Souvenir aus Italien: Ein „Enigma“-Tourer um 1912

Über eine Woche ohne Blog-Eintrag – mir ist bewusst, dass dies für einige meiner Leser eine arge Beeinträchtigung ihrer Alltagsroutinen darstellt.

Ich kann zu meiner Entschuldigung nur vorbringen, dass ich diese Woche brauchte, um mich von einem arbeitsintensiven Jahresauftakt zu erholen, der sich wider Erwarten bis April hinzog.

Dann waren die Batterien erst einmal leer und mussten durch intensive Betrachtung solcher Szenerien in Italien wieder aufgeladen werden:

Valle Umbra bei Spello, Mai 2024; Originalfoto: Michael Schlenger

Eine ordinäre Aufnahme, wie sie jedem im Mai in Mittelitalien gelingt – der Klatschmohn ist dann allgegenwärtig, auch in intensiv bewirtschafteten Gebieten.

Warum diese Pracht, von der mir noch meine Eltern erzählten, in beackerten deutschen Gefilden kaum noch in dieser Fülle zu sehen ist, kann vielleicht ein Leser erklären.

Dass die bisweilen noch mit deutscher Arroganz belächelten Italiener auch sonst vieles besser machen in ihren alten Kulturlandschaften, durfte ich auf der 2-stündigen Fahrt durch die kerngesunden und windindustriefreien Laubwälder feststellen, die den Weg von der Autobahnabfahrt „Cesena Nord“ bis in die Valle Umbra hinein säumen.

Die Probleme, für die minderwertige und standortfremde Nadelbäume bei uns sorgen, sind dort praktisch nicht vorhanden – obwohl die Bau- und Brennholzwirtschaft in Italien sehr intensiv ist.

Wer sich wie ich gern mit dem Rad in den umbrischen Wäldern herumtreibt, sieht sich vom „germanischen“ Baum schlechthin förmlich umzingelt – der Eiche. Sollten die barbarischen Horden aus dem Norden am Ende der Antike doch irgendetwas anderes als sinnlose Zerstörung bewirkt haben? Nein, mitgebracht und hinterlassen haben sie praktisch nichts.

Als teutonischer Nachfahr der Neuzeit spürt man noch denselben Drang nach Süden. Doch diesmal kommt man in Bewunderung dessen, was man vorfindet und wünscht sich, ein wenig zu seinem Erhalt beitragen zu können.

Dazu gehören auch die Zeugnisse der italienischen Automobilbaukultur, welche in einem Land florierte, das – vom Norden abgesehen – lange von großer Armut geprägt war. Mein eigener Beitrag in praktischer Hinsicht beschränkt sich zwar auf einen Fiat 1100 von 1964 und einen Innocenti „Mini t“ von 1967, doch auf dem Papier kann ich mehr bieten.

Als Beispiel möchte ich heute dieses schöne Souvenir aus Italien vorstellen:

Italienischer Tourenwagen um 1912; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto, das irgendwo an einem Landhaus zwischen den Alpen und Sizilien entstand, lässt sich anhand der Kleidung der abgebildeten Personen auf die Zeit direkt vor dem 1. Weltkrieg oder kurz danach datieren.

Der Tourenwagen mit seiner beeindruckend dimensionierten Kühler- und Haubenpartie war zum Zeitpunkt der Aufnahme wohl schon einige Jahre alt.

Auf eine Entstehung vor dem 1. Weltkrieg deuten die gasbetriebenen Scheinwerfer hin. Bei Automobilen dieser Klasse wichen sie beginnend 1914 elektrisch betriebenen.

Der haubenförmig gestaltete „Windlauf“ zwischen Motor- und Innenraum taucht im Serienbau zwar erst ab 1910 auf, wurde aber oft auch bei älteren Modellen nachgerüstet, was die Typansprache und Datierung in solchen Fällen erschwert:

Die vom Mercedes-Vorbild inspirierte Form des Kühlers findet sich vor dem 1. Weltkrieg bei unzähligen europäische und amerikanischen Automobilen, sie hilft hier nicht weiter.

Begrenzt man die Betrachtung auf italienische Hersteller, kommen in der damaligen Zeit etliche Firmen in Frage. Neben Fiat sind heute weniger bekannte Marken wie beispielswiese Aquila, Diatto, Itala, Isotta-Fraschini, SCAT, SPA und Brixia-Zust in Betracht zu ziehen.

Zwar verfüge ich diesbezüglich über einschlägige Literatur wie „Le piccole grandi Marche Automobilistiche Italiane“ von Augusto Costantino (1983) und habe auch ausgiebig im Netz nach Entsprechungen gesucht.

Dennoch ist mir bislang keine eindeutige Identifkation gelungen. Den Vorschlag eines Mitglieds meiner Vorkriegsauto-Gruppe auf Facebook, das es sich um einen umkarossierten Austro-Daimler aus der Zeit vor 1910 handeln könne, sehe ich vorerst skeptisch.

So kam es, dass ich dieses Souvenir aus Italien bis auf weiteres als Rätselfall klassifizieren muss – daher die geheimnisvolle Ansprache im Titel als „Enigma“.

Nach wie vor meine ich, dass das unscharf wiedergegebene Kühleremblem in Verbindung mit der waagerecht verlaufenden Vorderachse den Schlüssel zur Lösung darstellt.

Nun sind Sie gefragt, verehrte Leser. Denn ich habe mich bereits einige Zeit an diesem Dokument ohne Erfolg abgearbeitet und habe noch anderes zu tun – nicht zuletzt, um im Blog wieder an die alte Schlagzahl anzuknüpfen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

3 Gedanken zu „Souvenir aus Italien: Ein „Enigma“-Tourer um 1912

  1. Ein kontroverses Thema – gewiss. Als Wetterauer Landei weiß ich selbst meine persönlichen Eindrücke beizusteuern und die sehen nun einmal so aus, dass im Unterschied zu anderen europäischen Ländern mit ebenso hochentwickelter Landwirtschaft (speziell geläufig sind mir Südengland, das Elsass und Mittelitalien) hier viel radikaler gegen Feldrandbewuchs, Kleingehölze, Hecken und Blumen vorgegangen wird. Das fällt mir schon seit langem deutlich auf, die Gründe dafür sind mir unklar. Gerade heute war ich mit dem Fahrrad hier in der Wetterau auf Feldwegen unterwegs, in einer der fruchtbarsten Gegenden Deutschlands. Entlang der Äcker und Wiesen war so gut wie keine blühende Pflanze zu sehen (von ein paar Rapsresten abgesehen). Wie gesagt, unsere Nachbarn machen es unübersehbar anders und ich meine, dass man hier durchaus Ursachenforschung betreiben sollte mit dem Ziel, schonender mit unseren schönen Kulturlandschaften umzugehen. An mangelnder Fläche oder Bodenqualität mangelt es bei uns definitiv nicht, wohl aber bisweilen am Bewusstsein, wie ich Gesprächen mit einheimischen Landwirten über die Jahre entnehmen konnte.

  2. Über den pauschalen und polemischen Kommentar des Herrn Weigold zum Thema Landwirtschaft bin ich sehr unglücklich. Er fordert von den Landwirten eine Arbeitsweise, wie sie zu der Zeit der Aufnahme des Tourenwagens üblich war. Seither hat sich aber bei den technischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht nur bei der Automobiltechnik sehr viel entwickelt.
    Um das Thema zu vertiefen ist dieser Blog allerdings der falsche Platz.

    Joachim Schmidt
    P.S. Die kenntnisreichen Anmerkungen von Herr Weigold zu automobilhistorischen Themen schätze ich sehr.

  3. Zu dem heute angebotenen Rätselobjekt aus früher Verkehrsgeschichte kann ich nichts beitragen.
    Jedoch kann ich den gewünschten Ausschluß zum Verschwinden der floristischen Vielfalt auf unseren agrarisch genutzten Flächen und ihrer weiteren Umgebung geben .
    Falls es sich noch nicht bis in
    die Kreise der Freunde historischen Kraftverkehrs herumgesprochen haben sollte:
    Infolge der (vorsichtig ausgedrückt) verfehlten Agrarpolitik wird alles agrarisch genutzte Land – dazu gehören auch die um diese Jahreszeit ach so schönen Löwenzahnwiesen – gnadenlos überdüngt (Gülleschwemme aus der Massentierhaltung) und totgespritzt mit diversen Giften (wie dem längst seiner Schädlichkeit überführten Gyphosat) , die keinen früher zu einer in der „naturnahen“ Ackerwirtschaft unserer Vorfahren „geduldeten“ Kräutern, keiner die frühsommerliche Landschft ver- schönernden Wildblumen wie dem Klatschmohn, der Kornblume und der Wegewarte
    mehr aufkommen lässt!
    Ja, unsere Altvorderen liebten Ja: liebten!) Ihr Land noch – gerade wegen der bunten Vielfalt auf Wiesen und Äckern !
    In den 90ern konnte man in Ostsachsen noch durch Gegenden mit nennenswerten
    Vorkommen an Klatscmohn und Kornblumen in den heranreifenden Kornfeldern fahren.
    Heute weiß keiner mehr, welch
    herrliches Schimmern bis zum Horizont dieser farbliche Dreiklang, frisch benetzt von einer abziehenden Gewitterfront, hervorruft !
    Wer heute noch unbewirtschaftete Wiesen in ihrer natürlichen Pflanzen- und Blütenvielfalt sehen will, muß z. B. im offenen Opel 4-PS-Wagen (wie es Fritz B. Busch in einer seiner unvergesslichen Geschichten vorschlug) durchs Baltikum reisen, wie ich es 2004 noch kennenlernte.
    Aber wenns so weitergeht kriegen die ihr Land – EU sei Dank! – auch noch kaputt …..

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