Neues von der Insel: Morris Cowley „Flatnose“

Bei meinem täglichen Nachrichtenkonsum, der sich meist auf das Lesen von Schlagzeilen beschränkt, um zu wissen, was gerade heiß gehandelt wird, bevor es dem nächsten Aufreger Platz macht, ist mir über die Jahre eines aufgefallen:

Vielsagend ist es nämlich, wenn bestimmte Regionen ganz übergegangen werden, als ob sie nicht existierten. Wann etwa hat man das letzte Mal etwas über die Verhältnisse in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt gelesen – also Japan?

Kann es sein, dass es von dort nichts zu berichten gibt, an dem sich der gemeine Journalist hierzulande in besserwisserischer Absicht abarbeiten kann? Kann es sein, dass man dort eine ganze Menge Probleme einfach nicht hat bzw. mit den vorhandenen gut klarkommt, etwa der Alterung der Bevölkerung?

So scheint es sich auch mit Großbritannien zu verhalten. Das Land steckt in ähnlichen strukturellen Schwierigkeiten wie die Nachbarn auf dem Festland – und doch scheint es auf der Inseln an Dingen zu mangeln, auf die man besonders hämisch deuten könnte.

Das Ausscheiden aus der von Deutschen und Franzosen dominierten EU – und damit die Zurückgewinnung der Souveränität über die eigenen Geschicke – scheint bei den Briten von zu erwartenden Reibungsverlusten abgesehen nicht die üblen Folgen gezeitigt zu haben, welche sich der beleidigte Brüsseler Beamtenadel so sehnlich gewünscht hatte.

Nachdem der Untergang Britanniens ausgeblieben ist, wird das Land in der hiesigen Berichterstattung mit Nichtbeachtung gestraft. Zu groß ist dann trotz ökonomischer Herausforderungen der Kontrast zum wirklich kranken Mann Europas – Deutschland.

Um dem blinden Fleck in der Berichterstattung etwas entgegenzuhalten, will wenigstens ich heute von „der Insel“ berichten und zugleich eine Brücke zum Kontinent schlagen.

Ausgangspunkt meiner Betrachtung ist diese schöne Aufnahme, welche Kenner natürlich sofort richtig einsortieren werden, jedenfalls was die Herkunft des Autos betrifft:

Morris Cowley „Flatnose“ Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zwar wirkt die Frontpartie mit dem kantigen Kühlergehäuse, den schmalen Haubenschlitzen und dem auffallend kurz gehaltenen Vorderkotflügel einigermaßen markant.

Doch den einzigen klaren Hinweis gab mir letztlich nur die ungewöhnliche Zahl der Radbolzen – nämlich drei an der Zahl.

An einem Wagen der Mittelklasse würde man normalerweise mindestens deren vier erwarten, doch ein britischer Hersteller meinte vor rund 100 Jahren hier sein eigenes Süppchen zu kochen und beschloss entgegen dem Konsens, dass es auch drei tun.

Die Rede ist von der Firma Morris, die ab 1919 ihr Modell „Oxford“ mit dem als „Bullnose“ bekannten Rundkühler und ebendiesen drei Radbolzen erfolgreich auf dem Markt platzierte. Wie Citroen und Fiat machte man sich dabei das Vorbild der US-Autobauer zunutze, um relativ preisgünstige und doch robuste Wagen in großen Stückzahlen zu fertigen.

Motorenseitig beschränkte man sich im Fall des Basismodells „Cowley“ auf einen konventionellen Vierzylinder mit 1,5 Litern Hubraum. Wem der Sinn nach mehr Leistung stand, musste auf den darüber angesiedelten Morris „Oxford“ ausweichen, der auch mit einem 1,8 Liter-Aggegat erhältlich war.

Einen in äußerlicher Hinsicht bedeutenden Einschnitt gab es beim Morris Cowley 1926 mit dem Wechsel zum Flachkühler – volkstümlich „Flatnose“ genannt.

Mit so einem überarbeiteten Exemplar haben wir es auf dem eingangs gezeigten Foto zu tun. Wo dieses aufgenommen wurde, muss offen bleiben. Der Maschendrahtzaun im Hintergrund könnte ein Hinweis auf Deutschland sein, aber das erscheint abwegig, oder?

Keineswegs und das ist die eigentliche Überraschung des heutigen Blog-Eintrags!

Denn offenbar waren die Beziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland während der bis 1931 reichenden Produktionszeit des Morris „Cowley“ so gut, dass es sogar zum Export dieses Modells in unser damals automobilistisch akut unterversorgtes Land kam.

Ich muss zugeben, dass mir das gar nicht bekannt war – bis mir Leser Jürgen Klein eine digitale Kopie dieses schönen Fotos aus seiner Sammlung zukommen ließ:

Morris Cowley „Flatnose“ Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Jürgen Klein

Hier sieht man nicht nur den erwähnten Flachkühler in Verbindung mit den typischen drei Radbolzen, sondern auch ein deutsches Nummernschild aus dem Rheinland sowie einen Cabriolet-Aufbau, der mir stark nach einem deutschen Karosseriehersteller aussieht.

Dieses Ergebnis britisch-deutscher Zusammenarbeit gefällt mir gut – und man wünschte sich, dass es dabei geblieben wäre und nicht die totalitären Tendenzen in Deutschland den friedlichen und fruchtbaren Austausch mit „der Insel“ zunichtegemacht hätten…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

5 Gedanken zu „Neues von der Insel: Morris Cowley „Flatnose“

  1. Bevor die englischen „F(l)acharbeiter“ daran gingen, die englische Automobilindustrie durch Streiks und miese Arbeit zu zerstören, waren englische Gebrauchswagen von Austin, Morris usw. extrem robust und langlebig konstruiert und gebaut – denn die Fahrzeuge mussten ja auch in den Kolonien Dienst tun – bei Kälte, Hitze, Regen und Sturm, gelenkt und gewartet von angelernten Einheimischen. Die Autos waren nie „super“-Fortschrittlich oder von hoher Leistung, aber sehr zäh im Nehmen.
    Der Austin 7 als Lizenz von Dixi wurde ja auch der erste BMW.

  2. Wie (fast) immer profitiere ich von Herrn Weigolds kenntnisreichen Technik-Ausflügen – danke wieder einmal für diese Ergänzung meiner Sicht der Dinge.

  3. Um nicht die zugegeben Schlagzeilen – unterfütterten Privatphilosophien unseres Blog- warts zu prolongieren (und die Auswirkungen Schlagzeilen- gespeister Meinungsbildung beim Großteil unserer Bildzeitungslesenden Bevölkerungsteile, bzw ihrer digitalen Konkurrenz beurteilen zu wollen) wende ich mich dem heutigen Objekt unserer eindeutig rückwärtsgewandten
    Obsession zu:
    Die für deutsche Konstrukteurs- Mentalität immer schon anrüchig fahrlässige Befestigung der Autoräder mittels dreier Radbolzen wurde in Deutschland nie praktiziert ‐ bis zum smarten
    Stadtfloh des Schweizer Uhrmachers.
    Sollte der im Physikunterricht am besten aufgepasst haben?
    Man lernt dort: Dreipunkt- Lagerung ist „statisch bestimmt“
    , bei vieren wirds schon kippelig.
    Also, warum nicht 3 Radbolzen zur sebstzentrierenden Befestigung eines runden, drehenden Bauteils? Das Vertrauen in die gebotene Sorgfalt des Monteurs in Kombination mit der durch die bereits besprochene Rechts-/
    Linksgewinde- Anwendung, die der Lösetendenz durch die Fahrdynamik entgegenwirkte,
    war ja auch in Frankreich über
    Jahrzehnte „staatstragend“.
    Und die Kalkulatoren der Hersteller fühlten sich auch wohler damit !
    Etwas verunglückt wirkt die besitzanzeigende Geste des „rechter Fuß auf dem Trittbrett“
    durch den dafür deutlich zu kurz geratenen Herrn der Schöpfung !

  4. Die Karosserie des Morris Cabriolets wurde wahrscheinlich von Karmann gebaut, sie ist identisch mit Karosserien, die Karmann auf Adler Standard 6 chassis gebaut hat.

    Viele Grüße
    Alex

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