Heute nehme ich es mal nicht so buchhalterisch genau – denn es werden keine Luftschlitze oder Speichen gezählt, keine Radstände abgeschätzt und es wird keine Datierung alten Blechs auf ein, zwei Jahre genau versucht.
Heute lässt mich das alles kalt – ganz hippiemäßig komme ich mir vor, wenn ich mich dem preußischen Arbeitsgebot unbedingter Präzison verweigere und frech behaupte: „Ach was, Hauptsache die Richtung stimmt!“
Daran schuld ist aber weder die Freigabe von Cannabis in haushaltsüblichen Mengen – die Lösung eines dringenden „Problems“, an dem sich wahre Regierungskunst zeigt – oder gar eine fundamentale Wandlung in meinen Prioritäten.
Zugegeben, nachdem die Wochen seit Jahrebeginn beruflich aufreibender waren als sonst und die Sonne fast nie zu sehen war, kann es sein, dass ich ein wenig müder bin als sonst, wenn ich zu später Stunde noch einen Eintrag im Blog angehe.
Aber der eigentliche Grund für meine ungewohnte Großzügigkeit ist ein anderer.
So kann ich mir nicht merken, wie man die Modelle II und V der österreichischen Qualitätsschmiede Steyr aus der ersten Hälfte der 1920er Jahre auseinanderhält.
Und das obwohl Leser und Markenspezialist Thomas Billicsich es mir schon einigemal erklärt hat. So wird er wohl auch diesmal einschreiten müssen und auf den Unterschied der beiden Typen hinweisen – wenn ich mich recht entsinne, kam es auf den Kühlergrill an:

Wie gesagt, mir genügt es vollkommen, hier einen prächtigen Steyr-Tourer der frühen 20er mit dem markanten Emblem am Spitzkühler zu sehen – das leichte Motorrad am Bildrand gefällt mir nebenbei auch.
So ein Dokument ist ganz nach meinem Geschmack – ich würde sagen: Die Richtung stimmt.
Apropos Richtung: Diese schöne Ansicht reiste im Juli 1931 als Postkarte nach Bremen – auch diese Richtung stimmt, wie ein geschätzter anderer Leser sicher bestätigen wird.
Allerdings zieht es mich aktuell doch in genau die gegenteilige Richtung und zwar eine, die für mich immer stimmt – auch wenn ich dabei eine andere Route bevorzuge.
Das Foto entstand nämlich auf halber Strecke zwischen Innsbruck und dem Brennerpass, welcher bekanntlich nach Italien führt. Die Römer bauten um 200 nach Christus die erste befestigte Straße über den Brenner, womit man einigermaßen kommod von Verona nach Augsburg reisen konnte – oder umgekehrt, was ich schon damals bevorzugt hätte.
Am Aufnahmeort gab es im 4. Jahrhundert eine römische Straßenstation, deren Name Matreium lautete. Er hat sich bis in unsere Tage erhalten – dort findet sich heute das Straßendorf Matrei am Brenner.
Allerdings sollte man in diesem Fall landläufige Vorstellungen von einer Dorfansicht vergessen, denn Matrei präsentiert sich trotz gewohnt „schonender“ US-Bombenangriffe kurz vor Kriegsende im März 1945 mit prachtvollen Bürgerhäusern, welche für mich wieder einmal die Frage aufwerfen, welche Berufe moderne Architekten eigentlich erlernt haben:
Angesichts dieser Szenerie ist mir nun wirklich völlig gleichgültig, ob der Steyr ein Typ II oder V war – denn die Richtung stimmt so oder so: Entweder zeigt seine Kühlerfront in Richtung Italien oder unser Blick geht dorthin.
Und das ist das Entscheidende: dass die Richtung stimmt. Denn unzufrieden mit den Fortschritten des Frühlings in hessischen Gefilden geht es morgen gen Süden über die Alpen. Dass ich dabei wie gewohnt den Gotthardpass nehme – geschenkt.
Das wussten schon unsere barbarischen Vorfahren, die es am Ende der Antike nach Italien drängte: Ob Brenner oder Gotthard – Hauptsache, die Richtung stimmt!
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Na dann wünsche ich eine gute Reise. Ich hoffe, die Reise nach Italien belebt deine Lebensgeister Michael, auch wenn die Zeiten dieser Reisen für mich immer einen kalten Entzug bedeuten. Nicht im Hinsicht auf das Cannabis sondern auf den Nachschub von tollen Oldtimerfotos und den passenden Berichten dazu.
Wirklich eine schöne Aufnahme!
Man wünscht sich, auf dem Weg nach Süden seinen Oldie auf der beschatteten Straßenseite abgestellt zu haben um , gut verborgen hinter dem „Straßenbegleitgrün“ zu sitzen und eine Nudelsuppe und danach ein Wienerschnitzel oder einen Kaiserschmarrn zu genießen und nebenbei die Steyrerwog’n zu zählen, die währenddessen vorbeikommen!
Ich möchte nebenbei den Blick unseres blog-Warts auf den letzten und wohl grandiosesten Steyr- Wagen , den 220er lenken
der so gut und modern war (in Technik, Handhabung und Fahrleistungen), daß er insbesondere bei den hohen SS – Chargen (wie R. Höss, dem berüchtigten ersten Auschwitz- Kommandant) als Dienstwagen eingesetzt waren.
Kürzlich bekam ich ein (amerikanisches) Buch “ Die Holocaust Chronik“ , in dem ein Bild eines jungen Russen, den Judenstern hinten auf dem Mantel, der einen dunklen 220er
wäscht.
Verschiedentlich taucht in Publikationen auch das Bild auf,
Das die Heckpartie eines hellen 220ers (eindeutig das charakteristische geteilte Heckfenster) zeigt, dessen Auspuffgase ….
Ja, auch diesem Aspekt unserer rückwärtsgewandten Obsession
muß bisweilen unser Blick gelten!