Nach drei Tagen Hochsommer haben die Hitze-Hysteriker die erhoffte Abkühlung bekommen: Tagsüber um die 18 Grad und immer wieder Regen, so präsentiert sich der Juli derzeit in meiner Heimatregion – der hessischen Wetterau zwischen Taunus und Vogelsberg.
Mir passt das Ganze gar nicht, denn ich hatte mich gerade daran gewöhnt, beim Fahren mit offenem Fenster geföhnt zu werden und bei der Gartenarbeit die Kleidung durchzuschwitzen – beides nach meinem Gusto als der Sonne und dem Leben draußen zugewandter Geist.
Während die bessere Hälfte schon wieder zu langärmeligen Oberteilen greift, reagiere ich trotzig und wende mich heute gezielt tropischen Gefilden zu. Der geografische Ort meines Ausflugs in die automobile Vergangenheit ist zwar das Gegenteil von dem, was ich als Reiseziel gutheißen würde, aber das kann den Chronisten nicht abhalten.
So geht es diesmal ins ferne Indien in eine Gegend, wo man sich als Mitteleuropäer schon eher mit dem Klima schwertut, wenn man sich Temperatur und Feuchte vergegenwärtigt.
Und dennoch hielten sich dort lange Zeit freiwillig die Briten auf, die sich einst berufen fühlten, ihre kleine Insel als Mittelpunkt der Welt zu betrachten und von dort global in die Verhältnisse fremder Völker hineinzuregieren, die ihnen nichts getan hatten und die schon über ihre eigene Herrschaftsschicht verfügten.
Immerhin scheint Indien nach der Abschüttelung der Fremdherrschaft inzwischen ökonomisch einen Rang ereicht, welcher es immer mehr Menschen dort erlaubt, mit ganz neuem Selbstbewusstsein auf die einstigen Unterdrücker zu schauen.
Ich kann es nicht beweisen, aber ich könnte mir vorstellen, dass es den Chefs der indischen Tata Group eine Genugtuung war, den beiden 2008 erworbenen urbritischen Marken Jaguar und Landrover auf Modellebene die Traditionslinie zu kappen.
Man ist nicht mehr auf das Erbe der einstigen Kolonialherren angewiesen und kann heute nach Belieben darüber verfügen – das scheint mir die Botschaft zu sein.
So sehr ich die englische Autohistorie schätze, so sehr gönne ich es den Indern, dass sich sich auch auf diesem Sektor „freigeschwommen“ haben. Sie haben das Zeug dazu, es China nachzumachen und Europa vorzuführen, dass es bestenfalls noch als Museum taugt.
Dagegen hätte ich nichts, wenn ich nicht leise Zweifel daran hegte, dass wir selbst das nicht mehr hinbekommen. Egal, dann muss man selbst das tun, was in seinen Möglichkeiten liegt – und sei es nur in der Dokumentation der Vorkriegsautohistorie anhand alter Fotos.
Man macht schöne Entdeckungen dabei, auch wenn man dafür – so paradox es klingt – bisweilen ins indische Kalkutta des Jahres 1936 reisen muss, so ist es jedenfalls auf der Rückseite dieses Fotos überliefert:

Angeblich ist die Aufnahme auf dem Grund des Botanischen Gartens der Millionenstadt entstanden, die heute international als Kolkata bezeichnet wird.
Die bereits im 18. Jh. entstandene Anlage gehört zu den eher wenigen Sehenswürdigkeiten Kalkuttas. Jedoch konnte ich das im Hintergrund zu sehende zweistöckige Gebäude nicht identifizieren, obwohl der Botanische Garten noch einzelne Bauten der Kolonalzeit beherbergt, darunter das verwunschene Roxburgh House.
Der Holzbau mit Welblechdach hinter dem Auto könnte eine Stallung gewesen sein. Sicher ist aber, dass auf dem Trittbrett Klein-Helga sitzt, deren mutmaßlich deutschsprachige Eltern es in der Vorkriegszeit nach Indien verschlagen hatte, vielleicht waren sie Diplomaten.
Das Auto, das hier als Kulisse dient, war indessen ein Fahrzeug für einkommensmäßig „kleine Leute“ – ich konnte den Wagen als Morris „Minor“ von ca. 1932 identifizieren. Das 1928 als Konkurrent des legendären Austin „Seven“ eingeführte Modell war ein Wagen der 800ccm-Klasse und leistete je nach Motorenversion (OHC oder Seitenventiler) rund 20 PS.
Das Auto wurde stetig weiterentwickelt und war ab Sommer 1933 serienmäßig mit hydraulischen Bremsen und mit hydraulischen Stoßdämpfern ausgestattet – für einen Wagen dieser Klasse bemerkenswert wie das synchronisierte 4-Gang-Getriebe.
Da auf unserem Foto noch konventionelle Reibungsstoßdämpfer zu sehen sind (rechts neben dem Nummernschild), ist eine Entstehung um 1932 anzunehmen, was durch die Gestaltung von Kühler und Kotflügeln unterstützt wird.
Vermutlich durch das Klima bedingt hatten sich zwischen den Glasflächen der Frontscheibe Flecken ausgebreitet, die zweifelhaft erscheinen lassen, ob dieser Wagen zum Aufnahmezeitpunkt im Frühjar 1936 noch im Straßenverkehr bewegt wurde.
Immerhin wies mich ein Mitglied meiner internationalen Vorkriegsautogruppe auf Facebook darauf hin, dass das numerische Kennzeichen zu einer Zulassung in Kalkutta passe.
Außer der Ansprache der zweitürigen Limousine als Morris „Minor“ von ca. 1932 ist für mich auf dieser Aufnahme einiges unklar. Wer war die kleine Helga und wurde das Foto wirklich am angegebenen Ort aufgenommen?
Es wäre nicht das erste Mal, dass solche handschriftlichen Angaben sich als unzuverlässig erweisen – sie wurden oft erst mit einigem zeitlichen Abstand vermerkt.
Das alles ändert nichts daran, dass es sich um ein schönes Zeitdokument handelt, das von längst vergangenen Abenteuern erzählt. Freuen wir uns also über das, was wir hier an Lebens- und Liebenswertem wahrnehmen und stören uns nicht an dem, was wir nicht wissen können – so wie auch sonst im Dasein…
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.