Zylinderzuwachs bei Hansa: Ein HAG von 1906/07

Ungeachtet der Rückwärtsgewandheit der meisten meiner Interessen – die schon auch einmal einige Jahrtausende zurückreichen können – begebe ich mich in meinem Blog eher selten in die automobile Frühzeit.

Das liegt ganz gewiss nicht an mangelnder Zuneigung zu den ersten Motorwagen, welche den Weg für unsere heutige Mobilität ebneten. Nebenbei: wie alle wirklich bahnbrechenden Erfindungen war das Auto ganz und gar dem freien Markt zu verdanken.

Mit dem Abstand von weit über einem Jahrhundert und aus der Perspektive einer heillos überregulierten und von Planwirtschaft in die Irre geleiteten Ökonomie ist es faszinierend zu sehen, wie sich einst wie von Geisterhand die Kräfte von Technikern, Kapitalgebern und Vertriebsleuten koordinierten, um unseren Vorfahren eine neue Welt bis dato unbekannter Bewegungsfreiheit zu eröffnen.

So beschlossen anno 1905 zwei fortschrittlich und unternehmerisch denkende Herren im Oldenburgischen namens Allmers und Sporkhorst Automobile zu bauen – dazu wurde die Hansa Automobil-Gesellschaft gegründet.

Es ist nicht überliefert, dass sie dafür eine staatliche Stelle um irgendeine Form der Unterstützung baten oder sich für ihr Vorhaben in besonderer Weise rechtfertigen mussten. Sie taten es einfach, weil sie einen Absatzmarkt sahen und es sich zutrauten, trotz des Kapitalrisikos erfolgreich zu sein.

Tatsächlich präsentierte die Hansa Automobil-Gesellschaft – kurz HAG – schon ein Jahr später das erste fertigkonstruierte Fahrzeug – den HAG 7/9 PS. Wie viele der damals neu beginnenden deutschen Hersteller nahm man sich französische Wagen zum Vorbild, welche seinerzeit in den wichtigsten Belangen führend waren.

Dazu gehörte typischerweise, dass man als neuer Anbieter erst einmal bewährte Motortypen aus Frankreich zukaufte. Wohl am häufigsten waren das Aggregate von DeDion-Bouton – so auch im Fall des ersten Hansa, der als HAG 7/9 PS firmierte.

Ein solcher Wagen mit DeDion-Einzylinder-Motor ist in Halwart Schraders Klassiker „Deutsche Autos 1885-1920“ auf Seite 186 abgebildet – als offener Zweisitzer und anhand des „HAG“-Schriftzugs auf dem Kühlernetz klar als solcher ausgewiesen.

Der Zufall wollte es, dass mir Leser Klaas Dierks kürzlich ein Foto aus seiner Sammlung in digitaler Kopie zusandte, das auf den ersten Blick glatt denselben Wagen zeigen könnte:

HAG von 1906/07; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Die Perspektive, der Aufbau als Zweisitzer, das geöffnete Verdeck, die Zahl der Insassen und auch Details wie die Gestaltung der Kotflügel stimmen vollkommen überein.

Es war um die Mittagszeit, als mich dieses schöne Dokument erreichte. Wie meist in solchen Fällen ließ ich mich gern dadurch von der Arbeit abhalten, wenn auch nur kurz.

Ich war schnell der Überzeugung, dass es sich um den gleichen Typ handeln müssen, bloß das Kennzeichen unterscheide die beiden Wagen.

Die Gestaltung der Kotflügel – noch nicht in das Trittbrett übergehend, sondern weiter nach unten reichend genügte mir als Datierungshinweis – das fand sich ab 1908 bei deutschen Wagen kaum noch.

Mit der Bestimmung des Baujahrs 1906/07 lag ich wohl richtig, aber eines hatte ich in der Eile übersehen, worauf mich Klaas Dierks mit seinem Blick fürs Detail hinwies: Kühler und Haube bei seinem „HAG“ sind höher und: auf der Haubenoberseite sieht man eine der Abführung der Motorwärme dienende zusätzliche Klappe:

Daraufhin warf ich nochmals einen Blick in die Literatur: Tatsächlich wurden neben dem einzlindrigen HAG 7/9 PS frühzeitig auch eine stärkere Zweizylinderversion mit 10 PS Spitzenleistung angeboten, außerdem ein von Fafnir zugekaufter Vierzylinder mit 12 PS.

Da der Fafnir-Motor angeblich bereits 1907 durch einen von Hansa selbst gebauten Motor mit 14 PS abgelöst wurde, kommt man nicht umhin, bei diesem frühen Exemplar bereits einen nicht unwesentlichen Zuwachs an Zylindern und Hubraum zu vermuten.

Mangels Vergleichsdokumenten muss vorerst offen bleiben, was sich unter der Haube des HAG auf dem Foto von Klaas Dierks verbarg.

Mit Genugtung festhalten dürfen wir aber zumindest, dass diese Aufnahme ein Novum darstellt und nun an erster Stelle meiner „Hansa“-Galerie steht – kein schlechtes Ergebnis gemeinsamer Altauto-Archäologie, meine ich…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Gedanke zu „Zylinderzuwachs bei Hansa: Ein HAG von 1906/07

  1. “ Emma, tut mal – aber richtig laut! Das der da vorne das auch hört !“ mag der Automobilist bei Gelegenheit seiner Angetrauten
    zugerufen haben….
    Die rechts in der Windschutz- Aufnahme steckende Tute deutet darauf hin, daß sie dafür zuständig war!
    Er bediente bei Bedarf dagegen bequem von Steuer aus den Gummiball der rechts angebrachten Huppe – die allerdings nur ein kurzatmiges, aufgeregtes “ Miip, Miip, Miip!“ ausstoßen konnte und somit zur Einleitung des Überholvorganges
    eines Ochsengespannes mit hochgeschichtetem Heufuder wenig geeignet war.
    Wir sehen an dem frühen Vorläufer der Isabella auch die von parallelogramm- förmigem Federmechanismus getragenen Seitenleuchten, die aber zur Erleuchtung einer nächtlichen Wegstrecke wenig geeignet waren, da in ihnen nur eine Stearinkerze brannte, deren von Reflektor-Spiegel vervielfachten Schein kaum über die Külerverschraubung hinausreichte . Am Heck des Gefährtes sehen wir einen offenbar beleuchtbaren Nummernschildkasten.
    Doch wozu dient bloß der massive Fleischerhakenartige
    Halter mit dem nach oben gerichteten flachgeschmiedeten
    Ende?
    Wir ahnen es bereits in dem Zusammenhang: Das ist die Auf- nahme des – einzigen – Acetylen- Strahlers, der hier bei Nachtfahrten aufgesteckt werden kann und ansonsten gut verwahrt in einem Holzkasten mit Samtausschlag im Stauraum unter der Sitzbank ruht.
    Über eine Gummischlauch -Leitung vom Gas- Entwickler wird dann auch der Brenner für die Kennzeichenbeleuchtung gespeist.

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