Und plötzlich ist Herbst: Mercedes „Knight“ um 1920

Bereits vor ein paar Tagen meinte ich den bevorstehenden Herbst zu spüren, als es gegen Abend plötzlich kühl wurde.

Zum Glück blieb uns die Sonne und die Wärme noch ein wenig hold – heute war ein vielleicht letzter prächtiger Tag, wie wir ihn schon bald vermissen werden.

Bei meiner Fahrradrunde durch die Wetterau – eine kurze Tour von gut 20 km – boten sich herrliche Ausblicke bei tiefstehender Sonne über die abgeernteten Felder zum Taunus hin. Die Luft war windstill, trocken und warm – doch das Licht hatte mit einem Mal etwas Fahles, wie es mir ein Vorbote des Herbstes zu sein scheint.

Nach Einbruch der Dunkelheit brachte ich noch ein totes Mäuschen in den hinteren Teil des Gartens – unsere Katze Ellie macht bisweilen solche „Geschenke“. Über der mächtigen Krone des alten Maronenbaums wölbte sich der dunkle Himmel und es funkelten mir einige Sternbilder entgegen, wie sie Städter kaum zu Gesicht bekommen.

In warmen Sommernächten flimmern die Sterne stets etwas, doch jetzt schauten sie kalt und unbeweglich auf mich herab. Nun ist es wohl wirklich so weit: plötzlich ist Herbst.

Dazu passend habe ich ein Autofoto aus meinem Fundus herausgekramt. Dort scheint eben noch Sommer gewesen zu sein – man hatte eine Ausfahrt im Sonnenschein im offenen Tourer unternommen – doch die Kleidung ist bereits auf kühle Luft eingestellt und einige Gesichter zeigen sich überrascht: Soll es das wirklich gewesen sein?

Mercedes-„Knight“ um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Eine bemerkenswerte Aufnahme, finde ich.

Besonders gut gefällt mir hier der Kontrast zwischen den etwas verdattert dreinschauenden Herren der „besseren Gesellschaft“ – mangels Kontakt mit körperlicher Arbeit keine äußerlich sonderlich beeeindruckenden Mannsbilder – und den von der Erscheinung her klar dominierenden Frauenzimmern.

Die tragende Rolle bei dieser Inszenierung kommt unterdessen dem großzügig dimensionierten Tourenwagen zu. Das Fehlen von Vorderradbremsen und der Spitzkühler sprechen für eine Datierung vor Mitte der 1920er Jahre.

Den Aufbau mit dem in die Karosserie integrierten Verdeckkasten findet man nach meinem Eindruck erst kurz nach dem 1. Weltkrieg. Dann haben wir noch den dreizackigen Stern auf dem Kühler und einen Luftschlitz vor einem Auspuffrohr in der Motorhaube.

Das Gesamtbild passt zum meistgebauten Modell der Marke „Mercedes“ aus dem Hause Daimler – dem „Knight“-Typ mit meist 16/45 PS-Motorisierung.

Der Zusatz „Knight“ in der Modellbezeichnung verwies auf den ventillosen Motor nach Patent von Charles Knight aus den USA. Das bereits 1906 vorgestellte Prinzip sah die Steuerung von Gemisch und Abgas über weitgehend geräuschlose Hülsenschieber vor.

Dem Prinzip werden bisweilen einige Schwächen zugeschrieben, aber das sollte man nicht überbewerten. Alleine Willys-Knight in den USA baute über 180.000 Wagen mit entsprechender Motorisierung und dutzende andere Hersteller nutzten das Patent lange.

Bei Vernachlässigung der Wartungsvorgaben und bei unangebrachter Fahrweise scheint es Ausfälle gegeben zu haben – das erinnert mich an die genialen Doppelnockenweller-Motoren von Alfa-Romeo, die sorgfältiges Warmfahren verlangen und auf ignorante Fahrer mit erhöhtem Verschleiß reagieren, aber ansonsten kaum zerstörbar sind.

Inwieweit Daimler beim „Knight“ 16/45 PS versäumt hatte, den Fahrern die besonderen Anforderungen des Aggregats zu vermitteln, was die Schmierung angeht, oder das Patent konstruktiv schlecht umgesetzt hatte, sei dahingestellt. Dass die „Knight“-Motoren generell mängelbehaftet gewesen wären, lässt sich auf internationaler Ebene nicht erkennen.

So oder so musste man bei Mercedes zu jener Zeit feststellen, dass plötzlich der Herbst der Firmengeschichte bevorstand. Ohne gleichwertigen Partner mit weiteren Produktionskapazitäten und nennenswertem Marktanteil befand man sich im Niedergang.

Wir wissen, dass es anders kam – 1926 erfolgte der Zusammenschluss zur Marke Mercedes-Benz – doch in der ersten Hälfte der 20er, als das vorgestellte Foto entstand, durfte man sich Gedanken darüber machen, ob man nicht die beste Zeit hinter sich hatte.

Diese Frage lässt sich auf manches in unserer Republik auch 100 Jahre später anwenden – und das keineswegs nur im Autosektor. Plötzlich ist der Herbst da für eine über Jahrzehnte florierende und inzwischen von wuchernder politischer Planwirtschaft und überbordendem Sicherheits- und Bequemlichkeitsdenken in der Bevölkerung strangulierten Ökonomie.

Für mich als Volkswirt klassischer ordoliberaler Prägung und Freund von Wettbewerb und kapitalistischen Instinkten wäre es an der Zeit für eine Neuauflage der Erhard’schen Reformen für mehr Markt und weniger Staat, mehr Freiheit und weniger Vorschriften, weniger German Angst und mehr Made in Germany.

Aber das wird wohl nichts mehr, fürchte ich. Der Herbst steht vor der Tür…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

4 Gedanken zu „Und plötzlich ist Herbst: Mercedes „Knight“ um 1920

  1. Da mir einmal das Glück zuteil wurde, einen solchen “ Knight‐ Boliden“ unverhofft besichtigen zu können erlaube ich mir, die ganze „Narration“ hier zu teilen:
    Da ich mir schon 1986 Zugang zu den Zweitakt- Fachkreisen der DDR verschafft hatte und seit dem diverse Freundschaften pflegte, war ich zum Jahreswechsel ’89/’90 in die Oberlausitz eingeladen (und auch dort).
    Der Gastgeber erwähnte irgendwann im Laufe der Feierei die Existenz eines Knight- Mercedes- Wagens bei einem Herrn Zenker in Sebnitz, just 15 Km von hier über die Berge. Er solle so ca. Bj. 22/23 sein – aus dem Sächsischen Königshaus !!!
    Nun – eine entfernt Verwandte in Sebnitz stand dann im April auf meinem Besuchsplan (nicht wegen dem Knight allein)! Als ich das mit Herrn Zenkers Auto- Schatz erwähnte ( war’s Zufall, war’s Fügung ?) war Herr Zenker ein guter Bekannter und Kollege ihres Mannes Gottfried beim Kranbau Sebnitz, wo beide Ingenieure waren. Eine Tel. Anfrage und ein kurzer Spaziergang hinunter in die Stadt zur Werkstatt Zenkers
    brachte uns dann die wirkliche Story zu Ohren.
    Der freundliche Herr Zenker (damals 74) klärre uns auf: Sein Vater hatte den Wagen (es war mir Sicherheit der selbe Typ und Karosse wie der vorgestellte) Mitte der Zwanziger Jahre von einem Bad Schandauer Hotelier
    erworben, der mit ihm wohl Gästetouren in der sächs. Schweiz gefahren war.
    Nach Zenkers Bekunden war der Wagen 1936 letztmalig mit eigener Kraft gefahren und stand seit dem in der Vorhalle der Mechanischen Werkstatt und Schmiede, die der Vater seit kurz vor der Jahrhundertwende betrieben hatte. Und hier fing (für mich als Maschinenbauer)
    das eigentliche Museum erst an:
    Mit Ausnahme einer Drehbank aus DDR- Produktion alles, alles noch wie es vor 1900 in Betrieb genommen worden war! Eins von den zwei Schmiedefeuern noch warm!
    Zenker war gerade mit der Anfertigung einer Serie ca. 1mtr.
    großer Fassungsringe für den Brunnenbau beschäftigt. Nebenbei erwähnte er noch, sein Vater habe ihm die Werkstatt mit 94 Jahren übergeben, als er Rentner wurde!
    Den Mercedes hatte man beim Anrücken der Russen im April ’45
    gerade noch mit Pferde- Vorspann in eine abgelegene Scheune „auslagern können“. Nach dem Abrücken der Besatzer dann auf gleiche Weise
    wieder zurückgebracht.
    Die Werkstatt war von der Besatzungsmacht natürlich auch beschlagnahmt worden. Wer weiß, was für ein schöner, dringend benötigter 1,5 to- Anhänger daraus geworden wäre!
    Da ich mich mit dem Alten Zenker auf fachlicher wie persönlicher Ebene gut verstand, war ich in den Jahren
    danach immer ein gern gesehener Gast.
    Unglücklich war er über die berufliche Orientierung des Sohnes, der – offenbar aus der Art geschlagen – Pastor geworden war. Umso größere Hoffnungen setzte er in seinen Enkel, für den er die Werkstatt erhalten wollte. Deshalb sah er mit der Wende den wertvollen
    Knight- Wagen nur noch als Startkapital für die unumgängliche Modernisierung
    des Maschinenparks. Er habe aber schon mitbekommen, daß
    derart alte Baujahre nicht mehr für Spitzenerlöse taugen.
    Ich versprach, mich umzutun und fragte meine alte Märkte- Bekanntschaft Winfried Seidel an, der das Benz- Museum in Ladenburg aufgebaut hat.
    Ja, Interesse sei wohl da – wie auch nicht bei so einen Fund!
    Ich solle einen Termin arrangieren nach Ende der Sommerferien und gab Herrn Zenker entsprechend Bescheid.
    Nach Ende der Saison sprach ich mit W. Seidel ab: Wir gehen das jetzt an und ich melde uns in Sebnitz an.
    Gut , ich rief bei Zenker an und: zu spät – der Mercedes war weg!! Das sind so Momente…
    Was war geschehen?
    Die junge Familie war auf einer Bergwanderung auf der tschechischen Seite in ein Gewitter geraten – der Enkel vom Blitz erschlagen !
    Da war natürlich Opas große Hoffnung zunichte und der Herr Zenker hatte die Nr. des nächstbesten Interessenten gewählt, die er wohl schon hatte….

  2. noch ein Wort zu Motoren: Es gab eine Zeit unzureichend gehärteter Nockenwellen. den Bauernmotoren von Ford und Opel schadete das wenig ausser dem Leistungsverlust, bei Alfa verursachte das reihenweise Motorschäden: die Nocke lief „spitz“, dadurch wurde der Tassenstößel nicht mehr gedreht, brach durch und die Nocke haute das Ventil krumm und schon hatte man das Loch im Kolben – Totalschaden. Oft auch Werkstatt-fehler, weil man die Nockenprofile nicht geprüft hatte – da nutzt Ventilspiel-Einstellen nämlich nix.

  3. Na da muss ich doch gleich meinen Senf dazugeben. Jeder meiner Alfa Romeo (Giulia, Giulia Nuova, Giulietta, A75) erreichte locker km-Stände von 300t bis 500t ohne Motorreparatur (Getriebe und Hinterachsen waren oft weniger stadhaft, am wenigsten die Karosserie). Den Rekord will mein Alfa 75Twin Spark Edition holen, bis jetzt über 780t und alle Teile ungeoffnet, minimaler Ölverbrauch. Alfa hat alle Lagergassen „heiss“ gespindelt, d.h. einmal auf Temperatur sind die Motoren fast unzerstörbar. 20-30km „Lockerungsübungen“ bedarf es schon.

    Zum Knight-Schiebermotor: damals war man mit Schmierung sparsam, mit Passungen weniger genau als heute. Tatsache ist, daß diese Schiebermotoren wirklich sehr viel geräuschärmer waren als die bekannten Ventiltriebe, daß sie Motoren bei sinngemäßer Nutzung sehr standhaft waren. Dauervollgas, Kaltstarts usw. blieben immer ein Problem, man schaffte es nicht die Scheber unter allen Bedingungne ausreichend zu kühlen und zu ölen. Verbranntes, verkokeltes Öl an den Schiebern verschärfte das Problem. Die Technik war möglich und sinnvoll, das zeigen verstellbare Walzen-Drehschieber an modernen 2-Takt-Motoren. Man war eben – wie so oft – zu früh am dransten.

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