Beton – kommt drauf an, was drinsteckt: Oryx um 1920

Erinnern Sie sich an die Werbung der deutschen Betonwirtschaft aus den 1980er Jahren? „Beton – es kommt drauf an, was man daraus macht“ – so lautete der Slogan, gern garniert mit Aufnahmen von Betonbauten der alten Römer.

Mir ist das gegenwärtig geblieben, weil ich damals als Schüler die antike Betonbaukunst zu entdecken begann. Natürlich nicht in der Schule – obwohl wir in Hessen haufenweise einschlägiger Relikte quasi vor der Haustür haben.

Aber das hätte den Lehrern ja Arbeit gemacht, mit den Eleven hinaus in die Botanik zu gehen, wo römische Kastelle und Gutshöfe – und im Fall von Mainz sogar Aquädukte noch heute zu sehen sind.

Erst die Lektüre teuer erworbener Werke (u.a. der Frontinus-Gesellschaft) über technische Zweckbauten im Imperium Romanum öffneten mir die Augen.

Die Römer waren Meister des Umgangs mit Beton (bezeichnet als opus caementicium) – und verwendeten eine Vielzahl genau an die Anforderung angepasster Varianten – bis hin zu unter Wasser abbindendem hydraulischen Beton für Hafenanlagen.

Man setzte je nach Belastung unterschiedlich dimensionierten Zuschlag ein. Nur eines steckte im römischen Beton nie: Stahlarmierungen.

Das brachte moderne Ingenieure lange Zeit zur Verzweiflung: Wie verdammt nochmal bekamen die Römer es hin, die gigantische Kuppel des Pantheon in Rom – bis heute die größte Konstruktion ihrer Art weltweit – aus Gussmauerwerk ohne Stahl zu bauen?

Schon die Alten wussten: Es kommt drauf an, was drinsteckt im Beton. Wir sind gut beraten, uns daran zu orientieren; man lernt dazu, wenn man sich ein eigenes Bild macht von den Dingen.

Werfen wir also einen Blick in eine topmoderne Garage der 1920er Jahre, in der sich ein Freund des Sichtbetons verwirklicht hatte – während die kluge Gattin vermutlich die traditionelle Brüstung veranlasst hatte, damit das ganze optisch erträglich wirkt:

Oryx um 1920; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Den von links ins Bild hineinragenden Dürkopp Typ P 12/45 PS kennen regelmäßige Leser schon – ich hatte ihn hier in voller Pracht gezeigt – und den Rest erst einmal ausgeblendet.

Heute kehren wir zu dieser großartigen Aufnahme zurück, die ich einem Sammler europäischer Vorkriegswagen aus Australien verdanke – Jason Palmer.

Diesmal ist der Inhalt der Garage an der Reihe, vor der seinerzeit auch der Dürkopp abgelichtet worden war. Bezeichnenderweise hatte die Firma aus Bielefeld bereits 1909 den Hersteller des Autos übernommmen, den wir nun ins Visier nehmen: Oryx.

Wie es scheint, ließ Dürkopp den Oryx-Leuten in Berlin lange Leine und brachte nur die Produktion sowie ein paar technische Details auf Vordermann.

Dummerweise bricht nach meiner Wahrnehmung die Überlieferung der Oryx-Typen mit den bis Kriegsausbruch 1914 gebauten Modellen ab – man findet also nur Wagen mit birnenförmigem Flachkühler oder dem damals kurzzeitig modischen Schnabelkühler.

Eine solche Kühlergestaltung mit ovalem und mittig leicht zugespitztem Kühler (ähnlich wie bei NAG) habe ich dagegen noch nirgends gesehen:

Ohne die vier großen Buchstaben, die sich mit etwas gutem Willen als „ORYX“ lesen lassen, hätte ich hier auf einen NAG von ca. 1917/18 getippt, als man dort zumindest auf Reklamen eine ganz ähnliche Kühlergestaltung findet.

Laut der dürftigen und seit Jahrzehnten nicht mehr aktualisierten Literatur baute Oryx nach dem 1. Weltkrieg noch rund drei Jahre lang Automobile. Wie gesagt: entsprechend datierte Fotos davon sind mir noch nicht begegnet.

So vermute ich ich – nicht zuletzt aufgrund der v-fömigen und leicht geneigten Fromtscheibe – dass wir es hier mit so einem späten Oryx aus der Zeit um 1920 zu tun haben. Die Gasscheinwerfer sprechen keineswegs dagegen – die wurden nach dem Krieg noch von einigen Nischenmarken verbaut, bevor sich elektrische Beleuchtung ganz durchsetzte.

Über den möglichen Typ will ich mich mangels Vergleichsmaterial nicht groß auslassen. Naheliegend wäre der 1913 eingeführte Typ G 10/30 PS, der auch 1920 am deutschen Markt noch konkurrenzfähig gewesen wäre.

Vielleicht hat ja jemand bessere Quellen als ich und weiß es genau. Unterdessen bin ich schon damit zufrieden, was wir heute im Beton zutagefördern konnten.

Das gilt auch für den Wagen im Hintergrund – offenbar ein Dinos. Noch so ein Fabrikat, das wie zwei Dutzend anderer aus deutschen Landen darauf wartet, dass sich jemand erbarmt.

Vermutlich ist es wie beim Beton – es kommt darauf, was bei den einschlägigen Spezialisten an Motivation drinsteckt. Auch in der Hinsicht darf man sich positiv überraschen lassen…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Als Anhalter durch die Galaxis: Oryx von 1913/14

In meinem vorherigen Blog-Eintrag hatte ich „gute Laune serienmäßig“ als erstrebenswert gepriesen, gerade wenn man es mit so unvollkommenen Dingen wie einem Hanomag 2/10 PS „Kommissbrot“ zu tun hat.

Heute schauen wir nach Wegen, wie wir uns die heitere Gestimmtheit auch unter den unvollkommenen Verhältnissen unserer Zeit erhalten, selbst wenn uns kein kurioses Spaßmobil zur Verfügung steht.

Ich muss mich immer wieder zu dergleichen Selbsttherapien zwingen, fällt es mir doch schwer, in unseren Tagen positive Entwicklungen im großen Ganzen zu sehen.

Doch zwei Wege der Betrachtung haben sich nach meiner Erfahrung bewährt, um die Zumutungen des Daseins keine Macht über das Seelenheil erlangen zu lassen.

Der eine Weg ist der Blick in die Gesteinsschichten unter uns – bisweilen auch vor oder über uns, wenn man im Bergland unterwegs ist. Da präsentieren sich einem pro Schicht Jahrzehnte oder Jahrhunderte vergangenen Lebens auf ein paar Dezimeter komprimiert und versteinert.

Das Ganze endlos übereinandergestapelt, auch wild aufgefaltet oder gar um 90 Grad gedreht. Alles was uns heute ausmacht, begeistert oder aufregt, wird eines Tages genau diese Form angenommen haben. Beruhigend.

Wer aus Gründen der Topographie kein derartiges Anschauungsmaterial vor der Haustür zur Meditation über das flüchtige Wesen unseres Daseins vorfindet, dem sei der zweite Weg empfohlen – der nächtliche Blick nach oben zum Sternenhimmel.

Am besten begibt man sich in einer mondlosen Nacht auf eine abgelegen vom Licht der Zivilisation gelegene Wiese – ideal ist eine Lichtung im Wald. Als Ausrüstung empfiehlt sich eine Decke und ein Picknickkorb mit kühlen Getränken nach Gusto – auch gleichgesinnte Begleitung ist dem Genuss nicht abträglich.

Dann legt man sich auf den Rücken und überlässt sich dem Anblick des Sternenhimmels. Was sich den Augen dort offenbart, ist ein Blick in die wahren Dimensionen der Welt.

Man sieht nach einer Weile der Gewöhnung sogar die Spiralarme unserer Galaxis – in einem davon befindet sich unter Millionen anderer Sterne unsere Sonne.

Was das mit Vorkriegsautos auf alten Fotos zu tun hat? Eine ganze Menge, denn das Licht, das wir am Sternenhimmel sehen, ist seit tausenden oder gar Millionen Jahren unterwegs – der nächtliche Blick nach oben ist immer ein Blick in die Vergangenheit unserer Galaxis.

Ebenso erblicken wir auf alten Autofotos Fahrzeuge, Menschen und Situationen, die längst vergangen sind. Je nach dem, was uns gerade in automobiler Hinsicht begegnet, können wir quasi als Anhalter durch die Galaxis der Vorkriegsautowelt reisen.

Spätestens jetzt dürfte mancher an die Science Fiction-Satire „Per Anhalter durch die Galaxis“ des britischen Autors Douglas Adams denken. Der fand sich eines Abends angeschickert auf einer Wiese in Österreich wieder, wo er als Tramper unterwegs war.

Beim Blick zu den Sternen kam ihm die Idee zu dem grotesken Werk, das wie die Bücher Franz Kafkas die Absurdität des menschlichen Daseins zum Thema hat – und statt einer Lösung nahelegt, sich damit in heiterer Gestimmtheit abzufinden.

Für die heutige Tour durch Zeit und Raum habe ich als geeignetes Fahrzeug einen Oryx aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg ausgewählt. Das meiste, was Sie über den Berliner Hersteller und seine Typen wissen sollten, finden Sie in einem alten Blogeintrag.

Wer gerade keine Lust auf diese schon beinahe historische Lektüre hat, dem sei zumindest das damals vorgestellte Fahrzeug hier präsentiert:

Oryx Typ K 6/18 PS oder K2 7/21 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese im 1. Weltkrieg in Frankreich entstandene Aufnahme zeigt deutsche Soldaten mit ihrem Oryx – siehe den Schriftzug oben auf dem Kühlergehäuse.

Mangels Literatur bleibt eine gewisse Unsicherheit, mit welcher der drei bis vier damals in Frage kommenden Motorisierungen wir es zu tun haben.

Fotos von Oryx-Wagen sind nach meiner Wahrnehmung äußerst selten und jedes neu aus den Tiefen der Vorkriegs-Galaxis auftauchende ist bereits ein Gewinn – über die Typen zu spekulieren, erscheint mir beim derzeitigen (Un)Kenntnisstand müßig.

Stattdessen wollen wir uns an der Komposition der folgenden Aufnahme erbauen, die offenbar einen ähnlichen Oryx-Wagen mit dem damals typischen birnenförmigen Kühler zeigt:

Oryx-Tourenwagen von 1913/14; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wo der Wagen genau angehalten hat, kann ich nicht sagen. Doch der Umstand eines Halts an einem romantischen und nur mäßig „gezähmten“ Flußlauf ist auch nicht der Grund, weshalb ich auf den kalauernden Titel „Als Anhalter durch die Galaxis“ kam.

Der eigentliche Grund offenbart sich erst bei näherer Betrachtung des Autos.

Dabei bemerkt man nur einen Unterschied zu dem im Weltkrieg abgelichteten Exemplar – eine zweite Windschutzscheibe für die rückwärtigen Passagiere mit ausstellbaren Windabweisern:

Doch Rückschlüsse auf das Modell lässt dieses Zubehör nicht zu. Bemerkenswert ist etwas anderes: Hier haben wir in frühes Beispiel für die Mitnahme von Anhaltern durch ein Automobil!

Im vorliegenden Fall haben wir es gleich mit einer ganze Bande von Anhaltern zu tun und sie haben sich sogar des Steuers bemächtigt.

Dieser Oryx, der irgendwo auf dem in unserer Galaxis als „größtenteils harmlos“ geltenden Planeten Erde aufgenommen wurde, war im mitteldeutschen Herzogtum „Anhalt“ zugelassen.

Ha, werden nun einige unter Ihnen ausrufen: Dann waren die Insassen des Oryx aber keine Anhalter, sondern Anhaltiner! Das mag sein, aber für ein gelungenes (?) Wortspiel bin ich bereit, es mit den Fakten nicht ganz so genau zu nehmen.

Sie erinnern sich an das, was ich eingangs über die zwei Wege geschrieben habe, die nötige Distanz zu den Zwängen unserer kleinen Erdenwirklichkeit zu gewinnen?

So gern ich bei der Beschäftigung mit den automobilen Zeitmaschinen Radbolzen und Luftschlitze nachzähle oder auch über längst überholte modische Details wie Rocklängen und Hutdurchmesser räsonniere, so locker nehme ich die Sache, wenn mir danach ist.

Es geht hier um nichts Wichtiges oder Ernsthaftes, letztlich ist die Beschäftigung mit Vorkriegsautos auf alten Fotos reine Unterhaltung und eine von vielen Formen, sich die kurze Zeit auf diesem Planeten angenehm zu machen.

Wir sind bloß auf der Durchreise„, pflegte meine Mutter zu sagen, wenn sie zum Ausdruck bringen wollte, dass wir unserer Augenblicksexistenz und dem Ort unseres Aufenthalts nicht zuviel Bedeutung beimessen sollten. Was deprimierend klingt, ist in Wahrheit befreiend.

So setzen wir gut gelaunt und (idealerweise) gut motorisiert unsere anhaltende Reise durch die Galaxis auf vier Rädern fort – vielleicht treffen wir uns ja irgendwann alle im Restaurant am Ende des Universums…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Prominente Münchner Nasen: Ein Oryx von 1914

Heute gehe ich vordergründig unterschiedlichen Bedeutungen des Wortes „Nase“ nach – aber natürlich wie immer nur, um dem historischen Foto eines Vorkriegsautomobils in allen seinen Facetten gerecht zu werden.

Nebenbei habe ich das Vernügen, eine große Rarität präsentieren zu dürfen, welche einst auf’s Schönste für die Nachwelt abgelichtet wurde. Den richtigen Riecher dafür hatte ein Leser meines Blogs – Jörg Pielmann.

Er stammt aus Niedersachsen, konnte aber mit einer Prachtaufnahme aus dem Alpenland aufwarten, die ihresgleichen sucht. Mit ihrem Erwerb hat er einst eine feine Nase für Qualität bewiesen.

Das Foto zeigt, wie noch sehen werden, in mehrfacher Hinsicht „Nasen“ von einiger Prominenz – hier zu verstehen im ursprünglichen Sinne des Worts „herausragend“.

Die Verbindung mit München ist dabei gleich in doppelter Hinsicht gesichert – das findet sich bei so alten Aufnahmen nicht alle naselang.

Auf den Hersteller des abgebildeten Wagens von „Prominenz“ stoßen wir direkt mit der Nase in folgender Reklame:

Oryx-Reklame um 1913; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Mit dieser Anzeige von anno 1913 wollte einst ein Münchener Autohaus Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die beiden Marken im Angebot waren auch damals nicht gerade alltäglich, sie waren eher etwas für Autokäufer, die in punkto Eigenwilligkeit die Nase vorn haben wollten.

Dass die französische Marke Berliet vor dem 1. Weltkrieg überhaupt eine Vertretung hierzulande hatte, war mir bis dato unbekannt. Für dieses Wissensdefizit kann ich freilich niemanden verantwortlich machen, da muss ich mich an die eigene Nase fassen.

Interessanter ist für uns zumindest heute jedoch die Marke Oryx aus Berlin, die ich hier erstmalig behandelt habe.

Bei den Oryx-Wagen handelte es sich um ausgezeichnete Fahrzeuge, die jedoch so aufwendig in der Herstellung waren, dass sich der Hersteller – zunächst als Berliner Motorwagenfabrik firmierend, später als Oryx-Motorenwerke – damit keine goldene Nase verdienen konnte.

Zum Zeitpunkt des Erscheinens der oben gezeigten Reklame gehörte Oryx bereits zu Dürkopp, wenngleich man sich seine Eigenständigkeit weitgehend wahren konnte.

Der Wagen in der Anzeige lässt sich als Typ K2 7/21 PS von 1913 identifizieren – jedenfalls legt das die Beschriftung einer fast identischen Abbildung in „Ahnen unserer Autos“ (Gränz/Kirchberg, 4. Auflage 1981, S. 149) nahe.

Kurze Zeit später – im Januar 1914 – wurde in der Zeitschrift „Motor“ dieser auf den ersten Blick ganz anders wirkende Oryx abgebildet:

Oryx-Doppelphaeton; Abbildung aus der Zeitschrift „Motor“, Ausgabe Januar 1914

Hier haben wir zum ersten Mal eine im wahrsten Sinne des Wortes „prominente“ Nase vor uns. Dieser „Schnabelkühler“ gehörte jedoch keinem irgendwie herausragenden Besitzer, sondern war lediglich eine kurzlebige modische Kuriosität an einem ansonsten völlig konventionellen Oryx-Tourenwagen.

Das Fehlen von Scheinwerfern und einer Frontscheibe erwecken beinahe den Eindruck eines Sportwagens, doch wir lassen uns nicht an der Nase herumführen – auch dies war ein konventioneller Viersitzer, vielleicht ebenfalls ein Typ K2 7/21 PS oder eine der beiden etwas schwächeren bzw. stärkeren Verwandten (K1 6/18 PS bzw. G1 10/30 PS).

Letztlich ist das auch nicht so wichtig, denn es überwiegt die schiere Begeisterung, wenn man endlich diesem sonst nur aus der Literatur bekannten Modell einmal „in natura“ begegnet – im Alpenraum, um genau zu sein:

Oryx von 1913/14; Originalfoto aus Sammlung Jörg Pielmann

Diese großartige Aufnahme ist einmal mehr der Beweis, dass die Autohersteller vor dem 1. Weltkrieg (und auch in den 1920er Jahren) mit ihren Abbildungen in Prospekten und Reklamen um Längen hinter dem zurückblieben, was sich auf wirkungsvoll aufgebauten Privataufnahmen aus jener Zeit findet.

Viel besser kann man einen solchen Wagen auch aus heutiger Sicht kaum in Szene setzen – wenngleich ich es am Ende zu tun versuche…

Das Nummernschild mit der Kennung „IIA“ verrät, dass wir es bei diesem Herrschaften mit Münchener „Nasen“ zu tun haben.

Wie komme ich dazu, mir diese umgangssprachliche Bezeichnung für die Insassen zu erlauben? War nicht sogar eingangs von Prominenz die Rede? Der kann man doch nicht so abfällig begegnen!

„Muss man dem Kerl denn alles aus der Nase ziehen? Wer waren denn nun diese Münchener Prominenten?“, mag jetzt einer denken.

Nun, es kann gut sein, dass es sich tatsächlich um damals bekannte Persönlichkeiten handele, so exklusiv wie der Besitz eines derartigen Automobils war.

Doch tatsächlich meine ich mit den prominenten Münchener Nasen diesmal wirklich nur die ausgeprägten Gesichtserker der drei gutgelaunten Insassen:

Oryx von 1913/14; Originalfoto aus Jörg Pielmann (nachkoloriert)

Ja, ich weiß, die blanken Metallteile an dem Wagen dürften bei einer so frühen Entstehung (vor 1920) nicht silbern glänzen, sondern messingfarben, doch das weiß die „Künstliche Intelligenz“ nicht, mit deren Hilfe ich diese kolorierte Fassung erstellt habe.

Dennoch meine ich, dass uns die „prominenten Münchener Nasen“ von anno 1913/14 damit ein ganzes Stück näherrücken…

© Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Fund des Monats: Ein Oryx Typ „K“ von 1913/14

Der Fund des Monats März 2019 führt uns nicht nur zurück in die Welt exotischer deutscher Automarken aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg – er macht auch einmal mehr deutlich, wie lücken- und fehlerhaft die (meist) dürftige Literatur dazu ist.

Die Rede ist von der Marke Oryx aus Berlin, unter der ab 1908 sorgfältig konstruierte, und hochwertig gefertigte Vierzylinderwagen entstanden.

Der Hersteller – die Berliner Motorwagenfabrik GmbH (BMF) – bot bereits ab 1898 Automobile mit diversen Antriebskonzepten an, insbesondere Nutzfahrzeuge.

Der wohl um seines exotischen Klanges willen gewählte Markenname Oryx blieb den Personenwagen von BMF vorbehalten. Sie basierten auf Entwürfen von Willi Seck, der zuvor bei den Eisenacher Fahrzeugwerken (Markenname „Dixi“) tätig gewesen war.

Wirtschaftlich brachten die ersten Oryx-Wagen zwar nicht den erhofften Erfolg, sie schienen aber aussichtsreich genug, um 1909 die Übernahme durch Dürkopp aus Bielefeld zu rechtfertigen, die der Marke weitgehende Eigenständigkeit ließ.

Jedenfalls baute Oryx bis zum Beginn des 1. Weltkriegs weiterhin selbstentwickelte Wagen – und zwar drei Typen:

Oryx-Reklame von Januar 1914; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Das in der Reklame erwähnte Basismodell 6/18 PS mit 1,6 Liter-Motor wird in der Literatur durchweg als Typ K1 bezeichnet.

Allerdings weichen die Angaben zum Erscheinungsjahr ab: Überwiegend liest man 1913, doch Gränz/Kirchberg nennen in ihrem oft besonders präzisen Werk „Ahnen unserer Autos“ (1975) das Jahr 1912.

Letztlich handelte es sich um eine Weiterentwicklung des 6/10 PS Typs von 1908, dessen Leistung laufend gesteigert wurde. Erwähnt werden der Typ E 6/16 PS (1909-11), ein Typ F ohne PS-Angabe (1912) und ab 1912/13 dann der Typ K1 6/18 PS.

Die Verbesserungen erstreckten sich auch auf Schaltgetriebe, Differential sowie die Lagerung der Kurbelwelle – zuletzt in Kugellagern.

Der etwas größere Typ 7/21 PS in obiger Reklame wird bei H. Schrader (Deutsche Autos 1885-1920) nur beiläufig als K-Typ erwähnt – korrekt wäre die Ansprache als Typ K2 in Abgrenzung vom K1 6/18 PS.

Immerhin herrscht Einigkeit, was den Baubeginn dieses 1,8 Liter-Modells angeht: 1913. Das dritte Modell in der Reklame – der Oryx 10/30 PS – wird durchweg als Typ G1 angesprochen. Er war ebenfalls ab 1913 verfügbar.

Wenn es einen Oryx Typ G1 gegeben hat, darf man auch einen Typ G2 erwarten, doch darüber verliert die mir zugängliche Literatur kein Wort. Eventuell liefert folgende Reklame aber einen Hinweis darauf:

Oryx-Reklame von 1914; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Sofern es sich nicht um einen Druckfehler handelt (eher unwahrscheinlich), könnte es sich bei dem erwähnten Typ 10/39 PS um eine gegenüber dem Typ G1 10/30 PS leistungsgesteigerte Variante gehandelt haben, die intern als G2 bezeichnet wurde.

Hinweise dazu von berufener Seite sind wie immer willkommen – vom einstigen Berliner Hersteller der Oryx-Wagen sollten in den Archiven in der Hauptstadt eigentlich noch Materialien vorhanden sein.

Bevor ich nun den Fund des Monats präsentiere, soll nicht unerwähnt bleiben, dass die mir vorliegende Literatur kein einziges Originalfoto eines der drei Oryx-Modelle enthält, die auf den beiden Vorkriegsreklamen von 1913/14 erwähnt sind.

Von daher erscheinen auf den ersten Blick die Chancen schlecht, den Oryx-Typ zu bestimmen, der auf folgendem, über 100 Jahre alten Abzug zu sehen ist, den ich erst kürzlich für kleines Geld erworben habe:

Oryx Typ K 6/18 PS oder K2 7/21 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

„An der Selle“ heißt es ohne Datumsangabe auf der Rückseite des Abzugs. Die Selle ist ein kleiner Fluss in Frankreich, der bei Amiens in die Somme mündet.

Aus der Aufnahmesituation ergibt sich, dass wir zwei deutsche Kraftfahrer vor uns haben, die während des 1. Weltkriegs in der Somme-Region unterwegs waren, in der 1916 die verlustreichste Schlacht auf dem westlichen Kriegsschauplatz tobte.

Eine erfolglose Offensive der britischen und französischen Streitkräfte kostete damals rund 1 Million Soldaten Gesundheit oder Leben. Die beiden Kraftfahrer konnten von Glück sagen, dass ihnen das Morden in den Schützengräben erspart blieb.

Sie waren vermutlich im Hinterland als Kuriere oder Chauffeure von Offizieren eingesetzt. Die Kennung auf dem Kühler des Wagens verrät lediglich, dass der Wagen zur 2. Armee gehörte, die bei der Mobilmachung 1914 im Raum Hannover aufgestellt worden war und sich 1916 im Somme-Gebiet befand.

An der Ansprache des Autos als Oryx besteht kein Zweifel – der Markenschriftzug ist auf dem originalen Abzug einwandfrei zu lesen.

Der folgende Ausschnitt ist zwar etwas unscharf, lässt aber einige wichtige Details erkennen:

Der birnenförmige Kühlerausschnitt ist typisch für Oryx-Wagen von 1913/14, wenn auch nicht exklusiv (vgl. Dürkopp und NSU).

Festzuhalten sind außerdem:

  • sechs leicht nach hinten geneigte Luftschlitze in der Motorhaube,
  • ein vom hinteren Haubenende ansteigendes Übergangsblech vor der Frontscheibe (als Windlauf oder auch Torpedo bezeichnet),
  • der gabelförmige Scheibenrahmen, der nicht den Konturen des Windlaufs folgt,
  • die sehr kurze hohe Tür, deren Ausschnitt weit in den Windlauf hineinragt.

Einige, wenn auch nicht alle dieser Elemente finden sich auf einer Abbildung eines Oryx-Tourenwagens von 1914 wieder:

Oryx Phaeton, Abbildung aus der Zeitschrift „Motor“, Ausgabe Januar 1914

Vom markanten Schnabelkühler und der fehlenden Frontscheibe abgesehen, geht der Oryx auf dieser Abbildung in eine ähnliche Richtung wie der Wagen auf dem Foto.

Dummerweise ist die Typenbezeichnung hier nicht überliefert. Ohnehin hat es den Anschein, dass sich die drei 1913/14 verfügbaren Oryx-Typen äußerlich vor allem durch den Radstand unterschieden: 2,75m, 2,90m und 3,00m.

Denkbar ist, dass die Zahl der Luftschlitze mit der Größe des Motors korrespondierte. Dann könnten die sieben Schlitze auf obiger Abbildung dem 10/30 PS-Typ G1 und die sechs Schlitze auf dem Foto einem der Typen K1 6/18 PS oder K2 7/21 PS zuzuordnen sein.

Somit ließe sich bei aller Vorsicht der Oryx auf dem Foto als einer der beiden K-Typen ansprechen. Unterstützt wird dies durch Fotos eines überlebenden Wagens des Typs K2 7/21 PS, der sich in Schweden befindet.

Oryx Typ K2 7/21 PS; Bildquelle: http://www.prewarcar.com

Das ausführliche Porträt dieses Fahrzeugs ist hier nachzulesen. Dort wird der Leser sechs Luftschlitze zählen können und auch die von mir beigesteuerten Originalreklamen wiederfinden.

Nach der Lage der Dinge kann man den Oryx auf meinem Foto aus dem 1. Weltkrieg als Typ K2 7/21 PS (evtl. auch Typ K1 6/18 PS) ansprechen.

Damit wäre dies die erste mir bekannte zeitgenössische Originalaufnahme eines Oryx dieses Typs überhaupt.

Was aber ist von dem Oryx auf folgendem Foto zu halten, das mir Leser Klaas Dierks zur Verfügung gestellt hat?

Oryx-Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Die Einordnung dieses Oryx fällt aus mehreren Gründen schwer.

Zwar lässt sich einer der großen Typen G1 10/30 PS (oder G2 10/39 PS?) aufgrund des geringen Radstands ausschließen, doch mangelt es an Übereinstimmung mit den kompakteren Typen K1 6/18 und K2 7/21 PS:

  • Motorhaube und Windlauf verlaufen hier in einer Ebene
  • die Unterseite der Frontscheibe folgt der Kontur des Windlaufs
  • Luftschlitze in der Haube fehlen anscheinend völlig

Zwar deuten die gasbetriebenen Scheinwerfer noch auf eine recht frühe Entstehung hin. Doch die im Innern liegenden Schalt- und Bremshebel lassen zusammen mit den geglätteten Linien der Karosserie eher 1918/19 als Baujahr vermuten.

Die Kleidung des Fahrers wiederum verrät, dass die Aufnahme als solche erst in den fortgeschrittenen 1920er Jahren entstanden ist.

Ideen und Hinweise werden auch zu diesem mysteriösen Oryx-Wagen gern angenommen und ggf. als Ergänzung zu diesem Blog-Eintrag berücksichtigt.

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