Spurensuche: Beckmann-Automobile (1914-1920)

Die letzten Tage herrschte Funkstille in meinem Blog. Mehr Arbeit am Bildschirm, als den Augen auf Dauer guttut und über lange Zeit aufgestaute Müdigkeit veranlassten mich dazu, nicht auch noch des nachts vor dem Rechner zu sitzen.

Ich habe die Abende jedoch dazu genutzt, über die Weiterentwicklung meines Blogs nachzudenken. Dies ist klar: Die Dokumentation von Vorkriegswagen anhand alter Fotos wird fortgesetzt und die Markengalerien werden weiter vervollständigt.

Künftig will ich wechselnde Akzente setzen. Dazu zählt die Präsentation von Bildern, deren schiere Schönheit es wert macht, sie dem Publikum zugänglich zu machen.

Verstärkt will ich Unterschiede in der Ausführung bekannter Modelle besprechen und Schlüsse daraus ziehen. Nicht zuletzt plane ich Gegenüberstellungen von Fahrzeugen, um Tendenzen aus verschiedenen Ländern oder von konkurrierenden Herstellern zu veranschaulichen.

Genuss und Gewinn an Erkenntnis sollen gezielter in den Fokus rücken. Von beidem kann der Mensch nie genug haben und auch an Gegenständen der Historie lässt sich lernen – mitunter besser als durch den Konsum flüchtiger Gegenwartsphänomene.

Was könnte dazu besser passen als eine neue Folge der Spurensuche in punkto Beckmann-Automobile, die ich mit Christian Börner – Urenkel von Paul Beckmann – unternehmen darf?

Wer das Gefühl hat, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der die Geschichte an Fahrt aufnimmt, nachdem sie im Kalten Krieg jahrzehntelang fast stillstand, der mag auch die Phase interessant finden, die wir heute in Sachen Beckmann angehen.

Denn nun schlittern wir mit der Breslauer Firma ins Jahr 1914 und damit in den 1. Weltkrieg hinein. Christian Börner spricht von einem Schicksalsjahr und das in doppelter Hinsicht.

Zum einen begann durch politische Dummheit auf deutscher Seite und auf Konfrontation angelegte Bündnisse europäischer Staaten die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts.

Ich möchte der heute differenziert diskutierten Kriegsschuldfrage hier keinen Raum geben – schockierend bleibt die Bereitschaft auf allen Seiten, nach den ersten Schlachten ihre männliche Jugend weiter gnadenlos zu opfern.

Christian Börner stellt dazu fest, dass nach anfänglichem Hurra die Ernüchterung auf seiten derer nicht lange auf sich warten ließ, die in den Schützengräben jeden Tag einem russischen Roulette entgegensahen, welches Verhandlungen nahegelegt hätte.

Man ist in solchen Zeiten geneigt, auch andere Schläge als schicksalhaft zu empfinden – so den Tod von Paul Beckmann am 14. September 1914:

Anzeige zum Gedenken an den Tod von Paul Beckmann, 1914; via Christian Börner

Dazu weiß Christian Börner folgendes zu berichten:

„Am 14. September 1914 starb Paul Beckmann im Alter von 48 Jahren an einem Herzschlag. Von einer Stunde auf die andere war die Firma führungslos, denn seine drei Kinder (19, 17, 16) waren noch nicht volljährig. Sie waren fortan zwar „Fabrikbesitzer“ zu gleichen Teilen, doch das Sagen im Unternehmen hatte ein Treuhänder. Dieser wurde zugleich der Vormund der Kinder; die Ehe von Paul und dessen Frau Marie war bereits 1903 geschieden worden.

Paul Beckmann war nicht nur der Fabrikbesitzer und Produzent gewesen, sondern auch der Spiritus Rector der Firma, also der Chefstratege und Entwickler.“

Hier haben wir ihn auf einem zeitgenössischen Porträt, auf dem ich einen selbstbewussten, der Zukunft zugewandten und zugleich nachdenklich-feinsinnigen Charakter sehen möchte:

Paul Beckmann; Foto via Christian Börner

„Zeitgleich zu dem Verlust der Führungsfigur Paul Beckmann wurde der Firma die unternehmerische Freiheit fast ganz entzogen. Weite Teile der Produktion mussten auf kriegstaugliche Kraftwagen und Ersatzteile umgestellt werden, Privatverkäufe von Automobilen wurden nahezu unmöglich.

Eine Abwicklung des Betriebs wurde abgewendet, da der Betrieb als kriegswichtig eingestuft wurde. Für die männliche Belegschaft hatte das den Vorteil, dass sie vor der Einladung zum russischen Roulette – also: Kriegsdienst – mehrheitlich verschont wurde.

Dass sich besagter Treuhänder zulasten der wehrlosen Familie Beckmann in jener Zeit selbst bereicherte, spielte damals keine Rolle und blieb für ihn folgenlos. Das hehre Kriegsziel stand wie in solchen Fällen üblich über den Interessen des Einzelnen.“

Ein Jahr später – anno 1915 – sehen wir Beckmann ganz in das Kriegsgeschehen hineingezogen – hier am Beispiel eines Tourers des Typs 10/30 PS im polnischen Kielce, damals zum russischen Reich gehörend:

Beckmann 10/30 PS; aufgenommen 1915 in Kielce (Ostfront)

Diese Aufnahme ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, als sie illustriert, dass keineswegs jeder auf auf deutscher Seite im 1. Weltkrieg genutzter PKW mit ovalem Kühleremblem automatisch ein Opel gewesen sein muss.

Ich will nicht wissen, wieviele solcher Beckmann-Wagen auf alten Fotos irrtümlich als Rüsselsheimer Fabrikat fehlidentifiziert worden sind, was zu dem falschen Eindruck beigetragen haben mag, sie seien sehr selten und nur von lokaler Bedeutung gewesen.

Wir waren im Jahr 1915 stehengebleiben, doch während sich an den Kriegsfronten wenig bewegte außer den weiter ins Gigantische steigenden Gefallenen-, Verwundeten-, Verstümmelten- und Vermisstenzahlen, tat sich etwas in Breslau.

Denn Ende des Jahres wurde Paul Beckmanns ältester Sohn Otto – der Großonkel von Christian Börner – 21 Jahre alt und damit nach damaligem Recht volljährig.

Kurzerhand übernahm Otto Beckmann die Firmenleitung, auch wenn er nach den Worten von Christian Börner nicht das technische und geschäftliche Talent seines Vaters besaß.

Freilich ist festzustellen, dass auch andere deutsche Autofirmen unter den Bedingungen des 1. Weltkriegs kaum Fortschritte im Hinblick auf die zivile Fahrzeugentwicklung machten.

Dazu wieder Christian Börner: „Als nach Kriegsende wieder Autos für private Käufer produziert werden konnten, gab es in deutschen Landen für große, luxuriöse Automobile nur einen begrenzten Markt. Für größere Abnehmerkreise geeignete und kostengünstige Kleinwagen bot kaum ein heimischer Hersteller an, auch Beckmann nicht.

Zudem hatten die deutschen Automobilfirmen produktionstechnisch den Anschluss verloren, insbesondere an amerikanische Hersteller. Als in Europa der 1. Weltkrieg gerade erst begonnen hatte, lief bei Ford bereits die Fließbandproduktion des legendären T-Modells.“

Während nach 1918 in Europa Fiat und Citroen die Zeichen der Zeit erkannt hatten und auf Großserienproduktion umstellten, ließ sich in Deutschland zunächst nur Brennabor vom US-Vorbild inspirieren – Opel folgte später.

Allerdings bot der hiesige Markt nach dem 1. Weltkrieg auch kein großes Absatzpotential. Das ist unter anderem daran ersichtlich, dass damals tausende ehemalige Kraftfahrzeuge des deutschen Heeres ins Ausland verkauft wurden.

Hier ein Foto aus meiner Sammlung, das um 1920 entstanden sein dürfte und Tourenwagen zeigt, die noch das einstige deutsche Hoheitszeichen auf der Flanke tragen (Nachtrag: Leser Klaas Dierks weist darauf hin, dass es sich um privat genutzte Fahrzeuge handelte, die ausweislich der Nummernschilder weiterhin Eigentum des deutschen Militärs waren):

Tourenwagen aus Heeresbestand um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie gesagt: Der Markt für Automobile war im damaligen Nachkriegsdeutschland begrenzt, sodass Exporte nicht mehr benötigter Militär-PKW zur Erzielung dringender Deviseneinnahmen erfolgten.

Dazu weiß Christian Börner sehr Interessantes zu berichten: „Im Rahmen diese Aktivitäten sind nach dem 1. Weltkrieg etliche Beckmann-Autos nach Schweden gelangt. Das ergab die Recherche des schwedischen Automobil-Historikers Pär Sörliden, der durch unsere Beckmann-Spurensuche motiviert Kontakt mit mir aufgenommen hat.“

Dazu werden wir hier gelegentlich noch Näheres berichten – Herr Börner macht es spannend, was mir gefällt, denn in Sachen Vorkriegsautos haben wir alle Zeit der Welt.

Nur dies sei an dieser Stelle noch festgehalten: Wann genau man in Breslau nach dem 1. Weltkrieg die Fabrikation von Automobilen für zivile Käufer aufgenommen hat, ist nicht genau bekannt.

Ich vermute, dass sich einige deutsche Fabrikate wie nach 1945 eine Weile mit allem Möglichen über Wasser gehalten haben, bevor ab 1920 wieder einigermaßen verlässliche Dokumente auf eine neu aufgenommene Autoproduktion hindeuten.

Im Fall von Beckmann kann Christian Börner mit einer Reklame aufwarten, welche einen Tourenwagen zeigt, der äußerlich ganz auf der nun modernen Linie liegt:

Beckmann Tourenwagen um 1920; Prospektabbildung via Christian Börner

Auch dieses Dokument hat für mich etwas Elektrisierendes. Denn nun sehe ich einige Fotos aus meiner Sammlung in einem anderem Licht.

Das gilt beispielsweise für diese Aufnahme, die 1921 auf dem Gelände von Schloss Klessen (?) entstand – das Foto und die Beschriftung auf der Rückseite geben ausreichend Anlass zu vertieften Betrachtungen und Diskussionen:

Deutscher Tourenwagen um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Könnte das vielleicht ein Beckmann des Nachkriegstyps 10/30 PS gewesen sein? Oder haben wir es mit einem der ab 1921 gebauten Modelle zu tun, die einen 8/32 PS-Motor besaßen, welcher von Basse & Selve zugekauft wurde?

Damals begann sich das Potenzial der Beckmann’schen Vorkriegsmodelle zu erschöpfen, wenngleich die Motorisierungen 8/24 PS und 10/30 PS bis 1924 verfügbar waren.

Wie schon öfters an dieser Stelle möchte ich den Aufruf wiederholen: Wer originale Dokumente zu Beckmann-Automobilen besitzt, möge diese Christian Börner und der Allgemeinheit zugänglich machen.

Die Marke Beckmann scheint weit größere Bedeutung gehabt zu haben, als es die nicht nur in dieser Hinsicht völlig veraltete Standard-Literatur zu deutschen Vorkriegsautos behauptet.

Wir leben in wahrlich bewegten Zeiten – nutzen wir die technischen Möglichkeiten der Gegenwart, um Bewegung in vermeintlich längst geklärte Gegebenheiten zu bringen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

5 Gedanken zu „Spurensuche: Beckmann-Automobile (1914-1920)

  1. Beckmann war nicht der einzige Hersteller, der die Modernisierung und Rationalisierung nicht hinbekam – sowas kostete verdammt viel Geld, das man nicht hatte, und bei den geringen Stückzahlen der kleinen deutschen Hersteller oft auch unmöglich. In konventioneller Manufaktur-Fertigung schrumpfte der Verdienst, oft bis unter Null. Ohne „großzügige“ Geldgeber ging da nix, siehe Auto-Union mit DKW, Audi, Horch und Wanderer.

  2. Besten Dank, Herr Börner, Korrektur ist erfolgt! Gute Erholung auf Sylt. Sie bekommen dieser Tage noch Post in Sachen Umbrien von mir.

  3. Hallo,
    wieder einmal ein sehr interessanter Blog-Beitrag. Nur eine kleine Korrektur dazu: Bei den mit „N“ gekennzeichneten Fahrzeugen mit Reichsadler an den Seiten handelt es sich nicht um private Kfz, sondern nach wie vor um militärische Dienstfahrzeuge, die hier, kurz nach Kriegsende, auch von Zivilisten für einen Ausflug genutzt werden. Einen ersten Hinweis geben die beiden „bemützten“ Soldaten in Uniform (links Bluse m1915). Wesentlich eindeutiger ist aber das Kennzeichen mit dem Buchstaben „N“, das im Rahmen einer der Nachfolgeorganisationen des kaiserlichen Heeres, der Vorläufigen Reichswehr, auf Befehl des Kriegsministeriums am 19.03.1919 veröffentlicht und für die im nördlichen Teil des Reiches und dem angrenzenden Ausland (Nordosten) agierenden mobilen Truppen der Vorläufigen Reichswehr eingeführt wurde. Es gab zudem noch das „S“ für „Süden“ und „L“ für Lüttwitz, einem damaligen kommandierenden General.
    Die Adler wurden als Hoheitszeichen des Deutschen Reiches wohl nnoch bis Mitte 1919 auf der Karrosserie belassen. Die oben angeführten Buchstaben wurden 1923 zu Gunsten der Buchstaben „RW“ für Reichswehr ersetzt. Wir haben also deutsche Fahrzeuge für das deutsche Heer ab 03/1919 bis geschätzt etwa Frühling 1920 vor uns.
    Einen schönen Gruß,
    KD

  4. Lieber Herr Schlenger, gerade in einem Miniurlaub auf Sylt erwacht, lese ich mit großer Freude „unseren Gemenschaftsblog“. Es ist für mich wieder ein Genuß wahrzunehmen, was Sie aus meiner Vorlage gezaubert haben. Danke!.
    Eine Kleinigkeit möchte und muss ich jedoch geraderücken, denn sie betrifft meine Abkommenschaft: Otto (jun.) Beckmann ist nicht mein Großvater sondern mein Großonkel. Ich stamme von seiner zwei Jahre jüngeren Schwester Erna ab.
    Aber sonst ist alles paletti.

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