Von hier an geht’s abwärts: Ein Oldsmobile von 1923/24

Jetzt habe ich’s doch getan! Sind denn Lage und Stimmung in deutschen Lagen nicht bereits mies genug – zumindest für die, welche das Ignorieren von Problemen nicht gewerbsmäßig betreiben?

Keine Sorge: Zumindest dieses Mal bleiben Sie von Anspielungen auf die Irrungen und Wirrungen im Hier und Jetzt verschont – die Rechnungen, die nächstes Jahr auf den Tisch kommen, dürften ohnehin für sich sprechen.

Ein Grund mehr, sich die Laune nicht schon im alten Jahr verderben zu lassen. Dennoch muss ich darauf bestehen: Von hier an geht’s abwärts:

Blick auf Collepino (Umbrien); Dezember 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Diese Aufnahme fabrizierte ich heute mit meinem Uralt-Telefon, das erklärt die mäßige Qualität beim Hineinzoomen. Nach einer Woche Arbeitsaufenthalt in der Nähe von Spello im italienischen Umbrien geht es nun wieder nach Deutschland.

Die wunderbaren spätherbstlichen Farben auf 600 Meter Höhe täuschen über die Tatsache hinweg, dass auch hier der Winter vor der Tür steht. Auf dem angrenzenden Hausberg, dem gut 1000 Meter hohen Monte Subasio, liegt seit gut einer Woche Schnee.

Bevor es auch in niedrigeren Lagen mit den Temperaturen abwärtsgeht, starte ich morgen früh bei Büchsenlicht den Wagen und mache mich auf den Weg ins Tal – die Valle Umbra zwischen Spoleto im Süden und Perugia im Norden.

Dort geht es auf die Superstrada gen Norden bis Cesena, dann weiter über die Autostrada via Bologna und Mailand in Richtung Schweiz und Deutschland. Knapp 1200 km Fahrt stehen auf dem Programm und im Schnitt sind dafür 12 Stunden zu veranschlagen.

Die Strecke hat ihren Schrecken längst verloren, auch wenn 12 Stunden solo im Auto nicht von Pappe sind. Aber von Pappe waren auch unsere Vorfahren nicht, für die es vor rund 100 Jahren ebenfalls tendenziell abwärts ging – egal ob mit oder ohne Auto.

Auch die wenigen, die sich in Deutschland einen Wagen leisten konnten, mussten einiges wegstecken können. Die günstigsten Autos waren offene Tourer mit nur leichtem Verdeck und seitlichen Einsteckscheiben.

Wenn es nicht regnete, fuhr man auch bei niedrigen Temperaturen offen, man wollte ja etwas sehen und mangels Heizung galt es ohnehin, sich warm zu kleiden.

Das sah dann so aus:

Oldsmobile von 1923/24; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auch hier geht es erkennbar abwärts – entsprechend scheint die Stimmung an Bord:

Der junge Herr mit der karierten Ballonmütze – nebenbei die haarschonende und besser durchlüftete Alternative zur Baseballkappe – sitzt geknickt auf dem Tritbrett und schaut geradezu mitleiderregend drein.

Mit mehr Fassung tragen die Damen im Heck ihr Geschick – sie haben die zugigsten Plätze und die eine blickt noch einmal sehnsüchtig zurück, bevor es abwärtsgeht.

Nur der Fahrer schaut furchtlos und stoisch nach vorne. Vermutlich ist er innerlich schon unterwegs ins Tal und macht sich Gedanken über die Wahl des richtigen Gangs, um die nur auf Hinterachse und Antriebswelle wirkenden Bremsen zu schonen – denn Vorderradbremsen hatte dieses Auto erkennbar noch nicht.

Das liefert uns einen ersten Hinweis auf die Datierung des Fahrzeugs. Zwar führten Spitzenhersteller wie Delage bereits Anfang der 1920er Bremsen auch an den Vorderrädern ein – also dort wo sie am effektivsten wirksamsten, aber wegen der Wirkung auf die Lenkung auch am diffizilsten waren. Zum Standard wurden sie jedoch erst ab 1925.

Das gilt grundsätzlich auch für US-Fabrikate, obwohl diese leistungsmäßig und was die rationale Fertigung angeht, der europäischen Konkurrenz weit voraus waren.

Jetzt mögen Sie sich fragen, weshalb ich bei einem Foto, das einen in Chemnitz zugelassenen Wagen Mitte der 1920er Jahre zeigt, ausgerechnet amerikanische Fabrikate ins Spiel bringe. Deren ganz große Zeit am deutschen Markt war doch etwas später, oder ?

Schon, aber erste Vorboten der automobilen US-Invasion in Deutschland waren schon deutlich früher zu verzeichnen. Einige Marken waren sogar schon vor dem 1. Weltkrieg am deutschen Markt sehr aktiv:

Oldsmobile-Reklame von 1905; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Für die Marke Oldsmobile, die bereits kurz nach der Jahrhundertwende ihre anfänglich sehr simplen, aber bewährten Wagen recht häufig in deutschen Landen an den Mann brachte, habe ich mich zwecks Illustration früher US-Autovertriebsaktivität nicht zufällig entschieden.

Denn auch wenn ich ziemlich lange dafür gebraucht habe, war der Tourer aus Chemnitz auf dem zuvor gezeigten Foto, ebenfalls ein Wagen der Marke Oldsmobile.

Anhand stilistischer Elemente wie der Kombination trommelförmiger Scheinwerfer mit schmalen und niedrigen Haubenschlitzen, die leicht geneigt sind, konnte ich das Modelljahr 1923/24 als das wahrscheinlichste eingrenzen“.

Neben dem Vierzylindertyp „43“ bot Oldsmobile auch das Sechszylindermodell „30“ an, welches knapp über 40 PS leistete. Ich vermute aufgrund der Proportionen der Motorhaube, dass wir es mit so einem Sechszylindertyp zu tun haben.

Dafür spricht auch, dass die vor 1925 am häufigsten gebauten deutschen Wagen (von Brennabor, NAG, Presto und Protos) meist maximal 30 PS leisteten und Vierzylinder besaßen. Mit dem Sechzylinder-Oldsmobile bekam man also nicht nur mehr Leistung, sondern auch mehr Laufkultur in Verbindung mit reichlich Hubraum (3,3 Liter).

Diese Stärken waren freilich zweitrangig, wenn es so abwärtsging wie auf unserem heutigen Foto. Da waren das Können des Fahrers und die Standfestigkeit der Bremsen gefragt.

Und dass es für diesen Oldsmobile jetzt nicht nur ein paar hundert Meter abwärts ging, sondern über etliche Kilometer, das weiß ich, weil mir der Aufnahmeort bekannt vorkommt.

Aus vergleichbaren Autofotos ziehe ich den Schluss, dass die stark abfallende Piste mit den markanten Begrenzungsteinen den Abschnitt direkt unterhalb des Fichtelbergs im Erzgebirge darstellt – mit gut 1200 Metern der höchste Berg in Sachsen.

Ich bin zuversichtlich, dass die sachkundigen Leser aus dem Osten der Republik das bestätigen können.

Das war es für heute. Einmal noch bekommt nun der herrenlose, aber anhängliche Kater Leoncino etwas vor die Tür gestellt, den ich nun schon den dritten Winter begleite. Er wurde entweder ausgesetzt oder ist einfach ein robuster Outdoor-Vertreter.

Seinem Pelz und Backenbart nach zu urteilen, hat er sich auf einen harten Winter eingestellt. Für ihn geht es in den nächsten Wochen rapide abwärts mit dem Futterangebot, doch ich hoffe, ihn beim nächsten Besuch im Neuen Jahr wiederzusehen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Alles im grünen Bereich? Ein Oldsmobile F28 anno 1929

Wer meine Blog-Einträge verfolgt, der weiß ich dass derzeit im italienischen Umbrien weile. „Ist denn dort noch alles im grünen Bereich„, werden besorgte Konsumenten des staatlichen Wetterdienstes fragen?

Nun, egal wie dunkelviolett seit vielleicht zwei, drei Jahren hochsommerliche Temperaturen auf amtlichen Wetterkarten angezeigt werden, kann ich sagen: Hier ist alles im grünen Bereich, will heißen – wie fast jeden Sommer in Mittelitalien.

Je nach dem, wo man sich aufhält, wann und vor allem wie man die aktuelle Temperatur ermittelt, bekommt man Ergebnisse zwischen 30 und 40 Grad. Wer partout auf schwarzem Asphalt oder im Auto nach drei Stunden Sonnenbestrahlung seine Messung vornimmt, wird mühelos weit höhere Ergebnisse feststellen.

Wenn ich wie die ganze Woche meine mittägliche Radtour über schweißtreibende Pisten am Monte Subasio (Nähe Assisi) absolviere, erlebe ich das volle Programm von stehender Backofenhitze auf fast weißen Schotterabschnitten bis hin zu angenehm kühler Waldluft in den prächtigen Laubwäldern, durch die man immer wieder fährt.

Ja wie, gibt es im Süden denn überhaupt noch Grün, ist denn nicht alles längst verdorrt? Nö, alles im grünen Bereich – die Vegetation ist an die starken Temperaturschwankungen gewöhnt (im Winter schneit’s hier bisweilen stärker als in der Wetterau, in der ich in D’land wohne).

Chiona-Tal oberhalb von Spello (Umbrien) im August 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Allerdings war hier auch keiner so dumm, sich seine Wälder mit ortsfremdem Holz wie der Fichte zu ruinieren.

So dominieren kerngesunde ausgedehnte Laub- und Mischwälder – schon während der zweistündigen Fahrt von der Autobahnabfahrt Cesena Nord bis in die Valle Umbra hinein, welche sich als intakte Kulturlandschaft präsentiert wie seit 2000 Jahren.

Wenn ich in den umbrischen Forsten eine Pause mache, kann ich davon ausgehen, dass ich in den meisten Fällen mein Radl an eine solide Eiche lehnen kann.

Am Monte Subasio (Umbrien) im August 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Von verheerenden Waldbränden in der Region habe ich in all den Jahren noch nie gehört – in Umbrien ist die Forstaufsicht wachsam und trifft von jeher gezielte Gegenmaßnahmen – mir sind sogar schon Patrouillen mit Ferngläsern begegnet, die Früherkennung betreiben.

Überhaupt ist man in Umbrien sehr auf den Erhalt der grandiosen grünen (und uralten kulturellen) Erbes bedacht; die Einheimischen sind fleißige, konservative Leute, die genau wissen, was sie daran haben, und opfern ihre Kulturlandschaft keine Renditeinteressen:

Blick auf Collepino (Umbrien) im August 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Daher ist es auch kein Zufall, dass hier die Farbe „Grün“ in politischer Hinsicht keine Chance hat – außer in der Studentenhochburg Perugia – aber die kann man links liegen lassen. Es gibt dort nichts, was sich nichts andernorts in Umbrien leichter zugänglich fände.

Die gute Botschaft aus Italiens grünem Herz (neben Umbrien reklamieren auch andere Regionen wie die Marken und Ligurien ähnliches für sich) ist also: Alles in Ordnung – alles im grünen Bereich – soweit das in unserem Dasein möglich ist.

War es das aber auch vor 95 Jahren, als im Jahr 1929 diese grandiose Aufnahme entstand?

Oldsmobile F28 und weitere Tourenwagen; Originalaufnahme von 1929 aus Sammlung Michael Schlenger

Natürlich ist hier auf den ersten Blick alles im grünen Bereich, das ist sogar im Schwarz-Weiß-Modus unübersehbar.

Wir sehen vier Tourenwagen der 1920er Jahre irgendwo im Grünen – zwar nicht im naturbelassenen Wald, aber wohl in einer Gegend, in der man mit der Natur und nicht gegen sie zu leben verstand.

Der Wagen vorne links ist schnell als Fahrzeug der US-Marke Oldsmobile identifiziert – als Modell F28 von 1928, um genau zu sein. Die Amis hatten damals speziell in europäischen Ländern ohne nennenswerte eigene PKW-Produktion weite Teile des Markts für sich erobert, nachdem deutsche Fabrikate dort bis zum 1. Weltkrieg noch sehr präsent waren.

In der Zwischenkriegszeit machten das Rennen dann Hersteller, die frühzeitig auf Großserienproduktion gesetzt hatten – darunter Fiat und französische Hersteller wie Citroen und Renault.

Tatsächlich ist neben dem Oldsmobile ein Renault der 1920er Jahre zu sehen.

Oldsmobile F28 und weitere Tourenwagen; Originalaufnahme von 1929 aus Sammlung Michael Schlenger

Ich will Sie heute nicht mit Überlegungen belästigen, um was genau es sich bei den anderen Fabrikaten wohl gehandelt haben mag. Weitaus interessanter finde ich die Frage, wo wohl diese Aufnahme in der Botanik entstanden sein mag.

Ich würde anhand der Trachten und der vorwiegend blonden Haare des hier dominierenden Frauensvolks (nicht abwertend gemeint, Copyright: Monty Python) auf eine Region in Osteuropa tippen – mein Favorit ist einer der Ostseeanrainerstaaten.

Wir wissen aus der Geschichte, dass dort damals nur wenige Jahre nach Entstehen dieser Aufnahme längst nicht mehr alles im grünen Bereich war und für lange Zeit nicht mehr in diesen Zustand zurückkehren sollte.

Also: ganz gleich, welche Katastrophe einem gerade präsentiert wird, sollte man sich als Selberdenker stets fragen: Ist das alles wirklich alles so schlimm, wie behauptet wird, oder ist unser gegenwärtiges Dasein gemessen an der Vergangenheit nicht in den entscheidenden Dingen ganz im grünen Bereich?

Jedenfalls meine ich, dass diese Zeitgenossen die hochgejazzten Krisen unserer Tage mit einem Lächeln quittiert hätten: „Gemessen an den Härten und Umbrüchen unserer Welt ist bei Euch wahrlich alles im grünen Bereich„.

Oldsmobile F28; Originalaufnahme von 1929 aus Sammlung Michael Schlenger

Damit verabschiede ich mich bis auf Weiteres. Morgen stehen 12-13 Stunden Heimfahrt auf dem Programm. Klingt schlimmer als es ist – ich liebe Autofahren.

Ein kurzer Check im Motorraum vor dem Start muss indessen sein: Denn die Wassertemperatur sollte schließlich im grünen Bereich bleiben – immerhin sind schon wieder hochsommerliche Temperaturen zu erwarten – und das im August!

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

In ehrenwerter Gesellschaft: Ein Oldsmobile von 1928/29

Eine Gesellschaft, die sich das Attribut „ehrenwert“ anheften muss, wird es wohl nötig haben. Ähnliches gilt für Einrichtungen, bei denen ausdrücklich betont wird, wie demokratisch sie doch sind.

Eine Republik beispielsweise hat das nicht nötig, wenn sie tatsächlich „Sache der Öffentlichkeit/Allgemeinheit“ ist, denn genau das meint der lateinische Begriff der „res publica“. Zwar war die antike römische Republik keine wirkliche Demokratie, aber sie behauptete es im Unterschied zur seligen DDR beispielsweise auch nicht von sich.

Mein Favorit auf dem Sektor ist ohnehin der „Demokratische Aufbruch“ – eine ostdeutsche Parteineugründung aus dem Jahr 1989. Ihr Mitbegründer und Vorsitzender war „freier Mitarbeiter“ der staatlichen Geheimpolizei (Stasi). Weitere interessante Personalien können Sie selbst recherchieren.

Dass sich immer wieder Leute für Verwendungen finden, bei denen es oberflächlich einwandfrei zugeht, die aber tatsächlich ganz andere Zwecke verfolgen, das ist eine Konstante in der Geschichte.

Wichtig für die Beteiligten scheint zu sein, dass man sich um einem seriösen Anstrich bemüht, bisweilen legt man sich sogar einen Ehrenkodex zu. So gilt es bei der Mafia als tabu, sich an unbeteiligten Familienmitgliedern von Rivalen zu vergehen.

Sie fragen sich, was das mit Vorkriegsautos zu tun hat?

Ganz einfach, auf solche Gedanken kam ich, als ich das wohl ehrenwerte Personal auf dem folgenden Foto studierte, welches ich vor einiger Zeit im Rahmen eines Konvoluts aus (Süd)Osteuropa erwarb:

Oldsmobile von 1928/29; Originafoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Tourenwagen auf der Aufnahme mit dem attraktiven Zweifarbschema und dem markanten Zierstreifen an der A-Säule war rasch als Fabrikat des US-Herstellers Oldsmobile aus dem Modelljahr 1928/29 identifiziert.

Dieses Sechsylindermodell mit rund 60 PS Leistung wurde für amerikanische Verhältnnisse zwar in überschaubaren Stückzahlen von weniger als 100.000 Exemplaren pro Jahr gebaut, aber das genügte natürlich, um quasi nebenher auch den europäischen Markt zu bedienen.

So findet sich ein solcher Oldsmobile als Nebendarsteller auch auf dem folgenden Foto, auf dem eigentlich ein Studebaker „Special Six“ im Mittelpunkt steht (Porträt siehe hier).

Studebaker „Special Six“ und Oldsmobile von 1928/29 (links); Originalfoto aus Familienbesitz (via Johannes Kühmayer, Wien)

Interessanter als den Oldsmobile – der nur einer von vielen Vertretern der US-Autoindustrie war, die Ende der 1920er Jahre den ungestillten Bedarf in Europa deckten und in Deutschland heute unvorstellbare Marktanteile gewannen – finde ich freilich die Umstehenden auf diesem Foto.

Ich nehme an, dass die Szene irgendwo in Südosteuropa kurz nach dem 2. Weltkrieg fotografisch festgehalten wurde, wohl noch vor Ende der 1940er Jahre.

Sie zeigt einige prächtige Charaktere, denen ich gleichwohl keinen Oldsmobile abkaufen würde, selbst wenn er so solide erschiene wie auf dieser Aufnahme. Zu den Herren auf diesem Dokument folgen gleich meine spontanen – augenzwinkernden – Assoziationen:

Ganz links haben wir womöglich einen ehemalige Partisanen und nun zum Zigaretten- und Schnapsschmuggler aufgestiegenen sehr geschäftstüchtigen und geschmeidigen Zeitgenossen.

Neben ihm vor dem Kühler des Oldsmobile sehen wir den vielleicht einzigen halbwegs vertrauenswürdigen Vertreter – wobei dieses Urteil sich hauptsächlich auf seine offensichtliche Zuneigung zu dem kleinen Hund stützt – auf dem Balkan ist solches bis heute leider keine Selbstverständlichkeit.

Der Soldat neben ihm wirkt von der Uniform abgesehen wenig militärisch – das mag man sympathisch finden, dennoch scheint er mir ein zwielichtiger Charakter zu sein, der sich nicht in die Kamera zu schauen traut.

Sein Vorgesetzter – als einziger im Wagen thronend – wirkt auf mich geradezu operettenhaft.

Ihn ihm könnte man einen korrupten Offizier sehen, der Waffen auf eigene Rechnung weiterverschiebt und gegen Barzahlung Freistellungen vom Militärdienst gewährt – so etwas soll es auch in unseren Tagen geben. Verständlich, aber eben nicht korrekt.

Wie die beiden „Damen“ auf dem Foto einzuordnen sind, das fällt mir schwer zu bestimmen:

Schick ist sie ja schon gekleidet, die junge Frau direkt neben dem Auto, doch hat mir meine Mutter eine gesunde Skepsis gegenüber Menschen mit niedriger Stirn mit auf den Weg gegeben – eine Maxime, mit der ich bislang gut gefahren bin.

Die Gute scheint tatsächlich nicht die Hellste zu sein, was freilich vielen Herren der Schöpfung eher entgegenzukommen scheint, die sich von klugen und gebildeten Weibsbildern eher bedroht als angezogen fühlen.

Was von der älteren Frau neben der etwas kariert dreinschauenden Maid zu halten ist? Zu Ihr fällt mir wenig ein als irgendetwas mit „Schwiegermutter“. Ich könnte sie mir aber auch in fragwürdige Geschäfte verwickelt vorstellen, denn sie strahlt hier etwas Verschlagenes aus.

In Frage kommende Berufsbilder überlasse ich ihrer Fantasie, denn das ist ein schlüpfriges Gelände und wir legen doch Wert auf gute Traktion auch bei Vorkriegautos, nicht wahr?

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.   

Nicht nur in Berlin ein Exot: Oldsmobile F28 Tourer

Wohl kein anderer Markenname klingt für unsere Ohren mehr nach „Oldtimer“ als die einst in Lansing im US-Bundesstaat Michigan gegründete Marke „Oldsmobile“.

Das konnte ihr Schöpfer mit dem schillernden Namen Ransom Eli Olds nicht ahnen, als er nach mehrjährigen Experimenten 1897 die Olds Motor Vehicle Company schuf und die von ihm konstruierten Wagen ab 1901 Oldsmobile taufte.

Schon 1902 konnten rund 2.500 Oldsmobile-Wagen abgesetzt werden, im Jahr darauf fast 4.000 – damals eine enorme Zahl.

Ab 1905 wurde das nach der geschwungenen Frontpartie „Curved Dash“ bezeichnete Basismodell auch am deutschen Markt angeboten, wie folgende Reklame beweist:

Oldsmobile-Reklame von 1905; Orignal aus Sammlung Michael Schlenger

Dass die Marke damals bereits in fünf deutschen Großstädten Vertretungen unterhielt, spricht Bände über die Unfähigkeit der Hersteller im Mutterland des Automobils, zeitgemäße Wagen in ausreichender Stückzahl herzustellen.

Bei der wirtschaftlichen Verwertung und der laufenden Weiterentwicklung der neuen Erfindung waren ab etwa 1900 die Franzosen, Briten und letztlich auch die Amerikaner an den meist behäbigen deutschen Herstellern vorbeigezogen.

Das einfache Curved Dash“-Modell – auf der Reklame von 1905 oben links zu sehen – konnte für 650 Dollar angeboten werden. Damit war es unter Berücksichtigung der damaligen Kaufkraft für die obere Mittelschicht erschwinglich und wurde das erste in Großserie hergestellte amerikanische Auto.

In der Anzeige sind auch leistungsfähigere Modelle abgebildet, vor allem der mehrsitzige Tourenwagen mit 20 PS starkem Zweizylinder-Boxermotor. Dieser war 1905 eingeführt worden, was die Datierung der Reklame ermöglicht, denn schon 1906 wich das „Curved Dash“-Basismodell einer aufwendigeren Ausführung.

Nur rund 15 Jahre später – also Anfang der 1920er Jahre – sah ein typischer Oldsmobile bereits so aus:

Oldsmobile Model 47 von 1921/22; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser siebensitzige Tourenwagen besaß einen V8-Motor mit gut 50 PS aus 3,8 Litern Hubraum.

In den Vereinigten Staaten zu Geld gekommene deutsche Auswanderer hatten sich dieses eindrucksvolle Automobil geleistet und ein Foto davon in die alte Heimat geschickt, wie die umseitige Beschriftung von alter Hand verrät.

Solche Tourenwagenaufbauten verloren in den USA ab Mitte der 1920er Jahre rasch an Verbreitung. Immer mehr Käufer entschieden sich dort für geschlossene Aufbauten.

Im infolge des verlorenen Weltkriegs und der Lasten des Versailler „Vertrags“ verarmten Deutschland blieb ein Tourenwagen mit seinem vergleichsweise günstigen Aufbau dagegen selbst für Betuchte oft die einzige Möglichkeit, überhaupt ein Auto zu fahren.

Damit wäre ich beim eigentlichen Gegenstand meines heutigen Blogeintrags, den ich einmal mehr dem Blick für Qualität von Leser Klaas Dierks verdanke:

Oldsmobile Typ F28 Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Es ist kein Zufall, dass dieser Tourer in raffinierter Zweifarblackierung in Deutschland abgelichtet wurde und nicht in den USA.

Ein solcher zugiger Tourenwagen wurde zum Aufnahmezeitpunkt in den Staaten kaum noch gekauft. So wurden von diesem 1928 angebotenen Aufbau nur gut 800 Stück gebaut, während vom Basismodell F28 im selben Jahr rund 85.000 entstanden.

In Deutschland dagegen waren solche Tourenwagen damals noch stärker gefragt. So fand eines dieser raren Modelle einst im Raum Berlin einen Käufer, wie die Kennung „IA“ auf dem Nummernschild verrät:

Die Scheibenräder waren alternativ zu Holz- oder Drahtspeichenrädern erhältlich – vermutlich waren sie die billigste Ausführung. Auch das Fehlen der aufpreispflichtigen seitlichen Ersatzräder passt dazu.

Raffiniert ist das Zweifarbschema, das den zeittypisch sehr schlicht gezeichneten Wagen gefällig macht. Der vom dunklen Chassis hell abgesetzte Aufbau wirkt beinahe elegant und die breite Zierleiste am oberen Rand der Türen lässt diese niedriger erscheinen.

Nicht zuletzt verleiht der kecke Schwung der Zierlinie von der A-Säule zum unteren Rand der Motorhaube dem Wagen in der Seitenansicht eine gewisse Dynamik.

Soweit anhand dieses Abzugs zu beurteilen, war der Wagen zum Aufnahmezeitpunkt noch neuwertig. Vermutlich nahm man eine der ersten Ausfahrten zum Anlass, sich mitsamt dem Vierbeiner auf der Rückbank fürs Fotoalbum ablichten zu lassen.

Auch die Verwandten wird man mit Kopien dieses schönen Dokuments bedacht haben, die in den meisten Fällen schwer beeindruckt gewesen sein dürften, denn ein solcher „Amerikaner“-Wagen war für die allermeisten Deutschen unerreichbar – selbst in der Basisausführung als Tourenwagen ohne große Extras.

Der Sechszylinder mit 55 PS war ein Schmankerl, das im Vergleich zu einheimischen Angeboten relativ günstig zu haben war. Kein Wunder, dass ausländische Fabrikate Ende der 1920er Jahre einen Marktanteil in Deutschland von 40 % erreichten.

So verschwindend klein der Anteil der Bevölkerung war, der sich hierzulande überhaupt ein Auto leisten konnte, so bemerkernswert ist die Unfähigkeit der heimischen Hersteller, auch nur diesen winzigen Markt zu bedienen.

So machten damals vor allem die Amerikaner das Rennen, die sich damals nicht mit Primitivgefährten wie Hanomags „Kommissbrot“ verzettelten oder nur luxuriöse Nischen besetzten – stattdessen bauten sie schlicht Autos, die gefragt waren

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Dem Zenit ganz nahe: Ein Oldsmobile von 1935

Dass alles Menschenwerk vergänglich ist und das große Rad der Zeit alles unter sich zermalmt, ist kein schöner Gedanke – aber einer, der dem Einzelnen dabei hilft, von ihm nicht beeinflussbares Geschehen mit Fassung zu tragen.

So wie die Errungenschaften einer Hochkultur wieder verlorengehen, wenn die sie tragenden Kräfte nachlassen oder verdrängt werden, so ist auch auf der Ebene der technischen Zivilisation keine Führungsposition von Dauer.

Über kurz oder lang erlahmt auf dem Zenit des Erfolgs der Leistungswille, Bequemlichkeit und Nachlässigkeit halten Einzug – machen Platz für junge, hungrige und rücksichtslos Schwächen ausnutzende Konkurrenten.

Das Bild trifft auch auf die US-Automobilindustrie zu, die in den 1930er Jahren einen uneinholbar erscheinenden Vorsprung hatte. Niemand sonst baute so großzügige, leistungsfähige und modern gestaltete Wagen für den Massenmarkt.

Wer damals in Europa ein souverän motorisiertes, prestigeträchtiges Auto suchte, aber nicht die Mittel für die teuren Manufakturwagen hatte, die viele lokale Anbieter im Programm hatten, kam an den „Amerikaner“-Wagen kaum vorbei.

Das galt erst recht für Länder, die über keine nennenswerte heimische Automobilindustrie verfügten. Ein schönes Beispiel dafür ist dieser eindrucksvolle Oldsmobile von 1934, den es einst in die Bergwelt der Schweiz verschlagen hatte:

Oldsmobile von 1934; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Regelmäßige Leser dieses Vorkriegsauto-Blogs werden sich an den Wagen erinnern – wir haben ihn erst kürzlich ausführlich vorgestellt (Bildbericht).

Man präge sich bei dieser Gelegenheit die Linienführung des Wagens ein: den schrägstehenden Kühlergrill und die damit in Kontrast stehende, fast vertikale Frontscheibe. Auch auf die tropfenförmigen Positionsleuchten und die kantigen Formen des hinteren Kotflügels sei verwiesen.

So sah – wie gesagt – der Oldsmobile des Modelljahres 1934 aus. Wie es der Zufall will, verdanken wir einer Leserin ein zauberhaftes zeitgenössisches Foto aus Familienbesitz, das den Nachfolger aus dem Jahr 1935 zeigt:

Oldsmobile von 1935; Originalfoto aus Privatbesitz

Natürlich ist das Auto hier nur Staffage, der Fotograf hatte es auf die beiden jungen Damen abgesehen und sie perfekt im Schärfebereich des Objektivs platziert. Ob die beiden Verwandte oder Freundinnen waren, wissen wir nicht.

So sehr sich ihre Kleidung ähnelt, so unterschiedlich sind sie vom Typ her – die eine freundlich-verhalten, beinahe schüchtern und auf sich selbst bezogen, die andere gewinnend, selbstbewusst und raumgreifend.

Zurück zum Auto im Hintergrund. Wie bei der eingangs gezeigten Aufnahme des Oldsmobile von 1934 aus der Schweiz bedurfte es einiger Recherchen, um den Hersteller dieses Wagens und das Modelljahr zu identifizieren.

Am Ende stellte sich das Gefährt als Oldsmobile aus dem Jahr 1935 heraus. Der Vergleich mit dem nur ein Jahr älteren Modell zeigt, was sich alles getan hatte:

Zwar steht der Kühlergrill nicht mehr ganz so schräg im Wind und hat einige der Zierstreben verloren. Doch ist er deutlich gerundeter und besser an die Karosserie angepasst.

Damit korrespondiert die nun stärker geneigte und pfeilförmig geteilte Frontscheibe, die man am Vorgänger vermisst. Die Kotflügel sind rundlicher und voluminöser  – sie lassen die Radhäuser der späteren 1930er Jahre ahnen, die mit der Karosserie zu verschmelzen begannen.

Wenig getan hatte sich bei den tropfenförmigen Scheinwerfern und der windschnittigen Gestaltung der seitlichen Öffnung in der Motorhaube.

Doch die Positionslampen auf den Vorderschutzblechen künden vom Einfluss eines Entwurfs, der viele Elemente vorwegnahm, die man später am Chrysler Airflow und den Stromlinienwagen von Tatra und Volkswagen wiederfindet.

Die Rede ist vom Briggs-Prototyp von 1933, den wir hier vor längerem anhand eines originalen Pressefotos vorgestellt haben:

Briggs Prototype; Pressefoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wie gesagt – hier geht es nur um den Einfluss, den die Gestaltung der Scheinwerfer bei diesem in Europa kaum bekannten, doch für die Entwicklung der Stromlinienautos hochbedeutenden Wagen ausübte.

Bei Oldsmobile beließ man es zwar 1935 bei freistehenden Tropfenscheinwerfern, aber die Positionsleuchten auf den Kotflügeln wurden im selben Stil wie beim Briggs Prototype ausgeführt:

Auf zwei Dinge sei bei dieser Ausschnittsvergrößerung noch hingewiesen:

Das eine ist das eigentümliche Emblem auf dem Kühlergrill, auf dem die Buchstabenfolge „…ACAR“ sicher zu lesen ist. Hier kann vielleicht ein sachkundiger Leser weiterhelfen.

Keine Probleme dagegen bereitet die Interpretation des Schattenwurfs der Stoßstange des Oldsmobile. Demnach muss diese Aufnahme zur Mittagszeit entstanden sein, als die Sonne ihren sommerlichen Höchststand erreichte.

So hoch im Zenit steht die Sonne jedoch in unseren Gefilden nie. Tatsächlich entstand dieses Foto weiter südlich – in Siebenbürgen, das mehrheitlich von Deutschen bewohnt wurde, aber nach dem 1. Weltkrieg von den Siegermächten Rumänien zugesprochen wurde.

Unsere adretten Fotomodelle konnten sich damals glücklich schätzen, dort in offensichtlich wohlhabenden Verhältnissen aufzuwachsen. Denn so ein Oldsmobile verfügte je nach Austattung über kraftvolle 6- oder 8-Zylindermotoren mit über 80 PS und eine luxuriöse Ausstattung.

Das wird die beiden Blondinen nicht im Detail interessiert haben, doch Haushalte mit Automobilen waren dermaßen selten, dass sie wussten, wie gut es ihnen ging:

Womöglich hält diese Aufnahme aber auch den Zenit ihres Daseins fest, denn wenige Jahre später begann der 2. Weltkrieg, in dem Rumänien anfangs mit Deutschland verbündet war, doch später die Seiten wechselte.

Das Kriegsende und die Jahre unter rumänischer Herrschaft bedeutete für die Deutschen in Siebenbürgen bittere Zeiten, über die hierzulande Aufgewachsene kaum etwas erfahren haben, wenn nicht die eigene Familie betroffen war.

So erinnert das alte Foto eines Oldsmobile daran, wie vergänglich das Glück und vermeintlich gesicherte Positionen sein können.

Auch die US-Autoindustrie war damals ihrem Zenit nahe. Nach dem dank überlegener Industriekapazität und Logistik gewonnenen Krieg sollte der unaufhaltsame Abstieg beginnen…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Achtender in den Schweizer Bergen: Oldsmobile von 1934

Zu den Ländern, die schon immer fast vollständig auf den Import von Automobilen angewiesen waren, gehört die Schweiz.

Das erstaunt, haben doch gerade die Schweizer etliche führende Adressen in den Bereichen Mechanik und Maschinenbau geschaffen. Dass sie auch hervorragende Automobile bauen konnten, zeigte bereits früh die Firma Martini.

Die Waffenfabrik aus Neuchatel begann noch vor 1900 mit eigenständigen Konstruktionen und machte bald mit Sporterfolgen von sich reden. Dazu passt diese Aufnahme aus einer Zeitung von 1908:

Martini-Voiturettes von 1908; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Die Abbildung zeigt die Rennsportwagen, mit der Martini 1908 beim Grand Prix de Voiturettes in Dieppe antrat, vor der Abfahrt nach Frankreich.

Zu großer Form liefen die Martini-Wagen erst in der Zwischenkriegszeit auf, doch das ist sehr relativ – die Firma baute insgesamt nur 3.500 Wagen.

Da Martini als erfolgreichste Automarke der Schweiz gilt, kann man sich vorstellen, welche winzigen Stückzahlen die anderen Fabriken herstellten…

Zu erklären ist dies wohl damit, dass die Schweiz für einen nennenswerten Autoabsatzmarkt lange Zeit viel zu arm war.

Wenn die Schweiz heute zu den reichsten Ländern der Welt gehört, hat sie das zum einen klassischen Tugenden zu verdanken: Anstrengungsbereitschaft, Wissbegier, Erfindungsreichtum, Fleiß, Disziplin und Können.

Zum anderen hat die Volksherrschaft verhindert, dass das Land seine Energie in Kriegen, Revolutionen und anderen gegen die Interessen der Bürger gerichteten  Aktivitäten verpulvert.

Die wirtschaftlichen Früchte des Schweizer Modells begannen erst in den 1930er Jahren allmählich sichtbar zu werden.

Eindrucksvoll illustriert wird dies durch die folgende Aufnahme:

Oldsmobile L-Series von 1934; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn für uns das Fahrzeug im Mittelpunkt steht, kann man sich der dramatischen Wirkung dieses Fotos nicht entziehen.

Wie hier die das Gebäude nebenan, der Telegrafenmast und die Berglandschaft einbezogen wurden, alle Achtung. Ein Mehr an Kontrast und Tonwertreichtum ist kaum vorstellbar – hier wurde auch in der Dunkelkammer beste Arbeit abgeliefert.

Die vier Personen an dem Wagen waren es gewohnt, fotografiert zu werden – nur der kleine Hund schien keine Lust zu haben und musste festgehalten werden.

Die gelungene Inszenierung ist des Wagens würdig, den wir hier vor uns haben:

Dass das Auto aus amerikanischer Produktion der 1930er Jahre stammt, ist klar.

Der schrägstehende Kühlergrill mit den gedoppelten Zierleisten und die bis auf die Stoßstange hinuntergezogenen Vorderschutzbleche erlauben eine zeitliche Einengung auf die erste Hälfte der 1930er Jahre.

Die US-Autos jener Zeit wurden jedes Jahr stilistisch überarbeitet und alle Hersteller waren darauf bedacht, in gestalterischer Hinsicht nicht den Anschluss zu verlieren. Hier war bereits voll ausgeprägt, was in der Nachkriegszeit noch bizarre Blüten am US-Automarkt treiben sollte.

Ein eigenes Gesicht hatten damals von den großen Produzenten noch am ehesten die Fahrzeuge von Ford und Chrysler. Bei den Marken aus dem General Motors-Konzern fällt es mitunter schwer, die Typen auseinanderzuhalten.

Im vorliegenden Fall probierte der Verfasser erst einmal die üblichen Verdächtigen aus: Buick, Chevrolet und Cadillac. Dann kamen die unabhängigen Marken Hudson und Studebaker an die Reihe – ebenfalls Fehlanzeige.

Erst die Suche nach vergleichbaren Wagen von Oldsmobile lieferte einen Treffer: Das ist eindeutig ein Achtzylinder der L-Serie von 1934. Äußerlich sehr ähnlich, aber kürzer war die F-Serie mit Sechszylindermotor.

Leistungsmäßig nahmen sich die beiden Versionen nicht viel: ein Oldsmobile der F-Serie verfügte über 84 PS, beim Achtender der L-Serie waren es 90 PS.

Die in einem Oval eingefasste „8“ unten am Kühler verrät, dass sich der Käufer des Oldsmobile auf dem Foto einst für das Spitzenmodell entschieden hatte.

Das konnte sich in der Schweiz in den 1930er Jahren nur jemand leisten, der in Industrie, Handel oder Finanzen zu Geld gekommen war. Dazu will das Kennzeichen mit „ZG“ für den kleinen Kanton Zug nicht recht passen.

Möglicherweise ging der Besitzer aber im Nachbarkanton Zürich einer lukrativen Tätigkeit nach. Leider wissen wir nichts über Ort und Datum der Aufnahme.

Übrigens: Die bereits 1897 von R.E. Olds im US-Bundesstaat Michigan gegründete und 1908 vom General Motors-Verbund übernommene Marke verbaute schon seit 1916 eigene V8-Motoren in ihren Wagen.

Dies unterstreicht einmal mehr, wie weit ihrer Zeit voraus die amerikanische Automobilindustrie einst war.

Auch 1934 musste sich ein Oldsmobile mit seiner Einzelradaufhängung vorne noch nicht vor der inzwischen aufholenden europäischen Konkurrenz verstecken.

Bezieht man Ausstattung, Leistungsfähigkeit und Preis ein, waren die „Amerikaner“-Wagen dank industrieller Massenproduktion immer noch kaum zu schlagen. Erst nach dem Krieg gewannen die europäischen Hersteller die Oberhand.

Das Ergebnis ist bekannt – außerhalb der USA spielen amerikanische Autos schon lange keine wesentliche Rolle mehr.

Auch die Zeiten, in denen man in der Schweiz in den Großstädten noch jede Menge Ami-Straßenkreuzer sehen konnte, sind seit den 1970er Jahren vorbei.

Die ehrwürdige Marke Oldsmobile ging aber erst 2004 unter – nach 107 Jahren! Damit überlebte sie die erwähnte Schweizer Marke Martini um mehr als 80 Jahre.

Die Ironie der Geschichte will es, dass bei Martini im Jahr 1934 die Lichter ausgingen – just in dem Jahr, in dem in Michigan „unser“ Oldsmobile gefertigt wurde, der anschließend auf die lange Reise in die ferne Schweiz gehen sollte…

Mit etwas Glück gibt es den Wagen vielleicht noch – wer weiß?

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

Oldsmobile von 1938 bei der Instandsetzung im Osten

Während des 2. Weltkriegs verfügte keine der europäischen Parteien annähernd über die Fahrzeugkapazitäten, die für die immer rascheren Operationen benötigt wurden. Nach den Stellungskämpfen von 1914-18 war nur wenigen Militärs mit Weitblick bewusst, dass die Auseinandersetzungen der Zukunft Bewegungskriege sein würden.

So wurde nach Kriegsausbruch 1939 auf allen Seiten hastig alles an zivilen Fahrzeugen beschlagnahmt, was einigermaßen einsatztauglich erschien und nicht für unabweisbare private Zwecke benötigt wurde. Nach der Niederlage Frankreichs und dem Desaster der britischen Truppen bei Dünkirchen im Jahr 1940 fielen der deutschen Wehrmacht tausende PKW und LKW der Alliierten in die Hände, die  willkommene Ergänzungen des eigenen Fahrzeugbestands darstellten.

Geschätzt wurden von den Soldaten nicht nur die Frontantriebswagen von Citroen und die 02er-Modelle von Peugeot. Auch Beutefahrzeuge amerikanischer Provenienz wurden in den Wehrmachtsfuhrpark aufgenommen; sie waren in vielerlei Hinsicht das Modernste, was seinerzeit verfügbar war. Einige Typen von Buick, Chevrolet und Ford wurden vor dem Krieg sogar in Deutschland montiert.

So begegnen einem auf den unzähligen Privatfotos, die einst von deutschen Landsern an allen Fronten geschossen wurden, immer wieder US-Fahrzeuge mit Nummernschildern und taktischen Zeichen der Wehrmacht. Doch selbst auf diesem vermeintlich abgegrasten Feld macht man bisweilen überraschende Entdeckungen.

Folgendes Originalfoto zeigt ein solches Beispiel:

© Oldsmobile, Bj. 1938, bei der Wehrmacht; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Wagen stammt unverkennbar aus dem General Motors-Konzern, nur die Identifikation der Marke gelang erst mit Hilfe der kompetenten Website KfZ der Wehrmacht. Dort hat Holger Erdmann eine einzigartige Sammlung von Originalfotos zusammengetragen, die alle nur erdenklichen Fahrzeuge auf deutscher Seite während des 2. Weltkriegs in strukturierter Form zeigen.

In der Rubrik „US-Autos“ kann man dort nach Marken stöbern, und nachdem die üblichen Verdächtigen wie Buick, Chevrolet, Chrysler, Dodge und Ford nicht zum Ziel führten, wurde der Verfasser schließlich bei Oldsmobile fündig. Wagen dieser bereits 1897 gegründeten Marke scheinen nur in geringer Zahl Eingang in den Beutefahrzeugbestand der Wehrmacht gefunden zu haben.

Der Wagen auf unserem Foto lässt sich jedenfalls als Oldsmobile der F-Serie des Modelljahrs 1938 identifizieren, vor allem die waagerechten Kühlerstreben verraten dies. Der Blick auf die technischen Daten des Wagens verrät, dass man ein solches Fundstück gewiss nicht verschmähte: Das Mittelklasseauto wurde von einem Reihensechszylinder mit 3,8 Liter Hubraum und über 90 PS angetrieben. Damit bewegte man sich leistungsmäßig auf dem Niveau eines Oberklasse-Horch 930 V mit Achtzylindermotor, dessen Fahrwerk kaum besser war.

Problematisch wurden solche Exoten natürlich dann, wenn komplexe Reparaturen anstanden. Bei normaler Alltagsnutzung waren die robusten „Amis“ kaum kleinzukriegen, doch speziell der Kriegseinsatz in Russland hinterließ früher oder später Spuren. Tatsächlich befindet sich auch der Oldsmobile auf unserem Foto offenbar bei der Instandsetzung:

Jedenfalls ist der Wagen vorne aufgebockt – man kann die entlastete Einzelradaufhängung gut erkennen und innen macht sich jemand am Auto zu schaffen. Vielleicht muss etwas an der Lenkung repariert werden. Um die Vorderstoßstange scheint ein Abschleppseil gewickelt zu sein, das in der gefürchteten Morastperiode nach Winterende an der Ostfront oft benötigt wurde. Das Reifenprofil ist alles andere als geländegängig, doch noch erstaunlich gut. Möglicherweise wurde irgendein von der Dimension passender Neureifen montiert.

Die Instandsetzungseinheiten der Wehrmacht mussten angesichts des bunt durcheinandergewürfelten Fahrzeugparks über großes Improvisationsvermögen verfügen. Für Beutefahrzeuge waren – mit Ausnahme einiger französischer Modelle – keine Ersatzteile zu bekommen und Spezialwerkzeug fehlte ganz.

Die Arbeitsbedingungen in Frontnähe kamen als zusätzliche Erschwernis hinzu. Au der Ausschnittsvergrößerung sieht man hinter dem Oldsmobile einen massiven Holztisch, auf dem unter freiem Himmel einige Teile ausgebreitet scheinen.

Was von den Instandsetzungsabteilungen täglich geleistet wurde, gehört zu den unbesungenen „Heldentaten“, über die es keine Literatur gibt. Die Frontsoldaten auf allen Seiten wussten aber natürlich, was sie ihren ölverschmierten Kameraden hinter den Linien schuldig waren…