Das ist ja die Höhe! Auto-Markenvielfalt vor 90 Jahren

Geht Ihnen der Zeitgeistbegriff der „bunten Vielfalt“ auch auf die Nerven? Als ob die Welt das nicht schon immer gekannt und (in dosierter Form) geschätzt hätte. Darüber musste nicht ständig geredet werden.

Kein Kulturvolk wäre ohne Vielfalt der Ideen, Talente und Ziele ein solches geworden. Nehmen wir das antike Griechenland – ein Flickenteppich stolzer Städte, der es nie zu einem gemeinsamen Staat brachte, aber die Kulturgeschichte Europas bis heute so geprägt hat wie nur ein weiteres Volk – die Römer.

Die haben es das erste und einzige Mal geschafft, von Portugal bis Kleinasien, von Britannien bis Ägypten eine über Jahrhunderte weitgehend friedliche und prosperierende, lokale Traditionen achtende Gesellschaft zu schaffen die zugleich flächendeckend Überlegenes bot. Zwar wurde erst einmal alles zusammenerobert, aber Machtstreben ist eine weitere Konstante.

Das Ergebnis war „Multikulti“ unter dem Dach einer omnipräsenten und mit enormen Vorteilen verbundenen Leitkultur. Mit einem einheitlichen Wirtschaftsraum ohne Zölle, Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit, einer edelmetallgedeckten Währung, Frei- und Fernhandel, überschaubaren Steuern, bester Infrastruktur, robuster Grenzsicherung und minimaler Intervention ins Privatleben. Klingt auch heute nicht schlecht, oder?

Das Übel der Sklaverei darf dabei nicht unerwähnt bleiben, welches freilich auch in der sich als christlich dünkenden Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert als legitim galt. Vielfalt.

Heute geben wir uns einmal ganz reaktionär und stellen der „bunten Vielfalt“ unserer Tage, die bemerkenswert autoritär propagiert wird, die vermeintlich schwarz-weiße Einfalt von einst gegenüber und schauen, was es damit wirklich auf sich hat.

Dabei geht es ziemlich hoch hinaus, wie wir in mehrfacher Hinsicht sehen werden:

Monte Subasio (Umbrien), Juni 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Das ist ja die Höhe – ein Foto ganz ohne Autos! Nicht ganz, meines stand unweit geduldig auf der weißen Schotterpiste, über die ich an diesen Ort gelangt war.

Zu sehen ist hier der Gipfel des Monte Subasio – mit knapp 1300 Metern Höhe und seiner markanten abgerundeten Form ein landschaftsbeherrschender Berg im italienischen Umbrien. Der Blick geht über die Valle Umbra – also die Ebene zwischen Perugia und Spoleto – in Richtung Süden.

Besagte Römer haben das Sumpfland im Tal in generationenlanger Arbeit trockengelegt und urbar gemacht. Sie waren auch die ersten, die im Tal verkehrsgünstig Städte anlegten, alle älteren Siedlungen befinden sich auf den umliegenden Hügeln.

Das römische Vermessungsnetz ist an vielen Stellen bis heute zu erkennen – Straßen, Felder- und Flurgrenzen folgen ihm. Selbst das Gewerbegebiet von Foligno ist in das antike Rechteckraster eingefügt. In Foligno verbrachte übrigens der spätere Stauferkaiser Friedrich II. seine ersten Lebensjahre – die Umbrer betrachten und verehren ihn als einen der ihren.

Dass im damals von Deutschland bis Sizilien reichenden Imperium Vielfalt pur herrschte, weiß jeder, der sich einmal mit dieser bedeutenden Epoche beschäftigt hat. Die in der Nähe meines Heimatorts stehende doppeltürmige Münzenburg (von der A5 aus südlicher Richtung aus zu sehen) und das völlig anders geartete Castel del Monte in Apulien stehen bis heute sinnbildlich für die Pole der Vielfalt in der mittelalterlichen Welt der Staufer.

Das ist ja die Höhe, was einem heute an geschichtlichen Exkursen zugemutet wird, mögen Sie jetzt denken. Mag sein, aber ich bin im kleinen Reich meines Blogs der Imperator und Sie sind alle freiwillig da. Also bitte, ich habe bisher noch immer die Kurve bekommen zum alten Blech (selbst hier, wenn auch erst ziemlich spät).

Bei mir bleiben Sie stets ganz auf der Höhe, was Vorkriegsautos auf alten Fotos angeht – so auch diesmal. Und das im besten Wortsinn:

Wiener Höhenstraße; originale Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Speziell meine Leser in Österreich werden sofort wissen, wo diese Aufnahme entstand.

Wir blicken hier von der Wiener Höhenstraße auf den Leopoldsberg mit seiner schönen Barockkirche, die trotz schwerer Bombenschäden (Februar 1945) heute wieder in alter Pracht erstrahlt.

Bei meinen Recherchen stellte ich fest, dass dieser Abschnitt der Wiener Höhenstraße erst 1935 freigegeben wurde. Gern hätte ich die Aufnahme nur anhand der darauf abgebildeten Autos datiert – das ist nämlich erstaunlich präzise möglich, auch wenn hier noch viel Material aus den 1920er Jahren vertreten ist.

Großartig finde ich die Vielfalt an Marken und Baujahren, die auf diesem Zeugnis versammelt sind. Dieses Nebeneinander – aber auch das Fehlen bestimmter Modelle – ist es, was das Foto trotz des Mangels an Farbe so faszinierend macht.

Keine Sorge, ich werde nicht jedem der abgebildeten Wagen ein ausführliches Porträt widmen. Etliche davon habe ich schon einmal im Blog präsentiert – sie sind über die Suchfunktion oder in meinen Markengalerien zu finden.

Wer zu dem einen oder anderen Auto Details oder auch andere Einschätzungen ergänzen möchte, ist wie immer willkommen, dies über die Kommentarfunktion zu tun.

Beginnen wir ganz rechts, dort finden sich die Vertreter der „Veteranen“-Fraktion:

Sind Ihnen die geisterhaften Schatten am oberen Bildrand aufgefallen? Sie stammen von wegretuschierten Personen, die sich während der Belichtung dieser Aufnahme bewegt haben.

Der Fotograf hatte am Objektiv eine kleine Blende gewählt, um möglichst viel Schärfentiefe (manche sagen: Tiefenschärfe) zu erhalten. Entsprechend musste er eine etwas längere Belichtungszeit wählen, zumal da das Bild am späten Nachmittag bei sinkender Sonne entstanden zu sein scheint.

Das ist ja die Höhe – Bildmanipulation gab es also auch früher schon! Ja natürlich, und zwar seitdem es die Fotografie gibt.

Ein Foto ist mitnichten ein präzises Abbild der Wirklichkeit, sondern immer Ausschnitt und Interpretation derselben. Es zeigt nur eine bestimmte Perspektive und einen konkreten Augenblick, das Objekt wird in ein möglichst günstiges oder ungünstiges Licht gerückt, Unerwünschtes wird ausgeblendet oder gar wegretuschiert, Proportionen betont oder verfälscht, Kontraste werden verstärkt oder weichgezeichnet usw.

Das mache ich mit fast jedem Foto in meinem Blog ebenfalls, und Sie bekommen das Meiste davon nicht mit, da Sie im Regelfall das Ausgangsmaterial nicht kennen.

Letztlich geht es mir um die Wirkung der Situation und die Aussagefähigkeit, was den Hersteller oder das Modell des abgebildeten Fahrzeugs angeht.

Jetzt stürzen wir uns aber wirklich in die automobile Vielfalt von damals:

Der Mercedes vorne in der Mitte ist wohl das älteste Fahrzeug, das hier zu sehen ist. Er trägt noch den dreigezackten Stern auf beiden Seiten des Spitzkühlers und ist sicher vor dem Zusammenschluss von Daimler und Benz entstanden.

Ich würde den Wagen als Mercedes des Typs 15/70/100 PS in der Ausführung von 1924-26 ansprechen – ein kolossales Fahrzeug, das noch lange nach dem Ende seiner Bauzeit den Besitzern äußerst komfortable und mühelose Fortbewegung ermöglichte.

Direkt neben ihm steht ein deutlich kleinerer Citroen des Typs C6 (vom C4 durch die Radkappen zu unterscheiden), wie er von 1928-32 gebaut wurde.

Mit etwas Abstand geparkt hat auf der anderen Seite ein US-Modell – entweder ein Studebaker von 1930 oder (wahrscheinlicher) ein Graham-Paige von 1929.

In der zweiten Reihe dahinter haben sich einträchtig zwei Austro-Daimler eingefunden. Den linken Wagen halte ich für einen Typ ADR (Bauzeit: 1927-31), während der rechte der ältere Typ ADM (Bauzeit: 1923-28) sein könnte und damit dem Mercedes Konkurrenz in punkto Alter machen würde.

Moderner geht es nun in der zweiten Bildhälfte zu, jedenfalls überwiegend. Beginnen wir mit dem rechten Teil derselben:

Bei dem Mercedes-Benz rechts oben würde ich auf den Typ 200 (Bauzeit: 1933-36) tippen. Der wesentliche größere Wagen daneben ist sehr wahrscheinlich ein US-Fabrikat aus der zweiten Hälfte der 1920er Jahre – auf einen Versuch der Identifikation verzichte ich hier.

Was aber könnte das für ein 4-Fenster-Cabriolet (oder Cabrio-Limousine) ganz vorne rechts sein? Ich denke hier an den Steyr Typ XX (1928/29), allerdings passen die seitlichen Parkleuchten aus meiner Sicht nicht dazu.

Schauen wir nun noch auf den zweiten Part der linken Bildhälfte:

Bei diesen Fahrzeugen befinden wir uns ganz nahe am Entstehungszeitpunkt der Aufnahme.

Links haben wir einen modernisierten Steyr des Typs 430, wie er von 1933-35 gebaut wurde. Hier die luxuriöse Ausführung als 4-Fenster-Cabriolet.

Deutlich darüber angesiedelt war indessen die weit voluminösere Limousine daneben. Er besaß mit seiner schon fast wie aus einem Stück bestehenden Frontpartie die wegweisendsten Formen aller hier zu sehenden Wagen.

Außerdem dürfte er von der effektiv nutzbaren Leistung das stärkste Auto im Feld gewesen sein. Wir haben es nämlich mit einem 1934er Hudson zu tun, der ausschließlich mit 8-Zylindermotoren (Reihe) verfügbar war, die zwischen 100 und 120 PS leisteten.

Dieses Gerät – nebenbei ein typischer 8-Zylinder-Amerikaner, der sich auch heute noch souverän im Verkehr bewegen lässt – ist das Fahrzeug, anhand dessen ich die Aufnahme auf Mitte der 1930er Jahre datiert hätte. Passt perfekt zum Baufortschritt der Höhenstraße.

Bemerkenswert diese Vielfalt an Herstellern, Modellen, Aufbauten und Baujahren auf diesem zufälligen Zeitdokument, nicht wahr? Was aber fehlt bei aller Vielfalt?

Was wir vermissen, sind die typischen Kleinwagen jener Zeit, die in Deutschland vor allem von DKW und Opel gefertigt wurden, aber auch in großer Zahl exportiert wurden.

Waren diese im damaligen Österreich eher selten oder hatten deren Besitzer schlicht Besseres zu tun, als sich abends am Blick auf den Leopoldsberg und (in der Ferne) Wien zu erbauen und dafür „sinnlos“ Benzin zu verbrauchen?

Wie so oft in der Kulturgeschichte sind auch hier die „kleinen Leute“ unterrepräsentiert, die vielleicht keine grandiosen Eingebungen haben und über besondere Talente verfügen, die aber den Laden unauffällig am Laufen hielten und halten.

Das waren in der Antike die, welche die Schiffe bauten, mit denen die Griechen den Mittelmeeraum besiedelten, die, welche in römischer Zeit die Infrastruktur zur Entwässerung sumpfiger Ebenen bauten, die, welche im Hochmittelalter Burgen und Kathedralen hochmauerten und die, welche einst am Hochofen standen, in denen der Stahl für die Automobile entstand, die wir heute so bewundern.

Diese echte Vielfalt an Können, Planen und Arbeiten auf allen Ebenen ist es, welche das Leben eines Kulturvolk ausmacht – keine bloßen Propagandaparolen – das gilt heute wie einst.

Das ist ja die Höhe, dass es am Ende wieder grundsätzlich wird. Ja, aber auch darum geht es (mir) bei der Beschäftigung von Vorkriegsautos auf alten Fotos…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

3 Gedanken zu „Das ist ja die Höhe! Auto-Markenvielfalt vor 90 Jahren

  1. Danke für die Nachricht – die Frage könnte ich Ihnen leicht beantworten, aber das wollen Sie nicht. Nur dieses: Bei Vorkriegsautos in alten Zeitdokumenten geht es um mehr als nüchterne Fakten zu Technik und Gestaltung. Die finden Sie bei Bedarf umfassend und professionell aufbereitet in der Literatur und im Museum. Wie praktisch alle historischen Phänomene geben sie mir aber zugleich Anlass, sich über grundsätzliche und auch aktuelle Fragen Gedanken zu machen. In einem Blog (zur Erinnerung: das ist ein öffentlich einsehbares persönliches Tagebuch – englisch: weblog, kurz blog) ist Platz dafür, und zwar auch für Subjektives oder gar „Umstrittenes“ – also die eigentlich interessanten Sachen, die einen bewegen. Damit müssen meine Leser zurechtkommen (wie übrigens in allen Medien). Ich will niemanden belehren oder von einer Sache überzeugen – ich lege nur plaudernd meine Sicht der Dinge dar – das kann niemanden ernsthaft überfordern, auch wenn es manchmal nerven mag. Doch das gehört zum Miteinander auf allen Ebenen: andere Sichtweisen auszuhalten und als legitim zu achten. Mein Blog ist eine per se subjektive Auseinandersetzung mit der Autowelt und dem Dazugehörigen von einst. Jeder kann dazu eine andere Sicht der Dinge haben, jeder kann eine andere Herangehensweise praktizieren (nie war das einfacher als heute), aber warum sollte ich nur eine bestimmte verfolgen – und welche genau wäre das? Worüber soll ich schreiben und worüber nicht? Und: warum eigentlich? Und wer bestimmt das? Das sind meine rhetorischen Fragen in diesem Kontext.

  2. Lieber Herr Schlenger, was ist ein Volk, was ist ein Kulturvolk – nein, bitte beantworten Sie mir das jetzt nicht. Ich lese Ihre Seite, weil ich mich für alte Autos, alte Bilder, alte Zeiten interessiere. Schwierig.

  3. Es ist immer wieder bemerkens- und bewundernswert, wie Sie, Herr Schlenger, die Geschichte(n) der Kulturvölker, beginnend mit den Hellenen, dann den Römern über das Stauferreich des Friedrich II. bis zur Gegenwart auf den Punkt bringen, mit Ihrer persönlichen Note anreichern und völlig subjektiv bewerten, dann sogar noch die kaum noch erwartete Spitzkehre zu den Vorkriegsautos hinbekommen, im Verlauf eingelagert noch ein kleiner Trip nach Umbrien, um schließlich die Habsburger Metropole Wien (teilweise) zu umrunden. Letzteres gelang mir auch vor wenigen Jahren, als meiner Frau und mir ein größerer Teil dieser mir bis dahin unbekannten Höhenstraße mit herrlichen Ausblicken von einem Wiener Freund vorgeführt wurde. Und dann die Enttäuschung: Als großer Fan der K.u.K.-Küche waren ich auf der Suche nach einem Restaurant mit Kaiserschmarrn mit Zwetschgenröster im Angebot. Nichts leichter als das? Iwo, nicht eines haben wir finden können! Wo ist da die Weaner Esskultur geblieben? Auf den Skihütten, ja, da gibt’s das!

    Ja, Sie sind der Imperator und ich als untertänigster Empfänger Ihrer Iraden (=Sultanserlasse; typischer Kreuzworträtselbegriff) und Genießer derselben kann nur sagen: Danke und weiter so!

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