In ehrenwerter Gesellschaft: Ein Oldsmobile von 1928/29

Eine Gesellschaft, die sich das Attribut „ehrenwert“ anheften muss, wird es wohl nötig haben. Ähnliches gilt für Einrichtungen, bei denen ausdrücklich betont wird, wie demokratisch sie doch sind.

Eine Republik beispielsweise hat das nicht nötig, wenn sie tatsächlich „Sache der Öffentlichkeit/Allgemeinheit“ ist, denn genau das meint der lateinische Begriff der „res publica“. Zwar war die antike römische Republik keine wirkliche Demokratie, aber sie behauptete es im Unterschied zur seligen DDR beispielsweise auch nicht von sich.

Mein Favorit auf dem Sektor ist ohnehin der „Demokratische Aufbruch“ – eine ostdeutsche Parteineugründung aus dem Jahr 1989. Ihr Mitbegründer und Vorsitzender war „freier Mitarbeiter“ der staatlichen Geheimpolizei (Stasi). Weitere interessante Personalien können Sie selbst recherchieren.

Dass sich immer wieder Leute für Verwendungen finden, bei denen es oberflächlich einwandfrei zugeht, die aber tatsächlich ganz andere Zwecke verfolgen, das ist eine Konstante in der Geschichte.

Wichtig für die Beteiligten scheint zu sein, dass man sich um einem seriösen Anstrich bemüht, bisweilen legt man sich sogar einen Ehrenkodex zu. So gilt es bei der Mafia als tabu, sich an unbeteiligten Familienmitgliedern von Rivalen zu vergehen.

Sie fragen sich, was das mit Vorkriegsautos zu tun hat?

Ganz einfach, auf solche Gedanken kam ich, als ich das wohl ehrenwerte Personal auf dem folgenden Foto studierte, welches ich vor einiger Zeit im Rahmen eines Konvoluts aus (Süd)Osteuropa erwarb:

Oldsmobile von 1928/29; Originafoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Tourenwagen auf der Aufnahme mit dem attraktiven Zweifarbschema und dem markanten Zierstreifen an der A-Säule war rasch als Fabrikat des US-Herstellers Oldsmobile aus dem Modelljahr 1928/29 identifiziert.

Dieses Sechsylindermodell mit rund 60 PS Leistung wurde für amerikanische Verhältnnisse zwar in überschaubaren Stückzahlen von weniger als 100.000 Exemplaren pro Jahr gebaut, aber das genügte natürlich, um quasi nebenher auch den europäischen Markt zu bedienen.

So findet sich ein solcher Oldsmobile als Nebendarsteller auch auf dem folgenden Foto, auf dem eigentlich ein Studebaker „Special Six“ im Mittelpunkt steht (Porträt siehe hier).

Studebaker „Special Six“ und Oldsmobile von 1928/29 (links); Originalfoto aus Familienbesitz (via Johannes Kühmayer, Wien)

Interessanter als den Oldsmobile – der nur einer von vielen Vertretern der US-Autoindustrie war, die Ende der 1920er Jahre den ungestillten Bedarf in Europa deckten und in Deutschland heute unvorstellbare Marktanteile gewannen – finde ich freilich die Umstehenden auf diesem Foto.

Ich nehme an, dass die Szene irgendwo in Südosteuropa kurz nach dem 2. Weltkrieg fotografisch festgehalten wurde, wohl noch vor Ende der 1940er Jahre.

Sie zeigt einige prächtige Charaktere, denen ich gleichwohl keinen Oldsmobile abkaufen würde, selbst wenn er so solide erschiene wie auf dieser Aufnahme. Zu den Herren auf diesem Dokument folgen gleich meine spontanen – augenzwinkernden – Assoziationen:

Ganz links haben wir womöglich einen ehemalige Partisanen und nun zum Zigaretten- und Schnapsschmuggler aufgestiegenen sehr geschäftstüchtigen und geschmeidigen Zeitgenossen.

Neben ihm vor dem Kühler des Oldsmobile sehen wir den vielleicht einzigen halbwegs vertrauenswürdigen Vertreter – wobei dieses Urteil sich hauptsächlich auf seine offensichtliche Zuneigung zu dem kleinen Hund stützt – auf dem Balkan ist solches bis heute leider keine Selbstverständlichkeit.

Der Soldat neben ihm wirkt von der Uniform abgesehen wenig militärisch – das mag man sympathisch finden, dennoch scheint er mir ein zwielichtiger Charakter zu sein, der sich nicht in die Kamera zu schauen traut.

Sein Vorgesetzter – als einziger im Wagen thronend – wirkt auf mich geradezu operettenhaft.

Ihn ihm könnte man einen korrupten Offizier sehen, der Waffen auf eigene Rechnung weiterverschiebt und gegen Barzahlung Freistellungen vom Militärdienst gewährt – so etwas soll es auch in unseren Tagen geben. Verständlich, aber eben nicht korrekt.

Wie die beiden „Damen“ auf dem Foto einzuordnen sind, das fällt mir schwer zu bestimmen:

Schick ist sie ja schon gekleidet, die junge Frau direkt neben dem Auto, doch hat mir meine Mutter eine gesunde Skepsis gegenüber Menschen mit niedriger Stirn mit auf den Weg gegeben – eine Maxime, mit der ich bislang gut gefahren bin.

Die Gute scheint tatsächlich nicht die Hellste zu sein, was freilich vielen Herren der Schöpfung eher entgegenzukommen scheint, die sich von klugen und gebildeten Weibsbildern eher bedroht als angezogen fühlen.

Was von der älteren Frau neben der etwas kariert dreinschauenden Maid zu halten ist? Zu Ihr fällt mir wenig ein als irgendetwas mit „Schwiegermutter“. Ich könnte sie mir aber auch in fragwürdige Geschäfte verwickelt vorstellen, denn sie strahlt hier etwas Verschlagenes aus.

In Frage kommende Berufsbilder überlasse ich ihrer Fantasie, denn das ist ein schlüpfriges Gelände und wir legen doch Wert auf gute Traktion auch bei Vorkriegautos, nicht wahr?

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.   

4 Gedanken zu „In ehrenwerter Gesellschaft: Ein Oldsmobile von 1928/29

  1. Hallo Herr Schlenger,

    heute muss ich eingestehen, daß ich ihren Blog hauptsächlich gerne lese, weil a) Sie einen angenehmen und unterhaltsamen Schreibstil haben und b) mich die abgebildeten Personen interessieren.

    Erst danach kommt das Interesse an den Vorkriegswagen. Ich bitte um Vergebung.

    Die im Bild festgehaltenen Situationen laden mich zum Wegträumen in eine untergegange Welt ein, die ich noch grob aus den Erzählungen meiner Eltern kenne die zu Zeiten des 1 WK geboren wurden.

    Bitte machen Sie in diesem Stil weiter.

    Herzliche Grüße aus Hamburg,

    Frithjof

  2. Lassen Sie sich bitte nicht von solchen Typen irritieren, die im Glauben sind daß ihre Meinung die einzig wahre und richtige ist !! Denn diese „Menschen“ haben alles weit hinter sich gelassen, was den Menschen zum Menschen macht.

  3. Danke für Ihre Meinung. Allerdings müssen Sie zur Kenntnis nehmen, dass ich in meinem eigenen Blog (Weblog=Online-Tagebuch) wie auch im wirklichen Leben von der Freiheit Gebrauch mache, auch vollkommen subjektive, ggf. grob unsachliche Einschätzungen zu äußern. Im vorliegenden Fall handelt es sich erkennbar um augenzwinkernde Vermutungen hinsichtlich längst verblichener Personen. Dadurch kann sich niemand ernsthaft beeinträchtigt fühlen. Im übrigen müssen wir alle es nach liberaler Auffassung ertragen, im Zweifelsfall selbst durch den Kakao gezogen oder gar verspottet zu werden. Für Versuche einer Definition des zulässigen Meinungsspektrums durch einzelne Leser fehlt mir das Verständnis. Ich schreibe hier vor allem zu meinem eigenen Vergnügen – niemand wird gezwungen, dies zu konsumieren oder gar zu bezahlen.

  4. Ich würde es begrüßen, wenn Sie sich in Ihren Ausführungen auf ihre bemerkenswerte Expertise auf dem Gebiet der Vorkriegszeit-Automobile beschränken würden. Diskriminierende Ressentiments und Vorurteile haben in meinem geliebten Hobby keinen Platz.

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