Heimlich nochmal zu Besuch in Köln: Minerva

Eine merkwürdige Überschrift – wieso sollte die altrömische Göttin Minerva ausgerechnet in Köln ein Geheimnis aus ihrer Rückkehr nach 2000 Jahren machen?

Immerhin hatte man zu ihren Ehren im 1. Jh. n. Chr. dort einen Tempel errichtet, wie sich das für eine römische Stadt gehört – denn Minerva repräsentierte die antike Dreifaltigkeit gemeinsam mit Jupiter und Juno und residierte standesgemäß im Kapitol.

Auf den Fundamenten steht noch heute in Köln die romanische Kirche St. Maria im Kapitol – eines von unzähligen Beispielen für die Kontinuität antiker Sakralorte.

Dergleichen Lokalitäten sind von großem Reiz, jedenfalls für mich.

Ein Beispiel habe ich vor einiger Zeit hier gezeigt, als es um den Fiat 1100 ging: Im umbrischen Assisi – einem der selbst für mich alten Heiden magischsten Orte der Christenheit – hat sich der Minerva-Tempel sogar mit seiner wunderbaren Fassade erhalten:

Fiat 1100 in Assisi; originale Postkarte der 1930er Jahre aus Sammlung Michael Schlenger

Wenn Minerva in der wunderbar erhaltenen Pilgerstadt in Umbrien solche Pracht entfaltet, weshalb sollte sie dann aus ihrer Präsenz am Niederrhein ein Geheimnis machen?

Natürlich steht uns Sterblichen nicht zu, über das Schalten und Walten der Gottheiten zu sinnieren. Manche antiken Philosophen vertraten sogar die Auffassung, dass es sie zwar geben mag, sie sich aber für das Treiben der Menschen gar nicht interessieren.

Damit ließe sich eine Menge erklären, was sich in der Geschichte zugetragen hat, was einen an der Existenz einer uns zugetanen und allmächtigen Gottheit zweifeln lässt.

Doch was Minerva betrifft, lassen sich sogar fotografische Beweise für die Existenz bis in die jüngere Vergangenheit anführen:

Minerva in Brügge; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der aufgeklärte bzw. automobilgläubige Leser weiß natürlich, dass hier die Rede von der belgischen Luxusmarke Minerva ist. Hier sehen wir ein Exemplar auf heimatlichem Grund in Brügge vor der atemberaubenden Kulisse des rund 700 Jahre alten „Belfried“.

Meisterhafte Bauten wie dieser mittelalterliche Ausweis von Bürgerstolz – bewusst als Kontrapunkt zur bis dato übermächtigen Kirche gesetzt – lassen selbst die großartigen technologischen Schöpfungen der Neuzeit bisweilen lächerlich klein erscheinen.

Diesen Eindruck müssen wir korrigieren, speziell wenn es sich um einen Minerva handelt – einst die großartigste der vielen belgischen Marken, von denen man in den sehr von sich eingenommenen Gefilden rechts des Rheins heute kaum etwas weiß.

Darum geben wir diesem Minerva-Exemplar – eventuell ein kurz nach dem 1. Weltkrieg beleuchtungstechnisch modernisiertes Modell – hier eine angemessenere Bühne:

Bitte prägen Sie sich bitte anhand dieses Dokuments das markentypische Profil des oberen Kühlerabschlusses ein, sofern dieses nicht ohnehin bereits verinnerlicht ist – den einen oder anderen Anlass habe ich in meinem Blog schon geboten.

Nun verlassen wir das prächtige Brügge und machen uns ins ernüchternde moderne Köln auf, das vom Bombenkrieg und dem sogenannten Wiederaufbau schwer verheert wurde.

Der mächtige Dom hat mit seiner schieren Masse und Stabilität vergleichsweise geringe Zerstörungen erfahren und gehört für mich neben dem Römisch-Germanischen Museum zu den genau zwei Gründen, diese Stadt noch aufzusuchen.

Auch die einst dort beheimatete Minerva fühlt sich dort nicht mehr so zuhause wie das einst der Fall war. Doch stieß ich zufällig auf ein Foto der zweiten Hälfte der 1920er Jahre, das von einem heimlichen Besuch in der einstigen Römerstadt kündet.

Vordergründig geht es dabei um einen Opel des Typs 4/16 PS (oder 4/20 PS) aus Hamburg:

Opel 4/16 oder 4/20 PS in Köln; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auf der Rückseite dieses alten Abzugs war als Aufnahmeort Köln vermerkt und tatsächlich lassen sich rechts oben die Strebepfeiler des südwestlichen Abschlusses des Langhauses des Doms identifizieren.

Viel interessanter als diesen Besucher aus dem Norden fand ich indessen einen anderen, welcher auf diese Aufnahme zufälligerweise mit abgelichtet wurde.

Zwar nicht aus dem sonnigen Süden, dafür aber aus dem fernen Schlesien angereist war ein anderer Gast, wie das Kennzeichen „IK“ verrät:

„Minerva“ werden jetzt die aufmerksamen unter meinen Lesern angesichts der Kühlerform ausrufen und vielleicht werden sie von diesem Zeugnis eines sonst unbemerkt gebliebenen Besuch in der alten Römerstadt ebenso gerührt sein wie ich.

Aus Breslau war dieser Minerva einst angereist – über 800 km in fast perfekter öst-westlicher Richtung – über die Heimatstadt meiner Mutter, Liegnitz, das damals noch unzerstörte Dresden, dann Chemnitz, wo die Presto-Wagen entstanden, Eisenach, wo man Dixis baute, dann Oberhessen, wo automobiltechnisch leider nichts geschah.

Hatte die römische Göttin diesen Umweg gewählt, um unerkannt noch einmal heimlich in den Ort zu gelangen, an dem sie einst verehrt wurde? Oder bestand eine persönliche Verbindung der Besitzer zum nahen Belgien, wo der Wagen einst gebaut wurde?

Leider wissen wir nichts darüber, aber immerhin findet sich so durch Zufall – oder göttliche Fügung – eine Überleitung zum nächsten Blog-Eintrag. Der wird sich nämlich wieder mit der Breslauer Automarke Beckmann befassen.

Dass wir das hier in aller Ausführlichkeit tun können, lässt einen doch fast an die Vorsehung glauben. Minerva – die Athena der alten Griechen und treue Beschützerin des irrenden Odysseus – wäre mir jedenfalls sympathisch…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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