Herr Doktor hat heut‘ Zeit! DKW F8 Luxus Cabriolet

Besuch beim Arzt oder Besuch vom Arzt – beides gehört normalerweise zu den Dingen, auf die man gern verzichtete. Wobei man heilfroh ist, dass es ihn gibt…

Ich kenne aus der Kinderzeit noch den Landarzt des alten Schlags. Dr. Gundermann war ein freundlicher älterer Herr, der seine Praxis in einer Jugendstilvilla am Ortseingang hatte.

Das war für mich als Kind aus einem der Neubaugebiete der 1960er Jahre (immerhin hatten wir einen großzügigen Bungalow) der früheste Kontakt mit Qualitätsarchitektur. Vertieft wurde der später durch die phänomenale Bausubstanz in meiner Geburtsstadt Bad Nauheim und in Friedberg/Hessen, wo ich das Augustiner-Gymnasium besuchte.

Das mag erklären, weshalb ich für die seit 100 Jahren immergleichen Schuhkasterlbauten der „Moderne“ nur Mitleid übrighabe. Zum Glück hat in Europa trotz der Verheerungen der Weltkriege genügend unseres baulichen Erbes überdauert, dass man dieses aufsuchen und darin eintauchen kann.

Dabei ist es keineswegs nur elegante, opulente oder repräsentative Architektur, die mich anzieht. Auch durchschnittliche Bauten auf dem Lande hatten in der Historie eine Qualität, die mich immer wieder fragen lässt: was ist bei uns eigentlich schiefgelaufen?

Ich meine, dass es nicht allein die Katastrophe des 2. Weltkriegs war, welche die Traditionslinien hierzulande unwiderbringlich gekappt war. Dass man sich speziell in Deutschland entschlossen hat, nur noch progressiv zu sein, das kam erst später.

Folgendes Foto aus meiner Sammlung illustriert, dass auf dem Lande eine zumindest äußerlich heile Welt überdauert hatte, auch wenn in jedem Dorf die Gefallenenmahnmale des 1. Weltkriegs eine traurige „Ergänzung“ erhielten.

Egal, wie Ihnen gerade zumute ist, ganz gleich was sie belastet, deprimiert oder erzürnt – versetzen Sie sich in die frühe Nachkriegszeit, nehmen Sie Platz und genießen diese Szene:

DKW F8 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ist das nicht wunderbar? Jetzt stellen Sie sich im Hintergrund einen Sichtbeton-Bau der Gegenwart vor und direkt neben Ihrem Tisch ein Nissan Micra Cabriolet…

Sehen Sie, was ich meine? Die Situation auf diesem Foto ließe sich mit modernem Material nicht wiederholen, stattdessen würde man sich hier sofort „sauwohl“ fühlen, nicht wahr?

Dabei ist diese Aufnahme in einer Zeit großer Not entstanden, und es stellte ein außerordentliches Privileg dar, einen solchen Moment „heile Welt“ genießen zu können.

„Herr Doktor hat heut‘ Zeit“ – so lautet das Motto, also nehmen wir uns ebenfalls Zeit und schauen, was dieses Dokument hergibt. Beginnen wir links mit dem offenen Wagen, der auf den ersten Blick kostspielig wirkt. Der zweite Blick offenbart, worum es sich handelt:

Gewiss, das war einmal ein ziemlich luxuriöses Fahrzeug. Der Kühlergrill erinnert tatsächlich stark an die sächsische Premiummarke Horch.

Dabei haben wir es mit einem 20 PS-Auto zu tun. Das verrät die Form des Kühleremblems, welche typisch für eine andere Marke aus dem Auto Union-Verbund war – DKW!

Die frontgetriebenen DKWs mit ihren sparsamen und zuverlässigen Zweitaktmotoren wurden nach ihrer Einführung anno 1931 im Lauf der Zeit äußerlich immer raffinierter.

Speziell das ab 1935 verfügbare Luxus-Cabriolet besaß eine Qualität, welche den Standardausführungen abging: Stahlkarosserie, reichlich Chrom und Ledersitze. Die Motorleistung blieb zwar dieselbe, aber das tat dem Prestige keinen Abbruch.

Unser Foto zeigt die letzte Variante des Front Luxus Cabriolets auf Basis des 1939 eingeführten DKW F8 – hier erkennbar an den senkrechten Streben im Kühlergrill.

Dieses Detail erlaubt die Ansprache sogar bei einem des Zierrahmens und Markenemblems auf dem Kühler beraubten Wagens wie diesem, der kurz nach dem 2. Weltkrieg in Chemnitz fotografiert wurde:

DKW F8 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Wagen auf dieser Aufnahme hat untenliegende Scheibenwischer, während an dem oben gezeigten Fahrzeug die spätere Anordnung am oberen Scheibenrahmen zu sehen ist.

Die Karosserien dieser DKW F8 Front Luxus Cabriolets sollen erst im Horch-Werk entstehen, wurden aber aus Kapazitätsgründen von Baur in Stuttgart gebaut. Es handelte sich letztlich um teure Manufakturfahrzeuge, die alles andere als volkstümlich waren.

Aufgrund ihrer geringen Leistung wurden die DKW-Zweitakter im Krieg vom Militär nur fern der Front eingesetzt. Eingezogen wurden sie aber durchaus, sofern der zivile Besitzer keine Gründe dafür vorbringen konnte, dass er darauf angewiesen ist.

Hier haben wir einen F8 mit geschlossenem Aufbau, das bei einer Luftwaffenheit zum Einsatz kam – wie üblich mattgrau bzw. mattblau lackiert:

DKW F8 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nach einigen Jahren Militäreinsatz blätterte die Lackierung der Chromteile ab und schon ist man bei der Optik des oben gezeigten F8 Luxus Cabriolets.

Dieses Auto muss also im Krieg bei einer Militäreinheit unterwegs gewesen sein. Nach der Kapitulation der Wehrmacht im Mai 1945 gab es noch zahlreiche solcher PKW, die über Nacht herrenlos wurden.

Was die Sieger übrigließen, fand bald wieder neue Besitzer, denn neue Autos gab es erst einmal so gut wie keine. Dass ehemalige Wehrmachtsfahrzeuge auf neue Privatbesitzer zugelassen wurden, war an der Tagesordnung – das wurde pragmatisch gehandhabt.

Speziell Ärzte und Veterinäre auf dem Land gehörten zu den ersten, die wieder motorsiert waren – sofern sie nicht ohnehin den Krieg über ihre Autos behalten konnten.

Sie haben sicher das Schild mit dem Roten Kreuz und der Aufschrift „Arzt“ hinter der Windschutzscheibe des eingangs gezeigten DKW gesehen. Demnach gehörte dieser F8 in der Cabriolet-Ausführung nach dem Krieg einem Doktor – wobei ich das Nummernschild noch nicht einordnen konnte (Lösungsvorschläge willkommen!).

„Herr Doktor hat heut‘ Zeit!“ so mag einst die junge Dame gejubelt haben, die hier zusammen mit der Mutter(?) bei einem Arztbesuch der vergnüglichen Art abgelichtet wurde:

Die beiden gut gebräunten Herren scheinen das Wochenende zu einem Ausflug auf’s Land irgendwo im Mittelgebirge oder Alpenraum (vermute ich) genutzt zu haben.

Hier haben gerade vier Menschen viel Freude miteinander und aneinander, ganz wunderbar. Dabei liegt das Grauen des Kriegs noch nicht weit zurück. Ein Zeuge davon ist nicht nur der ziemlich mitgenommene ehemalige Wehrmachts-DKW.

Haben Sie das zweite Auto im Hintergrund bemerkt? Man darf sich nicht von den großen Scheinwerfern täuschen lassen: Das ist ein VW-Kübelwagen, der wie der DKW nach der Kapitulation auf verschlungenen Pfaden einen neuen Besitzer gefunden hat.

Was mögen die zwei Autos und die vier Menschen auf dieser Momentaufnahme in den Jahren davor erlebt haben? Wir wissen nichts davon, aber eines sagt uns dieses Foto: Der Mensch ist ein Überlebenskünstler.

Zum Überleben braucht es freilich im Zweifelsfall nicht nur einen guten Arzt, sondern auch die schönen Dinge im Leben, an denen man sich erfreuen oder auf die man sein Streben ausrichten kann.

„Herr Doktor hat heut‘ Zeit – vielleicht unternehmen wir ja eine Fahrt im Cabriolet!“. Das ist ein Arztbesuch der schönsten Art und mein Wort zum Sonntag: Lassen Sie sich vom Gang der Dinge nicht betrüben, machen auch Sie etwas draus!

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

9 Gedanken zu „Herr Doktor hat heut‘ Zeit! DKW F8 Luxus Cabriolet

  1. Als DKW- sowohl Praktiker als auch Theoretiker nutze ich hier die Gelegenheit zu einer Fortführung der kleinen Wagen- kunde (dkW) aus geg. Anlass:
    Als Bild 1 sehen wir einen F8 F-L
    4- Sitzer der letzten Ausführung mit obenliegendem Wischerantrieb und innenliegender Koppelstange.
    Bild 2 zeigt die frühe Ausführung des F8 F-L mit unten durch die Ausstellscheibe geführten Wischerachsen mit außenliegender Koppelstange und Mitnehmerkupplung zum fest angebrachtem Wischer- motor. Hier könnte es sich auch um einen F 8- F-L 2- Sitzer handeln. Die geringe Breite des „Sehschlitzes“ aus dieser Perspektive deutet daruf hin.
    Die vielbemäkelte „winzige“ Heckscheibe der Cabrio- verdecke in dieser Zeit deutet jedoch keineswegs die auf die Vorliebe für eine eingeengte Sicht(-weise) unserer Vorfahren hin – vielmehr ist diese den geometrischen Verhältnissen bdes Faltenwurfes der Verdeckhaut beim Niederlegen geschuldet. Es musste sich, samt Holzrahmen ohne Verspannung in die untere
    Falte legen lassen!
    Bild 3 zeigt eine F 8 Meisterklasse, 16″- Räder mit großen Radkappen, zwei Wischer, Ausstellfenster, Zierleise und Chrommaske am Kühler ebenso wie die Stoßecken in heute wieder aktuellem Wehrmachtsgrau ….
    Die auffälligsten (äußerlichen) Merkmale der DKW- Typologie lernten wir schon als (damals) junge Mitglieder des DKW- V- C,
    als das Interesse an den Vorkriegstypen erwachte bzw. diese auf den Treffen auftauchten:
    F 5 – Maske fischgrät – Haube
    breite Luftschlitze.
    Reichskl. alte F2- Karosse.
    F 6 – fällt aus ( Kübel- Prototyp)
    F 7 – Maske fischgrät – Haube
    Luftschlitze mit Sicke
    eingefasst.
    RKL 19″ Räder, Maske ohne
    Chrom, ohne Stoßst.
    F 8 – Maske senkr. Stäbe, Haube
    Schlitze doppelreihig,
    RKL 19″, Maske ohne Cr.,
    keine Stoßst. u. Ausst. Fen.
    Die Frontangetriebenen Fabrikate von DKW wurden ebenso wie die der Adler- Werke
    übrigens wegen des Frontantriebs nicht für den „harten“ Fronteinsatz eingezogen. Die Scharniergelenke der äußeren Antriebswellen neigten mit zunehmendem Verschleiß zum Bruch in Extremsituationen, etwa, wenn man sich mit voll eingeschlagenen Vorderrädern „frei“-fahren wollte. Wie viele DKWs und Trumpfs wären wohl so in Russland „verloren“ gegangen“?
    Und: selbstverständlich gab es auch die F 8 RKL noch in 600er-
    Ausführung , sogar als viertürige
    Limousine, etwa für HJ- Führer, denn da mussten die Jungs hinten ja herausstürzen und ihren kleinen „Führern“ die Schläge aufreißen ….
    Zunehmend wurden allerdings „Export“- Ausführungen mit 700er und 16- Zoll- Rädern aus- geliefert.

  2. An das Rheinland dachte ich bei N|R auch, verwarf es aber gleich, weil Niederländisch …? Also ist Nord-Rhein die Lösung, wie Herr Weigold schrieb !

  3. Dem bayerischen A|B entsprechend hätte ich bei N|R an Niederösterreich gedacht; die Kennzeichen im russisch besetzten Teil hatten aber wohl keine Buchstaben ? Was die Gefallenendenkmale betrifft, kann ich aus oberbayerischen Dörfern und Kleinstädten berichten, daß diese so, wie vor oder während der A|B-Ära errichtet, unverändert erhalten blieben, und manche sogar in unverblümten Worten an das Vetreibungsverbrechen erinnern, das mancherorts vielleicht nur Wochen vor dieser fröhlichen Szene geschah. Und auch in Tschechien sah ich Säulen und Kreuze zum Gedenken an die 1914-1918 Gefallenen teils deutschen und teils tschechischen Namens. Aber auch hier und heute ist ein schöner, sonniger Tag !

  4. Besten Dank, darauf wäre ich nicht gekommen, Herr Klioba! Passt somit gut zu meinem Eindruck, dass dieses Foto kurz nach dem Krieg entstanden sein muss.

  5. Nach dem wenigen zu urteilen, was sichtbar ist, handelt es sich klar um einen F8. Endgültigen Aufschluss würden nur die Gestaltung der Haubenschlitze liefern, hier aber komplett „unsichtbar“. Zweitakt-DKW wurden der Fotoevidenz nach zu urteilen an der Heimatfront von Anfang an eingesetzt, warum auch nicht? Die Wehrmacht hatte kein Problem mit der Zweitakttechnik, die DKW NZ350 wurde tausenfach als Meldemaschine eingesetzt, habe selbst so ein Teil mit Resten der Wehrmachtslackierung.

  6. Hallo Herr Schlenger,
    das NR-Kennzeichen wurde 1947 in Nordrhein ausgegeben, Westfalen hatte WF auf dem Kennzeichen. 1948 wurden diese Buchstabenkombinationen durch BR (Britische Zone Rheinland) abgelöst und 1950 durch R (Rheinland) ergänzt.

  7. Kann es sein,
    daß hier DKW F5, F7, F8 verwechselt werden ? (der F8 lief als IFA 1949 weiter) und die sehen sich sehr sehr ähnlich.
    Der F5 hat untenliegende Wischer, F7/F8 obenliegende. Die Ausführung des Kühlergrills ist verwechselbar, man muß auf Haubenschlitze, Rad/Reifen-Größe und andere Peanuts achten, um die Typen zu unterscheiden. F5 und F7 gab es als 600- und 700ccm-Version, den F8 nur noch mit 700 ccm.

    Zum Militär kam der DKW erst dann, als gar nichts mehr Anderes verfügbar war – mit Zweitakt-Gemisch kam das Militär nicht so recht klar. Deswegen haben auch so viele DKW die Wirren des WW-II überlebt und waren oft das Einzigem mit dem Ärzte noch Fahren konnten.

  8. Man verachte die „Kleinen“ nicht.
    ein 20PS-DKW – das Getriebe voll Ambroleum, Vergaser und Zündung gut eingestellt – geht erstaunlich flott voran und man konnte seinerzeit auf Landstrassen gut mithalten. Am Berg, gerade bei langen Steigungen, konnten die 20PS aber keine Wunder bewirken – man schaffte alles, aber man brauchte Geduld. Allein die Lenkung ist ein Fall für Bodybuilder und passt nicht so recht zu dem kleinen leichten Auto.
    Logisch, auf Autobahnen und Bundesstrassen von heute ist man ein rechtes Hindernis, dafür wären heutige Autos auf damaligen Straßen restlos überfordert ..

  9. Ein Blick ins allwissende Internet gibt Aufschluß über die Herkunft des hier in Bayern (oder auch Tirol – siehe die „Lüftl- Malerei“ über Fenstern der Wirtschaft) urlaubenden Arzt- Ehepaars :
    Weitgereist im noch immer zuverlässigen DKW Front Luxus ’39 ( F8 war die werks- interne Typen- Bezeichnung, die damals in der Öffentlichkeit angewendet wurde) kam man aus dem Norden Trizonesiens.
    Das 1947 ausgegebene Kennz.- Schild der Britischen Besatzungsmacht war (hell-) blau mit schwarzer Schrift und galt für „Nord Rhein“ , die Kreis- Kennung „45“ hätte ab 1948 für Gifhorn gestanden, ist aber in der Quelle als nicht identisch mit dem vorher (1947) gültigen System gekennzeichnet.

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