Vielleicht liegt es an jahrelanger Bloggerei zu später Stunde, vielleicht aber auch an traumatischen Erlebnissen mit der deutschen Staatsbahn zu Zeiten meines zum Glück seit über zehn Jahren zurückliegenden Pendlerdaseins:
Einer meiner wiederkehrenden Träume jedenfalls handelt davon, dass ich mich irgendwo in einer fernen Stadt befinde und binnen weniger Stunden an einem bestimmten anderen Ort sein muss, aber entweder den Bahnhof nicht finde, auf dem Weg dahin aufgehalten werde oder spätestens im Zug auf Abwege gerate.
Regelmäßig endet das Ganze in der Erkenntnis einer unmöglichen Situation – keine Chance, das Ziel rechtzeitig zu erreichen. Das Kuriose dabei ist: während ich solche Traumsituationen erlebe, weiß ich, dass es bloß eine weitere Variante über das alte Thema ist.
Der Effekt ist somit letztlich ein entspannender, denn während mein Kopf von den Vorgaben des Verstands befreit, seinem eigenen Drehbuch folgt, ist ein Teil des Bewusstseins aktiv und verbucht das erlebte Scheitern unter längst Bekanntem. Leider sind mir am Morgen meist nur noch Bruchstücke dieser unmöglichen Situationen gegenwärtig.
Das ist bedauerlich, sodass ich Sie nicht mit entsprechenden Geschichten auf die Folter spannen kann, bevor ich endlich zum Thema komme. Nur das eine sei festgehalten: So faszinierend die unmöglichen Situationen sind, in die ich im Traum gerate, so faszinierend ist die, in welche ich heute mit Ihnen eintauchen will.
Natürlich kennen Sie unmögliche Situationen, in denen man sich auch als halbwegs bewanderter Freund von Vorkriegswagen wiederfindet – etwa, wenn man so ein schönes Foto erblickt und leider einsehen muss, dass es wohl unmöglich bleibt, mit Sicherheit herauszufinden, um was für ein Automobil es sich handelt:

Ich bin sicher, dass wir es hier mit einem in Deutschland gefertigten Tourenwagen der frühen 1920er Jahre zu tun haben. Man beachte den wie eine Skulptur in allen drei Dimensionen durchgeformten Karosseriekörper – diese gestalterische Auffassung verschwand leider mit dem Aufbau der Sachlichkeit ab 1925 (wenngleich es in den 30ern eine Nachblüte gab).
Es könnte sich bei diesem Wagen beispielsweise um einen Benz handeln – die Position der Haubenschlitze und die Radnaben würden dazu passen, aber es fehlt der Blick auf Partien, die eine klare Ansprache der Marke erlauben – also eine unmögliche Situation!
Dieses „Ärgernis“ sollte uns allerdings nicht verdrießen, denn es gibt zum Glück Autofotos aus ganz ähnlicher Perspektive, die nur auf den ersten Blick ebenfalls eine unmögliche Situation zeigen. Tatsächlich erweisen sie sich mitunter als ganz wunderbare Dokumente, die nichts zu wünschen übrig lassen.
So einen Fall darf ich heute präsentieren – bitte erwarten Sie keine Sensationen, aber einen alten Bekannten, wie Sie ihn wohl noch nie gesehen haben:
So eine Aufnahme hätten viele Sammler erst gar nicht in Betracht gezogen. Ich bin aber in der Billigliga unterwegs und zahle meist nur um die 5 EUR für solche Originalabzüge.
Da muss man nehmen, was andere nicht wollen, doch wird man oft genug belohnt durch ungewöhnliche Perspektiven und Details – wobei in diesem Fall auch Erhaltungszustand und technische Qualität achtbar sind.
Haben Sie noch die komplexe Durchgestaltung der Türpartie beim eingangs gezeigten Tourenwagen vor Augen? Meisterhaft in der handwerklichen Ausführung und nichts, was der Form abträglich wäre.
Dagegen hier simpel wie zwei Gartentore ausgeführte Türen mit außenließegenden Scharnieren, an denen das Auge auf unangenehme Weise „hängenbleibt“. Die gesamte Seitenlinie eine endlose Horizontale – kein Schwung, keine Spannung.
An sich eine unmögliche Situation, in der sich dieser banal erscheinende Wagen präsentiert, wären da nicht die Damen im Heck, welche die wenig ansprechende metallene Hülle mit Leben füllen und den groben Linien die Härte nehmen:
So gesehen ist das mit einem Mal eine herrliche nostalgische Situation und unter anderem deshalb schauen wir in ästhetischer Hinsicht wenig verwöhnten Menschen des 21. Jh. doch diese alten Fetzen belichteten Papiers an, nicht wahr?
Doch ist es immer noch eine unmögliche Situation, in der wir uns wiederfinden, weil wir die Insassen leider nicht mehr fragen können, in was für einem Wagen sie einst unterwegs waren – gegen Abend bei tiefstehender Sonne, wie die langen Schatten verraten.
Aber halt, ist die Situation vielleicht doch nicht so unmöglich wie im Fall des ersten Fotos? Schauen wir noch einmal genauer hin:
Zwei Dinge sind hier festzuhalten: ein markantes Kühlerprofil, wie man es vom amerikanischen Packard kennt, und zwei glänzende Schutzbleche an der Blechpartie unterhalb der Türen, welche Kratzer im Lack beim Einsteigen verhindern sollten.
Das hat man schon öfters gesehen, wenn man die Opel-Modelle der zweiten Hälfte der 1920er Jahre ein wenig kennt. Für das damals verbreitete 4 PS-Modell – landläufig als Laubfrosch bekannt – ist dieser Tourenwagen eine Klasse zu groß.
Doch gab es von Opel zwischen 1927 und 1929 heute wenig bekannte größere Modelle mit 50 bis 60 Leistung – die nach ihrer Höchstgeschwindigkeit benannten Modelle 90 und 100. Die waren wiederum weit oberhalb unseres Rätselwagens angesiedelt.
Dazwischen wurde der Mitteklassetyp 80 angeboten – mit Motorisierung 10/40 PS:
Könnte dies das gesuchte Modell sein – der Vierzylinder-Opel 10/40 PS? – Nein.
Zwar finden sich auch hier die von Packard abgekupferte Kühlerform – was die Amis herzlich wenig störte, denn Opel wurde nicht annähernd als Konkurrenz angesehen – außerdem die erwähnten Trittschutzbleche in der für Opels jener Zeit typischen Gestaltung:
Aber: Dieses Modell besaß einen etwas längeren Radstand (siehe den Abstand zwischen den Türen) und verfügte über sechs Radbolzen, während „unser“ Opel Tourer nur vier besaß.
Dieses Detail findet sich beim 1927 ergänzend eingeführten Sechszylindertyp 7/34 PS (später 8/40 PS), mit dem Opel versuchte, den überlegenen US-Importwagen etwas entgegenzustellen.
Fotos dieses Modells sind zwar nicht leicht zu finden, hier jedoch ein besonders schönes, das ich bereits vorgestellt habe und das die Limousinenausführung zeigt:
Tourenwagen-Ausführungen dieses Opel-Typs sind nach meiner Wahrnehmung noch seltener, was zusätzlich zur „unmöglichen Situation“ beiträgt, in welcher der heute vorgestellte Wagen einst für Mit- und Nachwelt festgehalten wurde.
Und weil das Ganze so schön ist, hier das Ausgangsfoto im Originalformat – Wiederholungen dieser Art sind Ihnen hoffentlich ebenso willkommen wie die unmöglichen Situationen, in denen ich mich wiederfinde, wenn ich im Land der Träume unterwegs bin…
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.