Das Glück liegt in einer Kurve: Ein Auburn von 1926/27

Motorradfahrer kennen das natürlich: „Das Glück liegt in einer Kurve“. Doch auch derjenige, der die unerreichte Individualität des Reisens mit dem Automobil zu schätzen weiß, weiß zugleich, dass der direkte Weg nicht immer der reizvollste ist.

Ein Umweg über demütig der Topographie folgende alte Landstraßen offenbart oft die großartigsten Eindrücke von der Welt.

Mit dem Automobil und ausreichendem Benzinvorrat kann man es sich leisten, unabhängig von Fahrplänen, Schienen und sonstigen einengenden Faktoren eine Landschaft in ihrer Gänze buchstäblich zu „erfahren“, ohne allzuviel Zeit opfern zu müssen.

Gewiss, eine Tour mit dem Fahrrad beispielsweise oder eine Wanderung zu Fuß hat ihren eigenen Reiz und beides möchte ich nicht missen.

Doch für den geplagten Großstädter, der in der Ebene sein Dasein fristet, lässt sich die Wunderwelt der Berge immer noch am besten mit dem Auto in greifbare Nähe holen.

Das mag auch einst das Motiv der Insassen dieses in Wien zugelassenen Tourenwagens gewesen sein:

Auburn Modelljahr 1926/27; © Salzburg-Museum (via Werner Friepesz)

Diese herrliche Aufnahme aus dem Archiv des Salzburg-Museums sandte mir Werner Friepesz mit der Bitte um Identifikation des darauf abgebildeten Wagens zu – verbunden mit der freundlichen Genehmigung, das Foto hier vorstellen zu dürfen.

Festgehalten wurde diese Situation in der kleinen Ortschaft Lofer im Pinzgau (Bundesland Salzburg), soviel war bekannt. Doch um was es für einen Wagen sich handelte, das war offen.

Wie gesagt – der direkte Weg ist nicht immer der reizvollste zum Ziel – und auch wenn ich auf Anhieb wusste, womit wir es zu tun haben, nehme ich mir die Freiheit, auf Umwegen die Lösung zu präsentieren.

Dabei erweist sich einmal mehr: „Das Glück liegt in einer Kurve“, und etwas Glück braucht man schon mitunter, wenn es um die Identifikation solcher Vorkriegswagen geht.

In meinem Fall verhält es sich so, dass ich das Glück habe, von vielen Gleichgesinnten Fotos für meinen Blog zur Verfügung gestellt zu bekommen, an die ich in vielen Fällen kaum oder nie gekommen wäre.

Einer davon ist Klaas Dierks, der mir vor längerer Zeit dieses Foto aus seiner Sammlung in digitaler Form zur Verfügung stellte:

Auburn, Modelljahr 1929/30; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Das schicke 2-Fenster-Cabrio links neben dem Nash konnte ich als Auburn des Modelljahrs 1929/30 identifizieren.

Die Kühlerform und das darauf angebrachte Emblem machten die Identifikation des Herstellers leicht. Doch diesem Dokument verdanke ich auch das Glück einer Kurve – nämlich der geschwungenen Zierleiste auf der Motorhaube – sie gab es so nur Auburn-Wagen von 1926-1930, wenn ich es richtig sehe.

Ein derartig markantes Detail erlaubt dann sogar die eindeutige Ansprache eines ansonsten schwierigen Falls wie dieser leider unscharf wiedergegebenen Limousine:

Auburn, Modelljahr 1929/30; Originalfoto: Sammlung Jörg Pielmann

Auch wenn sich besagte Zierleiste hier nur schemenhaft abzeichnet, erlaubt sie zusammen mit den schrägstehenden Luftschlitzen in der Motorhaube, der opulenten Kühlerform und der optisch zweigeteilten Ausführung der Vorderkotflügel eine sichere Identifikation.

Auch dieser Auburn von 1929/30 besaß dieselbe markante einteilige Stoßstange, die an federnden Haltern angebracht war, wie sie auf den beiden zuvor gezeigten Fotos zu sehen ist. Zwar gab es in den 1920er Jahren ähnliche Teile aus dem Zubehör, doch diese Ausführung war meines Erachtens markenspezifisch.

Nun bilden Sie sich ein eigenes Urteil, wenn Sie den Tourer auf dem Foto des Salzburg Museums näher in Augenschein nehmen:

Auburn Modelljahr 1926/27; © Salzburg Museum (via Werner Friepesz)

Das Glück des Betrachters liegt hier zunächst ebenfalls in der Kurve, welche die Zierleiste auf der Motorhaube bildet. Das muss ein Auburn aus der zweiten Hälfte der 1920er Jahre sein!

Doch mag auch die Frontpartie mit Kühler und Stoßstange auf den ersten Blick mit den entsprechenden Details auf den Fotos von Klaas Dierks und Jörg Pielmann übereinstimmen, so ergeben sich auf den zweiten Blick wichtige Unterschiede.

Die Scheinwerfer sind eindeutig anders gestaltete Modelle, wie man sie Ende der 1920er Jahre nicht mehr findet.

Nun muss das nicht viel heißen, weil bei Importfahrzeugen die jeweils landesspezifischen Vorschriften bei der Beleuchtung zu beachten waren, weshalb die Importeure Scheinwerfer aus heimischer Produktion montierten.

Doch auch drei weitere Elemente sprechen für eine frühere Datierung.

Bei dem Wiener Fahrzeug fehlt die Mittelstrebe im Kühler – ein Hinweis auf eine Entstehung vor 1928, wie mir Leser und Auburn-Besitzer Jason Palmer (Australien) mitteilte.

Des weiteren sind die Vorderkotflügel hier noch nicht glattflächig ausgeführt, sondern lassen noch eingeprägte Sicken erkennen, wie sie Kennzeichen früherer Wagen waren. Sie dienten teils der Stabilisierung, teils hatten sie eine dekorative Funktion.

Nicht zuletzt haben wir wieder einmal Glück mit einer Kurve – diesmal in Form des geschwungenen Seitenteils des Scheibenrahmens an der Frontscheibe. Auch das findet sich Ende der 1920er Jahre kaum noch, insbesondere nicht bei Auburn.

Doch im Modelljahr 1926/27 trifft alles glücklich zusammen, so mein Fazit.

Bleibt die Frage, ob die Wiener Besitzer des Auburn aus dem Archiv des Salzburg-Museums bereits den über 80 PS starken Lycoming-Achtzylindermotor geordert hatten, welcher ab 1925 verfügbar war.

Denkbar ist auch, dass in diesem Wagen der schwächere Sechszylinder verbaut war. Ich vermute aber, dass man sich mit dem Auburn antriebsseitig etwas gegönnt hatte, was die österreichischen Premium-Hersteller damals noch nicht im Angebot hatten.

Denn reisetaugliche Sechszylinder boten damals ja auch Austro-Daimler und Steyr an. Für das ultimative Glück in der Kurve – vorzugsweise beim Anstieg auf einer sich bergauf windenden Paßstraße musste es dann schon ein hubraumstarker Achtzylinder sein.

Dieses Detail werden wir nicht mehr klären können. Aber mit dem Ergebnis dürfen wir auch so zufrieden sein und mein Dank gilt dem Salzburg-Museum, welches uns an diesem schönen Fund am Wegesrand hat teilhaben lassen.

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Gedanke zu „Das Glück liegt in einer Kurve: Ein Auburn von 1926/27

  1. Dem Stilfser Joch geht so’nen achtzylinder ruecksichtlos hoch. Habe selbs ein Buick Acht zylinder Baujahr 1947 in Mexico gehabt.. Auf d. den Sechszylinder koennte man jedoch wahrscheinlich nicht verlassen durch Uebererheizing. Uebrigens toll geschrieben. Hatte Nichts van Ihrem Hand aufgemacht waehrend die letzeten Sechs Monate.

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