Endlich ein Nacktfoto, gigantisch! Stoewer 15/80 PS

„Sex sells“, das wussten die Werbeleute schon vor weit über 100 Jahren. Schauen Sie einmal in alte Reklamen der Zeit vor dem 1. Weltkrieg – da wurde einiges auf dem Sektor geboten und das oft ohne nackte Haut.

Gern gezeichnet und gern betrachtet wurden Damen in knackig engen Kleidern, die wenig Fragen in figurtechnischer Sicht offenließen. Zeitgenössische Fotos – speziell aus Paris – belegen, dass man damit ziemlich nahe an der Realität der Oberschicht war.

Der Ästhet wusste und weiß die Andeutung bisweilen mehr zu schätzen als nackte Tatsachen. Ich bekenne, dass ich die kurvenreiche Linienführung der Bleistiftröcke der 1940er bis 50er Jahre aufregender finde als die Hotpants unserer Tage – wenngleich ich unbedingt für deren Erhalt als aufgeklärtes Gegenbild zu Burka & Co. eintrete.

Was nun die Herren der Schöpfung betrifft, möchte ich außerhalb der Museumsgalerien mit nackten antiken Heroen möglichst wenig Nuditäten sehen. Die Grenze des gerade noch Stilvollen hat für mich einst der US-Filmstar Tom Selleck als Privatdetektiv „Magnum“ markiert – er hat sogar das Hawaiihemd mit Brusthaar geadelt.

Eine Athletenfigur mit Intelligenz und Witz kombiniert – das lässt sich aushalten, meine ich. Genau darum geht es heute auf den Spuren der deutschen Vorkriegsmarke Stoewer, oder haben Sie an etwas anderes gedacht?

Für die Intelligenz waren die Eigentümer dieses für mich großartigsten aller deutschen Nischenhersteller zuständig. Sie schafften es, von anno 1900 bis 1945 mit Kleinserienfahrzeugen zu überleben und sich dabei immer wieder neu zuerfinden.

Den Witz steuert heute Leser (und mannigfaltiger Markenexperte) Wolfgang Spitzbarth bei. Er schrieb mir kürzlich „Noch nie sah ich einen Stoewer – auf Foto oder Werbung – mit einer derart unendlich langen Motorhaube.“ und postulierte gigantische Lenkkräfte für den Fall, dass sich darunter tatsächlich das zu vermutende Riesenaggregat verbarg.

Die augenzwinkernde Bemerkung bezog sich auf dieses beeindruckend dimensionierte Gefährt, das ihm in einer Kiste mit Autofotos in die Hände gefallen war:

Stoewer „8“ Typ 15/80 PS „Gigant“ Sport-Cabriolet; Originalfoto via Wolfgang Spitzbarth

Dieses „Luxusproblem“ von Herrn Spitzbarth, der gerne wüsste, womit genau wir es bei diesem Monstrum zu tun haben, das hätten wir natürlich alle gern – sei es als Foto, sei es (völlig utopisch…) als Original im Maßstab 1:1.

Zurecht vermutete er, dass wir es mit einem der Achtzylinder von Stoewer zu tun haben, mit denen der Stettiner Manufakturbetrieb Ende der 1920er Jahre der sächsischen Luxusmarke Horch Konkurrenz machte – zwar nicht in punkto Stückzahlen, aber im Hinblick auf das Prestige allemal.

Bei Stoewer wusste man genau, wie man neben repräsentativ und großbügerlich wirkenden 8-Zylinder-Limousinen auch „sexy“ wirkende Cabriolets für die Playboys jener Zeit kreierte.

Dabei half vor allem ein Kunstgriff – eine ans Absurde grenzende, extrem niedrige Frontscheibe. Dadurch verschieben sich die Proportionen völlig, wie auf dem heute vorgestellten Foto zu erkennen ist.

Nur der Herr neben dem Auto lässt erkennen, dass der Wagen von den Abmessungen her nicht ganz so gigantisch war, wie es auf den ersten Blick erscheint.

Und doch haben wir es mit einem veritablen Giganten zu tun, behaupte ich, nämlich mit dem Spitzenmodell G15 15/80 PS, welches vom Hersteller als „Gigant“ vermarktet wurde.

Hier haben wir das Prachstück auf einem zeitgenössischen Zigaretten-Sammelbild:

Stoewer Typ G15 15/80 PS „Gigant“; originales Zigaretten-Sammelbild aus Sammlung Michael Schlenger

Mag sein, dass das von Wolfgang Spitzbarth entdeckte Exemplar karosserieseitig noch ein wenig radikaler gehalten war – doch für mich liegt es auf der Hand, dass wir es mit solch einem Stoewer „Gigant “ zu tun haben.

Es fiel wohl jedes Exemplar im Detail individuell aus, wofür eine zeitgenössische Reklame spricht, welche ebenfalls einen Stoewer dieses Typs mit Aufbau als 2-Fenster-Cabriolet zeigt:

Stoewer Typ G15 15/80 PS „Gigant“; originale Reklame (ohne Herkunftsangabe) aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist ja alles ganz großartig, mögen Sie jetzt sagen – geradezu gigantisch, was Stoewer einst ohne Hilfe von außen in Sachen Achtyzlinder auf die Beine gestellt hatte.

Aber was ist denn nun mit der nackten Athletengestalt, welche ich so wortreich in Aussicht gestellt hatte?

Nun, die wartete einige Jahre in meinem Fundus auf ihren Einsatz, und dank Wolfgang Spitzbarths Fund habe ich jetzt die Gelegenheit, sie auf die Menschheit loszulassen:

Stoewer-Reklame (ohne Herkunftsangabe) aus Sammlung Michael Schlenger

Ich hoffe, Sie sind jetzt nicht enttäuscht, aber der grimmige Speerträger macht hier seine Sache doch ganz gut, oder?

Ok, der Bezug zum Stoewer mag etwas bemüht erscheinen, aber aufmerksamkeitsstark war diese Werbung allemal. Klar, die Klassik ist auch in dieser Hinsicht unübertroffen – bei den alten Griechen wäre diese Figur vermutlich bestenfalls als Lehrlingsstück durchgegangen.

So ist das mit gestalterischen Schöpfungen, die sich nicht verbessern lassen, weil längst die Idealform gefunden wurde – nehmen Sie als Beispiel die Violine, an der zum Glück auch keine jungen Wilden sich mehr versuchen (die können ja die E-Gitarre neu interpretieren).

Und so verhält es sich für mich auch mit den auf die Spitze getriebenen Formen im Karosseriebau der 1930er Jahre. Diese Entwicklung ist ebenfalls abgeschlossen und es liegt an uns, die Erinnerung an diese Meisterwerke aufrechtzuerhalten und so immer wieder für neue Bewunderung oder auch Irritation zu sorgen.

Fast hätte ich es vergessen: unser strammer Nackter ist neben exakt dem Stoewer-Modell abgebildet, welches Wolfgang Spitzbarth für uns auf einem alten Foto aufgetan hat. Vermutlich hat er sich es nicht träumen lassen, was ich aus seinem Fotofund mache.

Sollte sich jemand irgendwie pikiert fühlen (man weiß ja nie, wo jemandes Grenzen des schlechten Geschmacks liegen), übernehme ich wie immer die volle Verantwortung dafür und gelobe, bei Gelegenheit genau so weiterzumachen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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