Kennen Sie Karlsbad in Böhmen? Wenn nicht, wird es höchste Zeit – der einst mondäne Badeort, der seit 1945 zu Tschechien gehört und seither Karlovy Vary heißt, ist immer noch eine Perle – wunderbar erhalten und mit viel Verstand und Liebe konserviert.
Man ist dort immer noch auch auf deutschsprachige Besucher eingestellt und man bekommt schnell den Eindruck, in einer Zeitmaschine in die Belle Epoque zurücktransportiert worden zu sein.
Sollten Sie es so bald nicht nach Karlsbad schaffen, so kann ich Ihnen heute zumindest eine kostenlose Schnuppertour nach „Carlsbad“ bieten.
So schrieb man den Ortsnamen jedenfalls im Jahr 1909, als eine Französin diese Postkarte an eine Freundin sandte, die im Küstenort Trestaou in der Bretagne wohnte:
![](https://i0.wp.com/vorkriegs-klassiker-rundschau.blog/wp-content/uploads/2024/01/Panhard_1908-09_Karlsbad_08-1909_frz_Pk_Galerie1-1.jpg?resize=584%2C335&ssl=1)
„Wie gefällt Ihnen mein neues Auto? Es ist komfortabel und gut für die Reise geeignet“ – so schrieb die Dame in französischer Sprache auf der Rückseite.
Nun wissen wir, dass einst solche Aufnahmen von Automobilen gern als Postkarte versandt wurden, um augenzwinkernd zu suggerieren, dass es sich um den eigenen Wagen handelt – was freilich meist nicht der Fall war.
Das gilt besonders für die Frühzeit, als jede Benzinkutsche einen in monatelanger Manufakturarbeit entstandenen Luxusgegenstand darstellte, für dessen Gegenwert man auch ein einfaches Haus bekam.
Dabei wollte nicht nur die reine Arbeitszeit der hochspezialisierten Handwerker bezahlt sein, sondern auch die Investitionen in spezielle Maschinen und Werkzeuge, Fabrikgebäude und Energieversorgung, außerdem die Angestellten für die Verwaltung. Und natürlich wollten die Kapitalgeber eine dem hohen unternehmerischen Risiko angemessene Rendite sehen.
Wer sich am Ende ein reisetaugliches Automobil mit Fahrer leisten konnte, der musste daher vor dem 1. Weltkrieg zu den oberen Zehntausend gehören, das ging nicht anders.
Was bringt mich nun auf die Idee, dass die Absenderin dieser Postkarte tatsächlich selbst zu diesem exklusiven Kreis gehörte? Nun, die Tatsache, dass darauf auch ein französisches Fahrzeug abgebildet war, welches in Böhmen damals sicher nicht alltäglich war.
So konnte ich dieses Exemplar anhand der Kühlerpartie als gehobenes Modell der Firma Panhard&Levassor identifizieren:
Zugegeben, man muss einige frühe Wagen dieses einst hochbedeutenden Herstellers gesehen haben, um die Kühlerpartie auf Anhieb der Marke zuordnen zu können.
Langjährige Leser meines Blogs sind dabei in der komfortablen Lage, an meinem eigenen Erkenntniszuwachs quasi in Echtzeit teilhaben zu können.
Denn vor längerer Zeit habe ich hier dieses in jeder Hinsicht grandiose Foto eines Panhard von ca. 1908 vorgestellt:
Diese Aufnahme, welche auch in der Literatur ihresgleichen sucht, verschafft einem einen denkbar klare Vorstellung vom Erscheinungsbild eines Panhard&Levassor jener Zeit.
Ich muss wirklich nicht eigens beschreiben, worin die Übereinstimmungen zwischen den beiden Fahrzeugen bestehen, das sehen Sie selbst. Nur ein Panhard besaß eine solche Kühlerpartie.
Im Fall des Fotos aus Karlsbad liefert das Datum der Postkarte – August 1909 – einen Hinweis auf die spätestmögliche Entstehung des dort abgebildeten Wagens. Ich würde ihn anhand einiger Details auf 1908/09 datieren.
Hilfreich ist dabei der Besitz des Standardwerks zur Marke Panhard von Bernard Vermeylen (Panhard & Levassor entre Tradition et Modernité).
Das Werk ist natürlich in französischer Sprache verfasst – aber herrje, wenn man die Handhabung komplexer elektronischer Gerätschaften mit hunderte Seiten umfassenden Anleitungen lernen kann, dann kann man sich zur Abwechslung wenigstens Lesekompetenz in einer eher einfachen europäischen Fremdsprache aneignen.
Andere Sprachen sind der Schlüssel zum Denken und Fühlen, dem Werteverständnis und Weltbild anderer Völker – es lohnt sich, auch einmal Zeit darin zu investieren.
Wenn man nach Karlsbad fährt, kommt man natürlich auch mit Deutsch durch. Aber warum nicht die Gelegenheit nutzen, sich zumindest ein paar tschechische Höflichkeitsformeln anzueignen, bevor man gleich mit der teutonischen Tür ins Haus fällt?
Die „Carlsbader“, welche vor über 100 Jahren Gäste aus aller Welt beherbergten, bemühten sich schließlich auch darum, diesen das Leben sprachlich möglichst leicht zu machen.
Bei der Gelegenheit: Ich kann mich noch an einen Aufenthalt in Karlsbad vor rund 25 Jahren erinnern – ich besitze sogar ein versilbertes Tablett des „Hotel Bristol“ mit Aufschrift „Carlsbad“, das ich dort damals in einem Antiquitätengeschäft gekauft habe.
Aber ich weiß nicht mehr genau, wo in Karlsbad diese schöne Aufnahme entstanden ist – vielleicht kann es einer von Ihnen aus dem Ärmel schütteln, verehrte Leser:
Nachtrag: Die Aufnahme entstand vor der Kulisse des monumentalen „Kaiserbads“, welches sich heute noch genau so darbietet.
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.