodell in einem Blog für Vorkriegsautos – wie geht das zusammen?

Nun, vergessen wir nicht, dass vor 100 Jahren schon einmal Nachkriegszeit war. Auf jedem Dorffriedhof erinnert noch ein Denkmal daran – wenn Sie eines sehen, halten Sie doch einmal für einen Moment dort und gedenken der Schicksale, die dort festgehalten sind.

Der Fund des Monats Februar ist ganz nach meinem Geschmack, denn er hat viele Facetten – eine davon wird regelmäßigen Lesern meines Blogs bekannt vorkommen. Alles andere aber ist so frisch und neu wie ein Vorfrühlingstag.

An einem solchen entstand 1925 dieses Foto, das seinen Reiz auf den ersten Blick vor allem aus der malerischen Situation bezieht:

Apollo 4/14 oder 4/16 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben Automobilisten mit ihrem Wagen an einem fröhlich die Felsen herunterplätschernden Wasserfall haltgemacht – vermutlich irgendwo in Thüringen oder Sachsen, sicher weiß es ein Leser genauer.

Nachtrag: Leser Peter Oesterreich tippt hier auf den Trusetaler Wasserfall in Thüringen und nach einem Vergleich der Gesteinsformationen meine ich, dass er damit richtig liegt.

Das Auto mag hier wenig spektakulär erscheinen, dabei handelt es sich um den gleichen Typ wie der Fund des Monats. Mit etwas Mühe erkennt man einen spitz zulaufenden Kühler, der auffallend nach unten gezogen ist.

Die filigranen Drahtspeichenräder verweisen auf ein leichtgewichtiges Modell. Bremstrommeln sind nicht zu erkennen – ein Modell der frühen 1920er Jahre, als Bremsen an der Hinterachse und eine Getriebebremse genügen mussten.

Die Mechanik am Rad in Fahrtrichtung links wirkt irritierend – ich komme darauf zurück. Doch zunächst drehen wir das Rad einige Jahre zurück, in die Zeit vor dem 1. Weltkrieg.

Damals entstand diese Aufnahme, die ich vor bald zwei Jahren hier besprochen habe:

Apollo 4/10 bzw. 4/12 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten – und den zweiten – Blick hat dieser Sport-Zweisitzer wenig gemeinsam mit dem nur schemenhaft erkennbaren Auto auf dem eingangs gezeigten Wagen. Dabei handelt es sich um den unmittelbaren Vorgänger!

Die Verwandschaft würde sich erst beim Blick unter die Motorhaube zeigen. Dort residierte in beiden Fällen ein wassergekühlter Vierzylinder mit 960ccm, vor dem 1. Weltkrieg waren so kompakte Aggregate die Ausnahme.

Doch hierbei handelt es sich um ein feines Motörchen mit sportlicher Charakteristik. Festzumachen ist das an den im Zylinderkopf mit halbkugeligem Brennraum und den hängenden Ventilen – eine für den Gaswechsel besonders günstige, aber auch baulich aufwendige Lösung, die man damals nur bei Sportwagen fand.

Verantwortlich dafür war der Konstrukteur Karl Slevogt, der den bis dato luftgekühlten Automobilen der thüringischen Marke Apollo ab 1910 Beine machte. Auf folgender Reklame von 1913 finden wir den Apollo Sport-Zweisitzer mit der Bezeichnung Typ B 4/12 PS in der Mitte auf der linken Seite:

Apollo Reklame von 1913; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Die Abmessungen dieses agilen Aggregats sollten bis Mitte der 1920er Jahre unverändert bleiben: 60mm Bohrung, 92mm Hub – macht 960ccm Hubraum. Damit fiel der Apollo in die Klasse mit 4 Steuer-PS.

Seine Karriere begann er als 4/10 PS Typ, doch noch vor Beginn des 1. Weltkriegs konnte die Spitzenleistung des Motörchens so gesteigert werden, dass man ab 1913 die Bezeichnung 4/12 PS findet. Spezielle Rennversionen entwickelten sogar 20 PS.

Nach dem 1. Weltkrieg begegnet einem der Sport-Zweisitzer von Apollo als 4/14 PS-Modell, später als 4/16 PS-Typ. Äußerlich unterschied er sich vom Vorläufer durch den im deutschsprachigen Raum modischen Spitzkühler sowie die Aufhängung der Vorderräder:

Werfen wir nochmals einen genaueren Blick auf den eingangs gezeigten Wagen:

Apollo 4/14 oder 4/16 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Neben dem Spitzkühler präge man sich hier zum einen das vertikale Bauteil oberhalb des Achsschenkels des Vorderrads ein, zum anderen das waagerechte Element, welches hinter dem Nummernschild entlangführt und unterhalb der Achsschenkel befestigt ist.

Diese Details werden am Ende die Übereinstimmung dieses Wagens mit dem „Fund des Monats“ belegen. Zum Verständnis dieser nicht ganz einfachen Materie werfen wir einen Blick auf eines meiner eigenen Fahrzeuge.

Hier sehen wir die Frontpartie meiner EHP Voiturette, die 2021 genau 100 Jahre alt wird:

EHP Voiturette von 1921; Bildrechte: Michael Schlenger

Der Wagen verfügt ebenfalls über einen Vierzylinder mit weniger als 1 Liter Hubraum und leistet vergleichbare 12-14 PS – ganz genau lässt sich das nicht sagen.

Ein besonderes Merkmal dieses nur technisch überholten Wagens, der bis in die 1960er Jahre von einer Dame auf Mallorca gefahren wurde, ist die quer angebrachte Blattfeder, an der die schöngeschwungene Achse angebracht ist.

Man blende nun im Geiste die Achse aus und stelle sich vor, die Räder seien am Ende der Blattfeder frei schwingend aufgehängt. Dann würde aber eine vertikale Stabilisierung der Räder fehlen, nicht wahr?

Genau, wenn man keine Achse hat, dann muss man die an der Querblattfeder auf und ab schwingenden Räder anders zur Disziplin bringen, zum Beispiel so:

Auf den ersten Blick sieht das reichlich unübersichtlich aus – doch alles halb so wild.

Links und rechts des Nummernschilds erkennt man die Lagen der querliegenden Blattfeder. Im Unterschied zu meinem EHP ist sie unterhalb der Radmitte beweglich an zwei nach unten ragenden Armen montiert.

Lässt man das Auge nun von dort nach oben wandern, erkennt man ein senkrecht verlaufendes zylinderfömiges Gebilde, das hinter dem Kotflügel verschwindet. Ein Teil davon ist mit einer Ledermanschette umhüllt, die eine vertikale Bewegung aufnimmt.

Dabei handelt es sich um eine Art Teleskop, das für die vertikale Führung des achslosen Rads sorgt. Über den Aufbau konnte ich nichts Genaues bringen. In Teilen der Literatur ist hier von einem „Luftpuffer“ die Rede, was eine stoßdämpferartige Funktion nahelegt.

Weiß ein Leser mehr über die faszinierenden Details dieser vorderen Radaufhängung? Dieses ist nämlich neben dem Spitzkühler das wichtigste Erkennungsmerkmal der Nachkriegsversion des sportlichen 4 PS-Modells von Apollo.

Leser und Sammlerkollege Matthias Schmidt aus Dresden ist es zu verdanken, dass wir diese in der mir vorliegenden Literatur nur beschriebene, aber nicht abgebildete Nachkriegsversion des 4 PS-Modells von Apollo heute vollständig studieren können:

Apollo 4/14 oder 4/16 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Wie wenig Gesichertes über dieses kleine Kraftpaket bekannt ist, zeigen allein die unterschiedlichen Literaturangaben zur Bauzeit: 1918-26, 1920-25 und 1921-25.

Immerhin besteht Einigkeit hinsichtlich des Hubraums von 960 ccm und des Leergewichts von gut 500 kg. Die Angaben für die Höchstgeschwindigkeit variieren naturgemäß im Zeitverlauf: 70 km/h beim Vorkriegsmodell 4/10 bzw. 4/12 PS und 80-90 km/h bei den Nachkriegsversionen 4/14 bzw. 4/16 PS (evtl. auch 4/20 PS).

Interessanterweise waren die leichten aber auch empfindlichen (wohl serienmäßigen) Drahtspeichenräder nicht jedermanns Sache. Hier hat jemand vermutlich Holzspeichenräder montiert, die bei schlechter Straße die bessere Wahl waren.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass dieser Apollo-Zweisitzer auch die in der Literatur erwähnten hinteren Cantilever-Federn besitzt, die typisch für das 4 PS-Modell der Nachkriegszeit waren. Die hat mein EHP von 1921 auch, offenbar bei sportlich angehauchten Voiturette-Wagen jener Zeit nicht ungewöhnlich.

Nebenbei konnte ich bei der Beschäftigung mit diesem hübschen kleinen Apollo-Sportler dank der markanten Gestaltung des Kühlers ein weiteres Fotorätsel lösen – aber dazu muss die Marke erst einmal wieder an Reihe sein – und das kann ein wenig dauern…

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Nur 7 PS, aber schon lebensgefährlich: Apollo „Piccolo“

Der heutige Autofahrer, der so sicher, sauber und geräuscharm wie nie zuvor reisen kann, verdankt sein fast anstrengungs- und risikoloses Dasein dem Erfindungsgeist, dem Mut und Beharrungsvermögen von Pionieren aus über 120 Jahren.

Der Grad der Vollkommenheit moderner Kraftfahrzeuge wird jedoch oft entweder als Selbstverständlichkeit betrachtet oder von Lobbygruppen abgestritten, die ausgerechnet in den besten Autos aller Zeiten die Wurzel vielfältiger Übel sehen.

Die Konfrontation mit den Wagen der Frühzeit ist in beiden Fällen ausgeprochen heilsam. Die damaligen Standards in punkto Effizienz, Sicherheit und Umweltbelastung waren aus heutiger Sicht haarsträubend.

Für die frühen Automobilisten zählte vor allem eines: Zuverlässigkeit und Reichweite. Erst diese beiden Eigenschaften sorgten für die ersehnte Unabhängigkeit von Pferdekutsche, Eisenbahnfahplänen und Batterieladungen.

Dass die neugewonnene Autonomie oft auf Kosten der nicht motorisierten Mitmenschen ging, wurde lange in Kauf genommen. So gehörte das Motiv des von rücksichtslosen Benzinkutschern über den Haufen gefahrenen Fußgängers bis zum 1. Weltkrieg zum Repertoire von Karikaturisten.

Manche frühen Autobesitzer machten sogar scherzhafte Aufnahmen, die solche Situationen simulierten, etwas diese aus dem Jahr 1908:

unbekanntes Automobil, Postkarte von 1908 aus Sammlung Michael Schlenger

Nebenbei: Wenn ein Leser eine Idee zum Hersteller dieses Wagens hat, würde ich mich über einen Hinweis freuen.

Doch lebten auch die Pioniere der Automobilität selbst nicht gerade ungefährlich: Leistungsfähige Bremsen oder splittersicheres Glas setzten sich erst ab Mitte der 1920er Jahre durch, Gurte und Knautschzonen erst ab den 1960er Jahren.

Vor diesem Hintergrund relativieren sich selbst die aus heutiger Sicht niedrigen  Geschwindigkeiten bei Kleinwagen, die bis vor dem 1. Weltkrieg oft keine 10 PS leisteten.

Dass man als Besitzer eines solchen „Geschosses“ durchaus gefährlich lebte, zeigt eine historische Originalaufnahme, die ich erst kürzlich erworben habe. Sie zeigt ein Fahrzeug, das ich bereits anhand eines Fotos von 1931 vorgestellt habe:

Apollo „Piccolo“ von 1907; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei der damaligen Besprechung zeigte sich, dass das auf der Haube aufgemalte Baujahr „1902“ falsch sein muss. Denn es handelt sich um das erst ab 1907 in dieser Form verfügbare Modell „Piccolo“, das von den Automobilwerken Ruppe & Sohn im thüringischen Apolda gebaut wurde.

Obwohl die Marke „Apollo“ erst ab 1910 verwendet wurde, sortiere ich die bisher aufgetauchten Originalaufnahmen solcher frühen Modelle ebenfalls unter „Apollo“ ein – es handelt sich dabei um Raritäten, wie sie die Literatur nur teilweise bietet.

Auch das Modell Piccolo mit seinem luftgekühlten Zweizylindermotor, das ab 1907 ganze 7 PS aus 800ccm leistete, ist in den einschlägigen Druckwerken fast nur in alten Prospektabbildungen vertreten.

Heute kann ich nun eine kurz nach dem 1. Weltkrieg entstandene Aufnahme zeigen, die auf scherzhafte Weise von den Gefahren erzählt, denen man einst als Pionier der motorisierten Kutsche ausgesetzt war:

Apollo „Piccolo“ 7 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Natürlich ist dieser „Überfall“ sich aufgebracht gebender Fußgänger auf einen wackeren Automobilisten nur gestellt.

Die Situation hat etwas Theatralisches und die Männer, die den armen Fahrer hier scheinbar so entschlossen angehen, könnten von Mimik und Körperhaltung her Schauspieler sein.

Für einen spaßeshalber entstandenen Schnappschuss wirkt die Szene zu inszeniert. Möglicherweise war diese Aufnahme zur Publikation vorgesehen, in welchem Kontext auch immer.

Dass es sich bei dem Wagen tatsächlich um einen Typ „Piccolo“ aus dem Hause Ruppe & Sohn (späterer Markenname „Apollo“) handelt, belegt der Vergleich des Schriftzugs auf der Kühlerattrappe mit der Aufnahme eines auch sonst identischen Zweisitzers im verdienstvollen Standardwerk zu ostdeutschen Automarken „Ahnen unserer Autos“ von Gränz/Kirchberg (Verlag Transpress, 1975).

Im Unterschied zu sämtlichen mir bekannten Abbildungen dieses Typs ist hier eine höhenverstellbare Windschutzscheibe montiert. Was diese bei einem Unfall mit den Insassen anrichtete, stellt man sich besser nicht vor.

Ja, die Automobilisten der Pionierära lebten ausgesprochen gefährlich. Doch ihrem Mut und ihrer Leidensfähigkeit verdanken wir eine heute bis auf’s Äußerste verfeinerte Erfindung, ohne die unser moderner Lebensstandard nicht vorstellbar wäre.

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Fund des Monats: Ein Apollo „Record“ Typ F8 8/28 PS

Mit der Marke Apollo aus dem thüringischen Apolda verbinden Kenner deutscher Vorkriegswagen vor allem die luftgekühlten Modelle der Firma A. Ruppe & Sohn, die ab 1905 in beachtlichen Stückzahlen gefertigt wurden.

Diese 5 oder 6 PS Voiturette von 1905/06 haben wir hier bereits kennengelernt:

Piccolo 5 oder 6 PS Modell, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Den luftgekühlten V2-Motor mit davorliegendem Kühlventilator – damals eine ungewöhnliche Lösung im Automobilbau – kann man nur erahnen.

Doch zum Glück liefert der Fundus eine weitere Ansicht eines ganz ähnlichen Modells, das einst das Atelier eines Fotografen zierte und Kunden damit die Möglichkeit bot, sich als stolze Automobilisten ablichten zu lassen.

Das Ergebnis ist von ganz eigenem Reiz, auch wenn jedermann sehen konnte, dass die Situation „gestellt“ war:

Piccolo 5 oder 6 PS Voiturette; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Während diese Aufnahme noch das Stadium der pferdelosen Kutsche dokumentiert, blieb man bei Ruppe & Sohn in Apolda nicht untätig.

Das Konzept des luftgekühlten V-Motors wurde vorerst beibehalten, doch äußerlich näherte man sich schon 1906/07 dem Erscheinungsbild eines „richtigen“ Automobils mit Motorhaube und Kühlergrill an.

Der Kühler war zwar eine Attrappe, das Publikum erwartete aber eine solche Optik von einem modernen Automobil:

Piccolo von 1906/07; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wann diese außergewöhnliche Aufnahme entstanden ist und was vom Baujahr auf der Haube zu halten ist, habe ich seinerzeit hier berichtet.

Wir springen fünf Jahre weiter – ins Jahr 1912 – und auf einmal haben wir es mit einem sportlichen Zweisitzer aus Apolda zu tun, der nichts mehr mit seinen Kleinwagenvorfahren gemein hatte.

Der technologische Richtungswechsel schlug sich auch in der in „Apollo“ geänderten Markenbezeichnung nieder, in der der Herstellungsort Apolda anklang und gleichzeitig auf den altgriechischen Gott der Schönheit angespielt wurde.

Ein gefälliges Äußeres kann man diesem ab 1912 gebauten Apollo 4/12 PS Zweisitzer in der Tat nicht absprechen:

Apollo 4/12 PS Sport-Zweisitzer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Lange Haube, kurzes Heck – dieses Rezept war schon damals kennzeichnend für sportliche Automobile.

Und trotz auf dem Papier geringerer Leistung bot dieser Apollo sportliche Qualitäten. Dafür hatte Karl Slevogt gesorgt, ein renommierter und auf sportliche Modelle spezialisierter Konstrukteur, den man 1910 gewinnen konnte.

Mit den nunmehr wassergekühlten Vierzylindermotoren und strömungsgünstig im Zylinderkopf hängenden Ventilen waren diese 1-Liter-Apollo-Wagen mit einem Mal bei zahlreichen Wettbewerben erfolgreich.

Wenn man der Literatur trauen darf, waren die von Slevogt agil angelegten Apollo-Typen mit kopfgesteuerten Ventilen selbst den frühen Bugattis gewachsen.

Dies dürfte wohl nur für „heißgemachte“ Werksrenner gegolten haben, da der parallel gebaute Bugatti Typ 13 mit seinem 1,3 Liter und 15 PS leistenden Motor schon von der Papierform her überlegen war.

Jedenfalls vermochte sich Apollo speziell in den Jahren 1911/12 einigen Ruhm zu erwerben, der sogar Hoffnungen auf eine internationale Karriere weckte:

Apollo-Reklame; Original aus Sammlung Michael

Diese Anfang 1914 entstandene Originalreklame verrät das gestalterische Können des großen deutschen Grafikers und Automobil-Enthusiasten Ernst Neumann-Neander.

Sein charakteristisches Signet ist links unten in dem schwarzen Feld oberhalb des Apollo-Schriftzugs zu sehen. Wer sich für das Werk dieses vielseitig begabten Menschen interessiert, dem sei der nach ihm benannte Ausstellungskatalog von Kraft/Müller/Solms (Verlag Hahne&Schloemer, 2004) ans Herz gelegt.

Zwar sollten sich die Hoffnungen auf bedeutenden wirtschaftlichen Erfolg nicht erfüllen, doch hielt dies die Apollo-Werke nicht davon ab, weitere noch leistungsfähigere Modelle zu entwickeln.

Damit wären wir endlich beim Fund des Monats November 2018, nämlich diesem hier:

Apollo „Record“ Typ F8 8/28 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Die Aufnahme dieses mächtigen Tourenwagens, die wohl an der winterlichen Balkanfront im 1. Weltkrieg entstand, verdanken wir wieder einmal der Großzügigkeit von Blog-Leser Klaas Dierks.

Die Situation als solche ist eindeutig. Ein schwerer Kurier- oder Offizierswagen der deutschen bzw. österreichisch-ungarischen Truppen steckt mit seinen weitgehend profillosen Reifen im – möglicherweise überfrorenen – Schnee fest.

Die Lage ist im wahrsten Sinne so „verfahren“, dass offenbar die Kräfte der 16 Männer und Burschen auf dem Foto nicht ausreichten, den Wagen zu befreien.

Denkbar ist auch, dass der Wagen mit schwerem Defekt liegengeblieben ist und über eine längere Strecke zu einer Instandsetzungseinheit geschleppt werden muss.

Diese Aufgabe obliegt Ponys, sodass die Männer nur „Anschubhilfe“ leisten müssen:

Überwacht wird die „Befreiungsaktion“ wohl vom Fahrer des Wagens, den wir am rechten Bildrand sehen. Ihm steht gerade nicht der Sinn nach einem Foto. Man sieht ihm die Sorge um das Automobil an, für dessen Einsatzfähigkeit er verantwortlich war.

Nun, wir dürfen davon ausgehen, dass die Sache mit den vereinten Kräften von vier Pferdestärken und den „Hilfstruppen“ glimpflich ausgegangen ist. In Frontnähe wäre diese Situation garantiert nicht eigens von einem Fotografen festgehalten worden.

Doch um was für einen Wagen bemühte man sich einst so intensiv? Nun, das wäre schwer zu beantworten, würde uns nicht das Foto selbst entscheidende Hinweise geben:

Den Kühler in markanter Schnabelform – damals eine gegenüber dem Spitzkühler seltenere Variante – schmückt der schräg nach oben weisende Schriftzug „Apollo“.

Man findet ihn auf etlichen Dokumenten jener Zeit, wie sie vor allem auf der von privaten Enthusiasten Apollo-Website zusammengetragen worden sind. Damit in Verbindung steht auch eine interessante Facebook-Seite zu den Wagen aus Apolda.

Doch selbst dort konnte ich nach erster Durchsicht keinen Apollo-Wagen finden, der dem entspricht, den das über 100 Jahre alte Foto von Klaas Dierks zeigt.

Es lässt sich aber ein Indizienbeweis führen, der zu einem ausgesprochen interessanten Ergebnis führt. Ausgangspunkt sind dabei die Drahtspeichenräder mit Zentralverschlussmutter nach Patent der englischen Firma Rudge.

Die mir zugängliche Literatur – ein Buch speziell über die Apollo-Wagen scheint es (noch?) nicht zu geben – nennt nur bei einem Modell der unmittelbaren Vorkriegszeit Rudge-Drahtspeichenräder als Serienausstattung.

Dabei handelt es sich um das von 1912-14 gebauten Typ „Record“ F8 mit 8/28 PS-Motorisierung. Sein Zweiliter-Aggregat war im Unterschied zum parallel erhältlichen Typ N 8/24 PS kopfgesteuert, was eine höhere Leistungsausbeute ermöglichte.

Statt lediglich 75 km/h Spitze erreichte der Apollo „Record“ eine Höchstgeschwindigkeit von 95 km/h – für ein Serienautomobil vor dem 1.Weltkrieg eine außergewöhnliche Leistung.

Ausfahren ließ sich das zwar kaum – schon gar nicht unter den Umständen auf dem heute neu vorgestellten Foto.

Doch die um mehr als 15 % höhere Motorleistung bedeutete auch bei niedrigeren Geschwindigkeiten ein besseres Antrittsvermögen und – was noch wichtiger war – am Berg mehr Reserven, bevor man zurückschalten musste.

Mit der heute vorgestellten Aufnahme hat Apollo in meinem Blog den Sprung aus der Rubrik „Exoten von A-Z“ in eine eigene Bildergalerie geschafft. Nach und nach soll auch bei dieser Marke eine strukturierte Dokumentation entstehen, die bislang noch fehlt.

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Einst ein moderner Sport-Zweisitzer: Apollo 4/12 PS

Es gab einmal eine Zeit, in der war die Länge der Motorhaube ein Maß für die Sportlichkeit eines Automobils. Klar: ein 6-Zylindermotor oder gar ein Reihenachter braucht deutlich mehr Platz als ein kompakter Vierzylinder.

Das war lange bevor aufgeladene Motoren der Regel „Hubraum ist durch nichts zu ersetzen“ den Boden entzogen. Heute wird mit allerlei Kunstgriffen aus winzigen Aggregaten eine früher unvorstellbare Leistung gequetscht.

Allerdings gibt es auch Beispiele für frühe Automobile, die trotz geringen Hubraums durchaus sportliche Qualitäten aufwiesen – und dies durch eine „eigentlich“ nicht erforderliche stattliche Motorhaube kundtaten.

Ein Beispiel dafür war der DKW Typ PS 600 Sport mit 18 PS aus 600 ccm von 1929:

DKW PS 600 Sport; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese sympathische Form der Angeberei hatte bereits fast 20 Jahre vorher einen Vorläufer – und mit diesem interessanten Gefährt wollen wir uns heute befassen.

Dazu blenden wir erst einmal zurück ins Jahr 1905. Damals brachte die Firma Ruppe & Sohn aus dem thüringischen Apolda einen leichten Wagen mit luftgekühltem V-Zweizylindermotor auf den Markt, den Piccolo 5 PS.

Das recht erfolgreiche Modell haben wir vor einiger Zeit als „Fund des Monats“ präsentiert, da Originalaufnahmen davon in der Literatur kaum zu finden waren.

Dies hat sich mittlerweile geändert und heute können wir ein zweites Foto dieses Typs vorstellen, das deutlich das vor den Zylindern angebrachte Gebläse erkennen lässt:

Apollo „Piccolo“ 5 PS Voiturette; originale Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Entstanden ist diese Aufnahme offenbar im Atelier eines Fotografen vor gemaltem Hintergrund – auch die Scheinwerferstrahlen sind von kundiger Hand hinzugefügt.

Doch das Auto selbst ist eindeutig echt – vermutlich hat der Fotograf mit solchen Aufnahmen seine automobile Leidenschaft finanziert, während die Insassen wenigstens einmal das Gefühl bekamen, ebenfalls stolze Autobesitzer zu sein.

Übrigens ist diese schöne Aufnahme im Jahr 1907 als Postkarte nach Leer gelaufen.

Die Ära der luftgekühlten Motoren endete bei Apollo im Jahr 1910, als man den angesehenen Ingenieur Karl Slevogt anheuerte. Mit seinen wassergekühlten Konstruktionen gelang es, die Produktion deutlich auszuweiten.

Slevogt sorgte dafür, dass sich die neuen Apollo-Modelle auch für den Sporteinsatz eigneten.

Dazu konstruierte er Motoren mit oben im Zylinderkopf befindlichen Ventilen, die einen strömungsgünstigeren Gaswechsel erlaubten als seitlich stehende Ventile, die bei vielen Marken noch bis in die 1930er Jahre gängig blieben.

Vor dem 1. Weltkrieg waren Motoren, die eine aufwendige Ventilsteuerung über Stoßstangen und Kipphebel besaßen, Ausweis besonderen Könnens. Das wurde auch in der formalen Gestaltung selbstbewusst zum Ausdruck gebracht:

Apollo 4/12 PS Sport-Zweisitzer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Normalerweise wäre diese hervorragende Aufnahme ebenfalls ein Kandidat für den „Fund des Monats“ – denn ein solches Originalfoto wird man außerhalb dieses Blogs schwerlich finden.

Doch im Fundus des Verfassers schlummern genügend weit rarere Dokumente, sodass wir großzügig mit diesem Foto verfahren und es als etwas ganz Gewöhnliches vorstellen.

Wir sehen hier ein Apollo 4/12 PS Modell in der Ausführung als Zweisitzer, wie sie ab 1912 verfügbar war. Daneben gab es konstruktiv vergleichbare stärkere Versionen mit bis zu 28 PS.

Doch bereits die Basisversion mit der langen Haube, unter der nicht allzuviel zu sehen war, machte bereits mächtig Eindruck:

Schon dieses 12 PS-Modell mit knapp 1 Liter Hubraum besaß dank 500 kg Leergewicht und drehfreudiger Charakteristik sportliche Eigenschaften.

Der feiste Besitzer eines modernen SUV wird darüber lächeln, doch zum einen schleppten die Automobilisten vor über 100 Jahren nicht zahllose unnötige Pfunde am eigenen Leib mit sich herum, zum anderen brauchte es Mut, um mit damaligen Fahrwerken und Reifen auf unbefestigten Pisten eine Spitze von 70 km/h auszufahren.

Ohne die Begeisterung unserer Altvorderen für die damals noch unvollkommenen Benzinkutschen wären wir heute noch mit Pferdegespannen unterwegs oder müssten uns mit der eingeschränkten Mobilität extrem teurer Elektromobile abfinden.

Den mutigen und unbeirrten Pionieren des modernen Automobils nachträglich Dank abzustatten, ist vielleicht eine weitere Motivation für diesen Blog für Vorkriegsautos…

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1931 noch ein „Youngtimer“: Ein Piccolo von 1907

Wer beim Stichwort Piccolo zuerst an Sektflaschen im Miniaturformat denkt und nicht an einen weit über 100 Jahre alten Autotyp, dem kann man es nicht verdenken.

Auch auf diesem Vorkriegs-Oldtimerblog hatten wir erst einmal das Vergnügen, eines der ab 1904 gebauten Fahrzeuge der Firma Ruppe & Sohn aus dem thüringischen Apolda kennenzulernen.

Den kompletten Bericht zu den recht erfolgreichen Kleinwagen mit luftgekühltem V-Zweizylindermotor gibt es hier zu lesen. Folgendes Foto zeigt das Modell von 1905, das wir seinerzeit in der Kategorie Fund des Monats vorgestellt haben:

Piccolo um 1905; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses noch altertümlich wirkende Modell mit frei im Fahrtwind stehenden „Twin“-Aggregat wurde laufend weiterentwickelt, wobei die Leistung des auf 800ccm vergrößerten Motors bis 1910 von anfänglich 5 auf 7 PS stieg.

Für das Erscheinungsbild der modellgepflegten späten Versionen war aber ein anderes Detail wichtiger: 1907 erhielt der Piccolo eine Motorhaube, die ihn nun wie ein vollwertiges Automobil erscheinen ließ.

Vorgeblendet wurde bei der Gelegenheit auch eine Kühlerattrappe – für die eigentliche Kühlung des mit steigender Leistung thermisch stärker belasteten Aggregats sorgten dahinter verborgene Ventilatoren.

So weit die spärliche und im Detail widersprüchliche Literatur zu den ganz frühen Modellen von Ruppe & Sohn (späterer Markenname „Apollo“ bekannt). Doch ein historisches Originalfoto eines dieser späten Piccolo-Typen? Schwierig.

Eine Recherche im Netz fördert zwar einige moderne Aufnahmen überlebender Piccolo-Wagen zutage, was erfreulich ist, aber nicht dem Anspruch dieses Blogs genügt.

Doch irgendwann gelingt ein Fund wie dieser:

Piccolo um 1907; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist eine in doppelter Hinsicht historisch interessante Aufnahme.

Sie ist auf Mai 1931 datiert und zeigt zwei junge Burschen, die sich für einen Veteranenwagen interessieren , der zum Zeitpunkt der Aufnahme nach heutigen Maßstäben allenfalls ein Youngtimer wäre.

Vermutlich ist die Aufnahme bei einer KfZ-Ausstellung entstanden, bei der dieser Veteranenwagen eine Statistenrolle innehatte.

Nach eingehendem Studium ist sich der Verfasser sicher, dass wir hier einen Piccolo in der Form sehen, wie sie ab 1907 gebaut wurde.

Deutlich erkennbar ist, dass der „Kühler“ eine Attrappe ist. Auch Anordnung. Form und Zahl der seitlichen Luftschlitze „passen“:

Was irritiert, ist der Schriftzug „ANNO 1902“ auf der Motorhaube. Zu diesem Zeitpunkt baute Ruppe & Sohn noch keine Automobile.

Jedoch wäre dies nicht der erste Fall, bei dem ein historischer Wagen falsch datiert wurde – eventuell hat jemand ein handschriftlich in der Fahrzeugdokumentation vermerktes Baujahr „1907“ falsch interpretiert.

Der Verfasser lässt sich gern eines Besseren belehren, doch bis zum Beweis des Gegenteils sieht er hier einen Piccolo im Erscheinungsbild des Jahres 1907. Praktisch das gleiche Auto ist auf einer Werbeabbildung auf S. 34 des Buchs „Ahnen unserer Autos“ von Paul Gränz und Peter Kirchberg zu sehen. 

Möglicherweise hat ein Leser eine zündende Idee, was die Gelegenheit angeht, bei der diese ungewöhnliche Aufnahme entstand. Hinten sieht man eine DKW Block 300 oder 350 – das Spitzenmodell der sächsischen Marke Anfang der 1930er Jahre:

Der Schriftzug auf dem Schild im Hintergrund ist nur teilweise zu lesen. Auf dem Originalabzug ist in etwa Folgendes zu entziffern:

„Zum (?) … der Zeit und der Tat gehört (?) das Rad“.

Nachtrag: Leser Klaas Dierks hat den Slogan eingehender betrachtet und schlägt folgende (stimmige) Auflösung vor: „Zum Tempo der Zeit und der Tat gehört das Rad“

Auf die beiden jungen Burschen, die sich hier für den Piccolo interessieren, muss der Wagen trotz seines Alters von gerade einmal 24 Jahren wie eine Erscheinung aus grauer Vorzeit gewirkt haben.

Zwischen 1907 und 1931 hatte das Automobil in rasendem Tempo eine Entwicklung durchlaufen, die wir uns heute kaum vorstellen können.

Man wünscht sich, dass die ganz frühen Zeugen der Automobilität hierzulande auch bei den jungen Leuten auf denselben Enthusiasmus stoßen, wie er bei unseren französischen, niederländischen und britischen Nachbarn selbstverständlich ist.

Die „Youngtimer“ im Jahr 1931 waren definitiv faszinierender als die des Jahres 2017 es sind. Das zu vermitteln, ist Aufgabe der Generation, die derzeit Hüter der ganz frühen Automobile ist.

Wer im deutschsprachigen Raum über das Desinteresse der Jugend an wirklich historischen Fahrzeugen jammert, muss sich die Frage gefallen lassen: Was tust Du dagegen?

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

 

 

 

 

Fund des Monats: „Piccolo“ Voiturette von 1905

Heute dürfen sich die Freunde von Veteranen-Automobilen besonders freuen, denn dem Verfasser ist ein Originalfoto ins Netz gegangen, das eine Rarität aus der Pionierzeit darstellt.

Dabei war das abgebildete Auto selbst einst ein ausgesprochener Erfolg und seine Entstehungsgeschichte ist in der Literatur gut dokumentiert. Nur historische Aufnahmen sind nahezu unauffindbar – aber das ändert sich zum Glück hiermit:

Apollo „Piccolo“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser über 110 Jahre alte Abzug mag auf den unbefangenen Betrachter erst einmal wenig eindrucksvoll wirken.

Der einstige Fotograf hatte sehr wahrscheinlich bis dato nur wenig Gelegenheit, sich einem automobilen Motiv zu nähern – entsprechend uninspiriert wirkt die Situation.

Hinzu kommen einige Beschädigungen des Abzugs, die sich nur teilweise retuschieren ließen – dennoch wird man im Folgenden das Auto ohne größere Beeinträchtigungen studieren können.

Die Zahl der Leser, die dieses Gefährt auf Anhieb identifizieren können, dürfte überschaubar sein. Auch der Verfasser hatte zunächst keine Ahnung, was ihm da vor die Flinte gelaufen war. Die mit Autoliteratur aus den letzten 50 Jahren bestückte Bibliothek half aber am Ende weiter.

Machen wir es kurz: Das ist ein „Piccolo“ 5 PS-Modell der Firma Ruppe & Sohn aus dem thüringischen Apolda – später firmierte man unter dem wohlklingenden Namen „Apollo“ – der Einfachheit bleiben wir im Folgenden dabei.

Nachdem man sich 1902/03 im Bau eines Motorrads versucht hatte, stellte man schon Ende 1904 einen komplett selbstkonstruierten Wagen vor. Die Produktion des Modells lief 1905 an.

Dieser Apollo „Piccolo“ sollte auf Anhieb ein Erfolg werden, obwohl oder gerade vielleicht weil man dabei ein eigenständiges Konzept verfolgte.

Über der Vorderachse des Vehikels war ein luftgekühlter V2-Zylindermotor angebracht, der zusätzliche Kühlung durch einen davor montierten Ventilator erhielt. Der Antrieb der Hinterräder erfolgte mittels Kardanwelle – zu einer Zeit, als viele andere Hersteller noch Kettenantrieb bevorzugten.

Das 5 PS leistende Aggregat mit 700ccm Hubraum ermöglichte dem leichten Wagen ein Spitzentempo von 50 km/h. In Verbindung mit einem günstigen Preis vermochte der „Piccolo“ den damals als „Voiturette“ bezeichnenden Kleinwagen ausländischer Provenienz Paroli zu bieten.

Schon 1906 entstand der tausendste „Piccolo“ – in der Pionierära ein enormer Erfolg – die Qualitäten des robusten Wagens sprachen sich offenbar rasch herum.

Damit die Zuschreibung des Autos auf unserem historischen Abzug nachvollziehbar ist, hier eine ältere Abbildung eines „Piccolo“ 5 bzw. 6 PS von 1906, die aus der verkehrsgeschichtlichen Sammlung in Dresden stammt:

Apollo „Piccolo“ 5 bzw. 6 PS Voiturette; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Zu beachten ist, dass diese Abbildung seitenverkehrt ist, um den Vergleich mit dem Originalfoto zu erleichtern – deshalb befinden sich Lenksäule und Bremshebel in Fahrtrichtung links statt rechts.

Exkurs: Wieso waren eigentlich die frühen Automobile rechtsgelenkt – und das nicht nur in Großbritannien?

  • Nun, vor der Erfindung des pferdelosen Wagens saß der Kutscher rechts, weil er so besser die Peitsche schwingen konnte. Die meisten Menschen sind bekanntlich Rechtshänder.
  • Bei frühen Autos lagen Schalt- und Handbremshebel noch außerhalb des Aufbaus. Um sie bedienen zu können, waren sie ebenfalls in Fahrtrichtung rechts montiert – damit war zugleich die Sitzposition des Fahrers festgelegt.

Zurück zum Thema: Hier sehen wir in der Ausschnittsvergrößerung den V2-Motor des „Piccolo“ mit dem davor sitzenden Lüfter:

Gut zu erkennen ist außerdem der schwungvolle vordere Abschluss der „Karosserie“ mit der „vis-a-vis“ angebrachten Passagiersitzbank.

Die Aussagen in der Literatur, wonach der Wagen „höchstens“ zwei Personen Platz bot, treffen wohl nur auf die erste Ausführung von 1904 zu.

Auch auf unserer Originalaufnahme sieht man zumindest einen dritten Platz – der wie ein Kinder- oder Notsitz wirkt:

Die Übereinstimmungen in den technischen Details und in der formalen Gestaltung erlauben den Schluss, dass wir hier eine der ganz seltenen zeitgenössischen Originalaufnahmen eines Apollo „Piccolo“ vor uns haben.

Auffallend sind zwar die Holzspeichenräder – die Abbildungen in der Literatur zeigen durchweg Drahtspeichenräder – doch diese Ausführung könnte auf eine Ausführung des „Piccolo“ von 1906/07 hinweisen, die bereits ein Verdeck besaß.

Wer genau hinsieht, kann einen Zylinder des V2-Motors und das davor befindliche Lüftergehäuse erkennen.

Nach der Lage der Dinge haben wir es tatsächlich mit einem Originalfoto eines 5 oder 6 PS „Piccolo“ der Apollo-Werke (vormals: Ruppe & Sohn) zu tun.

Hier sehen wir das einstige Besitzerpaar, das für diese frühe Aufnahme wohl etwas länger stillhalten musste – die Belichtungszeiten waren damals noch recht lang:

Interessant ist die am Wagenheck angebrachte Kofferbrücke, die in vertikaler Stellung arretiert ist. Man sieht aber die herunterhängenden Bänder, die sie bei Benutzung fixierten.

Demnach wurde dieser „Piccolo“ auch für Reisezwecke verwendet. Flexibler als mit der Eisenbahn war man damit allemal, wenn es auf dem Lande zu Verwandten ging. Und schneller als mit dem Pferdegespann war man auch unterwegs.

So verrät dieses uralte Foto bereits etwas von der Verheißung der individuellen und fast schrankenlosen Mobilität, die in unseren Tagen von kleinen, aber einflussreichen „pressure groups“ in Frage gestellt wird – ausgerechnet in einer Zeit, in der das Automobil mit Verbrennungsmotor so sauber, laufruhig, leistungsfähig, komfortabel und für jedermann erschwinglich ist wie nie zuvor.

Es hat schon seinen Grund, dass sich Benzin- und Dieselfahrzeuge bei der Motorisierung der breiten Bevölkerung weltweit durchgesetzt haben und nicht die weit ältere Technologie des Elektroautos, die schon immer ein teures, Vermögenden vorbehaltenes Vergnügen mit begrenztem Alltagsnutzen war…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.