Kennen Sie Karlsbad in Böhmen? Wenn nicht, wird es höchste Zeit – der einst mondäne Badeort, der seit 1945 zu Tschechien gehört und seither Karlovy Vary heißt, ist immer noch eine Perle – wunderbar erhalten und mit viel Verstand und Liebe konserviert.
Man ist dort immer noch auch auf deutschsprachige Besucher eingestellt und man bekommt schnell den Eindruck, in einer Zeitmaschine in die Belle Epoque zurücktransportiert worden zu sein.
Sollten Sie es so bald nicht nach Karlsbad schaffen, so kann ich Ihnen heute zumindest eine kostenlose Schnuppertour nach „Carlsbad“ bieten.
So schrieb man den Ortsnamen jedenfalls im Jahr 1909, als eine Französin diese Postkarte an eine Freundin sandte, die im Küstenort Trestaou in der Bretagne wohnte:

„Wie gefällt Ihnen mein neues Auto? Es ist komfortabel und gut für die Reise geeignet“ – so schrieb die Dame in französischer Sprache auf der Rückseite.
Nun wissen wir, dass einst solche Aufnahmen von Automobilen gern als Postkarte versandt wurden, um augenzwinkernd zu suggerieren, dass es sich um den eigenen Wagen handelt – was freilich meist nicht der Fall war.
Das gilt besonders für die Frühzeit, als jede Benzinkutsche einen in monatelanger Manufakturarbeit entstandenen Luxusgegenstand darstellte, für dessen Gegenwert man auch ein einfaches Haus bekam.
Dabei wollte nicht nur die reine Arbeitszeit der hochspezialisierten Handwerker bezahlt sein, sondern auch die Investitionen in spezielle Maschinen und Werkzeuge, Fabrikgebäude und Energieversorgung, außerdem die Angestellten für die Verwaltung. Und natürlich wollten die Kapitalgeber eine dem hohen unternehmerischen Risiko angemessene Rendite sehen.
Wer sich am Ende ein reisetaugliches Automobil mit Fahrer leisten konnte, der musste daher vor dem 1. Weltkrieg zu den oberen Zehntausend gehören, das ging nicht anders.
Was bringt mich nun auf die Idee, dass die Absenderin dieser Postkarte tatsächlich selbst zu diesem exklusiven Kreis gehörte? Nun, die Tatsache, dass darauf auch ein französisches Fahrzeug abgebildet war, welches in Böhmen damals sicher nicht alltäglich war.
So konnte ich dieses Exemplar anhand der Kühlerpartie als gehobenes Modell der Firma Panhard&Levassor identifizieren:
Zugegeben, man muss einige frühe Wagen dieses einst hochbedeutenden Herstellers gesehen haben, um die Kühlerpartie auf Anhieb der Marke zuordnen zu können.
Langjährige Leser meines Blogs sind dabei in der komfortablen Lage, an meinem eigenen Erkenntniszuwachs quasi in Echtzeit teilhaben zu können.
Denn vor längerer Zeit habe ich hier dieses in jeder Hinsicht grandiose Foto eines Panhard von ca. 1908 vorgestellt:
Diese Aufnahme, welche auch in der Literatur ihresgleichen sucht, verschafft einem einen denkbar klare Vorstellung vom Erscheinungsbild eines Panhard&Levassor jener Zeit.
Ich muss wirklich nicht eigens beschreiben, worin die Übereinstimmungen zwischen den beiden Fahrzeugen bestehen, das sehen Sie selbst. Nur ein Panhard besaß eine solche Kühlerpartie.
Im Fall des Fotos aus Karlsbad liefert das Datum der Postkarte – August 1909 – einen Hinweis auf die spätestmögliche Entstehung des dort abgebildeten Wagens. Ich würde ihn anhand einiger Details auf 1908/09 datieren.
Hilfreich ist dabei der Besitz des Standardwerks zur Marke Panhard von Bernard Vermeylen (Panhard & Levassor entre Tradition et Modernité).
Das Werk ist natürlich in französischer Sprache verfasst – aber herrje, wenn man die Handhabung komplexer elektronischer Gerätschaften mit hunderte Seiten umfassenden Anleitungen lernen kann, dann kann man sich zur Abwechslung wenigstens Lesekompetenz in einer eher einfachen europäischen Fremdsprache aneignen.
Andere Sprachen sind der Schlüssel zum Denken und Fühlen, dem Werteverständnis und Weltbild anderer Völker – es lohnt sich, auch einmal Zeit darin zu investieren.
Wenn man nach Karlsbad fährt, kommt man natürlich auch mit Deutsch durch. Aber warum nicht die Gelegenheit nutzen, sich zumindest ein paar tschechische Höflichkeitsformeln anzueignen, bevor man gleich mit der teutonischen Tür ins Haus fällt?
Die „Carlsbader“, welche vor über 100 Jahren Gäste aus aller Welt beherbergten, bemühten sich schließlich auch darum, diesen das Leben sprachlich möglichst leicht zu machen.
Bei der Gelegenheit: Ich kann mich noch an einen Aufenthalt in Karlsbad vor rund 25 Jahren erinnern – ich besitze sogar ein versilbertes Tablett des „Hotel Bristol“ mit Aufschrift „Carlsbad“, das ich dort damals in einem Antiquitätengeschäft gekauft habe.
Aber ich weiß nicht mehr genau, wo in Karlsbad diese schöne Aufnahme entstanden ist – vielleicht kann es einer von Ihnen aus dem Ärmel schütteln, verehrte Leser:
Nachtrag: Die Aufnahme entstand vor der Kulisse des monumentalen „Kaiserbads“, welches sich heute noch genau so darbietet.
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Wie schön – genieße den Aufenthalt, Claus!
Hallo Michael,
Zufälle gibt es. Genau gestern als ich im Zug nach Karlovy Vary saß, sah ich mir Deinen Panhard Levassor Blog an und war doppelt motiviert, die Stadt zu erkunden. Der PL war schon weitergefahren und das abgelichtete Hotel konnte ich auch trotz 18.000 Schritten ( lt. Schrittzähler) nicht identifizieren. Die durchaus mondäne Stadt zeigt an diversen Häusern noch Spuren der deutschen Vergangenheit, so die Aufschrift „SPARKASSE“ oder auch „CARLSBAD“. Das Stadtbild ist bis auf wenige Ausnahmen nicht ruiniert worden, der historische Stilmix ist ein optischer Genuß !
Mit den besten Grüßen, heute aus Marienbad
Claus H. Wulff
Ich bin sehr oft im Bäderdreieck und dem Egerland und ich habe dort fast nur nette, freundliche Menschen getroffen, die zumeist etwas bis sehr gut Deutsch sprechen. Einige Ausnahmen findet man überall, nicht zu vermeiden. Auf den Oldtimer-Treffen ging es immer hoch her. Es gibt immer tolle Fahrzeuge zu sehen und die Gespräche zwischen Fahrern und auch dem Publikum dauern oft lang und gehen ins Detail. Die Straßen und Strecken fernab der großen Pisten sind einfach traumhaft schön, will man alles Interessante am Streckenrand besichtigen, kommt man nie an.
Warum allerdings im Unterschied zu allen Kurorten (z.B. Marianske Lazne, Frantiskovy Lazne usw.) Karlsbad auf „Karlovy Vary“ hört, konnte mir bislang niemand erklären. Bis vor kurzem war Karlsbad fest in russischer Hand, nun orientiert man sich wieder nach Deutschland.
Die Geschichte der Badeorte reicht weit ins Mittelalter, auch Goethe war sehr oft da. Trotz Verkehr und Neuzeit kann man den verstaubten Charme der Badeorte recht gut erleben.
Richtig, es ging mir auch nicht um eine temporäre Zugehörigkeit zu Deutschland in politischer Hinsicht, wohl aber um die einstige sprachliche Zugehörigkeit zum deutschen Kulturkreis. So gesehen gab es nach 1945 eine bedeutende Zäsur – die Stadt war nicht länger mehrheitlich von Deutschsprachigen besiedelt, wie das zuvor sehr lange der Fall gewesen war. Insofern ist es schon angebracht zu betonen, dass man in Karlsbad heute dennoch mit Deutsch gut zurecht kommt, gerade weil das nicht selbstverständlich ist.
Der Ort liegt heute nun einmal in einem Land, das Tschechien (vormals Tschechoslowakei) heißt. Vor 1945 war das nicht der Fall und ich kann nicht alle historischen politischen Zugehörigkeiten aufzählen. Im deutschsprachigen Raum kannte man jedenfalls vor 1945 nur Karlsbad bzw. Carlsbad und die Stadt war fast vollkommen deutschsprachig wie übrigens der Nordwesten Böhmens allgemein. Die tschechische Bezeichnung hat sich m.W. überhaupt erst nach dem 2. Weltkrieg durchgesetzt, selbst ab 1918 findet man sie vor Ort zunächst kaum (es gab freilich auch tschechisch beschriftete Touristen-Souvenirs). Als Rückbenennung würde ich das im Fall dieser historisch klar von deutschsprachiger Tradition dominierten Stadt jedenfalls nicht bezeichnen.
Vor allem, lieber Blog- Wart kann man die Formulierung : „und seit 1945 in Tschechien liegt“ so nicht stehen lassen!
Nach der vielhundertjährigen Habsburger Herrschaft u.a. über
das deutsch bis deutsch- tschechisch besiedelte Böhmen (und Mähren) hatten als Ergebnis des Zerfalls der „Österreich- ungarischen Doppelmonarchie“ nach dem 1. Wk die unterjochten slawischen Völker erstmals in ihrer neueren Geschichte die Chance auf Eigenstaatlichkeit, was hier zur Gründung der „Tschecho- slowakischen Republik“ CSR führte. Sie bestand bis sich Hitlerdeutschland nach der unrühmlichen Appeasement- Haltung England und Frankreichs auf der Münchner Konferenz 1938 bemüßigt fühlte, das Deutschtum dort durch „Anschluß ans Reich“ zu schützen. und dann mit dem Einmarsch 1939 die CSR gewaltsam zerschlug.
Nach dem das „1000jährige Reich“ 1945 untergegangen war und damit alle Deutschen sich außerhalb der Grenzen von 1937 unmöglich gemacht hatten, hieß Carlsbad wieder Karlowiy Vary, was im Übrigen die wörtliche Übersetzung ins Tschechische ist. Deuschsprachische Ortschaften mit alter tschechischer Vorgeschichte erhielten meist ihre historischen slawischen Namen zurück.
Lieber Herr Schlenger,
in einem Punkt muss ich Sie korrigieren: Karlsbad war immer böhmisch und nur zwischen 1. Oktober 1938 und Mai 1945 Teil des Deutschen Reiches.