Der Sieg(er) gehört den Frauen: Dodge „Victory“

„Ha, jetzt knickt er auch schon ein, unserer Verteidiger der vielleicht letzten Männerdomäne – des Vorkriegswagens, dessen Bau, Beherrschung und Bewahrung ganze Kerls erfordert“.

Wie kann er nur den Frauen widerstandslos den Sieg zusprechen, wo sie doch längst alles erobert haben, außer letzten Refugien der Männlichkeit: Schraubergaragen, Autobahnbaustellen, Bergwerken und (Karriere-Geheimtipp!) der Müllabfuhr?

Doch keine Sorge, auch heute bleibt die Welt intakt, in der Frauen aussehen wie Frauen und sich dabei auch noch wohlfühlen, und den Buben gern die gefährlichen, dreckigen und lauten Tätigkeiten überlassen und sich anderen wichtigen Arbeiten widmen.

Vor rund 100 Jahren gab es außerhalb von Büro, Labor, Geschäft und Schule wenig, worin emanzipierte Frauen den Männern gern den Rang streitig machen wollten. Natürlich gab es absurde Hindernisse, was die weibliche Berufsausübung anging, wobei Deutschland auch in der Hinsicht besonders rückständig war und bis in die Nachkriegszeit blieb.

Aber größere Beschwerden wurden meines Wissens nicht artikuliert, was das Erobern von typischen Männerdomänen angeht – Erscheinungen wie die Fliegerinnen Amelia Earhart oder Elly Beinhorn blieben beeindruckende Ausnahmen.

Der Sieg war klugen Frauen zumindest im aufgeklärten Teil der Welt ohnehin sicher, denn sie wussten und wissen dort zu herrschen, wo es darauf ankommt.

Bertha Benz war ein gutes Beispiel. Ihr bräsiger Gatte kam in weltentrückter Tüftlermanier einfach nicht auf den Markt mit seiner Erfindung, während sie ihre im Unternehmen versenkte Mitgift bei weiterem Zaudern in akuter Gefahr sah.

Kurzerhand unternahm sie 1888, ohne den Alten auch nur zu fragen, mit ihren beiden Söhnen die erste Fernfahrt im Automobil – der Rest ist Geschichte. Für mich ist sie die wahre Erfinderin des unschätzbaren Freiheitsbringers auf vier Rädern.

Um Frauen dieses beeindruckenden Formats, die kein verhuschtes Heimchen am Herd waren und dennoch vollkommen weiblich blieben – äußerlich wie charakterlich – ist der heutige Blog-Eintrag gewidmet. Dabei werden wir sehen: Der Sieg(er) war ihrer!

Vielleicht erinnern sich einige Leser an dieses schöne Beispiel:

Dodge Victory Six „Brougham“ von 1928; aufgenommen 1931; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese Dame aus der „besseren“ Gesellschaft in New Jersey gehörte zweifellos zu den Gewinnerinnen – gemessen jedenfalls am Alltagsschicksal des weit überwiegenden Teils ihrer Geschlechtsgenossinnen in Deutschland beispielsweise.

Nicht nur der Pelzmantel und die Schoßhunde erzählen von einem Leben ohne materielle Sorgen, auch der Wagen steht im wahrsten Sinne des Worts dafür, „es“ geschafft zu haben.

Denn hier haben wir ein besonders elegantes Exemplar des Modells „Victory“ von Dodge aus dem Jahr 1928. Mit 60 PS-Sechszylindermotor und hydraulischen Bremsen war das zwar nach amerikanischen Maßstäben ein ordinärer Mittelklassewagen, aber vielleicht handelte es sich um einen Zweitwagen, also „ihr“ persönliches Auto.

Zur selben Zeit in Deutschland war so ein Dodge Victory Six wie jedes vollwertige und fernreisetaugliches Automobil der pure Luxus. Daher dürfen wir vermuten, dass auch diese Hamburger Damen – groß und klein – auf der gesellschaftlichen Gewinnerseite standen:

Dodge Victory Six „Sedan“ von 1928; aufgenommen 1934; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses Exemplar – nun mit Limousinenaufbau – habe ich gemeinsam mit der „Brougham“-Ausführung hier vorgestellt.

Daher will ich es an dieser Stelle dabei belassen, an die typische Gestaltung der Luftschlitze in der Motorhaube hinzuweisen – nur leicht geneigt und in Gruppen zu je vier zusammengefasst mit Ausnahme der letzten.

Dieser Hinweis genügt, um auch den Wagen auf dem nächsten Foto als Dodge „Victory“ ansprechen zu können, auch wenn vor lauter Frauensvolk kaum etwas davon zu sehen ist.

Diesen Damen gehörte der Sieg ganz, zumindest auf den Dodge „Victory“ gemünzt. Sie geben sich entsprechend selbstbewusst und wissen zudem ganz genau, wo es langgeht:

Dodge Victory Six „Sedan“ von 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich würde diese Damen, die so gar nicht nach unterdrückten und benachteiligten Wesen aussehen, irgendwo in Südosteuropa verorten – vielleicht in Rumänien.

Die auf schlechte oder auch gar keine Straßen ausgelegten, robust verarbeiteten und leicht zu reparierenden US-Fabrikate wurden dort gern gefahren – in Skandinavien ebenso. Deutsche Autos waren die Ausnahme, sie waren zu teuer und auch nicht in hinreichender Zahl verfügbar. Der riesige Markt in Europas Osten blieb selbst von Opel weitgehend unbeackert.

„Schau‘ doch, da hinten kommt her“ – so könnte die junge Frau ganz rechts ausgerufen haben. Endlich hatte ihr Gatte in ein neues Gefährt investiert, nunmehr einen Achtzylinder. Denn als das Foto entstand, war der Dodge „Victory Six“ der späten 20er Jahre längst von gestern und musste einem anderen Sieger der Autoentwicklung weichen.

So vollzieht sich auch das Schicksal von uns Menschen. Nichts bleibt, wie es ist, die Welt dreht sich weiter und vitalere Kräfte machen das Rennen, ob man diese mag oder nicht.

Nicht auf die Verliererseite zu geraten, darauf kommt es an, und Siegertypen zugeneigt zu sein, dazu zählt eines der vielen dem Überleben dienenden Talente der Frauen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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