Klein-Helga in Kalkutta: Morris „Minor“ von 1932

Nach drei Tagen Hochsommer haben die Hitze-Hysteriker die erhoffte Abkühlung bekommen: Tagsüber um die 18 Grad und immer wieder Regen, so präsentiert sich der Juli derzeit in meiner Heimatregion – der hessischen Wetterau zwischen Taunus und Vogelsberg.

Mir passt das Ganze gar nicht, denn ich hatte mich gerade daran gewöhnt, beim Fahren mit offenem Fenster geföhnt zu werden und bei der Gartenarbeit die Kleidung durchzuschwitzen – beides nach meinem Gusto als der Sonne und dem Leben draußen zugewandter Geist.

Während die bessere Hälfte schon wieder zu langärmeligen Oberteilen greift, reagiere ich trotzig und wende mich heute gezielt tropischen Gefilden zu. Der geografische Ort meines Ausflugs in die automobile Vergangenheit ist zwar das Gegenteil von dem, was ich als Reiseziel gutheißen würde, aber das kann den Chronisten nicht abhalten.

So geht es diesmal ins ferne Indien in eine Gegend, wo man sich als Mitteleuropäer schon eher mit dem Klima schwertut, wenn man sich Temperatur und Feuchte vergegenwärtigt.

Und dennoch hielten sich dort lange Zeit freiwillig die Briten auf, die sich einst berufen fühlten, ihre kleine Insel als Mittelpunkt der Welt zu betrachten und von dort global in die Verhältnisse fremder Völker hineinzuregieren, die ihnen nichts getan hatten und die schon über ihre eigene Herrschaftsschicht verfügten.

Immerhin scheint Indien nach der Abschüttelung der Fremdherrschaft inzwischen ökonomisch einen Rang ereicht, welcher es immer mehr Menschen dort erlaubt, mit ganz neuem Selbstbewusstsein auf die einstigen Unterdrücker zu schauen.

Ich kann es nicht beweisen, aber ich könnte mir vorstellen, dass es den Chefs der indischen Tata Group eine Genugtuung war, den beiden 2008 erworbenen urbritischen Marken Jaguar und Landrover auf Modellebene die Traditionslinie zu kappen.

Man ist nicht mehr auf das Erbe der einstigen Kolonialherren angewiesen und kann heute nach Belieben darüber verfügen – das scheint mir die Botschaft zu sein.

So sehr ich die englische Autohistorie schätze, so sehr gönne ich es den Indern, dass sich sich auch auf diesem Sektor „freigeschwommen“ haben. Sie haben das Zeug dazu, es China nachzumachen und Europa vorzuführen, dass es bestenfalls noch als Museum taugt.

Dagegen hätte ich nichts, wenn ich nicht leise Zweifel daran hegte, dass wir selbst das nicht mehr hinbekommen. Egal, dann muss man selbst das tun, was in seinen Möglichkeiten liegt – und sei es nur in der Dokumentation der Vorkriegsautohistorie anhand alter Fotos.

Man macht schöne Entdeckungen dabei, auch wenn man dafür – so paradox es klingt – bisweilen ins indische Kalkutta des Jahres 1936 reisen muss, so ist es jedenfalls auf der Rückseite dieses Fotos überliefert:

Morris Minor von ca. 1932, Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Angeblich ist die Aufnahme auf dem Grund des Botanischen Gartens der Millionenstadt entstanden, die heute international als Kolkata bezeichnet wird.

Die bereits im 18. Jh. entstandene Anlage gehört zu den eher wenigen Sehenswürdigkeiten Kalkuttas. Jedoch konnte ich das im Hintergrund zu sehende zweistöckige Gebäude nicht identifizieren, obwohl der Botanische Garten noch einzelne Bauten der Kolonalzeit beherbergt, darunter das verwunschene Roxburgh House.

Der Holzbau mit Welblechdach hinter dem Auto könnte eine Stallung gewesen sein. Sicher ist aber, dass auf dem Trittbrett Klein-Helga sitzt, deren mutmaßlich deutschsprachige Eltern es in der Vorkriegszeit nach Indien verschlagen hatte, vielleicht waren sie Diplomaten.

Das Auto, das hier als Kulisse dient, war indessen ein Fahrzeug für einkommensmäßig „kleine Leute“ – ich konnte den Wagen als Morris „Minor“ von ca. 1932 identifizieren. Das 1928 als Konkurrent des legendären Austin „Seven“ eingeführte Modell war ein Wagen der 800ccm-Klasse und leistete je nach Motorenversion (OHC oder Seitenventiler) rund 20 PS.

Das Auto wurde stetig weiterentwickelt und war ab Sommer 1933 serienmäßig mit hydraulischen Bremsen und mit hydraulischen Stoßdämpfern ausgestattet – für einen Wagen dieser Klasse bemerkenswert wie das synchronisierte 4-Gang-Getriebe.

Da auf unserem Foto noch konventionelle Reibungsstoßdämpfer zu sehen sind (rechts neben dem Nummernschild), ist eine Entstehung um 1932 anzunehmen, was durch die Gestaltung von Kühler und Kotflügeln unterstützt wird.

Vermutlich durch das Klima bedingt hatten sich zwischen den Glasflächen der Frontscheibe Flecken ausgebreitet, die zweifelhaft erscheinen lassen, ob dieser Wagen zum Aufnahmezeitpunkt im Frühjar 1936 noch im Straßenverkehr bewegt wurde.

Immerhin wies mich ein Mitglied meiner internationalen Vorkriegsautogruppe auf Facebook darauf hin, dass das numerische Kennzeichen zu einer Zulassung in Kalkutta passe.

Außer der Ansprache der zweitürigen Limousine als Morris „Minor“ von ca. 1932 ist für mich auf dieser Aufnahme einiges unklar. Wer war die kleine Helga und wurde das Foto wirklich am angegebenen Ort aufgenommen?

Es wäre nicht das erste Mal, dass solche handschriftlichen Angaben sich als unzuverlässig erweisen – sie wurden oft erst mit einigem zeitlichen Abstand vermerkt.

Das alles ändert nichts daran, dass es sich um ein schönes Zeitdokument handelt, das von längst vergangenen Abenteuern erzählt. Freuen wir uns also über das, was wir hier an Lebens- und Liebenswertem wahrnehmen und stören uns nicht an dem, was wir nicht wissen können – so wie auch sonst im Dasein…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Krass, was „Cars“ bedeuten kann! Morris von 1933

Zurückgekehrt aus dem Süden, wo sich der Herbst von seiner schönsten Seite zeigt, stellte ich heute fest, dass mir zumindest der Sonnenschein gefolgt zu sein scheint.

Die Berge von Laub im Garten und die verbliebenen Rosenblüten stellen sich in warmem Licht ganz anders dar, auch wenn die Temperaturen nicht mehr ideal für ein kurzärmeliges Oberteil erschienen. Aber egal, solange man sich bewegt, wird es schon gehen.

Die Einstellung kann nicht allen Dingen eine neue Richtung geben, aber den Umgang mit ihnen beeinflussen. Über mir am Himmel zogen immer neue Schwärme von Wildgänsen, während ich Holz eines im letzten Jahr gefällten Baums kamingerecht zerkleinerte.

Irgendwann wurde es dann doch frisch und ich suchte mir andere Betätigung – nun in der einst als Kuhstall dienenden Halle mit massiven Ziegelmauern, die den Großteil meiner historischen Gefährte beherbergt und in der es noch etliche Grad wärmer ist als draußen.

Die Beschäftigung mit den Hinterlassenschaften der Vergangenheit ist es, welche einen davon bewahrt, den Verhältnissen der Gegenwart zuviel Macht über die eigene Befindlichkeit zu geben. Lässt man sich darauf ein, macht man erstaunliche Entdeckungen.

Darauf spielt der merkwürdig klingende Titel meines heutigen Blog-Eintrags an. In der Tat krass, was sich einem offenbart, wenn man auf einen Namen wie „Carshalton“ stößt und seiner Bedeutung nachgeht.

Klar, dass es dabei oberflächlich um „cars“ geht, wie man das hier erwarten würde, doch das Wort bedeutet im gegebenen Kontext etwas ganz anderes als „Autos“ auf englisch.

Dabei führt uns das folgende Foto an einen anderen Ort, wie er englischer kaum sein könnte. Zwar ist dieser seit den 1960er Jahren Teil von „Greater London“, doch historisch ist es ein Städtchen, das sich eine gewisse ländliche Anmutung bewahrt hat.

In besagtes „Carshalton“ transportiert uns dieses Foto aus den 1950er Jahren:

Morris von 1933; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die viertürige Limousine mit sechs Seitenfenstern ist unverkennbar britisch. Die Silhouette mit hohem Aufbau und schmaler Kühlerfront ist ein Merkmal vieler Automobile aus dem England der 1930er Jahre.

Schnell ist der Hersteller „Morris“ identifiziert und das Baujahr auf 1933 festgelegt. Offenbar war dieses Exemplar noch über 20 Jahre nach seiner Produktion in hervorragendem Zustand im Alltag unterwegs und die Chancen stehen gut, dass „GW 3793“ – das Nummernschild stand früher in England für die Identität eines Autos – noch heute existiert.

Viel interessanter fand ich aber, wo dieses Fahrzeug in den 1950er Jahren aufgenommen wurde. Die Ortsangabe „Carshalton Place“ verweist nämlich mitnichten auf einen Ort, wo es Autos geboten war anzuhalten, wie man vermuten könnte.

Tatsächlich transportiert uns diese Bezeichnung fast 1.000 Jahre zurück in die Zeit, als das bis dahin angelsächsisch geprägte England eine Kulturspritze in Form der Übernahme durch die neuen Herren aus der französischen Normandie erhielt.

Ursprünglich ging es dabei „nur“ um die englische Thronfolge, doch letztlich transformierten die Eroberer unter „William the Conqueror“ anno 1066 das bis dato von eher primitiven germanischen Stämmen beherrschte England binnen kürzester Zeit.

Eines der beeindruckendsten Zeugnisse des Herrschaftswillens, aber vor allem der organisatorischen Kompetenz der romanisierten „Normannen“ ist das bereits 1086 fertiggestellte „Domesday Book“.

Dabei handelt es sich um ein bis ins Detail jedes Hofes vollständiges Kataster Britanniens, in dem fast 13.500 Orte mit rund 270.000 Haushalten aufgeführt sind – das einzige erhaltene Werk dieser bis heute atemberaubenden Präzision aus dem Mittelalter.

In dem Werk aus dem späten 11. Jh. erscheint auch Carshalton – womit die Verbindung zu dem Morris hergestellt ist. Das Domesday Book hält fest, dass es in der winzigen Ortschaft „Aulton“ eine Kirche, eine Mühle, eine handvoll Haushalte und zehn Pflüge gab.

Die frühe Bezeichnung Aulton setzte sich zusammen aus Aul für Wasser und ton für Ort (vgl. „town“, „Zaun“ usw.). Etwas später findet sich für das Dorf die Bezeichnung „Cresaulton“, die auf das französische Wort für „Kresse“ zurückgeführt wird.

Krass, was eine fast tausendjährige Quelle über den Aufnahmeort dieses Morris offenbart:

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Neues von der Insel: Morris Cowley „Flatnose“

Bei meinem täglichen Nachrichtenkonsum, der sich meist auf das Lesen von Schlagzeilen beschränkt, um zu wissen, was gerade heiß gehandelt wird, bevor es dem nächsten Aufreger Platz macht, ist mir über die Jahre eines aufgefallen:

Vielsagend ist es nämlich, wenn bestimmte Regionen ganz übergegangen werden, als ob sie nicht existierten. Wann etwa hat man das letzte Mal etwas über die Verhältnisse in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt gelesen – also Japan?

Kann es sein, dass es von dort nichts zu berichten gibt, an dem sich der gemeine Journalist hierzulande in besserwisserischer Absicht abarbeiten kann? Kann es sein, dass man dort eine ganze Menge Probleme einfach nicht hat bzw. mit den vorhandenen gut klarkommt, etwa der Alterung der Bevölkerung?

So scheint es sich auch mit Großbritannien zu verhalten. Das Land steckt in ähnlichen strukturellen Schwierigkeiten wie die Nachbarn auf dem Festland – und doch scheint es auf der Inseln an Dingen zu mangeln, auf die man besonders hämisch deuten könnte.

Das Ausscheiden aus der von Deutschen und Franzosen dominierten EU – und damit die Zurückgewinnung der Souveränität über die eigenen Geschicke – scheint bei den Briten von zu erwartenden Reibungsverlusten abgesehen nicht die üblen Folgen gezeitigt zu haben, welche sich der beleidigte Brüsseler Beamtenadel so sehnlich gewünscht hatte.

Nachdem der Untergang Britanniens ausgeblieben ist, wird das Land in der hiesigen Berichterstattung mit Nichtbeachtung gestraft. Zu groß ist dann trotz ökonomischer Herausforderungen der Kontrast zum wirklich kranken Mann Europas – Deutschland.

Um dem blinden Fleck in der Berichterstattung etwas entgegenzuhalten, will wenigstens ich heute von „der Insel“ berichten und zugleich eine Brücke zum Kontinent schlagen.

Ausgangspunkt meiner Betrachtung ist diese schöne Aufnahme, welche Kenner natürlich sofort richtig einsortieren werden, jedenfalls was die Herkunft des Autos betrifft:

Morris Cowley „Flatnose“ Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zwar wirkt die Frontpartie mit dem kantigen Kühlergehäuse, den schmalen Haubenschlitzen und dem auffallend kurz gehaltenen Vorderkotflügel einigermaßen markant.

Doch den einzigen klaren Hinweis gab mir letztlich nur die ungewöhnliche Zahl der Radbolzen – nämlich drei an der Zahl.

An einem Wagen der Mittelklasse würde man normalerweise mindestens deren vier erwarten, doch ein britischer Hersteller meinte vor rund 100 Jahren hier sein eigenes Süppchen zu kochen und beschloss entgegen dem Konsens, dass es auch drei tun.

Die Rede ist von der Firma Morris, die ab 1919 ihr Modell „Oxford“ mit dem als „Bullnose“ bekannten Rundkühler und ebendiesen drei Radbolzen erfolgreich auf dem Markt platzierte. Wie Citroen und Fiat machte man sich dabei das Vorbild der US-Autobauer zunutze, um relativ preisgünstige und doch robuste Wagen in großen Stückzahlen zu fertigen.

Motorenseitig beschränkte man sich im Fall des Basismodells „Cowley“ auf einen konventionellen Vierzylinder mit 1,5 Litern Hubraum. Wem der Sinn nach mehr Leistung stand, musste auf den darüber angesiedelten Morris „Oxford“ ausweichen, der auch mit einem 1,8 Liter-Aggegat erhältlich war.

Einen in äußerlicher Hinsicht bedeutenden Einschnitt gab es beim Morris Cowley 1926 mit dem Wechsel zum Flachkühler – volkstümlich „Flatnose“ genannt.

Mit so einem überarbeiteten Exemplar haben wir es auf dem eingangs gezeigten Foto zu tun. Wo dieses aufgenommen wurde, muss offen bleiben. Der Maschendrahtzaun im Hintergrund könnte ein Hinweis auf Deutschland sein, aber das erscheint abwegig, oder?

Keineswegs und das ist die eigentliche Überraschung des heutigen Blog-Eintrags!

Denn offenbar waren die Beziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland während der bis 1931 reichenden Produktionszeit des Morris „Cowley“ so gut, dass es sogar zum Export dieses Modells in unser damals automobilistisch akut unterversorgtes Land kam.

Ich muss zugeben, dass mir das gar nicht bekannt war – bis mir Leser Jürgen Klein eine digitale Kopie dieses schönen Fotos aus seiner Sammlung zukommen ließ:

Morris Cowley „Flatnose“ Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Jürgen Klein

Hier sieht man nicht nur den erwähnten Flachkühler in Verbindung mit den typischen drei Radbolzen, sondern auch ein deutsches Nummernschild aus dem Rheinland sowie einen Cabriolet-Aufbau, der mir stark nach einem deutschen Karosseriehersteller aussieht.

Dieses Ergebnis britisch-deutscher Zusammenarbeit gefällt mir gut – und man wünschte sich, dass es dabei geblieben wäre und nicht die totalitären Tendenzen in Deutschland den friedlichen und fruchtbaren Austausch mit „der Insel“ zunichtegemacht hätten…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

In Berlin 1925 eine Rarität: Morris Oxford „Bullnose“

Britische Vorkriegsautos sind auf diesem Oldtimerblog bislang nur vereinzelt besprochen worden. Das hat keineswegs mit einer Abneigung des Verfassers zu – der fährt nämlich selbst Wagen von der Insel.

Der Grund ist ein anderer: Wir erschließen uns hier die Welt der Vorkriegsautos hauptsächlich anhand zeitgenössischer Originalfotos, die einst im deutschen Sprachraum gemacht wurden.

Dieser Ansatz hat den Charme, dass so ein annähernd repräsentatives Abbild davon wiederersteht, was einst auf unseren Straßen und im benachbarten Ausland unterwegs war.

Während sich dabei für die 1920er Jahre eine bemerkenswerte Präsenz von US-Wagen – selbst von Exotenmarken – abzeichnet, sind britische Autos kaum anzutreffen. 

Da in der Zwischenkriegszeit jedoch andere europäische Marken wie Fiat und Citroen beachtliche Absatzerfolge auf dem deutschen Markt für Klein-und Mittelklassewagen erzielen konnten, muss das fast völlige Fehlen englischer Fahrzeuge einen besonderen Grund haben.

An den technischen Qualitäten kann es nicht gelegen haben – immerhin gab der britische Austin Seven sogar das Vorbild für die Lizenzfertigung bei Dixi in Eisenach ab, die später erfolgreich von BMW fortgeführt wurde.

Vermutlich waren die Erzeugnisse der britischen Autoindustrie aufgrund des starken Pfunds auf dem Kontinent schlicht zu teuer.

In Frankreich, das neben Deutschland am meisten unter den Folgen des 1. Weltkriegs litt, scheinen britische Marken ebenfalls keine nennenswerten Marktanteile gehabt zu haben.

Dabei hatten die Engländer auch jenseits von Luxusmarken wie Bentley, Lagonda oder Rolls-Royce einiges zu bieten – dieses Modell beispielsweise:

Morris Oxford „Bullnose“, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der erste Gedanke beim Anblick war tatsächlich „Morris Bullnose“ – doch dann fiel der Blick auf die Insassen, die alles andere als britisch wirken, und das Nummernschild mit dem Kürzel „IA“, das im Raum Berlin ausgegeben wurde.

Ein Morris mit Berliner Zulassung und deutscher Besatzung? Highly unlikely!

Also geriet die Aufnahme erst einmal in Vergessenheit, bis beim Blättern in Nick Georganos Riesenwerk „The Complete Encyclopedia of Motorcars“ der Blick wieder auf einen Bullnose-Morris der 1920er Jahre fiel.

„Mmh, vielleicht ist’s ja doch einer.“ Also das Foto hervorgekramt, eingelesen und Beschädigungen – soweit möglich – retuschiert. Und siehe da: Alles passt zu einem Morris Oxford „Bullnose“ der 1920er Jahre.

Markant neben dem Rundkühler, den es auch bei zeitgenössischen Wagen aus dem Hause Bellanger Frères gab, ist die Abfolge von vier Luftschlitzen in der Motorhaube und fünf weiteren vor der A-Säule.

Zur Geschichte des Modells: Wie viele Autohersteller ging Morris auf einen Zweiradproduzenten zurück, in unserem Fall auf William Morris aus der englischen Universitätsstadt Oxford.

Dort baute Morris ab 1913 sein erstes Auto, das bereits den charakteristischen Rundkühler trug, der ihm den Namen „Bullnose“ eintrug. Der Wagen mit seinem 1,1 Liter-Motor, der gut 16 PS leistete, wurde rasch für seine Elastizität und Steigfähigkeit gepriesen.

Das von White & Poppe zugekaufte Aggregat erlaubte es, aus Schrittgeschwindigkeit im höchsten Gang ruckfrei zu beschleunigen – probieren Sie das mal mit einem modernen Kleinwagen…

Dem kleinen Zweisitzer wurde ein Viersitzer zur Seite gestellt, der über einen 26 PS starken 1,5 Liter Motor von Continental verfügte. Das als „Cowley“ bezeichnete Modell war die Grundlage für den Morris Oxford „Bullnose“ der Nachkriegszeit.

Kurioserweise wurde dann ab 1919 das Einstiegsmodell als „Cowley“ bezeichnet, während nun der „Oxford“ über die großzügigere Ausstattung verfügte. Die charakteristische „Bullnose trugen beide weiterhin.

1923 stieg der Hubraum des Morris Oxford auf 1,8 Liter und die Leistung auf 30 PS. Ab 1925 besaß das Modell Vierradbremsen – wie der Morris auf unserem Foto.

Damit können wir den Wagen recht genau datieren, denn schon 1926 wurde der Morris Oxford nach über 150.000 Bullnose-Exemplaren nur noch mit Flachkühler gebaut.

An die Mitte der 1920er Jahre denkt man auch, wenn man in die Gesichter der immerhin sechs Insassen plus Schoßhund schaut:

Außer diesem schönen Foto, das einen glücklichen Moment vor über 90 Jahren festhält, wird nicht viel geblieben sein – auch der Morris wird längst den Weg alles Irdischen gegangen sein.

Vielleicht ist es auch die Konfrontation mit der Vergänglichkeit, die die Beschäftigung mit Zeugen der Technikgeschichte so reizvoll macht. Was mag von unserem Tun und unseren Leidenschaften in 100 Jahren noch künden?

Wahrscheinlich weniger über x Formatänderungen gerettete Bilddateien als im Dunkeln aufbewahrte Abzüge und uralte Autos, die ab und zu den staunenden Nachfahren vorgeführt werden – vielleicht wieder mit Benzin aus der Apotheke betrieben wie zu Bertha Benz‘ Zeiten – denn Automobile tanken dann längst Wasserstoff. Vielleicht gibt es aber auch keine mehr, wer weiß…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author of this blog, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that full and clear credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.