Als Anhalter durch die Galaxis: Oryx von 1913/14

In meinem vorherigen Blog-Eintrag hatte ich „gute Laune serienmäßig“ als erstrebenswert gepriesen, gerade wenn man es mit so unvollkommenen Dingen wie einem Hanomag 2/10 PS „Kommissbrot“ zu tun hat.

Heute schauen wir nach Wegen, wie wir uns die heitere Gestimmtheit auch unter den unvollkommenen Verhältnissen unserer Zeit erhalten, selbst wenn uns kein kurioses Spaßmobil zur Verfügung steht.

Ich muss mich immer wieder zu dergleichen Selbsttherapien zwingen, fällt es mir doch schwer, in unseren Tagen positive Entwicklungen im großen Ganzen zu sehen.

Doch zwei Wege der Betrachtung haben sich nach meiner Erfahrung bewährt, um die Zumutungen des Daseins keine Macht über das Seelenheil erlangen zu lassen.

Der eine Weg ist der Blick in die Gesteinsschichten unter uns – bisweilen auch vor oder über uns, wenn man im Bergland unterwegs ist. Da präsentieren sich einem pro Schicht Jahrzehnte oder Jahrhunderte vergangenen Lebens auf ein paar Dezimeter komprimiert und versteinert.

Das Ganze endlos übereinandergestapelt, auch wild aufgefaltet oder gar um 90 Grad gedreht. Alles was uns heute ausmacht, begeistert oder aufregt, wird eines Tages genau diese Form angenommen haben. Beruhigend.

Wer aus Gründen der Topographie kein derartiges Anschauungsmaterial vor der Haustür zur Meditation über das flüchtige Wesen unseres Daseins vorfindet, dem sei der zweite Weg empfohlen – der nächtliche Blick nach oben zum Sternenhimmel.

Am besten begibt man sich in einer mondlosen Nacht auf eine abgelegen vom Licht der Zivilisation gelegene Wiese – ideal ist eine Lichtung im Wald. Als Ausrüstung empfiehlt sich eine Decke und ein Picknickkorb mit kühlen Getränken nach Gusto – auch gleichgesinnte Begleitung ist dem Genuss nicht abträglich.

Dann legt man sich auf den Rücken und überlässt sich dem Anblick des Sternenhimmels. Was sich den Augen dort offenbart, ist ein Blick in die wahren Dimensionen der Welt.

Man sieht nach einer Weile der Gewöhnung sogar die Spiralarme unserer Galaxis – in einem davon befindet sich unter Millionen anderer Sterne unsere Sonne.

Was das mit Vorkriegsautos auf alten Fotos zu tun hat? Eine ganze Menge, denn das Licht, das wir am Sternenhimmel sehen, ist seit tausenden oder gar Millionen Jahren unterwegs – der nächtliche Blick nach oben ist immer ein Blick in die Vergangenheit unserer Galaxis.

Ebenso erblicken wir auf alten Autofotos Fahrzeuge, Menschen und Situationen, die längst vergangen sind. Je nach dem, was uns gerade in automobiler Hinsicht begegnet, können wir quasi als Anhalter durch die Galaxis der Vorkriegsautowelt reisen.

Spätestens jetzt dürfte mancher an die Science Fiction-Satire „Per Anhalter durch die Galaxis“ des britischen Autors Douglas Adams denken. Der fand sich eines Abends angeschickert auf einer Wiese in Österreich wieder, wo er als Tramper unterwegs war.

Beim Blick zu den Sternen kam ihm die Idee zu dem grotesken Werk, das wie die Bücher Franz Kafkas die Absurdität des menschlichen Daseins zum Thema hat – und statt einer Lösung nahelegt, sich damit in heiterer Gestimmtheit abzufinden.

Für die heutige Tour durch Zeit und Raum habe ich als geeignetes Fahrzeug einen Oryx aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg ausgewählt. Das meiste, was Sie über den Berliner Hersteller und seine Typen wissen sollten, finden Sie in einem alten Blogeintrag.

Wer gerade keine Lust auf diese schon beinahe historische Lektüre hat, dem sei zumindest das damals vorgestellte Fahrzeug hier präsentiert:

Oryx Typ K 6/18 PS oder K2 7/21 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese im 1. Weltkrieg in Frankreich entstandene Aufnahme zeigt deutsche Soldaten mit ihrem Oryx – siehe den Schriftzug oben auf dem Kühlergehäuse.

Mangels Literatur bleibt eine gewisse Unsicherheit, mit welcher der drei bis vier damals in Frage kommenden Motorisierungen wir es zu tun haben.

Fotos von Oryx-Wagen sind nach meiner Wahrnehmung äußerst selten und jedes neu aus den Tiefen der Vorkriegs-Galaxis auftauchende ist bereits ein Gewinn – über die Typen zu spekulieren, erscheint mir beim derzeitigen (Un)Kenntnisstand müßig.

Stattdessen wollen wir uns an der Komposition der folgenden Aufnahme erbauen, die offenbar einen ähnlichen Oryx-Wagen mit dem damals typischen birnenförmigen Kühler zeigt:

Oryx-Tourenwagen von 1913/14; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wo der Wagen genau angehalten hat, kann ich nicht sagen. Doch der Umstand eines Halts an einem romantischen und nur mäßig „gezähmten“ Flußlauf ist auch nicht der Grund, weshalb ich auf den kalauernden Titel „Als Anhalter durch die Galaxis“ kam.

Der eigentliche Grund offenbart sich erst bei näherer Betrachtung des Autos.

Dabei bemerkt man nur einen Unterschied zu dem im Weltkrieg abgelichteten Exemplar – eine zweite Windschutzscheibe für die rückwärtigen Passagiere mit ausstellbaren Windabweisern:

Doch Rückschlüsse auf das Modell lässt dieses Zubehör nicht zu. Bemerkenswert ist etwas anderes: Hier haben wir in frühes Beispiel für die Mitnahme von Anhaltern durch ein Automobil!

Im vorliegenden Fall haben wir es gleich mit einer ganze Bande von Anhaltern zu tun und sie haben sich sogar des Steuers bemächtigt.

Dieser Oryx, der irgendwo auf dem in unserer Galaxis als „größtenteils harmlos“ geltenden Planeten Erde aufgenommen wurde, war im mitteldeutschen Herzogtum „Anhalt“ zugelassen.

Ha, werden nun einige unter Ihnen ausrufen: Dann waren die Insassen des Oryx aber keine Anhalter, sondern Anhaltiner! Das mag sein, aber für ein gelungenes (?) Wortspiel bin ich bereit, es mit den Fakten nicht ganz so genau zu nehmen.

Sie erinnern sich an das, was ich eingangs über die zwei Wege geschrieben habe, die nötige Distanz zu den Zwängen unserer kleinen Erdenwirklichkeit zu gewinnen?

So gern ich bei der Beschäftigung mit den automobilen Zeitmaschinen Radbolzen und Luftschlitze nachzähle oder auch über längst überholte modische Details wie Rocklängen und Hutdurchmesser räsonniere, so locker nehme ich die Sache, wenn mir danach ist.

Es geht hier um nichts Wichtiges oder Ernsthaftes, letztlich ist die Beschäftigung mit Vorkriegsautos auf alten Fotos reine Unterhaltung und eine von vielen Formen, sich die kurze Zeit auf diesem Planeten angenehm zu machen.

Wir sind bloß auf der Durchreise„, pflegte meine Mutter zu sagen, wenn sie zum Ausdruck bringen wollte, dass wir unserer Augenblicksexistenz und dem Ort unseres Aufenthalts nicht zuviel Bedeutung beimessen sollten. Was deprimierend klingt, ist in Wahrheit befreiend.

So setzen wir gut gelaunt und (idealerweise) gut motorisiert unsere anhaltende Reise durch die Galaxis auf vier Rädern fort – vielleicht treffen wir uns ja irgendwann alle im Restaurant am Ende des Universums…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Kommentar verfassenAntwort abbrechen