Jetzt wird’s wirklich spannend! Presto Typ D 9/30 PS

Es gibt deutsche Vorkriegswagen, die man schon so oft gesehen hat, dass man bei Erwähnen der bloßen Typbezeichnung Gefahr läuft, bestenfalls ein wohlwollendes Gähnen zu ernten.

Das ist jedenfalls das Risiko in meinem Blog, in dem das „Volumenmodell“ D 9/30 PS des sächsischen Herstellers Presto zu den häufigsten Gästen gehört. In der Presto-Galerie finden sich inzwischen Dutzende zeitgenössischer Abbildungen davon.

Dabei war der von 1921-25 gebaute, technisch konventionelle Vierzylinderwagen damals eines der attraktivsten Autos am deutschen Markt, jedenfalls in optischer Hinsicht.

Der messerscharf zulaufende Spitzkühler stellte selbst die Exemplare von Daimler und Benz in den Schatten, wobei die schnittige Frontpartie durch spitz endende und nach hinten lang auslaufende Vorderkotflügel noch weiter akzentuiert wurde:

Presto Typ D 9/30 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

An diesem bislang noch nicht vorgestellten Exemplar aus der Sammlung von Leser Matthias Schmidt (Dresden) erkennt man außerdem die fünf kiemenartigen Luftauslässe in der Motorhaube, die sich an den meisten Prestos des Typs D 9/30 PS finden.

Als Stückzahl für diesen Wagen gibt es nur Schätzungen, die sich auf einige tausend belaufen. Genau weiß es wohl niemand, allerdings unterstützt die auffallend große Zahl der überlieferten Fotos die Annahme, dass die Produktion für deutsche Verhältnisse tatsächlich beträchtlich gewesen sein muss. Bloß überlebende Autos davon sind äußerst rar.

Die meisten Abbildungen zeigen – wie für damalige Wagen typisch – klassische Tourenwagenaufbauten mit ab der Frontscheibe völlig austauschbarer Gestaltung, drei Sitzreihen und dem für diese Fahrzeuggattung typischen leichten Verdeck, das auf den meisten Fotos niedergelegt war, so auch hier:

Presto Typ D 9/30 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Kleine Variationen gab es bei der Frontscheibe: Meist war sie senkrecht und vertikal geteilt, es finden sich aber auch Ausführungen mit ausstellbarer obererer Hälfte.

Ob man daran frühe und späte Versionen auseinanderhalten kann, ist mir nicht bekannt – es gibt keine hinreichend aussagefähige Literatur zu den Presto-Automodellen.

Wie kommt man angesichts dieses Befundes dazu „Jetzt wird’s wirklich spannend!“ auszurufen? Gut, mögen Sie jetzt sagen, unser Blog-Wart hat ja immerhin schon Exemplare des rasant wirkenden Sport-Tourers auf Basis des Presto Typ D aufgetan.

Dazu zählt unter anderem dieses Gerät, das hier am Ziel der ADAC-Winterfahrt in Garmisch-Partenkirchen im Februar 1925 zu sehen ist, also vor knapp 100 Jahren:

Presto Typ D 9/30 PS Sport-Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese leicht anmutende Ausführung des Presto ist auch in anderen Beispielen dokumentiert und scheint eine ab Werk verfügbare Karosserie als Sport-Tourer besessen zu haben.

Typisch ist hier vor allem das hochgelegene Trittbrett, welches Gewichtseinsparungen bei den Kotflügeln ermöglichte und den Wagen flacher wirken lässt als den ordinären Tourer. Darauf scheinen sich die Modifikationen beschränkt zu haben.

Sie finden weitere Exemplare davon in meiner Presto-Galerie. Einen wirklich spannenden Neuzugang hat mir dort jedoch erst kürzlich Leser und Sammlerkollege Jürgen Klein ermöglicht.

Er hat nämlich eine Karosserieversion auf Basis des Typs D 9/30 PS aufgetan, die nun wirklich speziell ist. Sie ist mir noch nirgends begegnet, dabei stellt sie keineswegs die Bastelarbeit irgendeines begabten Dorfspenglers dar, ganz im Gegenteil.

Wenn Sie bis hierher durchgehalten haben, werden Sie jetzt hoffentlich ebenfalls feststellen: „Das ist nun wirklich spannend!“:

Presto Typ D 9/30 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Jürgen Klein

Auch wer bislang meinte, in Sachen Presto Typ D 9/30 PS schon alles gesehen zu haben, wird hier fasziniert sein.

Und diejenigen, welche in dieser Hinsicht noch Novizen sein, werden schon einmal zufrieden feststellen, dass sie diesen schneidig auftretenden Wagen spontan als Presto D-Typ identifiziert hätten. So habe ich auch einmal angefangen…

Doch erst die nicht so vertraut anmutenden Details sind es, welche dieses Fahrzeug so speziell und spannend machen, wie ich finde.

Schauen Sie sich einmal die Heckpartie an – sie fällt nach hinten sanft ab, wie man das damals eher bei amerikanischen Rumbleseat-Roadstern findet. Zudem scheint mir der Radstand merklich kürzer zu sein als beim Tourer oder dem Sport-Tourer.

Das kann täuschen, würde aber zu dem Versuch passen, dem Wagen die Anmutung eines der typischen 2-türigen US-Cabrios der 1920er Jahre zu geben, die damals weit moderner gestaltet waren als deutsche Autos.

Zum Vergleich hier ein Packard Single Six von 1922 mit ausgestelltem Schwiegermuttersitz („rumble seat“) im abfallenden Heck:

Packard Single Six, Modeljahr 1922; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Versuch, die Linie des Presto mit ein wenig Zierat aufzupeppen, hat sich in einer eigenwilligen Zierleiste niedergeschlagen, welche seitlich von der Frontscheibe die Motorhaube entlangläuft und nach vorne immer steiler abfällt.

Vermutlich sollte diese Linie spiegelbildlich mit dem gerundeten Heck korrespondieren. Wie diese Zieleiste technisch realisiert wurde, da die Frontpartie ansonsten vollkommen serienmäßig erscheint, das mögen uns beschlagenere Leser erklären.

Nicht unerwähnt bleiben soll ein letztes Detail, welches dieses Presto für mich zu so einem spannenden Gegenstand der Betrachtung machte, nämlich das Nummernschild.

Die Kennung „MI“ hatte ich bis dato noch nie gesehen und ich war geneigt, eine ausländische Zulassung dieses Presto in Erwägung zu ziehen.

Doch dann schaute ich in Andreas Herzbergs Standardwerk „Handbuch deutsche KfZ-Kennzeichen, Band 1, Deutschland bis 1945“, welches wie andere oft bemühte Klassiker in Reichweite liegen, während ich zu fortgeschrittener Stunde meine Blog-Einträge herunterschreibe.

Dort fand sich das einstige Herzogtum Mecklenburg-Schwerin als Zulassungsbezirk, der bis 1934 seine Eigenständigkeit beibehielt, bevor das Land Mecklenburg als neue Verwaltungseinheit entstand.

Noch mehr Spannendes vermag ich diesem Foto für heute nicht abzugewinnen, ich meine aber, das ist schon so eine ganze Menge.

Schließen möchte ich mit einem Blick auf die drei Herren, welche einst diesen Presto bevölkerten. Wie leider so oft wissen wir nichts über sie, außer dass von ihnen wie dem Presto nichts geblieben sein dürfte außer diesem Fetzen belichteten Papiers:

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „Jetzt wird’s wirklich spannend! Presto Typ D 9/30 PS

  1. Danke für die Einschätzung! Die Idee mit dem Ersatzrad ist überzeugend, auf jeden Fall scheint aber der Heckabschluss ein anderer zu sein als beim normalen Tourer. Die Vierradbremsen waren wie bei den meisten deutschen Wagen erst ab 1924/25 verfügbar, beim Presto anfänglich als Extra, zuletzt wohl serienmäßig.

  2. Also – dann kucken wir mal:
    Der mecklenburgische Presto trägt sicher eine individuelle Karosserie. Der Zierbogen auf der forderen Karosserihälfte fängt deutlich an der Unterkante der Bordleiste an und setzt sich als Randsicke des Windlaufes fort, der die Seitenteile überlappt. Auf der Haube setzt er sich als aufgenietete Messingleiste mit halbovalem Querschnitt fort. So machte man das damals.
    Als man Alumnium strangpressen konnte war es dann die weitaus kostengünstigere Lösung.und konnte evtl. auch blank poliert verbaut werden (wie bei den schönen und sehr gut schalldämmenden Holzkarosserien der DKWs.
    Was die Heckform anbelangt und dem Vergleich mit dem mächtigen Packard wäre ich nicht so sicher. Wenn man die Längenverhältnisse in der Perspektive beurteilt kommt man zum Schluß, daß das Klappverdeck deutlich hinter dem hinteren Radkasten endet, es sich also um einen Viersitzer handeln muß. Darunter sieht man deutlich die senkrecht verlaufende Linie des Karosserieabschlusses und da der Presto vorne keinen Platz für das riesige Ersatzrad hatte war es am Heck angehängt und ist als bogenförmige Fläche mit deutlich abgehobener Lauffläche
    (vermutlich unter einer Persenning) zu sehen.
    Wie bei den meisten Modellen der Zeit gab es sicher auch hier zwei Radstände. Der längere ist hier am ersten Bild zu sehen, bei dem sich der Chauffeur deutlich angewidert von dem kicksenden und kichernden Haufen W- Word, den er geladen hat, in seinen Mantelkragen zurückgezogen hatte! Das dritte Beispiel hatte demnach, wie sicher auch der Sportwagen, das kürzere Fahrgestell.
    Immer wieder erstaunlich ist die Sorglosigkeit, mit der die Zeitgenossen mit ihren genagelten Ledersohlen auf ihren Autos rumkletterten !
    Übrigens kommt auch bei diesem Modell der technische Fortschrit in der Einführung von Vorderradbremsen während der Bauzeit zum Ausdruck.

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