Austro-Daimler-Revue: vom AD 25 PS zum ADV

Eigentlich wollte ich es mir heute leicht machen und wieder einmal Bilder des Austro-Daimler AD6-17 PS vorstellen, die sich zwischenzeitlich eingefunden haben.

Bei der Sichtung der Aufnahmen begann ich jedoch über die Bedeutung kleiner Unterschiede im Erscheinungsbild zu grübeln, woraufhin ich die Literatur konsultierte (Franz Pinczolits; Austro-Daimler, 1986; Martin Pfundner: Austro-Daimler und Steyr, 2007).

Diese half mir aber nur bedingt weiter, da die dort gezeigten Aufnahmen teils mäßiger Qualität sind und äußere Details kaum beschrieben werden. Also versuche ich es einmal selbst, wobei einiges Mutmaßung ist.

Klar ist meines Erachtens, dass alle Typen von Austro-Daimler ab spätestens 1920 bis zum Erscheinen des Typs ADM anno 1923 einen Spitzkühler mit dekorativem Markenemblem wie hier zu sehen besaßen:

Austro-Daimler der frühen 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie es scheint, nahm Austro-Daimler 1919 zunächst die Produktion der beiden Vorkriegsmodelle 9/20 PS und 14/32 PS mit Vierzylindermotoren wieder auf.

Die Leistung der Aggregate wurde etwas angehoben und die Frontpartie mit einem Spitzkühler nach obigem Muster versehen. Der kleinere Typ wurde nunmehr als AD 25 PS angeboten und wie üblich mit verschiedenen Aufbauten angeboten.

Ein besonders attraktives Exemplar davon ist mir vor längerer Zeit in Form dieses feschen Sport-Zweisitzers ins Netz gegangen:

Austro-Daimler AD 25 Sport-Zweisitzer um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Neben dem AD 25 PS wurde der deutlich größere AD 35 PS angeboten. Sein Radstand von 3,10 Metern erlaubte nun auch großzügige Tourenwagenaufbauten, die Platz für drei Sitzreihen und damit sechs bis sieben Insassen ermöglichten.

Wie bei allen bisherigen Austro-Daimlern befanden sich die Hebel für Handbremse und Gangschaltung auch beim aufgewärmten 35 PS-Modell noch rechts außen an der Karosserie – jedenfalls bei offenen Ausführungen. Das entnehme ich der Aufnahme eines Austro-Daimler auf Seite 127 des Standardwerks von Pinczolits.

Demnach müsste der Wagen auf folgendem Foto ebenfalls ein Austro-Daimler des mittelgroßen Vierzylindertyps AD 35 PS sein, wie er nach dem 1. Weltkrieg noch eine Weile gebaut wurde:

Austro-Daimler AD 35 Tourenwagen um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich hatte dieses eindrucksvolle Fahrzeug bisher als den Nachfolgetyp AD6-17 identifiziert. Diese Neukonstruktion, die ab 1921 gebaut wurde, besaß ausweislich der Zeichnung, die auf S. 129 des Buchs von Pinczolits zu sehen ist, jedoch bereits Mittelschaltung.

Doch was macht man, wenn so ein Austro-Daimler von der „falschen“ Seite aufgenommen wurde wie folgendes Exemplar, das 1929 am Werbellinsee im nördlichen Brandenburg abgelichtet wurde?

Austro-Daimler AD6-17 Tourenwagen ab 1921; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Lediglich die deutlich schlichtere Gestaltung der Seitenlinie ohne die nach innen geneigte „Schulter“ ist hier ein Indiz für eine jüngere Entstehung.

Bestätigt wird der Eindruck, dass wir es hier bereits mit dem neuen Sechszylindertyp AD6-17 zu tun haben, durch ein zweites Foto desselben Wagens, was nebenbei den Wert auch technisch mäßiger Aufnahmen unterstreicht:

Austro-Daimler AD6-17 Tourenwagen ab 1921; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das Fehlen außenliegender Hebel für Handbremse und Schaltung sagt uns, dass dies höchstwahrscheinlich ein AD6-17 war. Da an den Vorderrädern keine Trommelbremsen zu sehen sind, ist das äußerlich sonst identische Nachfolgemodell ADV auszuschließen.

Kein verlässliches Indiz für Typ oder Entstehungszeitpunkt scheint dagegen die Gestaltung der Schwellerpartie zwischen Trittbrette und Aufbau zu sein. Dort findet man bei Austro-Daimlern der frühen 1920er Jahre nämlich zum einen glatte Flächen wie oben und hier:

Austro-Daimler AD6-17 Tourenwagen ab 1921; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Zum anderen begegnet man einer bewussten Hervorhebung der Wartungspunkte für die hintere Blattfeder, die bei den damaligen Austro-Daimler-Wagen in Cantilever-Form ausgeführt war (dabei hing die Achse am hinteren Ausleger der Feder).

Diese Lösung erforderte zwei Wartungsdeckel (statt sonst einem), nämlich am vorderen Ende und in der Mitte (vor dem hinteren Kotflügel).

Es finden sich einige Fotos solcher Austro-Daimler-Wagen, bei denen diese Deckel sehr auffällig gestaltet waren wie hier – und zwar rund:

Austro-Daimler ADV ab 1922; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Übrigens hatte ich diesen Austro-Daimler bislang ebenfalls als AD6-17 angesprochen inzwischen meine ich aber, dass es sich um dessen Nachfolgetyp ADV handelt.

Dieser wurde 1922/23 eingeführt (die Angaben variieren) und besaß laut Literatur nunmehr Vorderradbremsen. Ob das von Anfang an der Fall war? Nun, angeblich ist das „V“ in der Modellbezeichnung ADV ein Hinweis darauf.

Dann wäre dieser Austro-Daimler eines der ersten Serienautos im deutschsprachigen Raum gewesen, der Vierradbremsen besessen hätte.

Für ein so starkes (60 PS) und schweres Reiseauto wäre das naheliegend gewesen. Gerade bei längerer Abwärtsfahrt sind gebremste Vorderräder ein Vorteil, weil dann dort die Hauptlast aufliegt und der Fahrer im Unterschied zur Kombination von Hand- und Getriebebremse beide Hände am Lenkrad halten kann.

Nach diesem etwas langatmigen Versuch, eine gewisse Systematik in die Spitzkühlermodelle von Austro-Daimler aus den 1920er Jahren zu bringen, will ich die verbleibenden Leser mit einem Schmankerl belohnen, an dem wir uns erfreuen und zugleich – wenn gewollt – unser vorläufiges Wissen erproben können:

Austro-Daimler AD6-17 Tourenwagen ab 1921; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Diese schöne Aufnahme, die mir Leser Jason Palmer aus Australien in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat, zeigt einen Austro-Daimler Tourer der frühen 1920er Jahre.

Zwar sehen wir hier nicht, ob Handbrems- und Schalthebel außen- oder innenliegend sind. Ich würde aber die sehr schlichte Gestaltung der Seitenlinie als Indiz dafür nehmen, dass wir es hier nicht mehr mit einem Vierzylindertyp AD 35 PS um 1920 zu tun haben.

Auch die Länge der Motorhaube scheint aus dieser Perspektive eher für den späteren Sechszylindertyp AD6-17 zu sprechen. Dessen Nachfolger ADV können wir aufgrund des Fehlens von Vorderradbremsen ausschließen.

Wie immer bei solchen nur oberflächlich dokumentierten Manufakturwagen ist zu bedenken, dass die Realität vielschichtiger war, als es die Literatur ahnen lässt. Es gab verschiedene Optionen beim Kauf sowie die Möglichkeit der späteren Nachrüstung bzw. des Umbaus einzelner Elemente – von daher ist mein heutiger Essay mit Vorsicht zu genießen.

Umso mehr bin ich an Ihrer Meinung und den Ihnen vorliegenden Dokumenten zu den Austro-Daimler-Typen mit Spitzkühler interessiert. Möglicherweise gab es schon beim Kühler selbst Varianten, die mir entgangen sind, vielleicht gab es Übergangsmodelle, bei denen schon Elemente des Nachfolgers wie die Mittelschaltung einflossen usw.

Jedenfalls finde ich die Premiumautomobile österreichischer Provenienz sehr spannend, zumal sie in Deutschland heute völlig unterbelichtet sind. Ach, eine Sache fällt mir noch ein:

Könnte das runde Objekt am Frontscheibenrahmen des Austro-Daimler auf dem Foto von Jason Palmer eine „Tax Disc“ sein, mit welcher britische Autobesitzer die gezahlte KfZ-Steuer nachwiesen?

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „Austro-Daimler-Revue: vom AD 25 PS zum ADV

  1. Vielen Dank für die regelmäßige Aufarbeitung automobilen, österreichischen Kulturgutes!
    Im zweiten Band des Buches „Austro Daimler“ von Christian Zach wird mit der Vorstellung der Type ADM II im Herbst 1923 die Abkehr vom Spitzkühler angegeben.
    P. Toifl, Wien

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